Freitag, 21. September 1979

Einwanderung: Wir wollen Deutsche werden


























Weltweit sind zu Beginn des 21. Jahrhunderts 190 Millionen Menschen als Auswanderer unterwegs. Rund drei Millionen standen schon in den siebziger Jahren Schlange für einen deutschen Pass. Durch verschärftes Asyl- und Aufenthaltsrecht in Europa wird der Weg mühsam - demütigend.

ZEITmagazin, Hamburg
vom 21. September 1979
von Reimar Oltmanns

Die 15jährige Jasmina kauert im Sessel und liest die Partitur von Rachmaninows zweiten Klavierkonzert. Derweil blättert ihre Mutter Anastasia in vergilbten Dokumenten. Beide sind ein wenig nervös. Eine Dame vom Jugendamt Berlin-Charlottenburg hat sich zum Hausbesuch angesagt.

Für Mutter und Tochter geht es darum, dass die Behörden-Visite positiv ausfällt. Nur dann können sie erreichen, was für Bundesbürger selbstverständlich ist: deutscher Nationalität zu sein.

Obwohl die Dame vom Jugendamt die Akten der Samssulis kennt, lässt sie sich nochmals ausführlich die beiden Lebenswege erzählen. Schließlich komme es ja auch auf den "persönlichen Eindruck" an, bemerkt sie dezent.

FLÜCHTENDE PARTISANEN

Die 39jährige Anastasia Samssuli wurde in Griechenland geboren. Während der Bürgerkriegswirren im Jahre 1948 nahmen flüchtende Partisanen das damals neunjährige Mädchen mit über die Grenze nach Bulgarien. Anastasia wuchs mit Exilgriechen in Sofia auf und bestand dort ihr Abitur. In der DDR ließ sie sich 1964 zur medizinisch-technischen Assistentin ausbilden. Im selben Jahr wurde Jasmina in Potsdam geboren. Sie ist das Kind einer kurzfristigen, da offiziell unerwünschten Liaison zwischen ihrer Mutter und einem nigerianischen Studenten, der sich schon bald nach der Geburt nach Afrika abgesetzt hatte und seither nichts mehr von sich hören ließ. Als die Griechin Samssuli gedrängt wurde, DDR-Bürgerin zu werden, blieb sie nach einer Urlaubsreise im Westen.

Seit acht Jahren leben Anastasia und ihre Tochter Jasmina nunmehr in West-Berlin. Die Mutter arbeitet in einer Krebs-Klinik, Jasmina geht auf das humanistische Goethe-Gymnasium, spielt Klavier, paukt Mathematik und Latein. Die Samssulis sprechen akzentfreies Deutsch. sie zählen Deutsche zu ihren Freunden, die Mutter könnte sich "gar keinen besseren Job wünschen", die Tochter will nach bestandenem Abitur Mathematik und Musik studieren.

UNEHELICH UND SCHWARZ NOCH DAZU

Dennoch sind die Samssulis für die Behörden eine Rarität. Die Mutter ist eine Weiße, ihre Tochter eine Farbige, die Mutter eine Griechin ohne Papiere ihres Landes, die Tochter staatenlos. So ziemlich alle gängigen Vorurteile treffen auf die beiden zu. Heimatlos und aus dem Osten, unehelich und schwarz noch dazu. "Kommunistische Weltenbummler mit einem bundesdeutschen Fremdenpass", spottet Jasmina.

Sie möchte "dieses unerträgliche Stigma" endlich verlieren. Sie möchte wie jeder Bundesbürger ohne Visum durch Westeuropa reisen können, nicht an jeder Grenze durchsucht werden, nicht immer das Geraune einer wartenden Touristenschlange ertragen müssen - nicht selten mit dem Zusatz: Wann es denn endlich weiterginge oder ob die Schwarze immer noch nicht wüsste, was ein gültiger Ausweis sei. Dass Kinder ihr auf der Straße "Kaba, Kaba" nachrufen, daran hat sie sich mittlerweile gewöhnt, ebenso an die stereotype Frage, ob sie überhaupt Deutsch spräche.

Doch die Fürsorgerin interessierte sich mehr für das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter. "Verstehen Sie sich eigentlich?" fragt sie prüfend. Immerhin sei das Zusammenleben ja nicht so einfach. "Ja, wenn Sie das meinen", antwortete Frau Samssuli, "wegen der unterschiedlichen Hautfarbe gibt es zwischen uns keine Probleme." Zwar habe sich Jasmina als Siebenjährige einmal gewünscht, so weiß wie ihre Spielgefährtinnen zu sein. "Da habe ich dem Kind gesagt", fährt die Mutter fort, "die Weißen sehen doch so krank und käsig aus. Braun ist viel gesünder und schöner. Nicht umsonst liegen so viele Leute am Strand." Seither existiert dieses Thema nicht mehr bei ihnen.

SCHNÜFFELEI BEIM NACHBARN

Die Sozialarbeiterin scheint nach der einstündigen Unterhaltung zufrieden, schaut flüchtig durch die Wohnung, bleibt kurz vor Jasminas Bücherregal stehen, lässt sich noch die eine oder andere Lektüre zeigen und verabschiedet sich behördengerecht: höflich, aber distanziert. Als sich die Haustür hinter der Besucherin geschlossen habe, so erzählt Anastasia Samssuli später, habe sie erst einmal durchgeatmet und gedacht: "Gott sei Dank, dass meine Tochter keine Micky-Mouse-Hefte liest."

Drei Wochen später lässt das Vormundschaftsgericht der Mutter die "Bestallungs-urkunde" zustellen. Das bedeutet , dass sie auch als angehende Deutsche weiterhin für ihre Tochter das Sorgerecht wahrnehmen darf. Der erste Schritt zur Einbürgerung ist gemeistert. Der zweite folgt prompt. Vom Ausländeramt meldet sich ein Herr zur Wohnungsinspektion an. Aber der hagere Mann um die vierzig will gar nichts vom Interieur wissen. Er notiert sich lieber die Namen der Nachbarn und fragt, ob sie alle Deutsche seien. Da dem so ist, drängt sich für ihn das Problem auf, ob mit den beiden nicht ab und zu das Temperament durchginge, ob sie im Haus nicht die Ruhe empfindlich stören würden. Unangenehm berührt, aber beherrscht genug, entgegnet Frau Samssuli, er könne sich ja bei den deutschen Anwohnern erkundigen. Das habe er ohnehin vor, sagt der Beamte trocken.

LOBPUDELEI AUF DEUTSCHLAND

Wie die zu den Deutschen stünden, ist sein nächster Fragenkomplex. Und Frau Samssuli erklärt. "So ein Land wie die Bundesrepublik gibt es kein zweites Mal. Wer hier etwas leistet, der kommt auch voran." Dabei zeigt sie auf ihren kleinen Balkon , den sie mit Topfpflanzen und einem üppigen Gladiolenstrauß geschmückt hat. Einmal, so erzählt sie, sei Jasmina weinend von einer Ferienreise aus Brasilien heimgekehrt. Dort wären die Menschen weitaus offener und herzlicher als in Deutschland, habe ihre Tochter berichtet. Aber sie habe dem Mädchen damals gesagt, was sie jetzt vor dem Behördenvertreter wiederholt. "Jasmina, wenn du einen guten und zuverlässigen Freund brauchst, dann werden die Südländer nicht da sein. Die Deutschen fressen zwar viel in sich hinein, aber auf sie ist Verlass."

