Freitag, 22. September 2006

Lyrik, Gedichte, Verse - Versus memoriales - schnelllebige Tage, flüchtige Momente des Vergessens (4)







Ernst Wilhelm Lotz (*6. Februar 1890 in Culm; + 26. September 1914 in einem französischen Schützengraben)
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DEINE HÄNDE

Jetzt bin ich lüstern nach deinen Händen.
Wenn sie die meinen begrüßend drücken,
können sie Weltraum-staunend beglücken.
Deine Hände führen ein selbstgewolltes, stilles Leben.
Ich habe mich deinen Händen ergeben.
Nun dürfen sie mich begreifen und fassen, zu deinen Höhen,
mit Blicken nach Weiten,
mich geschenk-gütig heben. -
Spielerisch aber werden sie mich übergleiten
und am Wege hier liegen lassen.

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Erich Fried (*6. Mai 1921 in Wien;+ 22. November 1988 in Baden-Baden)
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WAS ES IST
.
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berech-
nung.

Es ist nichts als
Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
.
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

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DER SOMMER GEHT ZUR NEIGE
.
Wo der Weg vergeht
und das Holzkreuz steht,
hockt der Tod und klagt, daß wir nicht kommen.
Wir, du und ich,
kommen sicherlich,
haben nur auf dem Weg durchs Feld genommen.
Blumen im Feld,
grüßt mir die Welt,
mit den Menschen und den Tieren allen.
.
Wenn man euch fragt,
nickt im Wind und sagt,
unser Leben hat uns nicht gefallen.

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BEVOR ICH STERBE
.

Noch einmal sprechen
von der Wärme des Lebens
damit doch einige wissen:
Es ist nicht warm
aber es könne warm sein
.
Bevor ich sterbe
noch einmal sprechen
von Liebe
damit doch einige sagen:
Das gab es
das muss es geben
.
Noch einmal sprechen
vom Glück der Hoffnung auf Glück
damit doch einige fragen:

Was war das
wann kommt es wieder ?

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die deine Meinung

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Es lohnt sich

auch wenn du findest

daß sie nicht ganz

einer Meinung mit dir sind

und daß es sich lohnt

etwas

von deiner Meinung

zu opfern

dem guten Einvernehmen

Freundschaft

wird fest und verläßlich

durch solches Entgegenkommen

Rechthaberei

ist weniger mächtig

und nützlich

als Eintracht

Hast du einmal

eine Meinung gehabt?

Dafür hast du jetzt Einfluß

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LIEBE

Ich bin nur ICH LIEBE DICH IMMER

ich bin nur ICH LIEBE DICH

ich bin ICH LIEBE DICH

ich bin nur ICH

Ich bin NUR

ich bin NUR DICH IMMER

ich bin nur DICH

ich bin nur immer LIEBE

IMMER NUR DICH

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Kurt Tucholsky(*9. Januar 1890 in Berlin;+ 21. Dezember in Göteburg)
.

AUGEN IN DER GROßSTADT
.
Wenn du zur Arbeit gehst am frühen Morgen,
wenn du am Bahnhof stehst
mit Deinen Sorgen: da zeigt die Stadt dir asphaltglatt
im Menschentrichter Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick, die Brauen, die Pupillen,die Lider -
Was war das? Vielleicht Dein Lebenglück ...
Vorbei, verweht, nie wieder.
.
Du gehst Dein Leben lang auf tausend Straßen;
du siehst auf Deinem Gang, die
dich vergaßen.
Ein Auge winkt,
die Seele klinkt;
du hast gefunden ...
nur für Sekundn ...
.
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
Die Braue, Pupillen, die Lider;
Was war das ? Kein Mensch dreht die Zeit zurück ...
Vorbei, verweht, nie wieder.
.
Du mußt auf Deinem Gang
durch Städte wandern;
siehst einen Plusschlag lang
den fremden Andern.
Es kann ein Feind sein,
Es kann ein Freund sein,
Es kann im Kampfe dein
Genosse sein.
Er zieht hinüber
und zieht vorüber ...
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick.
die Braue, Pupillen, die Lider

