Verlagsmanager
(*1940): "Was teuer
ist, kann nur echt
sein." 4,65 Millionen
Euro für eine
Fälschung bezahlt.
Henri Nannen (*1913+1996)
war der Hans Albers des Journalismus.
Ein Mann der Legenden - der nicht nur
auf der Reeperbahn; mit verbrannter
Erde sein Dasein bestritt.
Peter Koch (*1939+1989) liebte
Geld, schöne Frauen und schnelle
Autos. Als politischer Publizist
wollte er bedeutend werden. Dabei
hatte er Rasierklingen an den Ellen-
bogen. Es reichte nur zur Fußnote
einer Stern- Skandal-Geschichte. Mit
1,5 Millionen Euro Abfindung nach
Hause geschickt. Koch starb an
Krebs in den USA.
Thomas Walde (*1940) war einer der
fundiertesten Journalisten in Print-Medien.
Er promovierte über Geheimdienste.
Walde war präzis in Analysen, kenntnis-
reich sein Wissen. Im allgegenwärtigen
Illustrierten-Sog nach Sensationen verlor
er den Überblick hielt dem Druck nicht
mehr stand.Tragisch. Opfer des Hamburger
stern-Milieus.
Gerd Heidemann (*1931), ein Mann mit
Nazi-Affinitäten, Nazi-Liedern, Göring-
Maskeraden; Ehefrau mit adretter BDM-
Frisur. Wollte groß rauskommen, hoch
gepokert, viel Geld verdient, alles verloren.
In den Knast eingefahren. Vom Starreporter
zum Sozialfall.
Die sogenannten Hitler-Tagebücher und ihre Veröffentlichung in der Hamburger Illustrierten stern gilt als einer der größten Skandale in der Geschichte der deutschen Presse, als Parade-Beispiel für Scheckbuch-Journalismus. Der stern hatte für 4,65 Millionen Euro 62 Bände gefälschter Tagebücher erworben. Auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz kündigte Chefredakteur Peter Koch (*1939+1989) an, "große Teile der deutschen Geschichte müssen umgeschrieben werden". Beschaffer Gerd Heidemann, ließ sich in Siegerpose zu einem "Victory"-Zeichen hinreißen. Welterfolg.
Gerd Heidemann (*1931) musste wegen Unterschlagung eine Haftstrafe von vier Jahren und acht Monaten antreten; lebt seither von Sozialhilfe. Konrad Kujau (*1938 + 2000) wurde durch seine Fälschung populär und gleichfalls wegen Betrugs mit vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug belegt. Aufgrund seiner Kehlkopf-Krebserkrankung verbüßte Kujau lediglich drei Jahre Haft. Er starb im Jahr 2000.
Chefredakteur Peter Koch trat von seinem Amt zurück - notgedrungenerweise. Er ließ sich für sein Tagebuch-Abenteuer mit einer stattlichen Abfindung in Höhe von 1,5 Millionen Euro belohnen. Als neuer Blattmacher im Springer-Verlag scheiterte Peter Koch mit seiner Illustrierten "Ja" abermals. Sie musste schon nach wenigen Ausgaben wegen mangelnder Auflage und wirtschaftlichen Misserfolges eingestellt werden. Er starb im Alter von 50 Jahren 1989 auf seinem Landsitz in Florida an Krebs.
Auch Thomas Walde hatte als Ressortleiter Zeitgeschichte den stern verlassen. Bis zu seiner Pensionierung verantwortete er das Hörfunk-Programm von Radio Hamburg. Dessen ungeachtet blieb er Zeit seines Lebens ein Gefangener der gefälschten Hitler-Tagebücher. Ob er wollte oder auch nicht - sie liessen ihn nicht mehr los. So gestand Thomas Walde vor dem Service-Club Round Table in der Potsdamer Strandbar freimütig: Dieser Skandal habe tatsächlich seine verdeckte Anziehungskraft nicht verloren, auch nach 25 Jahren nicht. "Ich muss immer wieder Auskunft über dieses Desaster geben, hätte ich es nicht getan, wäre ich daran zugrunde gegangen."
Auftritt, Rhein-Main-Illustrierte
Frankfurt a/M
vom 3. September 1984
von Reimar Oltmanns
und Georg Weissenberger (Dokumentation)
Es war einer jener seltenen Sommertage, der die Gemüter ungeahnt vibrieren lässt. Im klinkerverputzten Hamburg, der Hochburg des Hochmuts, kriechen die Bürger aus ihren Burgen. Der Volkspark wimmelt voller euphorischer Menschen samt lebenslustiger Hunde. Auf der Außenalster ziehen Segelboote ihre beschaulichen Schleifen. Und in der Fabrik rockt Ulrich Klose, damals Regierungschef der Hansestadt (1974-1981), in Udo Lindenbergs Aufbruch-Stimmung hinein - ("Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt und sonst gar nichts").
ZÄHESTER SPÜRHUND
Nur am Ausschläger Elbdeich plätschert das Wochenende eher freudlos vor sich hin. Genauer gesagt auf der Carin II, einer Privatjacht, die dem stern-Journalisten Gerd Heidemann gehört. Heidemann, auch Gerdsche genannt, zählt allseits unbestritten zu den hochkarätigen Rechercheuren der Illustrierten - und das schon seit mehreren Jahrzehnten. Eben der "hartnäckigste, raffinierteste Reporter Deutschlands, der zäheste Spürhund, der sich überhaupt denken lässt". Eben ein klassischer Karriere-Mann, der sich während seiner überaus langen Laufbahn nicht einmal eine Gegendarstellung, keine Klage, keinen Prozess einhandelte, wie der stern großspurig kundtat.
SCHIFFS-SALON
An diesem Wochenende anno 1978 hockt der stern-Star ein wenig gelangweilt in seinem Schiffssalon. Ihm missfällt jeder Stillstand, jede Minute, die Heidemann mit Heidemann zu konfrontieren droht. Er hasst erst recht jeden Urlaub, den er immer wieder irgendwie schon als eine "empfindliche Strafe" wahrnimmt, empfindet. Ferien zu machen, auszuspannen, das hieße ja, von der nahezu manischen, ureigensten Bessenheit, vom rasenden Fanatismus abzuschalten, sei es auch nur für ganze sechs Wochen. Wenn innere Ruhe als Bedrohung empfunden wird ... ...
FRAU HEIDEMANN IV.
Aus dem Bord-Kasettenrekorder scheppert stattdessen der Radetzky-Marsch. Heidemann, in der Prachtuniform des Reichmarschalls Hermann Göring (*1893+1946), wartet auf seinen Erbseneintopf. Das Ambiente um ihn herum: Göringsches Tafelsilber, Göringsche Aschenbecher. Selbst die Kissenbezüge stamme aus Görings Bademantel. In der Kombüse bekocht ihn Gina. Natürlich hat Gina wasserblaue Augen, ist groß wie blond; eine Frau, die an Lebensborn, ans Rassenglück erinnert; an jene vollends entgeisterten Arierinnen, die dem Führer ein Kind schenkten wollten und manchmal auch durften. Aber immerhin: alsbald darf Gina sich Frau Heidemann IV. nennen. Szenen wie aus Hollywood. Nur mit dem filigranen Unterschied, dass solch ein Kasperle-Theater auf einem Kahn zu Hamburg der siebziger Jahre nicht einer Kabarett-Aufführung, sondern der nachempfundenen Wirklichkeit entsprach.
SS-SCHERGEN ALS TRAUZEUGEN
Keine anderen als der ehemalige Waffen-SS-General und unbelehrbare Verteidiger der Reichskanzlei Wilhelm Monke (*1911+1977) wie auch der frühere Waffen-SS-General und Himmler-Intimus Karl Wolff (*1900+1984) werden in wenigen Wochen später die Heidemanns als Trauzeugen zum Standesamt eskortieren. Wolff, ein Nazi-Karrierist und ausgewiesener Scherge, der wegen Ermordung von 300.000 Juden zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Wolff , den Gerd Heidemann stets als "Wölfchen" liebkost; einfach, weil er doch so "ein netter Mann ist".