Eine Meinung, der sich der Herr vom Ausländereamt mit einem stummen Nicken anschließt. Jedenfalls ist für ihn damit die Frage "Hinwendung zum Deutschtum", wie er es formulierte, positiv beantwortet.

Einige Monate darauf bekamen Anastasia und Jasmina Samssuli von der Aus-länder-Behörde ihre Einbürgerungszusicherung; Deutsche werden sie aller Voraus-sicht nach schon im nächsten Jahr.

PEINLICHE BEFRAGUNGEN

Hausbesuche wie bei den Samssulis, dazu peinlich-penetrante Bürokraten-Fragen über Nachbarn und Nation, provozieren bei der Einbürgerungsprozedur nicht selten schwülstige Auslassungen über vermeintlich hervorragende deutsche Eigenschaften. Nur zu genau wissen assimilierte Ausländer, dass sie mit einem antrainierten deutschen Über-Ich vor Behördenvertretern den Weg des geringsten Widerstands gehen und damit ihre Chancen erhöhen, Deutsche zu werden. Denn einen Rechts-anspruch auf Einbürgerung in die Bundesrepublik haben nur ehemalige Volks-deutsche und in der Nazi-Zeit emigrierte jüdische Mitbürger. Ausländer hingegen - ob aus Übersee oder aus den EU-Staaten - sind letzt endlich auf das Wohlwollen der Verwaltung angewiesen. In jedem Fall haben Inspektoren und Amtsmänner einen gesetzlich konzedierten "Ermessensspielraum". In jedem einzelnen Fall können sie ein mangelndes <öffentliches Interesse> des Staates an diesem oder jenem Bewerber geltend machen.

UNBESCHOLTENER LEBENSWANDEL

Wer dennoch Deutscher werden will, muss als Junggeselle mindestens zehn, als Verheirateter fünf Jahre im Lande leben, dazu müssen vorschriftsgemäß die "freiwillig Hinwendung zu Deutschland, Grundkenntnisse unserer staatlichen Ordnung und ein Bekenntis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung" verbürgt sein. Ferner muss der Aspirant die Sprache beherrschen, "wie dies von Personen seines Lebenskreises erwartet wird". Weitere Kriterien nach den Einbürgerungsrichtlinien sind wirtschaftlich geordnete Verhältnisse und ein "unbescholtener Lebenswandel". Danach sind Alkoholiker, Heroinsüchtige, Playboys mit unehelichen Kindern, aber auch Arbeitslose und Kommunisten von vornherein chancenlos.

Tatsächlich hat die Bundesrepublik wenig Interesse, immer mehr Ausländer mit dem für sie begehrten grünen Reisepass auszustatten. Ähnlich wie die meisten kontinen-tal-europäischen Staaten betonte auch das Bonner Innenministerium in seinen Einbürgerungsrichtlinien vom 2. Februar 1978 zum wiederholten Male: "Die Bundes-republik Deutschland ist kein Einwanderungsland; sie strebt an, die Anzahl der deutschen Staatsangehörigen gezielt durch Einbürgerung zu vermehren." Allenfalls dürfe von einem gesprochen werden, "die in der Regel nach einem mehr oder weniger langen Aufenthalt aus eigenem Entschluss in ihre Heimat zurückkehren".

Dennoch kam die sozial-liberale Regierung nicht umhin, im November 1981 eine Gesetzesvorlage ausarbeiten zu lassen. Danach sollen

o Kinder ausländischer Arbeitnehmer, die älter als 16 Jahre sind, die Einreise grundsätzlich untersagt werden;

0 die Nachzugerlaubnis für Familienangehörige vom Nachweis einer angemessenen Wohnung abhängig gemacht werden;

0 Jungvermählte aus der Türkei nur noch dann einreisen dürfen, wenn der Ehepartner in der Bundesrepublik eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und einen Arbeitsplatz hat;

o der Familienachzug dann nicht erlaubt werden, wenn sich der Ausländer zu Aus- und Fortbildungszwecken in der Bundesrepublik aufhält.

o Lediglich Jugendliche im Alter von 16 bis 18 Jahren soll die lang ersehnte Ein-bürgerung erleichtert werden. Sie müssten allerdings schon acht Jahre in der Bundesrepublik leben und sich ohne Murren zur Bundeswehr einziehen lassen.

EINWANDERUNGSLAND

Trotz solcher Deklarationen und restriktiven Gesetzesvorlagen ist aus der Bundes-republik längst ein Einwanderungsland geworden. Seit Kriegsende haben es über 200.000 Ausländer verstanden, Bundesbürger zu werden. Dabei tauchen politische Umsiedler, ehemalige Volksdeutsche und DDR-Flüchtlinge in dieser Statistik gar nicht auf. Und neuerdings, von der Öffentlichkeit kaum registriert, strebt ein Heer von Gastarbeitern und politisch Verfolgten die Einbürgerung an. Anfang der achtziger Jahre, so vermuten Experten in den Ausländerbehörden, werde auf die Bundesrepublik eine neue Antragsflut zuschwappen.

Allein von den 4,6 Millionen Gastarbeitern wollen nach Schätzungen von Heinz Kühn (1912-1992), ehemaliger Bundesbeauftragter für Ausländerfragen und früherer nordrhein-westfälischer Ministerpräsident, etwa drei Millionen in der Bundes-republik bleiben.

Bereits heute leben mehr als sechzig Prozent der Ausländer länger als fünf Jahre in diesem Land; damit haben sie nach dem noch geltenden Recht einen Anspruch auf eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Heinz Kühn: "Gewiss sind wir kein Ein-wanderungsland im Sinne von Kanada, Australien oder Brasilien. Aber für die aus den Anwerbeländer sind wir ein Einwanderungsland, auf jeden Fall für die junge Generation."

So sieht es auch die FDP-Politikerin Liselotte Funke, die nunmehr als Kühn-Nach-folgerin die Bundesregierung in Sachen Ausländer berät. Sie will entgegen den Vorstellungen der CDU/CSU und ebenfalls der Bundesregíerung das Aufenthalts-recht für Ausländer , damit den Betroffenen endlich eine Lebens-planung ermöglicht werden Denn die allermeisten könnten nicht mehr in ihre Heimat zurück - sei es aus politischen Gründen oder einfach deshalb, weil es in ihren Ursprungsländern auch in Zukunft nicht genügend Arbeit gibt.

ASYLANTRÄGE

Auch die Anzahl der Asylanträge ist innerhalb von zwölf Monaten sprunghaft gestiegen. Im Jahre 1978 wurden 33.136 Asylbewerber notiert, 1977 waren es lediglich 16.419. Den einsamen Rekord hält bislang das Jahr 1980 - über 108.000 Ausländer suchten in der Bundesrepublik eine neue Bleibe. Kommen sie nun aus Pakistan, Chile, Argentinien oder Vietnam - heimatlos sind sie allemal, und für die meisten dürfte es nur eine Frage des Wartens sein, bis ihr Einbürgerungsbegehren erfüllt wird.

Für Manfred Sog, Regierungsdirektor im Hamburger Ausländeramt, geht es bei den Bewerbern "oft um eine endgültige Absicherung dessen, was sie hier schon erreicht haben". Viele seien mit deutschen Frauen verheiratet und hätten es beruflich zu etwas gebracht. Da reiche ihnen eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr, die von der Behörde jederzeit widerrufen werden könnte.

