Samstag, 30. November 2002

Im Reich der Wiederholungen















Süddeutsche Zeitung
vom 30. November 2002
von Hans Leyendecker


In den frühen achtziger Jahren, als unser derzeit so merkwürdig stiller Medienkanzler noch einer der vielen Hinterbänkler in Bonn war und nur heimlich Schweine-schnitzel aß, arbeitete in der kleinen Stadt am Rhein der wahre Meister der Inszenierung - Jürgen W. Mölle- mann (*1945+2003). Morgens im Bett hörte er erst mal die 6-Uhr-Nachrichten, und wenn wieder nichts Spektakuläres los war, schlurfte er im Bademantel zum Telefon und rief den Redakteur einer Nachrichtenagentur an. Einen der typischen Möllemann-Dialoge hat Reimar Oltmanns in seinem Buch "Mölle- männer oder die opportunistischen Liberalen festgehalten: " Hier Möllemann, guten Morgen. Ich habe wieder was auf der Pfanne, was ihr rausjagen könnt. Sieht ja sonst ziem- lich mau aus."

Dass sein Ziehvater Hans-Dietrich Genscher (FDP-Vor- sitzender 1974-1985) unbedingt Kanzlerkandidat werden müsse, dass die Neutronenbombe gar nicht so schlecht und dass der israelische Ministerpräsident Menachem Begin (*1913+1992) ein "Kriegsverbrecher" sei - fast nichts hat der Freidemokrat der Nation erspart. An Meinungen hat es bei Möllemann nie gemangelt, und er hat gewusst, dass Politik das Reich der ewigen Wieder-holungen ist. Besonders die Kollegen in der FDP-Frak- tion waren neidisch, wenn sie schon morgens um 7 Uhr in den Nachrichten immer wieder nur seinen Namen hörten. Man durfte also gespannt sein, wie der wochen- lang abgetauchte Möllemann sein Medien-Comeback gestalten würde.

SHOWTIME

Er war wie immer: gut vorbereitet, gleichzeitig etwas halbseiden, jovial und von zynischer Melancholie umweht. Doch er trat in einer veränderten Kulisse auf. Nicht er inszenierte sich, die Medien inszenierten Mölle- mann. Alle Zeit ist jetzt Showtime, Infotainment halt.


KLAPPER-MELDUNGEN


Beim Rennen um die ersten Möllemann-Worte nach vielen Wochen hatten die ARD und der Stern vorne gelegen. Mit den üblichen Klappermeldungen pries zunächst die Illustrierte ihr Interview an. Klappern ge- hört zum Geschäft. Sensationelles hat Möllemann bei dem dreistündigen Gespräch mit zwei stern-Redak-teuren nicht gesagt, aber das Blatt hatte für ein paar Stunden zumindest etwas Exklusives zu melden. Und ein kleiner Scoup war es doch.


"LIVE"-BEDINGUNGEN


Andererseits haben die vielen exklusiven Geschichten der vergangenen Woche, in denen auffälligerweise Mölle- manns Feinde im stern Dresche bekamen, ziemlich genervt. Je exklusiver sie sein wollten, desto geringer war ihre inhaltliche Bedeutung.
Der stern war allerdings längst noch nicht auf dem Markt, da lief bereits die Aktion ARD an. Nach wochenlangen Geheim- verhandlungen hatte sich Möllemann bereit erklärt, seine Botschaft im Ersten zu verkünden. Nicht bei Sabine Christiansen, sondern bei farbe bekennen, einer Sendung, die schon sehr verblasst schien. Fünfzehn Minuten dauerte am Dienstagabend die Aufzeichnung der Befragung im Studio Münster durch den WDR-Chef- redakteur Jörg Schönenborn und seinen NDR-Kollegen Volker Herres. Unter "Live-Bedingungen", betonten die Herren, habe das Verhör stattgefunden.

Mittwochmorgen mahlte dann die große Verwertungs-maschine los. Print-Journalisten und Politiker schauten sich den Beitrag vorab in Köln und Berlin an, Sender, Rundfunkstationen wurden mit O-Tönen versorgt. Die 20-Uhr-Tagesschau machte mit einem Vorbericht des Ereignisses auf. Um 21.45 Uhr wurde dann die Viertel-stunde mit Möllemann gesendet. Anschließend Reste-verwertung in den Tagessthemen.