GÖRINGS KAJÜTE
Die "Carin II" - das war einmal Görings Schiff.- Die Paradejacht des Reichsmarschalls Hermann Göring (*1893+1946). Im Jahre 1937 bekam er es im Werte von 1,3 Millionen Reichs-Mark von der Automobilindustrie geschenkt. Im Jahre 1973 kaufte es Gerd Heidemann im ziemlich verrotteten Zustand einem Bonner Druckerei-Besitzer für immerhin 160.000 Mark ab. Zwischenzeitlich diente es unter dem Namen "Prince Charles" dem englischen Königshaus als Prominentenjacht. Die "Carin II" - sie wurde zu Heidemanns Refugium. Eine tief verwurzelte, emotionale Heimstatt, für die er sein Haus veräußerte, für die er sich bei der Deutschen Bank wegen immenser Renovierungskosten sogar um 300.000 Mark verschuldete (Kontonummer: 521.815.101).
PANZERDIVISION "HITLER-JUGEND"
Eine Affinität, die Heidemann geschickt mit Geschäftsinteressen oder "zeitgeschichtlichen Nachforschungen" zu kaschieren wusste, aber tatsächlich bereits im Jahre 1945 ihren Ausgangspunkt nahm. Damals war Gerd Heidemann gerade dreizehn Jahre alt, als die aus Holland zurückbeorderte Panzer-Division "Hitler-Jugend" in Dorfmark am Rande der Lüneburger Heide ihm das Zerlegen von MGs und Schießen beibrachte - Pimpf Heidemann mit "feucht-glänzenden Augen" zu den 17jährigen Waffen-SS-Männern aufblickte.
VERWIRRENDE VERIRRUNGEN
Auf diesem Geisterboot schuf Gerd Heidemann sich nach all den verwirrenden Verirrungen eines Reporterlebens seine Wirklichkeit; die der Nazis ("Kamerad-weißt-du-noch"), die der Waffenhändler, Neofaschisten und Geheimdienst-Agenten. Allesamt gingen sie auf der "Carin II" liebend gern ein wie aus. Saufgelage, Weiber, Blutfahne, Fressplatten vom Hotel Intercontinental mit Lachs- und Kavierschnittchen samt Rehrücken-Filet . Dazu Nazi-Lieder, Göring-Maskerade, Görings Lokusschüssel und natürlich der lallende Eintrag ins Heidemann'sche Bordbuch. Der Starreporter auf Recherche, auf Rechnung des stern versteht sich.
STATTLICHE MÄNNER - STERN-MÄNNER
Auf diesem Kahn, der traumatisch minutiös jenes braune Despoten-Dasein aktualisiert, fand Heidemann endlich seinen ersehnten Platz, seine NS-beseelte Genugtuung oder Anerkennung, auch seine menschlichen Bezugspunkte. Gerd Heidemann war richtig angekommen, er konnte sich allmählich zu dem häuten, der er schon immer war. Ein autoritätshöriger, enthusiastischer Verehrer überlebensgroßer Männer, "hart wie Stahl" und mit eisenbeschlagenen Schuhabsätzen - hießen sie nun SS-Wolff, SS-Mohnke, Schlächter Barbie in Lyon, stern-Nannen oder stern-Koch. Wer auch immer von den drahtigen "Mustermännern" sein Gegenüber war. Heidemanns Hingabe bestand aus winselnder Abhängigkeit.
GRÖSSTER REPORTER ALLER ZEITEN
Mit den Hitler-Tagebüchern, dem bislang umfangreichsten Fälschungswerk der Geschichte, wollte Gerd Heidemann zum Gröraz, zum größten Reporter aller Zeiten werden. Neun Millionen Mark (4,65 Millionen €) blätterte der Verlag Gruner + Jahr für Konrad Kujaus Falsifikate hin, auf etwa 20 Millionen Mark beläuft sich der Gesamtverlust. Es war der letzte Versuch eines ausgebrannten Reporters, dem drohenden Rausschmiss mit einem "Bravourstück" doch noch die entscheidende Wende zu geben - der Weltöffentlichkeit nach konspirativer Vorarbeit eine Weltsensation zu präsentieren, den "größten Coup seit Watergate" (politische Vertrauens- und Verfassungskrise in den Vereinigten Staaten von 1972-1974).
VOM ELEKTRIKER ZUM JOURNALISTEN
Denn vor nichts zitterte der damals 49jährige Heidemann mehr als vom stern, der größten deutschen Illustrierten (Auflage: 1,49 Millionen) den Fußtritt zu kassieren. Schon längst hatte er nicht mehr die Leistungskraft früherer Jahre, Schulden plagten ihn, Pfändungsbescheide flatterten ins Haus. Das, was Heidemann darstellte oder hermachte, verdankte er ausschließlich seiner Illustrierten. Ihr verschrieb er sich, von ihr ließ er sich enteignen. Sie ermöglichte ihm den einzigartigen Aufstieg vom Elektriker zum Frist-Class-Jetset, sie machte ihn x-beliebig gefügig, bestimmte durchschlagend seine Höhen und Tiefen. Gerd Heidemann merkte nicht, dass dieser stern ihn hingerichtet hat, Stück um Stück mehr in den Wahnsinn trieb, seine nach außen präsentierte Glanz- und Glimmerexistenz nicht mehr als ein beklagenswerter Trümmerhaufen war.
GRENZGÄNGER MIT SCHECKBUCH
Die gefälschten Hitler-Tagebücher verletzen bekanntlich ja nicht nur das geschichtliche Bild der Deutschen samt ihrer Millionen-Opfer. Sie sind gleichfalls Ausdruck eines beispiellosen Grenzgänger- oder Scheckbuch-Journalismus, der die Fronten zwischen Reportern, V-Leuten und Agenten gefährlich verwischt, folgerichtig in Medien-Exzessen endet. Die Käuflichkeit von Nachrichten wie Informanten zählt seit zwanzig Jahren in den internen Redaktionsabläufen zur bewährten Praxis - und dies ausnahmslos, ob Spiegel, Focus, stern oder auch Bunte; vom Privatfernsehen um RTL bis hin zu SAT1 ganz zu schweigen.
AUFSCHNEIDEREI
Gewiss ohne Heidemanns "Beschaffung" hätte der stern Hitlers Tagebücher wohl kaum drucken können. Doch seine Lebens- wie Reporter-Geschichte ist ohne Henri Nannen so nicht denkbar und der stern ohne Nannen ebenfalls nicht. In Wirklichkeit sitzen vor dem Hamburger Landgericht neben Heidemann/Kujau die verantwortlichen Manager und Chefredakteure auf der Anklagebank. Es sind deutsche Spitzenverdiener der Extra-Klasse eines "maroden spätkapitalistischen Monsterunternehmens", die den Führer in der Öffentlichkeit wie eine Delikatesse servierten, schrieb Ex-Autor Erich Kuby (*1910+2005) in seinem Buch, "Der Stern und die Folgen". Ob hemmungslose, ungenierte Profitgier oder kaltschnäuzige, abgerichtete Knüller-Mentalität, "die wöchentliche Aufschneiderei bis eben hin zur Fälschung", bemerkt der einstige Nannen-Stellvertreter Manfred Bissinger, "sei der eigentliche Nährboden gewesen, in diesem Klima konnte Heidemann gedeihen."
HANS ALBERS DIESER EPOCHE
Dieser stern, der sich seinen Lesern mit einfühlsamen Sozialreportagen, mit Serien gegen Berufsverbote, Militarismus, Folter, Rüstungswahn empfiehlt, in diesem stern spielte Henri Nannen "das Schwein, um den stern zu retten" (Nannen über Nannen). Er beritt Frauen nach Lust und Laune; alle staunten, tuschelten und schauten weg. Er bürstete seine verängstigten Mitarbeiter menschenverächtlich ab, furzte in den Konferenzen herum, ließ seine Leute im Gestank schmunzelnd strammstehen. Er feuerte oder heuerte Redakteure von einer Minute zur anderen. Wer aufmuckte, widersprach - gegen den "Hans Albers des Journalismus"- der bekam in späteren Jahren nicht etwa den neureich als TV-event aufgemotzten "Henri-Nannen-Preis", sondern nicht selten Hausverbot - postwendend. Und wer gar zaghafte Schwäche zeigte, den beutelte er oft genüsslich bis zur Selbstaufgabe. Sie hießen Peter Heinke, Wolfgang Barthel oder auch Paul-Heinz Koesters - sie schieden alle - über kurz oder lang, Jahre hin, Jahre her - freiwillig nicht nur vom stern - aus ihrem Leben. Ein Redakteur um die 50 Jahre alt, flehte ihn weinend an, ihn doch wenigstens erst in einem Jahr zu feuern, wenn sein Sohn das Studium beendet habe. Fehlanzeige. Dieser "perfekte", "radikale Opportunist", wie Erich Kuby ihn charakterisierte, der sich bei Nannen immerhin 16 Jahre verdingte, prügelte sein Blatt mit Bauch und Geruchssinn zum einsamen Erfolg: zu acht Millionen Lesern wöchentlich.