So wollten 1978 nach Schätzungen der Ämter über 100.000 Ausländer Bundesbürger werden. Zwei Jahre später waren es bereits 150.000. Zwei Drittel fielen wegen der restriktiven Einwanderungspolitik durch. Aber die Bevölkerung wuchs 1978 wieder um die Einwohnerzahl einer Kleinstadt - nämlich um 31.500 Neu-Deutsche. Die Wege zu der erwünschten Einbürgerung sind freilich lang , beschwerlich - allzu oft auch demütigend.

"ZUFRIEDEN JAUCHZET GROSS UND KLEIN ... ..."


Der 47jährige Apotheker Chahedi zeigt nicht ohne Stolz die erst kürzlich ausgestellte Einbürgerungszusicherung der Behörde. Überhaupt ist er stolz darauf, was er in der Bundesrepublik bisher geleistet hat. Der Ausblick von seiner großräumigen Terrasse im vierten Stock eines Penthouse an der Ostseeküste von Scharbeutz hat die Qualität einer Ansichtskarte. Abends schauen der melancholische Chahedi und seine blonde Frau Eva oft aufs Meer, wo Motorjachten ankern. "Für mich", sagt Chahedi auf der Terrasse, "ist Deutschland mein Heimatland. Ich bin deutscher als es manche Deutsche je sein können," Unaufgefordert, als wolle er einen Ulk machen, zitiert er aus Goethes Osterspaziergang: "Zufrieden jauchzet groß und klein, hier bin ich Mensch, hier darf ich sein."


Dabei waren die 18 Jahre, die er in der Bundesrepublik lebt, alles andere als ein Spaziergang. Das belegen Leitz-Ordner in Sachen Einbürgerung, die sich in seinem Bücherregal neben Heinrich Bölls "Katharina Blum" und der John O'Haras "Träume auf der Terrasse" stapeln.


AM OPIUM VERRECKEN


Als Iraz Chahedi 1962 auf dem Frankfurter Flughafen landete, hatte er gerade fünf Jahre als Forstingenieur im Wüstengebiet 2.000 Kilometer süd-westlich von Teheran gearbeitet - eine Strafversetzung durch den iranischen Geheimdienst, weil Chahedi dem Schah-Regime als "Sicherheitsrisiko" galt. Der Apotheker heute: "Ich wollte in der Wüste nicht stumpfsinnig werden, ich wollte nicht wie viele meiner Freunde in Teheran am Opium verrecken. Ich wollte in ein Land mit Zukunft." In der Bundesrepublik glaubte er es gefunden zu haben. Ein Sparkassen-Werbespruch aus den fünfziger Jahren wurde zu seinem Leitmotiv. "Haste was, biste was."


Chahedi wiederholte sein Abitur und beendete nach vier Jahren sein Pharmazie-Studium in Kiel. In seiner Freizeit sortierte er auf dem Fischmarkt Kisten, las in Häusern Gas ab oder half in Apotheken. Schon 1971 , Chahedi hatte sein Examen als approbierter Apotheker bestanden, wollten ihn die deutschen Behörden in den Iran abschieben. Denn nach dem Entwicklungshilfeabkommen zwischen beiden Ländern müssen die an den bundesdeutschen Universitäten ausgebildeten Iraner die er-worbene Qualifikation in ihrem eigenen Land einbringen. Chahedi weigerte sich jedoch zurückzukehren. Er war der Meinung, "ein Land, das mir nichts gegeben hat, nicht einmal en Stipendium, ist für mich keine Heimat mehr".


Mit der tatkräftigen Unterstützung des Plöner CDU-Kreisvorsitzenden Wolf-Dieter Krause - auch er Apotheker - gelang es Chahedi, seine Aufenthaltsdauer zwei Mal um zwei Jahre zu verlängern. Doch sein Wunsch, in dieser Zeit als approbierter Apotheker selbstständig arbeiten zu können, blieb Illusion. Lediglich als "Helfer" bekam er eine Arbeitserlaubnis. Sie kam ihm einem "Berufsverbot" gleich. "Das ist doch genauso, als wenn ein Arzt im Krankenhaus zum Pfleger degradiert wird."


VON AGENTEN BEWUSSTLOS GEPRÜGELT


Dennoch verkaufte er beim Apotheker Krause fleißig Tropfen und Tinkturen. Um seine für 1975 angekündigte Ausweisung zu unterlaufen, hatte er bereits 1974 einen Asylantrag gestellt. Darin machte er geltend, ein politisch Verfolgter zu sein, der in der Nationalen Jugendbewegung des früheren sozialistischen Ministerpräsidenten Mossadegh gekämpft habe.


Er sei ein Mann, der 1961 vom Geheimdienst verhaftet und drei Mal bewusstlos geschlagen worden sei, den die Teheraner Presse gar als flüchtig vermeldet habe. Ein Mitarbeiter des westdeutschen Bundesnachrichtendienstes (BND), der ihn daraufhin im Schleswig-Holsteinischen besuchte, riet Chahedi dringend ab, auf seinem Antrag zu bestehen. Sein Gesuch hätte ohnehin wenig Chancen, zudem würde der persische Geheimdienst SAVAK kontinuierlich über Asylbegehren seiner Landsleute unter-richtet. Chahedi ließ sich nicht beirren, aber sein Antrag wurde abgelehnt, und die Behörden forderten ihn 1975 auf, unverzüglich die Bundesrepublik zu verlassen.


ZWECK-EHE FÜR KRAUSES APOTHEKE


Doch Chahedi ("Ich bin ein Löwe") wäre nicht Chahedi, hätte er nicht eine neue Variante parat gehabt. Kurzerhand ging er mit einer Helferin aus der Krause-Apotheke eine Ehe ein und präsentierte die Heiratsurkunde dem Plöner Kreis-ordnungsamt. Der Ordnungsbeamte zu Chahedi: "Was wollt ihr denn eigentlich hier, warum geh ihr nicht nach Hause. Ihr wollt doch nur unsere Mädchen kaputtmachen." Chahedi zum Ordnungsbeamten: "Das machen die Belgier und Franzosen wohl nicht. Nein, die machen eure Mädchen glücklich." Die neue Aufent-haltsgenehmigung jedenfalls war ihm sicher, die eingegangene Vernunftehe, "die größte psychische Belastung in meinem Leben".


Dessen ungeachtet schien Iraz Chahedis Aufstieg in der Provinz unaufhaltsam. Sein Chef Krause versprach ihm eine Beteiligung am Umsatz, Chahedi orderte einen Ford Mustang in den USA, seine Tweedanzüge ließ er sich an Hamburg maßschneidern - denn das Stangengeschäft war für ihn seither passé. Bei der Kölner Kreditbank bekam er sogar ein 100.000-Mark-Darlehen zu einer Verzinsung von 9,5 Prozent, die erste Eigentumswohnung war gekauft. Parallel beantragte er seine Eindeutschung, sein Chef trat mit einem Kameraden aus der schlagenden Verbindung in Plön als Bürge auf.