INTIMFEINDE

Um 22.02 Uhr hatte sich plötzlich die Konkurrenz vom heute-journal dazwischengedrängt. Die ZDF-Programm-Macher, Zuschauer wie alle beim Ersten Möllemann-Auftritt, hatten eine Idee: Vor ZDF-Kameras versam-melten sich Mitglieder der Kölner FDP im Clubhaus eines Hockeyvereins und diskutierten live über das, was sie eben gesehen hatten. Auch sie (die meisten Intim-feinde Möllemanns) bekannten Farbe.


JEDER WILL MIT MÖLLEMANN


Ein zweites ZDF-Team sammelte zeitgleich in Mölle- manns westfälischer Heimat fürs Morgenmagazin Eindrücke von der Basis. Dass sich das ERSTE diese Nachbereitung habe entgehen lassen, war Donnerstag in der ARD durchaus Thema und auch der Sendetermin umstritten: Warum nicht gleich nach der Tagesschau? Schönenborn hat eine sympathische Erklärung: So doll sei das Gespräch nicht gewesen. Angesichts der vielen Selbstüberschätzer, die das Bild der Branche häufig prägten, ist solche Zurückhaltung angenehm.
Alles in allem spielte Jürgen W. Möllemann etwas schleimig das Opfer, das von der "Familie FDP" verfolgt und ge- schmäht werde. Außerdem nehme niemand Rücksicht auf sein krankes Herz.

GAUNERLOGIK

Einmal vielleicht hätten die Interviewer etwas strenger sein müssen. Als sie mehr über das Flugblatt und seine Lügengeschichten wissen wollten, spielte er den alten Möllemann: "Aber von uns Dreien hier hat ja noch niemand gelogen, gell". Das hat er schon oft so oder ähnlich gesagt, aber in diesen Zeiten wäre vielleicht ein Diskurs darüber erhellend gewesen, ob im Politikbetrieb immer gelogen werden muss.

In den Tagesthemen hat dann Kommentator Thomas Roth erkannt: "Es ist vollbracht: Jürgen W. Möllemann hat gesprochen und wir dürfen dankbar sein". Roth, Leiter des Berliner Hauptstadtstudios, verbreitete sich noch über Politik, Unrechtsbewusstsein und "Gaunerlogik". Sein Kommentar war an mancher Stelle überzogen, aber diese Stimme brauchte es. Die oft babylonische ARD setzte sich mit ihr deutlich vom Interviewten ab. Manchmal muss Unabhängigkeit demonstriert werden.

ENTHÜLLUNGS-BUCH

Möllemann
schreibt augenblicklich an einem Enthüllungsbuch, er will wiederkommen. "Wirbel zu entfachen, mit Highlights in aller Munde zu sein: Das verschafft ihm lang ersehnte Anerkennung", so hat Buchautor Reimar Oltmanns vor vielen Jahren über den Freidemokraten geschrieben. Damals in den güldenen Achtziger, machte Möllemann abends für seine Sekretärin Frau Walter häufiger kleine Notizen: "Bitte die Einschaltquote meiner letzten Fernsehsendung beim WDR feststellen". farbe bekennen hatte 92, Prozent Marktanteil. Ziemlich durchschnittlich.

Mittwoch, 24. Juli 2002

50 Jahre - Das beste vom STERN - 1977



- Nr.30/2002










Die UN hatte für 1978 das "Jahr der Menschenrechte" angekündigt, und die stern-Reporter wollten vorab testen, wie es darum stand. Dafür brauchten sie eine Notlüge. Um zu erfahren, wie es in Südamerikas Folterstaaten 1977 wirklich zuging, gaben sich Peter Koch (stern-Chefredakteur von 1981 bis 1983; gestorben 1989), Perry Kretz und Reimar Oltmanns etwa in Uruguay, Argentinien oder Chile als Wirtschafts-Kundschafter aus. Sie wollten angeblich vor Ort erkunden, "ob dieses Land
für deutsche Investoren sicher" sei, sicher vor Terroristen und Bürgerkrieg. Prompt öffneten sich ihnen in Uruguay die Tore zu Lateinamerikas größtem Konzentrationslager. Es hieß "Libertad" - Freiheit. Dort waren 1342 politische Gefangene zusammen-gepfercht. Im Drei-Millionen- Volk der Uruguayer gab es kaum eine Familie, in der nicht ein Mitglied vertrieben, gefoltert oder ermordet worden war.