HAIFISCH-BECKEN
Indes: Unter Nannens Ägide brodelte ein Klima, das in Kasernen oder Gefängnissen den zermürbenden Alltag durchdringt.
Eine luxuriöse Psycho-Folter, der sich kaum einer entziehen kann, der auch nur halbwegs in diesem Haifischbecken überleben will. Der einstige stern-Reporter Kai Hermann trat Chefredakteur Nannen jedenfalls vor Zorn im Jahre 1978 die Glastür ein, weil er sich der Auflage willen wieder einmal über eine Absprache hinweggesetzt hat und das Konterfei der Christiane F. ("Wir Kinder von Bahnhof Zoo") fast idenifizierbar auf den Titel pustete. Dem Triebtäter Nannen folgte der Kompanie-Feldwebel Peter Koch, der Mann "mit den Rasierklingen an den Ellenbogen".
GROßHANS-ARROGANTEN
Diese "deutschen Großhans-Arroganten" stapften gut gelaunt über Leichen. Was macht es da schon, wenn sich eine Redakteurin vor beruflicher Ohnmacht ihre Pulsadern aufritzt, quasi in letzter Minute gerettet wird? Ein Bonner Korrespondent sich aus dem Fenster stürzen will, weil er dem "Leistungsknüppel" nichts mehr entgegen zu setzen hatte, nunmehr als Bonner Frührentner sein Leben mit Hilfe der Anonymen Alkoholiker meistert? Ein anderer, der den einjährigen Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik regelrecht als "Befreiung" feiert; ein weiterer mit 40 Jahren ins Gras beißt, weil er dem Stress nicht mehr standhielt und sich zu Tode soff. Was macht es da schon, wenn der frühere stern-Reporter Karl-Robert Pfeffer in Beirut, Hans Bollinger und Wolfgang Stiens am Victoria-See in Uganda erschossen werden? Ihre Leichen geben zumindest soviel hier: eine hautnah erlebte Illustrierten-Story mit faktenreichem Betroffenheits-Habitus, von der Nannen schon längst geträumt hatte - im doppelseitigen Vierfarbformat versteht sich.
ERDBALL EIN PUFF
Für die stern-Oberen ist die Welt, ist jedermann käuflich, alles verfügbar, der ganze Erdball ein einziger Puff.; Spesen selbstverständlich qua Ersatzbeleg für "Übersetzungsskosten". Bekanntlich 9,34 Millionen für die Tagebücher, 100.000 Mark für die degoutante Serie über Marianne Bachmeier (*1950+1996 - sie hatte im Gerichtssaal den mutmaßlichen Mörder ihrer Tochter erschossen); ganze 80.000 Mark für den Kronzeugen gegen den KGB, 250.000 Mark für die Lebensgeschichte des Franz Beckenbauer, 125.000 Mark für Jimmy Carter (US-Präsident 1977-1981) usw. usf. Und einen Chefredakteur Peter Koch, der sich seine Tapeten fürs neue Haus im Villen-Vorort Övelgönne an der Hamburger Elbchaussee aus New York einfliegen lässt; ansonsten aber, auf die Erste-Klasse-Flüge als nicht standesgemäß pfeift. Stattdessen lieber wie einst der TV-Serienheld aus dem Soap Denver-Clan mit einem Lear-Jet andere Länder beglückt - und nicht nur diese. So mal eben nach Madrid (Kostenpunkt: 18.000 Mark), vier gestotterte, verhaspelte Fragen an den damaligen spanischen Ministerpräsidenten Felipe Gonzalez (1982-1996) , dann zum Spanferkel-Menü, zwischendurch einen kleinen Fick. Schließlich wieder nach Hamburg in die Redaktion, um die "Faulenzer" zusammenzuscheißen, "weil der stern kein Mädchen-Pensionat, keine Invalidenstation und erst recht kein Sozialwerk ist".
NASE FÜR SCHWÄCHEN
Gerd Heidemann jedenfalls war die Anti-Figur zum Möchtegern-Reporter. In seinem meist blauen Anzug mit Tüchlein und dem ewigen Seminargesicht hätte er auch gut einen gestandenen Abteilungsleiter im Supermarkt an der Hamburger Alster abgeben können. Ein zurückhaltener Typ, leise, gleichmütig, bescheiden. Heidemanns Kapital: er hat eine ausgeprägte Nase für die Schwächen anderer. Sein Risiko: Wenn er sich voll mit seiner jeweiligen Rolle identifiziert. kann er nicht mehr auf Distanz gehen - weder zu seiner Maske noch zu dem Gesprächspartner. Die Gedankenwelt muss er sich erarbeiten. Denn er ist derjenige, der täuscht, manipuliert, reinlegt.
FÜRCHTERLICHES BESÄUFNIS
Zwei klassische Szenen aus dem Arsenal der stern-Recherche. Gemeinsam mit Thomas Walde, Ressortchef Zeitgeschichte, er promovierte über Nachrichtendienste, reist Heidemann zum angeblichen Fundort der Tagebücher nach Börnesdorf in der damaligen DDR. Dort war zu Kriegsschluss die Junker Ju 352 abgestürzt, die die vermeintlichen Aufzeichnungen Hitlers nach Berchtesgaden in Sicherheit schaffen sollten. Heidemann:
"Doktor Walde und ich flogen am 14. November 1980 nach West-Berlin, übernachteten im Hotel 'Schweizer Hof' und fuhren am nächsten Morgen vom Bahnhof Zoo mit der S-Bahn zum Bahnhof Friedrichsstraße. In Ost-Berlin warteten bereits zwei Agenten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) auf die stern-Leute. Der Tag schließt mit einem 'fürchterlichen Besäufnis'. Denn wir hatten zwei Flaschen Whisky mitgebracht." Als erster kippte ein Stasi-Mann um, donnerte mit dem Kopf an die Heizung. Heidemann weiter: "Doktor Walde und ich gingen dann noch einmal in die Hotelhalle. Inzwischen war Walde so voll, dass er Dummheiten machte. Er klappte seinen Kugelschreiber auf, in dem ein Namensstempel war, und drückte seine volle Adresse auf die Meldezettel und auf den Empfangstresen an der Rezeption. Die Sache war nicht ungefährlich - denn die MfS-Leute hatten uns gar nicht angemeldet."
KABALE UND HIEBE
Am nächsten Morgen mit dicken Kopf und ein paar Alka-Seltzer-Tabletten intus in Börnesdorf. Heidemann stellte sich dem Dorfbewohner Göbel als Neffe des Bruchpiloten Liebig vor. Um die Bewohner gesprächig zu machen, verteilte er westdeutschen Kaffee. Am Grab seines "Onkels" legt er bedächtig mit ernster Miene Blumen ans Kreuz.
Für Übervater Nannen ist Heidemann sein ausgemachter Lieblingsreporter, mit dem er sich duzt. Denn kaum einer wie Heidemann hat Nannens handwerklichen Rat so beherzigt: "Ein Reporter, der keine Frauen aufreißt, ist kein richtiger Reporter." Und Heidemann reist und reißt. Kaum kehrte er von seinen Ausflügen zurück, musste er dem grunzenden Nannen unverzüglich Bericht erstatten. Hier mit Etta Schiller gebumst, dabei sogar das Tonband laufen lassen. Frau Schiller trennte sich gerade vom damaligen Wirtschaftsminister Karl Schiller (*1911+1994, Bundesminister für Wirtschaft 1966-1973) zu Beginn der sozialliberalen Koalition im Jahre 1972. Etta Schiller war verzweifelt, suchte Halt. Heidemann lieferte Halt mit Tonband-Aufzeichnungen aus dem Bett. Schlagzeile im stern: "Kabale und Hiebe." Dort mit Edda Göring geschlafen, um das Mokkaservice vom Reichsfeldmarschall abzustauben. Immer schauspielerte Heidemann dieselbe Masche mit überhöflichem Getue. "Dürfen wir stören". - "Aber wir wollen Ihnen keine Umstände machen." - "Das ist aber sehr freundlich von Ihnen." - "Dürfen wir wieder vorbeischauen."