NÖTE - ERKLÄRUNGSNÖTE


Doch die Weltläufigkeit nahm in der norddeutschen Provinz jäh ein Ende, als Apotheker Krause sich nicht mehr erklären konnte oder wollte, woher sein Mitarbeiter das ganze Geld nehme. Krause hegte den Verdacht, dass sein Kompagnon Scheine aus der Drogerie- und Apothekenkasse verschwinden lasse. Gefängnis und Abschiebung drohte er ihm an, und einen Einblick in Chahedis Konten forderte er. Schließlich habe er, der Plöner Vize-CDU-Kreisvorsitzende, für ihn gebürgt, damit er überhaupt Deutscher werden könne. Nach elfjähriger Zu-sammenarbeit trafen sich die Freunde von einst vor dem Arbeitsgericht wieder. Dazu Chahedi: "Die Sachlage war klar. Er sah in mir neuerdings einen Konkurrenten. Er wollte verhindern, dass ich deutscher Staatsbürger werde und mich selbstständig mache. Denn siebzig Prozent seiner Kunden wären zu mir gekommen. Krause kümmerte sich fast nur um seine Politik, in der Apotheke war er kaum zu sehen."


Wolf-Dieter Krause, der derartige Motive bestritt, zeigte Chahedi bei der Staatsan-waltschaft in Kiel wegen Unterschlagung an, zog die Bürgschaft zurück, seine Mitarbeiterin, die mit Chahedi die Ehe eingegangen war, löste flugs das Bündnis auf. Kurzum: Iraz Chahedi sah sich gezwungen, wieder dort anzufangen, wo er 1973 kurz vor seiner Ausweisung aufgehört hatte. Er besorgte sich zwei neue Bürgen - diesmal einen Oberstleutnant a.D. und einen Präsidenten der Oberpostdirektion a.D. - heiratete zum zweiten Mal ("Endlich meine Liebe") und wartete acht Monate auf das Ermittlungsergebnis, bis die Staatsanwaltschaft das Verfahren (Az:52Js65/78) ohne großes Aufheben einstellte. Weitere vier Monate vergingen, ehe sich das Kieler Innenministerium nun endgültig entschließen konnte, dem unbescholtenen Chahedi die Einbürgerungszusicherung auszuhändigen.


VOM "EHRBAREN DEUTSCHEN"


Oft genug kommen politische Motive ins Spiel, wenn Beamte mit einem Einbürger-ungsfall ihre Vorstellung von "ehrbaren Deutschen" verknüpfen - natürlich paragrafentreu.


In Berlin lehnten sowohl der Innensenator als auch die XI. Kammer des Ver-waltungsgerichts 1977 die Einbürgerung des Engländern Alan Posener, 30, ab. Der Pädagoge, Sohn des Architekturhistorikers Julius Posener, wurde 1949 in England geboren, wohin sein Vater 1933 wegen "rassischer Verfolgung" emigriert war. Als die Poseners 1962 nach Berlin umsiedelten, ließ sich der Vater wieder einbürgern. Der gleiche Antrag wurde freilich abgewiesen, als ihn der Sohn stellte. Da nützte es auch nichts, dass Posener junior ein deutsches Domizil vorweisen konnte, mit einer Deutschen über fünf Jahre verheiratet ist und sein erstes Staatsexamen "mit Auszeichnung" an einer deutschen Universität bestanden hat.


Der Grund für den Negativ-Bescheid: Nach dem noch geltenden "Reichs- und Staats-angehörigkeitsgesetz", das im wesentlichen aus dem Jahre 1913 stammt, müssen Ausländer "einen unbescholtenen Lebenswandel" nachweisen können. Posener,nach eigenen Bekunden parteiloser Maoist, ist jedoch wegen KPD-naher Aktivitäten zu zwei Bagatellstrafen von jeweils 300 Mark verurteilt worden. So hatte er mit einer Spraydose an eine Berliner AEG-Mauer den Satz gesprüht: "Weg mit dem Staats-schutzgesetz gegen die KPD." Das Verwaltungsgericht meinte, derlei Grafitti-Malereien seien "Ausdruck einer gewissen Gesinnung, die zu Straftaten führt".


JAHRE UM EINBÜRGERUNG GEBANGT


In Frankfurt am Main musste der von den Nationalsozialisten verfolgte Schall-plattenhändler Peter Philipp Gingold mit seiner Familie sechs Jahre um seine Einbürgerung bangen. Gingold, jüdischer Kommunist, hatte in Frankfurt aktiv in der Widerstandsbewegung gegen die Nazis gekämpft. Nach langen Auseinander-setzungen bekam er schließlich 1974 von der VI. Kammer des Frankfurter Verwaltungsgerichts sein Anrecht zugesprochen, Deutscher sein zu dürfen. Das Bundesinnenministerium hatte zuvor eine Einbürgerung mit dem Hinweis strikt abgelehnt, sie setze "ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grund-ordnung unserem Staate gegenüber" voraus. Im Falle Gingold lasse es "sich mindestens nicht ausschließen", dass dieses Engagement fehle. Ein "staatliches Interesse" an der Aufnahme Gingolds und seiner Familie "in den deutschen Staats-verband kann nicht bejaht werden", entschieden die Hausjuristen aus dem Bonner Ministerium.


DEUTSCHER PASS IM FALL HABSBURG


Dagegen bejahte die bayerische Landesregierung in München außerordentlich lebhaft die Einbürger des Otto von Habsburg, Sohn des letzten österreichischen Kaisers. Dass des Strauß-Kabinett dabei gegen die gültige Rechtsverordnung verstieß, wonach die bayerische Landesregierung sowohl beim Bundesinnen-ministerium als auch beim Auswärtigen Amt hätte um Zustimmung nachsuchen müssen (Paragraf 3 der Verordnung über die deutsche Staatsangehörigkeit vom 5. Februar 1934), war im Fall Habsburg offensichtlich unerheblich. Auch Habsburgs Einstellung zur "freiheitlichen demokratischen Grundordnung" erschien den CSU-Ministern offenbar makellos. Dabei machte der Neu-Deutsche nicht nur von sich reden, als er den Friedensnobelpreis auch für den früheren ugandischen Massen-mörder Idi Amin forderte, weil Willy Brandt und Henry Kissinger diese Aus-zeichnung erhalten hätten. Er empfahl der bundesdeutschen Bevölkerung gar eine "Diktatur auf Zeit". Im Falle einer terroristischen Erpressung mit einer "Atombombe aus der Waschküche", so von Habsburg, müsse "alle Macht ohne Verzug auf neun Monate an eine einzige Person übertragen" werden. Und weiter: "Dieser Mann sollte, nur für die Zeit des Notstands, das Recht haben, sämtliche Gesetze zu suspen-dieren ... ... Mit dem Staatsnotstand tritt automatisch er an die Stelle des Kanzlers." Nur so könne den Terroristen deutlich gemacht werden, dass im entscheidenden Moment "nur ein einziger Finger am Abzug sein wird". Im Münchner Landtag, lobte der frühere bayerische Innenminister Alfred Streibl die Notstandsphilosophie der "Kaiserlichen Hoheit". Seine Überlegungen hätten doch gerade zum Ziel, die Ver-fassungsordnung zu erhalten.


EINBÜRGERUNG AUF BAYERISCH


Einbürgerung auf bayerisch ist ohnehin nicht mit dem Rest der Republik vergleich-bar. Das zeigt sich, wenn bayerische Behörden bei Ausländern "Kenntnisse der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland" abfragen. Original-Ton aus dem Donau-Ries-Kreis nach einem Fragebogen:


o "Geben Sie wenigstens die erste Verszeile der bayerischen Nationalhymne an."


o "Wissen Sie, welche Tage der Freistaat Bayern als solche der Arbeitsruhe gesetzlich geschützt hat?"


o "Woran ist ein deutscher Volkszugehöriger zu erkennen?


o "Nennen Sie die deutschen Gebiete, die nach dem Zweiten Weltkrieg an Nachbar-Staaten fielen."