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IDEAL UND WIRKLICHKEIT
.
In stiller Nacht und monogamen Betten
Denkst du dir aus, was dir am Leben fehlt.
Die Nerven knistern. Wenn wir das doch hätten,
was uns, weil es nicht da ist, leise quält.
Du präparierst dir im Gedankengange
Das, was du willst - und nachher kriegst dus nie ...
Man möchte immer eine große Lange,
und dann bekommt man eine kleine Dicke -
C'est la vie -!
.
Sie muß sich wie in einem Kugellager
in ihren Hüften biegen, groß und blond.
Ein Pfund zu wenig und sie wäre mager,
wer je in diesen Haaren sich gesonnt ...
Nachher erliegst du dem verfluchten Hange
Der Eile und der Phantasie.
Man möchte immer eine große Lange,
und dann bekommt man eine kleine Dicke -
Ssälawih - !
.
Man möchte eine helle Pfeife kaufen
Und kauft eine dunkle - andere sind nicht da.
Man möchte jeden Morgen dauerlaufen
Und tut es nicht. Beinah ...- beinah ...
Wir dachten unter kaiserlichen Zwange
An eine Republik ... und nun ists die !
Man möchte immer eine große Lange,
und dann bekommt man eine kleine Dickje -
Ssälawih - !

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SIE SCHLÄFT

Morgens, vom letzten Schlaf ein Stück,
nimm mich ein bißchen mit -
auf deinem Traumboot zu gleiten ist Glück - Die Zeituhr geh ihren harten Schritt ...
pick-pack ...

"Sie schläft mit ihm" ist ein gutes Wort.
Im Schlaf fließt das Dunkle zusammen.
Zwei sind keins. Es knistern die kleinen Flammen, aber dein Atem fächelt sie fort.
Ich bin aus der Welt. Ich will nie wieder in sie zurück - jetzt, wo du nicht bist, bist du ganz mein.
Morgens, im letzten Schlummer ein Stück, kann ich dein Gefährte sein.
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PARK MONCEAU

Hier ist es hübsch. Hier kann ich ruhig träumen.
Hier bin ich Mensch - und nicht nur Zivilist.
Hier darf ich links gehn. Unter grünen Bäumen
keine Tafel, was verboten ist.

Ein dicker Kullerball liegt auf dem Rasen.
Ein Vogel zupft an einem hellen Blatt.
Ein kleiner Junge gräbt sich in der Nasen
und freut sich, wenn er was gefunden hat.

Es prüfen vier Amerikanerinnen,
ob Cook auch recht hat und hier Bäume stehn.
Paris von außen und Paris von innen:
sie sehen nichts und müssen alles sehn.

Die Kinder lärmen auf den bunten Steinen.
Die Sonne scheint und glitzert azf ein Haus.
Ich sitze still und lasse mich bescheinen
und ruh von meinem Vaterland aus.

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Hermann Kesten (*28. Januar 1900 in Podwoloczy/Ukraine; + 3. Mai 1996 in Riehen bei Basel/Schweiz )


EIN JAHR IN NEW YORK

Zuhause hatte ich eine Truhe
Für meine Träume und einen Schrank,
Und meine TRäume hatten Schuhe,
Um auf Bäum zu steigen und auf Berge.

Sie waren Riesen und sind Zwerge -
Im Exil werden Träume krank.
Dort saß ich zu Pferd, hier auf der Bank
Zwischen Menschen aus Stein. Ach, in der Fremde
fühlt man sich fremd im eigenen Hemde.
Wohin mit Schmerzen und Träumen?
Ich renne, als würde ich was versäumen.
Schon hab' ich verloren ein ganzes Jahr,
Ich bin nicht, der ich drüben war.
Das widrige Gift, das Heimatlos
Macht die Qual der leeren Tage groß,
Die nackten Schmerzen wie Möwen schrein
Mit krummen Schnäbeln, wild und gemein.
Wohin mit den Träumen? Sie waren mein Fehler,
Gibt es für kranke Träume Spitäler?
Ich gehe vom Broadway zur Riverside.
In New York hat nur der Tote Zeit.
Meine Träume sprechen schon Slang. Ihr Duft
Ward schweflig gelb wie Manhattans Luft.
Im Central Park spucken Schwarze und Weiße.
Ob ich noch morgen Kersten heiße?
Man wechselt den Namen, vertauscht sein Gesicht.
Man liebt nicht die anderen, sich selber nicht.
How do you spell your name? Do you like
Appel pie? God'? America? Lucky strike?
Träume gehn hier in einen Fingerhut.
Meine Träume sind tot. Ich fasse neuen Mut.
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Konfuzius (551 v. Chr. bis 479v. Chr.)
.
Wer das Morgen
Nicht bedenkt,
wird Kummer haben,
bevor das Heute zu Ende geht.
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Antoine de Saint-Exupery (*29. Juni 1900 in Lyon; + 31. Juni 1944 nahe Île de Riou bei Marseille
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Wir werden
Für einander
Einzig sein in dieser Welt