FREMDENLEGIONÄR
Nur auf fernen Kontinenten kehrt er den "Fremdenlegionär" heraus. stern-Reporter Peter-Hannes Lehmann, der am liebsten in englischen Militärhemden selbst oder gerade auch über die Redaktionsflure läuft, schildert ein Erlebnis mit seinem Kumpanen Gerd: "Als es in Guinea-Bissau plötzlich krachte, haben wir uns hinter einen Termitenhaufen geworfen. Es war kein Feind zu sehen. Nur ein wildes Geschieße. Während ich mich so flach wie möglich machte, fluchte Gerd: "Scheiße, hier gibt's ja nichts zu fotografieren, überhaupt kein Motiv" Dafür spätestens aber am Abend in Mombasa. Da holt Heidemann sich drei "Negerweiber" aufs Hotelzimmer, stellt sie unter die Dusche, hantiert mit dem Selbstauslöser. Ist es etwas Rassismus, vielleicht lästiger Hormon-Überschuss oder was treibt ihn immer wieder in derlei Abenteuer? Ab welchem Punkt wird journalistische Besessenheit krankenscheinpflichtig. Reporter Lehmann erwidert sibyllinisch: "Es gibt keine Zufälle, Gott hat die Türen, auch durch die du gehen musst, schon aufgetan. Ja, ja, mein Lebenstraum war immer, Journalist zu werden. Er ist Wirklichkeit geworden."
SS-EHRENDOLCH
Die stern-Redaktion, die im Verlag als arrogant gilt, arbeitete immerhin über dreißig Jahre mit Gerd Heidemann zusammen. "Immer, wenn es brenzlich wird ,muss Heidemann ran. Immer, wenn's ums Bescheißen geht." Heidemann hingegen ist nicht der einzige im stern, der Nazi-Trophäen sammelt. Einige Kollegen hatten schon vor ihm mit diesem einträglichen Geschäft begonnen. Stolz zeigt Heidemann ihnen seinen SS-Ehrendolch, wandert damit von Stockwerk zu Stockwerk.
TEUER UND ECHT
Dieser stern, der stets so viel Wind ins Land pustet, wenn er den Mächtigen der Republik angebliches Fehlverhalten nachweisen will, für diesen linksliberalen aufgeklärten stern ist der rechts gestrickte Heidemann "übergroß". Wo war die vermeintlich so selbstbewusste Reaktion, als nach der merkwürdigen ZDF-Fernsehsendung Peter Koch alle Skeptiker, veritable Historiker, die an der Echtheit der Hitler-Tagebücher arge Zweifel hegten, sie coram publico als Dummköpfe, Fälscher , Neider bezeichnete? Am nächsten Morgen saßen sie einträglich im Konferenzraum zusammen, jubelten ihrem Chef-Koch für die Meisterleistung zu. Endlich eine Sensation, endlich wieder in aller Munde. Ganz nach dem Motto: "Was so teuer ist, kann nur echt sein."
GELDGIER
Geldgier mit den eingegerbten Parvenü-Allüren hatten bei allen Beteiligten am Unternehmen "Grünes Gewölbe" jäh den Verstand ausgeschaltet. Heidemann wurde vorab 1,5 Millionen Mark zugesagt. Thomas Walde sollte mit 560.000 Mark beteiligt werden, Co-Autor Leo Pesch rechnete sich Extra-Gagen in Höhe von 280.000 Mark aus. Kritische Einwände, es könne doch gar nicht möglich sein, dass Hitler sich bei solch einem Konvolut seiner Aufzeichnungen (60 Bände) nicht einmal verschriebe, konterte Dr. Walde mit der Bemerkung: "Unser Führer verschreibt sich nicht."
BANANEN ODER MAGAZIN
Für die Konzernspitze war es ein sinnliches Erlebnis, ein Hitler-Tagebuch in den Händen zu halten. Ganz egal, was sie auch verhökert, Bananen, Autos oder ein Magazin, Geld muss es bringen. Auszug aus Bissingers Buch, Hitlers Stern-Stunde-Kujau, Heidemann und die Millionäre:
"Am 9. März 1981 bekam das Unternehmen Grünes Gewölbe einen neuen Mitwisser. Manfred Fischer (*1934+2002), damals Vorstandschef von Gruner + Jahr, fuhr zu einer Sitzung der Konzernzentrale nach Gütersloh. Dort traf er seinen Boss, den Inhaber, Noch-Vorstandsvorsitzenden und designierten Aufsichtsratsvorsitzenden von Bertelsmann, Reinhard Mohn (*1921+2009), Konzernumsatz: 6,04 Milliarden Mark jährlich. Der wollte Fischer an seinem sechzigsten Geburtstag am 29. Juni zu seinem Nachfolger machen. Fischer bat um ein Gespräch unter vier Augen.
SENSATION DES JAHRHUNDERTS
Das Sekretariat wurde angewiesen, keinen Besucher vorzulassen, dann zog Fischer Heidemanns Dossier aus der Aktentasche und legte es 'durchaus ein bisschen stolz' dem Bertelsmann-Boss vor. Mit dem Finger fuhr er über die Aussage von Hitlers Chefpilot Baur, in der von wichtigen verlorenen Dokumenten die Rede war. 'Die haben wir jetzt gefunden.' Fischer langte wieder in seine Tasche und legte mehrere Hitler-Tagebücher auf den Tisch. 'Das sind die Tagebücher. Hier sind sie.' Mohn nahm die Kladden in die Hand 'war fasziniert' und sagte: 'Ungeheuer Manfred!' Und dann fielen die Sätze, die später die Runde machten: "Das ist das unglaublichste Manuskript, das je meinen Schreibtusch passiert hat. Das ist die Sensation des Jahrhunderts. Es ist unglaublich, wenn es stimmt.' "
BLIND JEDE SUMME
Tatsächlich entsprach Heidemann mit seinen Geldforderungen wie auch seinem Auftreten präzis dem Befund, den sich die Herren aus dem provinziell angehauchten Gütersloh über einen Hamburger Journalisten gezimmert hatten. Gerd Heidemann erhält blind jede Summe , die er will. Als zum Beispiel am 27. Janaur 1981 die Banken schon geschlossen haben, Heidemann hingegen die erste Rate in Höhe von 200.000 Mark anfordert, muss Vorstandsmitglied Peter Kühsel die Summe am Spätschalter des Hamburger Flughafens lockermachen. In den folgenden Jahren kassiert Heidemann in regelmäßigen Abständen zwischen 200.000 bis 900.000 Mark. Über das Geld kann er quasi verfügen, wie er will, Rechenschaft fordert niemand von ihm.
MYTHOS VON DER ECHTHEIT
"Auch in den letzten Wochen vor dem Auffliegen der Fälschung". heißt es in der stern-internen Klug-Untersuchungskommission (benannt nach dem früheren Hochschullehrer und FDP-Politiker Ulrich Klug *1913+1993 ). "ist der Mythos von Echtheit der Tagebücher im Ressort Zeitgeschichte noch so stark, dass man sich sagt, selbst wenn Heidemann in psychiatrische Behandlung müsse, dann aber erst nach der Beschaffung der letzten fehlenden Stücke." Als die Hitler-Sondernummer in der stern-Grafik ausgelegt war, griff Gerd Heidemann feist zum Telefonhörer, wählte eine Nummer in Südamerika. Er tat so, als telefonierte er mit dem Hitler-Vertrauten Martin Bormann (*1900+1945) , der bereits nach stern-Recherchen nachweislich nicht mehr lebt. Heidemann: "Martin, wir haben zwölf Doppelseiten." Und Konrad Kujau erinnert sich an folgendes Erlebnis: "Plötzlich stand er auf, stützte seine Hände auf den Schreibtisch und fragte: "Konni glaubst du, Hitler ist im Himmel?..."