ERINNERUNGEN AN MANFRED BIELER


Da wundert's eigentlich niemanden, wenn ein deutscher Schriftsteller beim Landratsamt in Hinterpfaffenhofen von einem Amtmann nach einem zweistündigem Gespräch gefragt wird: "Sagen Sie mal, woher kommt es, dass Sie so gut Deutsch daherreden?" Gemeint ist Manfred Bieler (1934 - 2002) - "Maria Morzek", "Der Mädchenkrieg", "Der Kanal"), der sich nach seiner Flucht aus Prag im August 1968 um die deutschen Staatsbürgerschaft bemühte. Er war ein Deutscher ohne deutschen Pass.


Der DDR-Bürger Bieler war 1967 nach Prag übergesiedelt, um seine Frau Marcella heiraten zu können. Zehn Monate konnte er in der CSSR ein Tschechoslowake sein, dann war er nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in Deutschland - im bundesdeutschen Hinterpfaffenhofen. "Ja, da haben Sie halt Pech, wenn Sie mal Deutscher waren, jetzt sind Sie eben Tschechoslowake", murmelte der Amtmann vor sich hin.


DEUTSCH-DIKTAT


Fünf Jahre sollte er auf die deutsche Staatsangehörigkeit warten, seine tschechische Frau zehn Jahre. Und für die Einbürgerung ist das Deutsch-Diktat zwingende Voraussetzung; auch für einen deutschen Schriftsteller. Um sich wenigstens dieser Peinlichkeit zu entziehen, brachte der Bestseller-Autor dem Herrn vom Amt einige seiner Werke mit. So diktierte eine Sekretärin lediglich Bielers Frau eine kurze Passage - aus einem Münchner Boulevard-Blatt.


Konzilianter gaben sich die Beamten erst, als Druck von oben kam. Im Jahre 1971 erhielt Manfred Bieler nämlich den bayerischen Förderungspreis für Literatur - eine Auszeichnung, die nur an Deutsche verliehen werden kann. Ähnlich wie die CSSR-Eishockey-Spieler, die nur mit einem deutschen Personalausweis in der deutschen Nationalmannschaft spielberechtigt sind, wurde Bieler im Hauruck-Verfahren zum Deutschen gemacht.


Allerdings blieben die bayerischen Beamten in Sachen Volksverseuchung penibel. Prag hin, Literatur her - erst als "ein Löffelchen der Bielerschen Exkremente" (Bieler) im Gesundheitsamt analysiert worden war, durfte der Familie die Einbürgerungs-urkunde ausgehändigt werden. Damals hatte Manfred Bieler "einen gelinden Schock", heute erheitert ihn die Episode nur noch. Damals war die Bundesrepublik für ihn auch noch ein "fremdes Land", heute ist er wenigstens in München heimisch geworden.


Heimat, hat ihm einmal ein Freund gesagt, sei für ihn dort, wo er einen Stuhl finde. Für Bieler könnte die in San Franzisko, Paris, Venedig, Rom, oder auch wieder Prag sein.


STILLSTAND SEIT JAHRZEHNTEN


Für die bundesdeutschen Gastarbeiterkinder steht dieser Stuhl auf den Hinterhöfen von Berlin-Kreuzberg, in den Getto-Verliesen des Ruhrgebietes und in Hamburg-Altona. Über 500.000 sind in Deutschland geboren sprechen die Sprache des Landes, aber kaum die ihrer Väter, über 900.000 gehen hier zur Schule und wollen, wenn möglich, einen Beruf erlernen, nur Deutsche können sie nach dem bisherigen Ausländerrecht schwerlich - noch immer nicht werden. Stillstand seit Jahrzehnten. Das Abstammungsprinzip, wonach in der Bundesrepublik Deutsche von Nicht-Deutschen unterschieden werden, steht ihnen im Wege: Wer keinen deutschen Vater und keine deutsche Mutter hat, ist Ausländer ohne sonderliche Rechte.


WIDERSTAND


Aber es regt sich Widerstand. Für den türkischen Lyriker Aras Ören ("Was will Niyazi in der Naunynstraße", "Deutschland, ein türkisches Märchen") sollen die Gastarbeiter "nicht ihre Haare blond färben, um hier bleiben zu können". Die Deutschen müssten sich vielmehr damit abfinden, dass, sozial und historisch betrachtet, keine Arbeitskraft an ihren geografischen Ausgangspunkt zurückkehrt. Ören, der in Berlin lebt und dort auch bleiben will, sieht bei der zweiten Gastarbeiter-generation kein Sprachproblem mehr, dafür aber tief greifende Identitätsschwierig-keiten.


STAATSZUGEHÖRIGKEIT - PER POSTKARTE


Hier liegt ein sozialer Sprengsatz, den das Bundeskriminalamt (BKA) schon vorsorglich untersuchen lässt, Ein geheim gehaltenes Forschungsinstitut einer deutschen Universität soll die "Entstehungsbedingungen erfragen und analysieren. Dabei interessiert vor allem die Frage, warum manche Gastarbeiter-Jugendliche "sich zu kriminellen Banden zusammenschließen. Denn solche "Gangs, so die Vermutung der BKA-Kriminologen, könnten der Ausgangspunkt für eine Mafia in der Bundes-republik sein.


Dass es zu solchen Entwicklungen kommt, möchte der einstige "Gastarbeiter-Beauf-tragte" Heinz Kühn durch eine Revision des Ausländergesetzes verhindern: Per Postkarte, so verlangt der SPD-Politiker, sollen in der Bundesrepublik geborene Ausländer ihre deutsche Staatsangehörigkeit abrufen können. Denn zur viel zitierten Integration gehöre zunächst einmal die rechtliche Gleichstellung mit deutschen Kindern und damit auch die Gewissheit, zu diesem Land zu gehören.


Wird also der Weg zu einem deutschen Ausweis wenigstens für die Kinder der Gast-arbeiter kürzer? Bisherige Erfahrungen stimmen wenig optimistisch. Und wie sagte noch Bert Brecht: "Ein Mensch kann überall zustande kommen, auf die leicht-innigste Art. Ein Pass niemals."









































































































Freitag, 27. Juli 1979

Suff beim Bund - Die Bierfahnen der Armee




































Sonntagabend ist in manchen Schnellzügen der Teufel los. In Rudeln kehren junge Soldaten nach dem Wochenende in ihre Standorte zurück. Sie lassen sich in Abteilen und Gängen mit Bier volllaufen. Im Speisewagen des "Intercity 618" von Stuttgart nach Hamburg bot sich am 20. Mai dieses fatale, dem Zugpersonal jedoch gewohnte Bild. Randalierende Rekruten grölen: "Wir scheißen auf die Bundeswehr." Auch im Dienst macht sich, obwohl verboten, der Suff in den Streitkräften gefährlich breit. Die Pest dieser Jahrzehnte heißt "Alkoholismus", von dem 4,3 Millionen Menschen befallen - erkrankt sind. In den Kasernen der Armee tobt eine verschärfte "Flaschen-Schlacht".ZEITmagazin, Hamburg
vom 27. Juli 1979
von Reimar Oltmanns

Der Tag ist wie jeder andere im schleswig-holsteinischen Lütjenburg, aber er endet als ein schwarzer Freitag. Schon am frühen Nachmittag wirkt das Garnisonsstädtchen nahe der Ostsee wie ausgestorben; abends sind die beiden Diskotheken "68" und "Why not" wie leer gefegt. Zu Wochenendbeginn hält es keinen der über tausend Soldaten freiwillig in der abseits gelegenen Kleinstadt. Sie alle hasten, ob per PKW oder per Bahn nach Hause - meist ins über vierhundert Kilometer entfernte Ruhrgebiet. Ein gewöhnlicher Wochenend-Exodus, im Bundeswehr-Jargon kurz "Nato-Rallye" genannt.