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Herman von Lingg (*22. Januar 1820 in Lindau am Bodensee; + 18. Juni 1905 in München)


VERGESSEN UND VERLASSEN

Nur deine Locken küßt der Wind.
Sonst ist es ringsum stille Nacht,
Ein Mainachtregen haucht gelind,
Kein Licht erglänzt, kein Stern erwacht, Nur Deine
Lücken küßt der Wind.
Was blickst du einsam in die Nacht.

Du armes, allverlassne Kind?
Dein Lächeln hat einst mir gelacht -
Kein Licht erglänzt, kein Stern erwacht, Nur deine
Locken küßt der Wind

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Ja, einmal nimmt der Mensch

Ja, einmal nimmt der Mensch von seinen Tagen
Im voraus schon des Glückes Zinsen ein.
Und spricht: Ich will den Kranz der Freude,
Mag, was darauf folgt, nur noch Asche sein.
Ja einmal will ich auf den Mittagshöh'n
Des Lebens stehn und dann am Ende sagen:
Wie war der Traum so schön !

Da wir uns liebten, Da blühten Rosen um den Trauerzug;
Im Schaum der Tage, die sonst leer zerstiebten,
War eine Perle, reich und stolz genug,
Ich will den Arm um deinen Nacken schlingen,
Und durch die Ferne der Erinnrung tön':
Kann keine Zeit das Glück uns wiederbringen -
Wie war es doch so schön!

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Minnie Marie Rembe (*1949 in Kaiserslautern, lebt in Langmeil/Nordpfalz


1o. MAI 1933

Den Büchern
das Wort
genommen
den Dichtern
die Sprache
ein Land
ohne Morgen

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Robert Kühl (*1966 an der Ostsee)
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"Die Ostsee ist mein Leben. Ich liebe sie und lebe immer dort. Aber ich liebe auch meine drei Jungs, die fast aus dem Hause sind und meine Lebensgefährtin. Und ich liebe das Schreiben. Das Schreiben mit Gefühl.

Denn ich habe die Erfahrung gemacht, dass es Menschen gibt, die mich fühlen können, "sehen" fast. Darum schreibe ich manchmal nur, um zu berühren. Aber ich schreibe auch, um zu lachen, Erfahrungen und Erkenntnisse zu sortieren, zu provozieren, zu forschen oder einen Nachhall zu tauschen, und manchmal einfach nur als Ausgleich zu meinem handwerklichen Beruf. Grundsätzlich schreibe ich nur für mich. Aber es ist schöän, mich auf dem Wege des Schreibens zeigen und weitergeben zu können. Manchmal hilft's nd manchmal unterhält's auch nur."

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B E R Ü H R U N G E N

Berührungen sind ein merkwürdig wertvolles Gut:
Du kannst sie bekommen, nicht jedoch besitzen.
Es wird Dir nicht gelingen.
Berührungen zu kaufen, zu stehlen oder zu
erschleichen.

Wenn Du sie bekommst, machen sie Dich reich
Wenn Du sie gibst, machen sie Dich reicher.
Berührungen sind der Boden auf dem Du stehst,
Das Haus, in dem Du wohnst, das Licht, das Dir
leuchtet.

Sie bedeuten Liebe, Lachen ...
Berührungen sind Leben !
Unsere Träume sind die Flügel, die uns in eine
neue Wirklichkeit tragen ... ...

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Hermann Hesse (02. Juli 1877 in Calw; + 09. August 1962 in Montagnola /Schweiz)


S T U F E N

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Rau durchschreiten,
An kinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhung sich entraffen.


Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Das Lebens Ruf an uns wird niemals enden ...
Wohlan denn Herz, nimm Abschied und
gesunde!