Nach einem Jahr Untersuchungshaft recherchierte Gerd Heidemann aus dem Gefängnis heraus jedenfalls eine völlig neue, unerwartete Spur. Die endgültige Story über den Ort, an dem Jesus Christus begraben wurde. Bislang hat Gruner + Jahr die Weltrechte noch nicht gekauft - noch nicht.
Nazi-Affinitäten, Nazi-Liedern, Göring-
Maskeraden; Ehefrau mit adretter BDM-
Frisur. Wollte groß rauskommen, hoch
gepokert, viel Geld verdient, alles verloren.
In den Knast eingefahren. Vom Starreporter
zum Sozialfall.
Die sogenannten Hitler-Tagebücher und ihre Veröffentlichung in der Hamburger Illustrierten stern gilt als einer der größten Skandale in der Geschichte der deutschen Presse, als Parade-Beispiel für Scheckbuch-Journalismus. Der stern hatte für 4,65 Millionen Euro 62 Bände gefälschter Tagebücher erworben. Auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz kündigte Chefredakteur Peter Koch (*1939+1989) an, "große Teile der deutschen Geschichte müssen umgeschrieben werden". Beschaffer Gerd Heidemann, ließ sich in Siegerpose zu einem "Victory"-Zeichen hinreißen. Welterfolg.
Gerd Heidemann (*1931) musste wegen Unterschlagung eine Haftstrafe von vier Jahren und acht Monaten antreten; lebt seither von Sozialhilfe. Konrad Kujau (*1938 + 2000) wurde durch seine Fälschung populär und gleichfalls wegen Betrugs mit vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsentzug belegt. Aufgrund seiner Kehlkopf-Krebserkrankung verbüßte Kujau lediglich drei Jahre Haft. Er starb im Jahr 2000.
Chefredakteur Peter Koch trat von seinem Amt zurück - notgedrungenerweise. Er ließ sich für sein Tagebuch-Abenteuer mit einer stattlichen Abfindung in Höhe von 1,5 Millionen Euro belohnen. Als neuer Blattmacher im Springer-Verlag scheiterte Peter Koch mit seiner Illustrierten "Ja" abermals. Sie musste schon nach wenigen Ausgaben wegen mangelnder Auflage und wirtschaftlichen Misserfolges eingestellt werden. Er starb im Alter von 50 Jahren 1989 auf seinem Landsitz in Florida an Krebs.
Auch Thomas Walde hatte als Ressortleiter Zeitgeschichte den stern verlassen. Bis zu seiner Pensionierung verantwortete er das Hörfunk-Programm von Radio Hamburg. Dessen ungeachtet blieb er Zeit seines Lebens ein Gefangener der gefälschten Hitler-Tagebücher. Ob er wollte oder auch nicht - sie liessen ihn nicht mehr los. So gestand Thomas Walde vor dem Service-Club Round Table in der Potsdamer Strandbar freimütig: Dieser Skandal habe tatsächlich seine verdeckte Anziehungskraft nicht verloren, auch nach 25 Jahren nicht. "Ich muss immer wieder Auskunft über dieses Desaster geben, hätte ich es nicht getan, wäre ich daran zugrunde gegangen."
Auftritt, Rhein-Main-Illustrierte
Frankfurt a/M
vom 3. September 1984
von Reimar Oltmanns
und Georg Weissenberger (Dokumentation)
Es war einer jener seltenen Sommertage, der die Gemüter ungeahnt vibrieren lässt. Im klinkerverputzten Hamburg, der Hochburg des Hochmuts, kriechen die Bürger aus ihren Burgen. Der Volkspark wimmelt voller euphorischer Menschen samt lebenslustiger Hunde. Auf der Außenalster ziehen Segelboote ihre beschaulichen Schleifen. Und in der Fabrik rockt Ulrich Klose, damals Regierungschef der Hansestadt (1974-1981), in Udo Lindenbergs Aufbruch-Stimmung hinein - ("Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt und sonst gar nichts").
ZÄHESTER SPÜRHUND
Nur am Ausschläger Elbdeich plätschert das Wochenende eher freudlos vor sich hin. Genauer gesagt auf der Carin II, einer Privatjacht, die dem stern-Journalisten Gerd Heidemann gehört. Heidemann, auch Gerdsche genannt, zählt allseits unbestritten zu den hochkarätigen Rechercheuren der Illustrierten - und das schon seit mehreren Jahrzehnten. Eben der "hartnäckigste, raffinierteste Reporter Deutschlands, der zäheste Spürhund, der sich überhaupt denken lässt". Eben ein klassischer Karriere-Mann, der sich während seiner überaus langen Laufbahn nicht einmal eine Gegendarstellung, keine Klage, keinen Prozess einhandelte, wie der stern großspurig kundtat.
SCHIFFS-SALON
An diesem Wochenende anno 1978 hockt der stern-Star ein wenig gelangweilt in seinem Schiffssalon. Ihm missfällt jeder Stillstand, jede Minute, die Heidemann mit Heidemann zu konfrontieren droht. Er hasst erst recht jeden Urlaub, den er immer wieder irgendwie schon als eine "empfindliche Strafe" wahrnimmt, empfindet. Ferien zu machen, auszuspannen, das hieße ja, von der nahezu manischen, ureigensten Bessenheit, vom rasenden Fanatismus abzuschalten, sei es auch nur für ganze sechs Wochen. Wenn innere Ruhe als Bedrohung empfunden wird ... ...
FRAU HEIDEMANN IV.
Aus dem Bord-Kasettenrekorder scheppert stattdessen der Radetzky-Marsch. Heidemann, in der Prachtuniform des Reichmarschalls Hermann Göring (*1893+1946), wartet auf seinen Erbseneintopf. Das Ambiente um ihn herum: Göringsches Tafelsilber, Göringsche Aschenbecher. Selbst die Kissenbezüge stamme aus Görings Bademantel. In der Kombüse bekocht ihn Gina. Natürlich hat Gina wasserblaue Augen, ist groß wie blond; eine Frau, die an Lebensborn, ans Rassenglück erinnert; an jene vollends entgeisterten Arierinnen, die dem Führer ein Kind schenkten wollten und manchmal auch durften. Aber immerhin: alsbald darf Gina sich Frau Heidemann IV. nennen. Szenen wie aus Hollywood. Nur mit dem filigranen Unterschied, dass solch ein Kasperle-Theater auf einem Kahn zu Hamburg der siebziger Jahre nicht einer Kabarett-Aufführung, sondern der nachempfundenen Wirklichkeit entsprach.
SS-SCHERGEN ALS TRAUZEUGEN
Keine anderen als der ehemalige Waffen-SS-General und unbelehrbare Verteidiger der Reichskanzlei Wilhelm Monke (*1911+1977) wie auch der frühere Waffen-SS-General und Himmler-Intimus Karl Wolff (*1900+1984) werden in wenigen Wochen später die Heidemanns als Trauzeugen zum Standesamt eskortieren. Wolff, ein Nazi-Karrierist und ausgewiesener Scherge, der wegen Ermordung von 300.000 Juden zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Wolff , den Gerd Heidemann stets als "Wölfchen" liebkost; einfach, weil er doch so "ein netter Mann ist".
GÖRINGS KAJÜTE
Die "Carin II" - das war einmal Görings Schiff.- Die Paradejacht des Reichsmarschalls Hermann Göring (*1893+1946). Im Jahre 1937 bekam er es im Werte von 1,3 Millionen Reichs-Mark von der Automobilindustrie geschenkt. Im Jahre 1973 kaufte es Gerd Heidemann im ziemlich verrotteten Zustand einem Bonner Druckerei-Besitzer für immerhin 160.000 Mark ab. Zwischenzeitlich diente es unter dem Namen "Prince Charles" dem englischen Königshaus als Prominentenjacht. Die "Carin II" - sie wurde zu Heidemanns Refugium. Eine tief verwurzelte, emotionale Heimstatt, für die er sein Haus veräußerte, für die er sich bei der Deutschen Bank wegen immenser Renovierungskosten sogar um 300.000 Mark verschuldete (Kontonummer: 521.815.101).