REKRUTEN HEULEN

Nur für das 8. Bataillon des Flugabwehrregiments 6 aus der Lütjenburger Schill-Kaserne ist Ausgangssperre verhängt worden. Feindbeobachtung und Nachtalarm stehen auf dem Programm. Das jedenfalls sagte Oberfeldwebel Soboll am Freitag-morgen um 8.30 Uhr in der Kaserne an. Keine zwölf Stunden später sagt er auf dem Übungsgelände Hohensasel den Nachtalarm wieder ab, Lagerfeuer müssen gelöscht, Zelte eilig zusammengepackt werden, die etwa dreißig Soldaten sollen sich im Galopp marschfertig machen. Für die 18- bis 20jährigen, die gerade erst vier Wochen beim Bund dienen, ist Unvorstellbares geschehen. Manche heulen laut vor sich hin, andere schreien fassungslos: "Das kann doch nicht wahr sein."

"OBLIGATE SUFF-KOLLEKTE "

Auf dem Boden liegt reglos Wilfried Klauber aus Oberhausen. Sein Kopf ist knallrot unterlaufen, Todesangst steht in seinen Augen; niedergestreckt durch eine 9-Millimeter-Partone aus dem Lauf einer P-38-Pistole. - Der ärgste Feind der westdeutschen Armee hat an diesem Freitag das 8. Bataillon des Lütjenburger Flugabwehrregiments 6 außer Gefecht gesetzt: der Alkohol, dem inzwischen 92 Prozent aller Gewalttätigkeiten bei der Bundeswehr zuzuschreiben sind.

Mit dem Suff hatte es schon in den frühen Morgenstunden begonnen. Statt Tee oder Kaffee füllten sich manche Rekruten ihre Feldflaschen mit Whisky oder Gin. Auf dem Übungsgelände in Hohensasel machten dann die Alkoholika als "stille Post" die Runde. Aber auch die Unteroffiziere nippten heimlich mit. Rekrut Hermann Steinert: "Das war zwischen uns eine unausgesprochene Abmachung. Entweder wir heben unseren Vorgesetzten etwas ab, oder die erstatten Meldung."

Gegen 18 Uhr tauchten die ersten Biere und eine Kornflasche auf. Ein Vorrat, den sich Unteroffiziere und ihr Oberfeldwebel vorsorglich mitgebracht hatten. Kaum waren die Flaschen geleert, wurde unter den Soldaten die "obligate Suffkollekte" veranstaltet. Drei Mann marschierten los, um aus dem Gasthof "Gut Rantzau" für Nachschub zu sorgen.

AUF KAMERADEN GESCHOSSEN

Locker und feucht-fröhlich hockten Hermann Steinert und seine Kameraden vorm Lagerfeuer. sangen: "Wir lagen vor Madagaskar und hatten unser Bier an Bord;" und empfanden die abendliche Atmosphäre "so ein bisschen wie früher im Schulland-heim". Jedenfalls bis zu jenem Augenblick , als Unteroffizier Jürgen Bethke, mit Bier-pulle und P-38-Pistole bewaffnet zu ihnen stieß. Großzügig bot der 24jährige Bethke "seinen Jungs", wie er sie oft unter starkem Alkoholeinfluss nannte, den Restauf-schnitt vom Abendbrot an. Allerdings nur, wenn man sich bei ihm persönlich Salami und Schinken abholen würde. Dies wurde für den 20jährigen Betonmauer Wilfried Klauber zum Verhängnis. Als der arglose Klauber vor seinem angetrunkenen Unter-offizier steht, hatte dieser den Aufschnitt schon hastig heruntergewürgt. Statt dessen fischte er sich das Schiffchen des Rekruten und schmiss es ins Feuer. Nunmehr wollte sich Klauber das Schiffchen des Vorgesetzten angeln. Zunächst schwankte der Unteroffizier noch tänzelnd hin und her, zog dann aber blitzartig seine Pistole. Zeuge Steinert: "Erst hantiert Bethke mit dem Ding in der Gegend herum. nahm eine Patrone aus dem Magazin. zeigte sie uns stolz, steckte sie darauf wieder ein. Ich sah, wie Bethke aus zweieinhalb Metern Entfernung einen Schuss auf den hilflosen Klauber abfeuerte."

Auf dem morastigen Übungsplatz Hohensasel kam keiner auf die Idee, einen Rettungshubschrauber zu rufen. Bloß keine Feldjäger, Zeit gewinnen hieß die Devise. Minuten um Minuten verstrichen. Als der Krankenwagen, ein geländeuntüchtiger Ford Transit, der mehrere Male im Sumpf stecken blieb, endlich Hohensasel erreicht hatte, lag keine Bierflasche mehr herum. Selbst der inzwischen angekommene Kisten-Nachschub aus dem Gasthof "Gut Rantzau" war eiligst vergraben worden. "Alle waren wie genervt", erinnert sich Steinert. "Vor allem, also noch so ein paar Kopflose den schwerverletzten Klauber falsch herum in den Krankenwagen schoben."

Erst gegen 23 Uhr klingelt bei der Familie Klaubert in Oberhausen das Telefon. Am Apparat die Universitätsklinik Kiel: "Bitte kommen Sie sofort. Ihr Sohn ist angeschossen worden. Er wird den nächsten Tag wohl nicht mehr überleben."

Unterdessen hat Hauptmann Rommel, der in Zivil in die Kaserne geeilt war, das bereits zurückgekehrte 8. Bataillon im Unterrichtsraum versammelt. "Der Zustand ist nicht lebensgefährlich, sondern lediglich lebensbedrohlich", bemerkt der Hauptmann beschwichtigend. Gleichzeitig ermahnt Rommel seine Sprösslinge: "Machen Sie Ihren Dienst so wie bisher, und gehen Sie Ihren Pflichten weiterhin gewissenhaft nach." Das war die erste und auch die letzte Verlautbarung, die den Soldaten in Sachen ihres Kameraden Klaubers mitgeteilt wurde.

QUERSCHNITTSGELÄHMT

Fünf Tage rang Wilfried Klauber auf der Intensivstation der Kieler Universitätsklinik mit dem Tode. Als er ihm schließlich getrotzt hatte, wurde dem 20jährigen zur Gewissheit, dass er querschnittsgelähmt sein Leben lang an einen Rollstuhl gefesselt bleiben würde. Klauber ist kein Einzelfall.