UNGENIERTE JAGD

Aus Angst vor Entdeckung schob jeweils einer der drei stern-Reporter nachts in den Hotels Wache. Tagsüber wagte sich keiner ohne den anderen auf die Straße. Gewalt war an der Tagesordnung - auch anderswo. In den siebziger Jahren machten die Militärs fast überall ungeniert Jagd auf Sozialrevolutionäre, Kommunisten und Pazifisten. Von den damals 159 Staaten der Welt verletzten 110 die Menschenrechte.

Die stern-Recherche in Südamerika führte zur schok-kierenden stern-Serie "Folter '77", die mit Fotos und Augenzeugenberichten belegte, wie Andersdenkende mit Elektroschocks und "Papageienschaukel" geschunden, zerbrochen und ermordet wurden. Die Serie erschien auch als stern-Buch. Titel: "Die Würde des Menschen".



Freitag, 12. Juli 2002

l'engagement au bout de la plume

Bourg-en-Bresse
12. Juillet 2002
par Etienne Grosjean



Vous cherchez Reimar Oltmanns ? S'il n'est pas réfugié chez lui, dans sa tour d'ivoire, il est sans doute parti faire des courses chez le marchand ambulant. A moins qu'il taille une bavette chez un voisin, autour d'une Tourtel.

Dans le village, tout le monde s'est pris d'affection pour cet étrange hurluberlu à l'accent exotique et la mine bonhomme. Pourtant, derrière cette facade de sympa- thique illuminé se cache un journaliste brillant, à la plume acerbe et à la réputation sulfureuse.

Avant de poser ses valises dans le département Reimar s'est employé trente ans à denoncer les absurdités du monde, sans jamais consentir au moindre compromis: j'ai sans doute fait beaucoup d'erreurs dans ma vie, mais je n'ai jamais trahi ma pensée", lâche-t-il avec fierté.

LE TEMPS DE L'AVENTURIER

Ses idéaux, il les a forgès pendant son adolescence. Adepte précoce du révolutionaire de gauche Marcuse, il prône, á la fin des années soixante, un changement radicale de la société allemande: "Nous nous battions pour un monde nouveau, le rapproche-ment des deux Allemagne, la fin de l'autorité du père ... Un peu comme les Français en 68, sauf qu'en Allemagne, cela n'a pas changé grand-chose ...", se souvient-il, nostalgique.

Vient ensuite le temps de la bourlingue. En bon Rouletabille, Reimar décide de courir le monde. Son credo: la liberté de l'homme. Missionné par de grands journaux d'Outre-Rhin, il écume les points chauds de la planète: Uruguay, Israel, Zaire, Ethiopie, Vietnam ... ... Ces années le marquent profondément: "Je me souviens précisement de l'Uruguay. J'enquêtais sur les pratiques de la dictature. En particulier sur les prisons. J'étais constamment surveille ... Làbas, j'ai vraiment eu peur..."

Entre deux voyages, Reimar, écrit ce que ses beaux yeux bleus ont vu. Plus d'une dizaine d'ouvrages en tout. Il avoue cependant que son métier ne lui pas apporté que du bon. Tout est allé très vite peut-être pour ce brillant jeune homme qui à vingt ans écrit dans les journaux les plus prestigieux, qui à vingt-cinq côtoie le gratin politic-médiatique de Bonn et qui à trente ans parcourt le monde au péril de sa vie pour que l'on sache ici, ce qui se passe là-bas.

"L'AUTENTIQUE DE LA VIE"

Une histoire de roman. Année 1966, sur les bords de la Baltique ... Le beau jeune homme allemand rencontre une charmante petite Française. Amour de vacances, puis, plus rien. Vingt-cinq ans plus tard, Reimar recoit un coup de téléphone. C'est bien elle, son amour perdu qui l'a retrouvé. Aussi-tôt, il la rejoint en France. Il y a cinq ans de cela. Depuis, ils vivent mariès dans le pittoresque villages de Seillonnaz.

Un havre de paix, comme le dit Reimar: "Ici, je me sens vraiment bien. J'ai trouvé les conditions idéales pour écrire mon premier roman et surtout, j'ai retrouvé l'authentique de la vie: calme, discussions, amitié et amour." Une expérience intéressante pour cet Européen convaincu qui admet volontiers son faible pour la France: "J'aime l'esprit français, cette perpétuelle envie de rébellion et l'extraordinaire vivacité de la culture", conclut-il d'n geste de la main.