PANZERDIVISION "HITLER-JUGEND"
Eine Affinität, die Heidemann geschickt mit Geschäftsinteressen oder "zeitgeschichtlichen Nachforschungen" zu kaschieren wusste, aber tatsächlich bereits im Jahre 1945 ihren Ausgangspunkt nahm. Damals war Gerd Heidemann gerade dreizehn Jahre alt, als die aus Holland zurückbeorderte Panzer-Division "Hitler-Jugend" in Dorfmark am Rande der Lüneburger Heide ihm das Zerlegen von MGs und Schießen beibrachte - Pimpf Heidemann mit "feucht-glänzenden Augen" zu den 17jährigen Waffen-SS-Männern aufblickte.
VERWIRRENDE VERIRRUNGEN
Auf diesem Geisterboot schuf Gerd Heidemann sich nach all den verwirrenden Verirrungen eines Reporterlebens seine Wirklichkeit; die der Nazis ("Kamerad-weißt-du-noch"), die der Waffenhändler, Neofaschisten und Geheimdienst-Agenten. Allesamt gingen sie auf der "Carin II" liebend gern ein wie aus. Saufgelage, Weiber, Blutfahne, Fressplatten vom Hotel Intercontinental mit Lachs- und Kavierschnittchen samt Rehrücken-Filet . Dazu Nazi-Lieder, Göring-Maskerade, Görings Lokusschüssel und natürlich der lallende Eintrag ins Heidemann'sche Bordbuch. Der Starreporter auf Recherche, auf Rechnung des stern versteht sich.
STATTLICHE MÄNNER - STERN-MÄNNER
Auf diesem Kahn, der traumatisch minutiös jenes braune Despoten-Dasein aktualisiert, fand Heidemann endlich seinen ersehnten Platz, seine NS-beseelte Genugtuung oder Anerkennung, auch seine menschlichen Bezugspunkte. Gerd Heidemann war richtig angekommen, er konnte sich allmählich zu dem häuten, der er schon immer war. Ein autoritätshöriger, enthusiastischer Verehrer überlebensgroßer Männer, "hart wie Stahl" und mit eisenbeschlagenen Schuhabsätzen - hießen sie nun SS-Wolff, SS-Mohnke, Schlächter Barbie in Lyon, stern-Nannen oder stern-Koch. Wer auch immer von den drahtigen "Mustermännern" sein Gegenüber war. Heidemanns Hingabe bestand aus winselnder Abhängigkeit.
GRÖSSTER REPORTER ALLER ZEITEN
Mit den Hitler-Tagebüchern, dem bislang umfangreichsten Fälschungswerk der Geschichte, wollte Gerd Heidemann zum Gröraz, zum größten Reporter aller Zeiten werden. Neun Millionen Mark (4,65 Millionen €) blätterte der Verlag Gruner + Jahr für Konrad Kujaus Falsifikate hin, auf etwa 20 Millionen Mark beläuft sich der Gesamtverlust. Es war der letzte Versuch eines ausgebrannten Reporters, dem drohenden Rausschmiss mit einem "Bravourstück" doch noch die entscheidende Wende zu geben - der Weltöffentlichkeit nach konspirativer Vorarbeit eine Weltsensation zu präsentieren, den "größten Coup seit Watergate" (politische Vertrauens- und Verfassungskrise in den Vereinigten Staaten von 1972-1974).
VOM ELEKTRIKER ZUM JOURNALISTEN
Denn vor nichts zitterte der damals 49jährige Heidemann mehr als vom stern, der größten deutschen Illustrierten (Auflage: 1,49 Millionen) den Fußtritt zu kassieren. Schon längst hatte er nicht mehr die Leistungskraft früherer Jahre, Schulden plagten ihn, Pfändungsbescheide flatterten ins Haus. Das, was Heidemann darstellte oder hermachte, verdankte er ausschließlich seiner Illustrierten. Ihr verschrieb er sich, von ihr ließ er sich enteignen. Sie ermöglichte ihm den einzigartigen Aufstieg vom Elektriker zum Frist-Class-Jetset, sie machte ihn x-beliebig gefügig, bestimmte durchschlagend seine Höhen und Tiefen. Gerd Heidemann merkte nicht, dass dieser stern ihn hingerichtet hat, Stück um Stück mehr in den Wahnsinn trieb, seine nach außen präsentierte Glanz- und Glimmerexistenz nicht mehr als ein beklagenswerter Trümmerhaufen war.
GRENZGÄNGER MIT SCHECKBUCH
Die gefälschten Hitler-Tagebücher verletzen bekanntlich ja nicht nur das geschichtliche Bild der Deutschen samt ihrer Millionen-Opfer. Sie sind gleichfalls Ausdruck eines beispiellosen Grenzgänger- oder Scheckbuch-Journalismus, der die Fronten zwischen Reportern, V-Leuten und Agenten gefährlich verwischt, folgerichtig in Medien-Exzessen endet. Die Käuflichkeit von Nachrichten wie Informanten zählt seit zwanzig Jahren in den internen Redaktionsabläufen zur bewährten Praxis - und dies ausnahmslos, ob Spiegel, Focus, stern oder auch Bunte; vom Privatfernsehen um RTL bis hin zu SAT1 ganz zu schweigen.
AUFSCHNEIDEREI
Gewiss ohne Heidemanns "Beschaffung" hätte der stern Hitlers Tagebücher wohl kaum drucken können. Doch seine Lebens- wie Reporter-Geschichte ist ohne Henri Nannen so nicht denkbar und der stern ohne Nannen ebenfalls nicht. In Wirklichkeit sitzen vor dem Hamburger Landgericht neben Heidemann/Kujau die verantwortlichen Manager und Chefredakteure auf der Anklagebank. Es sind deutsche Spitzenverdiener der Extra-Klasse eines "maroden spätkapitalistischen Monsterunternehmens", die den Führer in der Öffentlichkeit wie eine Delikatesse servierten, schrieb Ex-Autor Erich Kuby (*1910+2005) in seinem Buch, "Der Stern und die Folgen". Ob hemmungslose, ungenierte Profitgier oder kaltschnäuzige, abgerichtete Knüller-Mentalität, "die wöchentliche Aufschneiderei bis eben hin zur Fälschung", bemerkt der einstige Nannen-Stellvertreter Manfred Bissinger, "sei der eigentliche Nährboden gewesen, in diesem Klima konnte Heidemann gedeihen."
HANS ALBERS DIESER EPOCHE
Dieser stern, der sich seinen Lesern mit einfühlsamen Sozialreportagen, mit Serien gegen Berufsverbote, Militarismus, Folter, Rüstungswahn empfiehlt, in diesem stern spielte Henri Nannen "das Schwein, um den stern zu retten" (Nannen über Nannen). Er beritt Frauen nach Lust und Laune; alle staunten, tuschelten und schauten weg. Er bürstete seine verängstigten Mitarbeiter menschenverächtlich ab, furzte in den Konferenzen herum, ließ seine Leute im Gestank schmunzelnd strammstehen. Er feuerte oder heuerte Redakteure von einer Minute zur anderen. Wer aufmuckte, widersprach - gegen den "Hans Albers des Journalismus"- der bekam in späteren Jahren nicht etwa den neureich als TV-event aufgemotzten "Henri-Nannen-Preis", sondern nicht selten Hausverbot - postwendend. Und wer gar zaghafte Schwäche zeigte, den beutelte er oft genüsslich bis zur Selbstaufgabe. Sie hießen Peter Heinke, Wolfgang Barthel oder auch Paul-Heinz Koesters - sie schieden alle - über kurz oder lang, Jahre hin, Jahre her - freiwillig nicht nur vom stern - aus ihrem Leben. Ein Redakteur um die 50 Jahre alt, flehte ihn weinend an, ihn doch wenigstens erst in einem Jahr zu feuern, wenn sein Sohn das Studium beendet habe. Fehlanzeige. Dieser "perfekte", "radikale Opportunist", wie Erich Kuby ihn charakterisierte, der sich bei Nannen immerhin 16 Jahre verdingte, prügelte sein Blatt mit Bauch und Geruchssinn zum einsamen Erfolg: zu acht Millionen Lesern wöchentlich.