BEFEHLSSTAND: KNEIPE

o In Leck bei Flensburg versetzte der stellvertretende Kommodore vom Aufklärungsgeschwader 52, G. L., nachts um 2.50 Uhr 2.000 Soldaten, Beamte und Arbeiter in den Nato-Ernstfall. Piloten liefen in ihre Staffelunterkünfte, Sicherungssoldaten bezogen Stellungen, Stahltüren der Betonschutzbunker wurden geöffnet und die schweren Phantom-Aufklärer ins Freie geschleppt. Über eine halbe Stunde saßen 18 Piloten und Kampfbeobachter angeschnallt in ihren Maschinen, Feuerwehren hatten sich postiert, Wetterfrösche registrierten Wind- und Sichtbedingungen, Radarspezialisten beobachteten ihre Schirme, die ersten Urlauber wurden zurückgerufen, Befehlstand war jedoch nicht die Kaserne, sondern die Dorfkneipe "Kupferkanne". Dort hatte Oberstleutnant L. eine Nacht mit Freunden durchgezecht. Per Telefon gab er lallend das entsprechende Kodewort zum Befehl der Ernstfall-Übung an die Bereitschaft durch - die "Aktion Kupferkanne" begann.

AM FENSTERKREUZ ERHÄNGT

o In Zweibrücken wollte der Rekrut Friedrich Reinstadler nach einem Pinten-Rundgang den Zapfenstreich um 22 Uhr nicht einhalten und im Bereitschaftsraum der Niederauerbach-Kaserne weiter bechern. Der Unteroffizier vom Dienst befahl ihm drei Mal, auf die Stube zu "gehen". Doch Reinstadler verweigerte den Gehorsam. Die Folge: Arrest in der Zelle. Die Strafe löste bei Reinstadler eine verhängnisvolle Kurzschlussreaktion aus. Mit seinen Stiefelschnüren erhängte er sich am Fensterkreuz. Er war gerade 20 Jahre alt geworden, als ihn die Wachpatrouille tot auffand.

COGNAC IN ERSATZTEILKISTEN

o Soldaten der schleswig-holsteinischen Marinefliegergeschwader 1 und 2 glaubten besonders pfiffig zu sein. In Ersatzteilkisten und Raketenhülsen ihrer vier Transall-Maschinen hatten sie auf dem Rückflug von Sardinien insgesamt 50.000 Zigaretten, 1.000 Flaschen Sekt und 30 Flaschen Cognac deponiert. Erst als mehrere Flaschen zerbrochen waren und Cognac aus den olivgrünen Ersatzteilkisten durchsickerte, flog der Coup auf.


Drei Beispiele aus dem Alltag der Bundeswehr, die an Traditionen verflossener Soldatenzeiten erinnern. Denn Alkohol ist seit eh und je reichlich in den deutschen Garnisonen geflossen. Das Motto "Nur ein kräftiger Schlucker ist auch ein guter Soldat" hat beide Weltkriege überlegt. Schon zu Kaisers Zeiten mussten die Fahnen-junker emsig trinken, um auch noch im Suff den älteren Offizieren ihre Contenance zu beweisen. Aber auch in Hitlers Wehrmacht blieben Maßhalteappelle der Kommandeure ohne die erhoffte Resonanz.

ALARM-ZAHLEN

Die Alkoholwelle, die seit Jahren in die Bundeswehr schwappt, ist ernster zu nehmen, als es viele Militärs auf der Bonner Hardthöhe für möglich gehalten haben. Noch im Jahr 1973 präsentierte das Verteidigungsministerium den Medien eine soziologische Untersuchung, wonach Bundeswehr-Soldaten mehr an Sport und Sex, Flippern und Schach als am Bier interessiert seien. Fazit der Studie: Selbst in Kasernen werde nicht viel getrunken. Tatsächlich lagen dem Führungsstab schon zur damaligen Zeit - 1971 bis 1974 - alarmierende Zahlen unter "besondere Vorkom-mnisse" vor:


0 25 Tote und Schwerverletzte bei Kraftfahrzeugunfällen unter Alkoholeinfluss im Dienst;
0161 Tote bei Unfällen mit Privatautos nach Trinkgelagen;
0 23 Selbstmorde und 402 Selbstmordversuche im Promillerausch
0 764 Soldaten verweigern aufgrund ihres Alkoholkonsums den Gehorsam und griffen ihre Vorgesetzten tätlich an.

Dies sind Fakten, die Aussagen des Psychiaters Brickenstein vom Bundeswehr-Krankenhaus Hamburg-Wandsbek stützen: "Sie ertränken ihren Kummer über die Trennung von ihrer Freundin, Braut, Ehefrau oder Lieblingsbeschäftigung." Aber auch der damalige Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, der Weltkrieg-II-Major Fritz-Rudolf Schultz (1917-2002), warnte das Parlament eindringlich vor dem rapide steigenden Alkoholkonsum in der Armee.

FEHLER MIT BETRUNKENEN
  
Immerhin glaubt die Bundeswehr-Führung, durch strikte Befehle den Bierdurst einschränken zu können. Bereits damals war man sich jedoch auf der Bonner Hardthöhe klar, "dass alle getroffenen Maßnahmen und geltenden Vorschriften nicht ausreichen; nicht einmal die Zunahme des Alkoholmissbrauchs ist verhindert worden", heißt es in dem vertraulichen Vermerk (Fü S I5 Az.: 35-20-17-o2). Und in den "Richtlinien für das Verhalten gegenüber betrunkenen Soldaten" räumt das Ministerium ein: "Es hat sich gezeigt, dass bei der Behandlung betrunkener Soldaten schwere Fehler gemacht werden ... Soldaten bedürfen dringend des kameradschaft-lichen, gegebenenfalls sogar ärztlichen Beistandes ... ".

Der inzwischen verstorbene Generalinspekteur, Admiral Armin Zimmermann (*1917+1976), ordnete daher ein absolutes Alkoholverbot während der Dienstzeit an. Zimmermann im Jahre 1974: "Der Alkoholmissbrauch hat ein Ausmaß erreicht, das ein energisches Eingreifen aller zuständigen Vorgesetzten erforderlich macht." Im selben Jahr segnete Georg Leber, Verteidigungs-minister in den Jahren von 1972-1978, einen vertraulichen Vermerk für die Personalführung bei den Streitkräften ("Fü S I 4") ab. Darin heißt es: "Die steigende Zahl der Selbstmordfälle und -versuche besonders bei der Jugend verpflichtet auch die militärischen Vorgesetzten zu besonderer Aufmerk-samkeit ... Süchtige Bindungen an Alkohol, Arzneimittel oder Drogen ... gefährden den Soldaten. Eine straffe Führung, ein ausgewogener Dienst-plan ... und das Angebot an Freizeit können vorbeugend helfen. Herumgammeln führt nicht selten zu übermäßigen Alkoholgenuss."
Damals war Karl Wilhelm Berkhan (*1915+1994) noch parlamentarischer Staatssekretär im Bonner Verteidigungsministerium. Auf zahllosen Standortbesuchen bemühte er sich um engen Kontakt zu den Soldaten. Als Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages reiste der umsichtige Berghan wiederum von Garnison zu Garnison. Seine alte Sorge war fortwährend die alte geblieben: Suff beim Bund - und kein Ende in Sicht. Eingebettet im gesellschaftlichen Sog - im Jahre 1950 waren es 200.000, mittlerweile leben in der Bundesrepublik über zwei Millionen Alkoholiker - stellte Berghan in seinem Jahresbericht für 1978 fest, "dass der Alkoholmissbrauch schwer-wiegende Beeinträchtigungen der militärischen Ordnung und Disziplin bewirkt."