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Günter Kunert (*06. März 1929 in Berlin)

B E R L I N

Da ist nichts mehr
zu beschreiben. Stattdessen verhöhnt Beton alles Eingedenken
und verschachtelt Bewohner für immer.

Fort die unegründlichen Labyrinthe kläglichen Zimmer düstere Läden und das allabendliche Sansoucci betäubende Kneipen der glanzvolle Ernst der Seifengeschäfte
voll Buntheit und Bürsten gebunden
von wirklich Blinden und alten Frauen
von Fenstern gerahmt
bürgten für Dauer und Fortbestand.

Geduldig und schweigend
korrodierte in Fabrikhöfen die Zeit:
eine lebendige Weise von Tod
und im Dunkel
einer schon bald vergessenen Toreinfahrt
lauerte das Glück ohne Namen;
jetzt ist alles benannt und vermessen
abgeheftet und niedergerissen
und nichts mehr da
zum Beschreiben.
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John Ronald Reuel TOLKIEN (*3. Januar 1892 in Bloemfontein, Südafrika; + 2. September 1973 in Bournemouth, England)
.
DU BIST DA
.
Du bist da. Ich finde Dich nicht.
Du würdest mich lieben. Doch Du weißt es noch nicht.
ich werde Dich immer suchen,
und hoffentlich verpasse ich dich nicht.
Denn sonst würße ich nicht was ich täte,
denn ich wäre sicherlich verbitter,
wenn ich nie Dein Wesen erblicken dürfte
und wüßte nicht, ob ich je wieder froh würde.

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Dienstag, 14. Februar 2006

Lyrik, Gedichte, Verse - Versus memoriales - schnelllebige Tage, flüchtige Momente des Vergessens (Teil 3)

Angela Sanmann (*1980 in Iserlohn) ist deutsche Lyrikerin und lebt in Berlin. Im Jahr 2006 erschien der Gedichtband stille, verkaspert

puppenstirn
du sitzt auf der bettkannte
und bist klug.
ich daneben
und ist mir egal,

zartes streift seine gesten ab.

erwartungen. aufgebockt, gefüttert
mit türritzenlicht, rostige augenblicksscheren schneiden den tag in gleich große teile,
immer an der Linie entlang. morgen?
das weiß ich nicht.

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Oliver Hassencamp (*10. Mai 1921 in Rastatt; + 31. März 1988 in Inwaging am See)

L Ü G E N
.
Aus Lügen,
Die wir glauben,
Werden Wahrheiten,
Mit denen wir leben.

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Max Frisch (*15. Mai 1911 in Zürich; + 4. April 1991 ebenda)


G E S C H I C H T E N
.
Jeder Mensch erfindet sich
Früher oder später eine
Geschichte, die er für sein
Leben hält.
Oder eine Reihe von Geschichten.

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Heinrich Heine (*13. Dezember 1797 in Düsseldorf; + 17. Februar 1856 in Paris)

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DAS MEER ERGLÄNZTE WEIT HINAUS
.
Das Meer erglänzte weit hinaus
im letzten Abendscheine;
Wir saßen am einsamen Fischerhaus,
Wir saßen stumm und alleine.

Der Nebel stieg, das Wasser schwoll,
Die Möwe flog hin und wider;
Aus deinen Augen, liebevoll,
Fielen die Tränen nieder.

Ich sah sie fallen auf deine Hand.
Und bin aufs Knie gesunken;
Ich hab von deiner weißen Hand
Die Tränen fortgetrunken.
Seit jener Stunde verzehrt sich mein Leib,
Die Seele stirbt vor Sehnen;
- Mich hat das unglücksel'gen Weib
Vergiftet mit ihren Tränen

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TRÄUMEREI

Schattenküsse, Schattenliebe,
Schattenleben, wunderbar !
Glaubst du, Närrin, alles bliebe
Unverändert, ewig wahr ?
Was lieblich fest besessen,
Schwindet hin, wie Träumerein,
Und die Herzen, die vergessen,
Und die Augen schlafen ein.

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ÜBER DEUTSCHLAND

Wenn ich, beseligt von schönen Küssen,
In deinen Armen mich wohl befinde,
Dann mußt du mir nie von Deutschland reden,
- Ich kanns nicht vertragen - es hat seine
Gründe.