HAIFISCH-BECKEN
Indes: Unter Nannens Ägide brodelte ein Klima, das in Kasernen oder Gefängnissen den zermürbenden Alltag durchdringt.
Eine luxuriöse Psycho-Folter, der sich kaum einer entziehen kann, der auch nur halbwegs in diesem Haifischbecken überleben will. Der einstige stern-Reporter Kai Hermann trat Chefredakteur Nannen jedenfalls vor Zorn im Jahre 1978 die Glastür ein, weil er sich der Auflage willen wieder einmal über eine Absprache hinweggesetzt hat und das Konterfei der Christiane F. ("Wir Kinder von Bahnhof Zoo") fast idenifizierbar auf den Titel pustete. Dem Triebtäter Nannen folgte der Kompanie-Feldwebel Peter Koch, der Mann "mit den Rasierklingen an den Ellenbogen".
GROßHANS-ARROGANTEN
Diese "deutschen Großhans-Arroganten" stapften gut gelaunt über Leichen. Was macht es da schon, wenn sich eine Redakteurin vor beruflicher Ohnmacht ihre Pulsadern aufritzt, quasi in letzter Minute gerettet wird? Ein Bonner Korrespondent sich aus dem Fenster stürzen will, weil er dem "Leistungsknüppel" nichts mehr entgegen zu setzen hatte, nunmehr als Bonner Frührentner sein Leben mit Hilfe der Anonymen Alkoholiker meistert? Ein anderer, der den einjährigen Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik regelrecht als "Befreiung" feiert; ein weiterer mit 40 Jahren ins Gras beißt, weil er dem Stress nicht mehr standhielt und sich zu Tode soff. Was macht es da schon, wenn der frühere stern-Reporter Karl-Robert Pfeffer in Beirut, Hans Bollinger und Wolfgang Stiens am Victoria-See in Uganda erschossen werden? Ihre Leichen geben zumindest soviel hier: eine hautnah erlebte Illustrierten-Story mit faktenreichem Betroffenheits-Habitus, von der Nannen schon längst geträumt hatte - im doppelseitigen Vierfarbformat versteht sich.
ERDBALL EIN PUFF
Für die stern-Oberen ist die Welt, ist jedermann käuflich, alles verfügbar, der ganze Erdball ein einziger Puff.; Spesen selbstverständlich qua Ersatzbeleg für "Übersetzungsskosten". Bekanntlich 9,34 Millionen für die Tagebücher, 100.000 Mark für die degoutante Serie über Marianne Bachmeier (*1950+1996 - sie hatte im Gerichtssaal den mutmaßlichen Mörder ihrer Tochter erschossen); ganze 80.000 Mark für den Kronzeugen gegen den KGB, 250.000 Mark für die Lebensgeschichte des Franz Beckenbauer, 125.000 Mark für Jimmy Carter (US-Präsident 1977-1981) usw. usf. Und einen Chefredakteur Peter Koch, der sich seine Tapeten fürs neue Haus im Villen-Vorort Övelgönne an der Hamburger Elbchaussee aus New York einfliegen lässt; ansonsten aber, auf die Erste-Klasse-Flüge als nicht standesgemäß pfeift. Stattdessen lieber wie einst der TV-Serienheld aus dem Soap Denver-Clan mit einem Lear-Jet andere Länder beglückt - und nicht nur diese. So mal eben nach Madrid (Kostenpunkt: 18.000 Mark), vier gestotterte, verhaspelte Fragen an den damaligen spanischen Ministerpräsidenten Felipe Gonzalez (1982-1996) , dann zum Spanferkel-Menü, zwischendurch einen kleinen Fick. Schließlich wieder nach Hamburg in die Redaktion, um die "Faulenzer" zusammenzuscheißen, "weil der stern kein Mädchen-Pensionat, keine Invalidenstation und erst recht kein Sozialwerk ist".
NASE FÜR SCHWÄCHEN
Gerd Heidemann jedenfalls war die Anti-Figur zum Möchtegern-Reporter. In seinem meist blauen Anzug mit Tüchlein und dem ewigen Seminargesicht hätte er auch gut einen gestandenen Abteilungsleiter im Supermarkt an der Hamburger Alster abgeben können. Ein zurückhaltener Typ, leise, gleichmütig, bescheiden. Heidemanns Kapital: er hat eine ausgeprägte Nase für die Schwächen anderer. Sein Risiko: Wenn er sich voll mit seiner jeweiligen Rolle identifiziert. kann er nicht mehr auf Distanz gehen - weder zu seiner Maske noch zu dem Gesprächspartner. Die Gedankenwelt muss er sich erarbeiten. Denn er ist derjenige, der täuscht, manipuliert, reinlegt.
FÜRCHTERLICHES BESÄUFNIS
Zwei klassische Szenen aus dem Arsenal der stern-Recherche. Gemeinsam mit Thomas Walde, Ressortchef Zeitgeschichte, er promovierte über Nachrichtendienste, reist Heidemann zum angeblichen Fundort der Tagebücher nach Börnesdorf in der damaligen DDR. Dort war zu Kriegsschluss die Junker Ju 352 abgestürzt, die die vermeintlichen Aufzeichnungen Hitlers nach Berchtesgaden in Sicherheit schaffen sollten. Heidemann:
"Doktor Walde und ich flogen am 14. November 1980 nach West-Berlin, übernachteten im Hotel 'Schweizer Hof' und fuhren am nächsten Morgen vom Bahnhof Zoo mit der S-Bahn zum Bahnhof Friedrichsstraße. In Ost-Berlin warteten bereits zwei Agenten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) auf die stern-Leute. Der Tag schließt mit einem 'fürchterlichen Besäufnis'. Denn wir hatten zwei Flaschen Whisky mitgebracht." Als erster kippte ein Stasi-Mann um, donnerte mit dem Kopf an die Heizung. Heidemann weiter: "Doktor Walde und ich gingen dann noch einmal in die Hotelhalle. Inzwischen war Walde so voll, dass er Dummheiten machte. Er klappte seinen Kugelschreiber auf, in dem ein Namensstempel war, und drückte seine volle Adresse auf die Meldezettel und auf den Empfangstresen an der Rezeption. Die Sache war nicht ungefährlich - denn die MfS-Leute hatten uns gar nicht angemeldet."
KABALE UND HIEBE
Am nächsten Morgen mit dicken Kopf und ein paar Alka-Seltzer-Tabletten intus in Börnesdorf. Heidemann stellte sich dem Dorfbewohner Göbel als Neffe des Bruchpiloten Liebig vor. Um die Bewohner gesprächig zu machen, verteilte er westdeutschen Kaffee. Am Grab seines "Onkels" legt er bedächtig mit ernster Miene Blumen ans Kreuz.
Für Übervater Nannen ist Heidemann sein ausgemachter Lieblingsreporter, mit dem er sich duzt. Denn kaum einer wie Heidemann hat Nannens handwerklichen Rat so beherzigt: "Ein Reporter, der keine Frauen aufreißt, ist kein richtiger Reporter." Und Heidemann reist und reißt. Kaum kehrte er von seinen Ausflügen zurück, musste er dem grunzenden Nannen unverzüglich Bericht erstatten. Hier mit Etta Schiller gebumst, dabei sogar das Tonband laufen lassen. Frau Schiller trennte sich gerade vom damaligen Wirtschaftsminister Karl Schiller (*1911+1994, Bundesminister für Wirtschaft 1966-1973) zu Beginn der sozialliberalen Koalition im Jahre 1972. Etta Schiller war verzweifelt, suchte Halt. Heidemann lieferte Halt mit Tonband-Aufzeichnungen aus dem Bett. Schlagzeile im stern: "Kabale und Hiebe." Dort mit Edda Göring geschlafen, um das Mokkaservice vom Reichsfeldmarschall abzustauben. Immer schauspielerte Heidemann dieselbe Masche mit überhöflichem Getue. "Dürfen wir stören". - "Aber wir wollen Ihnen keine Umstände machen." - "Das ist aber sehr freundlich von Ihnen." - "Dürfen wir wieder vorbeischauen."
FREMDENLEGIONÄR
Nur auf fernen Kontinenten kehrt er den "Fremdenlegionär" heraus. stern-Reporter Peter-Hannes Lehmann, der am liebsten in englischen Militärhemden selbst oder gerade auch über die Redaktionsflure läuft, schildert ein Erlebnis mit seinem Kumpanen Gerd: "Als es in Guinea-Bissau plötzlich krachte, haben wir uns hinter einen Termitenhaufen geworfen. Es war kein Feind zu sehen. Nur ein wildes Geschieße. Während ich mich so flach wie möglich machte, fluchte Gerd: "Scheiße, hier gibt's ja nichts zu fotografieren, überhaupt kein Motiv" Dafür spätestens aber am Abend in Mombasa. Da holt Heidemann sich drei "Negerweiber" aufs Hotelzimmer, stellt sie unter die Dusche, hantiert mit dem Selbstauslöser. Ist es etwas Rassismus, vielleicht lästiger Hormon-Überschuss oder was treibt ihn immer wieder in derlei Abenteuer? Ab welchem Punkt wird journalistische Besessenheit krankenscheinpflichtig. Reporter Lehmann erwidert sibyllinisch: "Es gibt keine Zufälle, Gott hat die Türen, auch durch die du gehen musst, schon aufgetan. Ja, ja, mein Lebenstraum war immer, Journalist zu werden. Er ist Wirklichkeit geworden."
SS-EHRENDOLCH
Die stern-Redaktion, die im Verlag als arrogant gilt, arbeitete immerhin über dreißig Jahre mit Gerd Heidemann zusammen. "Immer, wenn es brenzlich wird ,muss Heidemann ran. Immer, wenn's ums Bescheißen geht." Heidemann hingegen ist nicht der einzige im stern, der Nazi-Trophäen sammelt. Einige Kollegen hatten schon vor ihm mit diesem einträglichen Geschäft begonnen. Stolz zeigt Heidemann ihnen seinen SS-Ehrendolch, wandert damit von Stockwerk zu Stockwerk.
TEUER UND ECHT
Dieser stern, der stets so viel Wind ins Land pustet, wenn er den Mächtigen der Republik angebliches Fehlverhalten nachweisen will, für diesen linksliberalen aufgeklärten stern ist der rechts gestrickte Heidemann "übergroß". Wo war die vermeintlich so selbstbewusste Reaktion, als nach der merkwürdigen ZDF-Fernsehsendung Peter Koch alle Skeptiker, veritable Historiker, die an der Echtheit der Hitler-Tagebücher arge Zweifel hegten, sie coram publico als Dummköpfe, Fälscher , Neider bezeichnete? Am nächsten Morgen saßen sie einträglich im Konferenzraum zusammen, jubelten ihrem Chef-Koch für die Meisterleistung zu. Endlich eine Sensation, endlich wieder in aller Munde. Ganz nach dem Motto: "Was so teuer ist, kann nur echt sein."
GELDGIER
Geldgier mit den eingegerbten Parvenü-Allüren hatten bei allen Beteiligten am Unternehmen "Grünes Gewölbe" jäh den Verstand ausgeschaltet. Heidemann wurde vorab 1,5 Millionen Mark zugesagt. Thomas Walde sollte mit 560.000 Mark beteiligt werden, Co-Autor Leo Pesch rechnete sich Extra-Gagen in Höhe von 280.000 Mark aus. Kritische Einwände, es könne doch gar nicht möglich sein, dass Hitler sich bei solch einem Konvolut seiner Aufzeichnungen (60 Bände) nicht einmal verschriebe, konterte Dr. Walde mit der Bemerkung: "Unser Führer verschreibt sich nicht."
BANANEN ODER MAGAZIN
Für die Konzernspitze war es ein sinnliches Erlebnis, ein Hitler-Tagebuch in den Händen zu halten. Ganz egal, was sie auch verhökert, Bananen, Autos oder ein Magazin, Geld muss es bringen. Auszug aus Bissingers Buch, Hitlers Stern-Stunde-Kujau, Heidemann und die Millionäre:
"Am 9. März 1981 bekam das Unternehmen Grünes Gewölbe einen neuen Mitwisser. Manfred Fischer (*1934+2002), damals Vorstandschef von Gruner + Jahr, fuhr zu einer Sitzung der Konzernzentrale nach Gütersloh. Dort traf er seinen Boss, den Inhaber, Noch-Vorstandsvorsitzenden und designierten Aufsichtsratsvorsitzenden von Bertelsmann, Reinhard Mohn (*1921+2009), Konzernumsatz: 6,04 Milliarden Mark jährlich. Der wollte Fischer an seinem sechzigsten Geburtstag am 29. Juni zu seinem Nachfolger machen. Fischer bat um ein Gespräch unter vier Augen.
SENSATION DES JAHRHUNDERTS
Das Sekretariat wurde angewiesen, keinen Besucher vorzulassen, dann zog Fischer Heidemanns Dossier aus der Aktentasche und legte es 'durchaus ein bisschen stolz' dem Bertelsmann-Boss vor. Mit dem Finger fuhr er über die Aussage von Hitlers Chefpilot Baur, in der von wichtigen verlorenen Dokumenten die Rede war. 'Die haben wir jetzt gefunden.' Fischer langte wieder in seine Tasche und legte mehrere Hitler-Tagebücher auf den Tisch. 'Das sind die Tagebücher. Hier sind sie.' Mohn nahm die Kladden in die Hand 'war fasziniert' und sagte: 'Ungeheuer Manfred!' Und dann fielen die Sätze, die später die Runde machten: "Das ist das unglaublichste Manuskript, das je meinen Schreibtusch passiert hat. Das ist die Sensation des Jahrhunderts. Es ist unglaublich, wenn es stimmt.' "
BLIND JEDE SUMME
Tatsächlich entsprach Heidemann mit seinen Geldforderungen wie auch seinem Auftreten präzis dem Befund, den sich die Herren aus dem provinziell angehauchten Gütersloh über einen Hamburger Journalisten gezimmert hatten. Gerd Heidemann erhält blind jede Summe , die er will. Als zum Beispiel am 27. Janaur 1981 die Banken schon geschlossen haben, Heidemann hingegen die erste Rate in Höhe von 200.000 Mark anfordert, muss Vorstandsmitglied Peter Kühsel die Summe am Spätschalter des Hamburger Flughafens lockermachen. In den folgenden Jahren kassiert Heidemann in regelmäßigen Abständen zwischen 200.000 bis 900.000 Mark. Über das Geld kann er quasi verfügen, wie er will, Rechenschaft fordert niemand von ihm.
MYTHOS VON DER ECHTHEIT
"Auch in den letzten Wochen vor dem Auffliegen der Fälschung". heißt es in der stern-internen Klug-Untersuchungskommission (benannt nach dem früheren Hochschullehrer und FDP-Politiker Ulrich Klug *1913+1993 ). "ist der Mythos von Echtheit der Tagebücher im Ressort Zeitgeschichte noch so stark, dass man sich sagt, selbst wenn Heidemann in psychiatrische Behandlung müsse, dann aber erst nach der Beschaffung der letzten fehlenden Stücke." Als die Hitler-Sondernummer in der stern-Grafik ausgelegt war, griff Gerd Heidemann feist zum Telefonhörer, wählte eine Nummer in Südamerika. Er tat so, als telefonierte er mit dem Hitler-Vertrauten Martin Bormann (*1900+1945) , der bereits nach stern-Recherchen nachweislich nicht mehr lebt. Heidemann: "Martin, wir haben zwölf Doppelseiten." Und Konrad Kujau erinnert sich an folgendes Erlebnis: "Plötzlich stand er auf, stützte seine Hände auf den Schreibtisch und fragte: "Konni glaubst du, Hitler ist im Himmel?..."
Nach einem Jahr Untersuchungshaft recherchierte Gerd Heidemann aus dem Gefängnis heraus jedenfalls eine völlig neue, unerwartete Spur. Die endgültige Story über den Ort, an dem Jesus Christus begraben wurde. Bislang hat Gruner + Jahr die Weltrechte noch nicht gekauft - noch nicht.
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