Ich bitte dich, laß mich mit Deutschland in Frieden !
Du mußt mich nicht plagen mit ewigen Fragen
Nach Heimat, Sippschaft und Lebensverhältnis;
- Es hat seine Gründe, ich kanns nicht vertragen.

Die Eichen sind grün, und blau sind die Augen
Der deutschen Frauen: sie schmachten gelinde
Und seufzen von Liebe, Hoffnung und Glauben;
- Ich kanns nicht vertragen - es hat seine Gründe

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DEINE WEISSEN LILIENFINGER
Deine weißen Lilienfinger,
Könnt ich sie noch einmal küssen,
Und sie drücken an mein Herz,
Und vergehn in stillem Weinen !
Deine klaren Veilchenaugen
Schweben vor mir Tag und Nacht,
und mich quält es: was bedeuten
Diese süßen, blauen Rätsel ?
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György Konrád, ungarischer Schriftsteller (* 02. April 1933 in Berettyóújfalu nahe Debrecen, Ungarn)

.
VERSCHWINDEN
.
In der Heimat
Vermisst dich niemand
In der Fremde
Erwartet dich niemand
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Jörg Fauser (*16. Juli 1944 in Bad Schwalbach/Taunus; + 17, Juli 1987 zwischen Feldkirchen und München-Riem)
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LIEBESDICHT
22. November 1978

Als wir uns liebten,
liebten wir uns selbst nicht.

Als wir uns den Krieg erklärten,
gaben wir uns schon verloren.

Als wir geschlagen waren,
bemühten wir die Geschichte.

Als wir allein waren,
übertönten wir sie mit Musik.

Als wir uns trennten,
blieben wir am gleichen Ort,

So lagen wir uns bald wieder in den Armen
und nannten es ein Liebesgedicht.

Aber kein Liebesgedicht erklärt uns
Die Angst der Liebe,
und warum der Himmel so blau war,
als wir uns trafen,
und warum er immer noch blau sein wird
wenn wir sterben werden.

Du für dich,
ich für mich

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KARFREITAG

Als er die Schuhe anzog,
riß ein Schnürsenkel.
Er aß eine Scheibe Brot
und eine halbe Zwiebel
und trank den Rest Büchsenmilch,
mit Wasser gemischt,
Er hatte noch 8 Mark 40.

Am Nordfriedhof
hockten die Raben
in den Bäumen,
Von den Bauzäunen rann
der Schnee und löste
die alten Faschingsplakate ab.

Die Kneipen hatten dicht,
In der Imbißbude trank er
ein schnelles Bier,
Es schmeckte nach Plastik.
Die Leute waren stumm
und starrten ihn an

Auf der Georgenstraße
lief er fast in einen BMW
vor die Haube. Der Fahrer
drohte mit der Faust.

Im Isabella zeigten sie
Filme über die Angst.
Die Zeitungskästen
waren alle leer.

Zu Hause fand er noch
eine Dose Tomatensuppe, löffelte
sie mit Brot, las einen
Spillane, wichste
sich einen ab und beschloss,
Morgen früh aufzustehen,
um doch den Toaster
zu versetzen. Und er dachte,
Dass er den ganzen Tag mit zwei
Worten ausgekommen war:
Ein Bier, Christus am Kreuz
hatte mehr gebraucht.

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Hans Magnus Enzensberger (*11. November 1929 in Kaufbeuren)
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DIE PARTY
Nein. langweilig war es nicht bei euch,
trotz allem. Genug zu essen, fast immer (unvergeßlich
die Himbeertörtchen), und dann dieser Sternenhimmel !
Fabelhaft ! Beizeiten, Mama,
hast du die Windeln gewechselt,
Die Schuhe waren bequem.
Sogar die Heizung hat funktioniert.
Ausgerichtet habe ich nichts.
Keinen Diktator umgebracht,
kein Massaker verhindert.
Glück habt ihr ertragen
meine Liebegeschichten,
meine Witze und meine Wut.
Nett von euch. Auch der Notarzt
war pünktlich zur Stelle. Bitte,
laßt euch nicht stören !
Gute Unterhaltung weiterhin
wünscht der Verblichene.

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Martin Niemöller (*14. Januar 1892 in Lippstadt; + 6. März 1984 in Wiesbaden) - Theologe, Häftling im Konzentrationslager Sachsenhausen, Widerstandkämpfer gegen den Nationalsozialismus
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Als die Nazis die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Gewerkschafter holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie die Sozialisten einsperrte,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Sozialist.
Als sie die Juden einsperrten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen
mehr, der protestieren konnte.

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Katharina Lanfranconi (20*Juni    1948 in Luzern / Schweiz)
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r e i s e

tätest du diese reise
du hieltest steine in der hand
die wie nie berührte körper sind
und wortlos stündest du einsam
im gleichen kargen feld
umhüpft von schreienden raben
später stiesset du
am verrauchten ort
auf jenen gitarrenspieler
im arm sein instrument
dessen gesprungene
saiten von ihm wegstarren,
als läge er im schilf
und schaute in den himmel
allein mit seiner musik.

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Franz Kafka (*03. Juli 1883 in Prag; +03. Juni 1924 bei Klosterneuburg/Österreich)
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KÜHL UND HART

Kühl und hart ist der
heutige Tag,
Die Wolken erstarren.
Die Winde sind zerrende Taue,
Die Menschen erstarren,
Die Schritte klingen metallen,
Auf erzenen Steinen,
Und die Augen schauen
weite weiße Seen ...

... Wolken, die über grauen Himme ziehn
vorüber an Kirchen
Mit verdämmernden Türmen,
Einer, der an der Quaderbrüstung lehnt
und in das Abendwasser schaut,
die Hände auf alten Steinen.

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Bertholt Brecht (*10. Februar 1898 in Augsburg; + 14. August 1956 in Berlin)
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Die Schwachem kämpfen nicht.
Die Stärkeren kämpfen vielleicht eine Stunde lang.
Die noch Stärkeren sind, kämpfen viele Jahre.
Aber die Stärksten kämpfen ihr Leben lang.
Die sind unentbehrlich.

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Elli Michler (*12. Februar 1923 in Würzburg; lebt in Bad Homburg im Taunus)
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WO DU GELIEBT WIRST ... ...

Wo du geliebt wirst,
kannst du getrost alle Masken ablegen,
darfst du dich frei und gnaz offen bewegen.

Wo du geliebt wirst,
zählst du nicht nur als Artist,
wo du geliebt wirst,
darfst du so sein, wie du bist,
Wo du geliebt wirst,
musst du nicht immer nur lachen,
darfst du es wagen, auch traurig zu sein.

Wo du geliebt wirst,
darfst du auch Fehler machen
und du bist trotzdem nicht hässlich und klein,
Wo du geliebst wirst.
darfst du auch Schwächen zeigen
oder den fehlenden Mut,
brauchst du die Ängste nicht zu verschweigen.
wie das der Furchtsame tut.

Wo du geliebt wirst,
darfst du auch Sehnsüchte haben,
manchmal ein Träumender sein.
und für Versäumnisse, fehlende Gaben
räumt man dir mildernde Umstände ein.

Wo du geliebst wirst.
brauchst du ncicht ständig zu fragen
nach dem vermeintlichen Preis.
Du wirst von der Liebe getragen,
wenn auch unmerklich und leis.


ICH WÜNSCHE DIR ZEIT

Ich wünsche dir nicht alle möglichen Gaben,
Ich wünsche dir nur, was die meisten nicht haben:
Ich wünsche dir Zeit, dich zu freun und zu lachen,
und wenn du sie nützt, kannst du etwas draus machen.
Ich wünsche dir Zeit für den Tun und dein Denken
nicht nur für dich selbst, sondern auch zum Verschenken.
Ich wünsche dir - nicht zum Hasten und Rennen.
sondern die Zeit zum Zufriedenseinkönnen.
Ich wünsche dir Zeit - nicht nur so zum Vertreiben.
Ich wünsche, sie möge dir übrig bleiben
als Zeit für das Staunen und Zeit für Vertraun.
anstatt nach der Zeit auf die Uhr nur zu schaun.
Ich wünsche dir Zeit, nach den Sternen zu greifen.
und Zeit, um zu wachsen, das heißt, um zu reifen,
Ich wünsche dir Zeit, neu zu hoffen, zu lieben.
Es hat keinen Sinn, diese Zeit zu verschieben.
Ich wünsche dir Zeit, zu dir selber zu finden.
jeden Tag, jede Stunde, auch um Schuld zu vergeben.
Ich wünsche dir: Zeit zu haben zum Leben !
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