KEINE "HEILSARMEE"

Dass nun ausgerechnet ein intimer Kenner der Bundeswehr-Szene Bier- und Korn-sucht der Soldaten schonungslos in der Öffentlichkeit rügt, wurde wie eine Rufschädigung des Unternehmens Armee empfunden. In der Parlamentsdebatte zum Bericht des Wehrbeauftragten warnte der damalige Verteidigungsminister Hans Apel (*1932+2011) davor, die Armee als "eine Horde von Saufbolden und Schindern" abzustempeln. Nach seinen Angaben sind die Verstöße unter Alkoholeinwirkung von 1977 auf 1978 um 27 Prozent zurückgegangen. Auch der CDU-Wehrexperte Leo Ernesti bescheinigte der Truppe, "besser als ihr Ruf" zu sein. Und sein Kollege Erwin Horn erklärte: Die Bundeswehr sei nun mal keine "Heilsarmee".

Die aufschlussreicheren Zahlen über disziplinargerichtliche Verfahren (in der Debatte ging es um harmlose Dienstvergehen) ließ Minister Hans Apel aus gutem Grund im Ministerium: als "Verschlusssache" und "nur für den Dienstgebrauch". Unter der Rubrik "Alkoholmissbrauch, Trunkenheit am Steuer" stieg danach die Zahl der Verfahren von 1976 auf 1978 um 138,7 Prozent und damit auf 74 Anklagen. Unter der Rubrik "Sittlichkeitsdelikte, Ungehorsam, Mord, Totschlag, Drogen" etc. stiegen die disziplinarrechtlichen Verfahren von 1976 auf 178 um 179 Prozent und damit auf 53 Anklagen. Und unter der Rubrik "unerlaubtes Fernbleiben" stiegen die disziplinarrechtlichen Verfahren von 1976 auf 1978 um insgesamt 257 Prozent und damit auf 50 Verfahren.

FÜHRUNGSPROBLEME

Dabei hatte Karl Wilhelm Berkhan gar keine Debatte um Prozente entfachen wollen. Alkoholexzesse in den Reihen der Bundeswehr sah er vielmehr als ein Führungs-problem an. Dort, wo es drunter und drüber geht, "greifen die Vorgesetzten selbst zur Flasche". Berkhan runzelt die Stirn: "Ein geordnetes militärisches Gehirn wird einen Befehl nicht vom Barhocker geben, nicht einmal von einer Theke."

Ein Kompaniechef im Majorsrang, so der Berkhan-Bericht, sah das anders. Am Abend vor einer Übung betrank er sich derart, dass er am nächsten Morgen seine Kompanie nicht führen konnte. Am selben Abend ließ er sich - trotz Alkoholverbot - wiederum volllaufen und weigerte sich, die Gaststätte zu verlassen. Die Kompanie wurde daraufhin von einem Hauptfeldwebel auf den Übungsplatz geführt. Als der Major am dritten Abend vom Schirrmeister aus der Kneipe geholt wurde, war er wiederum betrunken.
Derselbe Major, alarmierte zwei Monate nach diesen Vorfällen gegen 0.45 Uhr die Kompanie, so dass ein Teil der Unteroffiziere - es war Spätherbst - bei Nebel und Reifglätte zur Unterkunft fahren musste. Als die Unteroffiziere im Kompaniege-bäude auf die Befehle warteten, weigerte sich der Major das Offiziersheim zu ver-lassen. Er betrank sich bis morgens um 4 Uhr. Einem Zugführer, der sich höflich nach weiteren Befehlen erkundigte, bedeutete er zunächst "Mittagspause" und danach "Dienst in den Funktionen".

WO OFFIZIERE SICH PRÜGELN

Nicht selten führt solches Fehlverhalten von Offizieren zu privaten Zerwürfnissen, die Berkhan so beschrieb: "Vier Leute am Tisch, jeder zwölf Schnäpse. Ich, Unter-offizier, bin doch ein richtiger Kerl, ich muss auch mittrinken. Und hinterher, wenn sie nach Hause gehen, gerät er mit seinem Oberstleutnant aneinander. Dann sagt der Oberstleutnant noch in seinem Suff, ich erteile Ihnen einen Befehl. Da sagt der Unteroffizier, Du kannst mir gar nichts befehlen, und haut ihm eine in die Schnauze. Und dann stehen sie vorm Richter. Es ist ein unerträglicher Zustand."

JEDER FREITAG - EIN BEFREIUNGSTAG

Ein wichtiger Seismograf für die Bierfahnen in der deutschen Armee sind die Wochenendzüge zwischen Norddeutschland und Rhein/Ruhr. Genervt vom Wochen-Drill, vom gottverlassenen Nest in der Heide oder an der Ostsee, ohne sinnvolle Freizeitmöglichkeiten (der Bund gibt für die außerdienstliche Betreuung seiner Soldaten jährlich sieben Mark pro Mann aus), nur sich selbst oder der Kneipe überlassen, empfinden die Wehrpflichtigen jeden Freitag wie einen Befreiungstag, auch wenn sie die Hälfte des Wochenendes auf der Heimfahrt in der Eisenbahn verbringen.

IN INTERCITYS DIE TASSEN HOCH

Mit zwei Paletten Dosenbier, das Stück zu 45 Pfenning, und dem Kassettenrekorder mit dem Amanda-Lear-Band in der Reisetasche geht's in den Zug; neuerdings in den schnelleren Intercity, seitdem das Prunkstück der Bundesbahn auch die zweite Wagenklasse führt. Meist sind die Waggons brechend voll, die "BWs", wie sie sich nennen, sitzen dann auf dem Gang, liegen in der Gepäckablage oder kabbeln sich mit dem Schaffner, warum sie nicht erster Klasse fahren dürfen. "Ich bin BW, du bist BW, dann die Tassen hoch."

SPEISEWAGEN ZU BRUCH GEGANGEN

Anders dagegen sieht es auf der Rückfahrt am Sonntagabend aus. Da ist die Grund-stimmung weitaus aggressiver. Da geht schon mal ein Speisewagen wie der des Intercity-Zuges "Kommodore" bei einer Massenschlägerei zu Bruch, da brennen Toiletten, da werden Scheiben zertrümmert da werden auch Fahrgäste am Aus-steigen gehindert - nach dem Motto "die nächste Station kommt bestimmt".

"Wir, von der ersten Kompanie, wir sind besoffen wie noch nie", grölten etwa Rekruten im Speisewagen des Intercity-Zuges "Heinrich Heine", den sie gern in "Landser-Express" umtaufen würden. Zwischen Bremen und Hamburg steigen sie auf den Tisch, schreien "Bundeswehr scheiße", einer zieht die Hose runter, ein anderer schon seine Uniform ab, denn soeben hatte der Schaffner über Lautsprecher mit Gong signalisiert: "Meine Damen und Herren, in wenigen Minuten erreichen wir Hamburg-Hauptbahnhof."

BIERKONSUM UND BRUTALITÄT

Dazu Karl Wilhelm Berghan: "Wir müssen wirklich andere Wege gehen." Während Bundeswehr und Bundesbahn in vertraulich vereinbarten Gesprächen herumrätseln, wie Bierkonsum und Brutalität zumindest in der Öffentlichkeit eingedämmt werden können - etwa mit rollenden Feldjägerkommandos in der Bahn -, hatte Karl Wilhelm Berghan gezielte Vorstellungen, wie sich die sinnlose und ruinöse Sauferei reduzieren ließe. Er empfahl, die Wehrpflichtigen "heimatnäher" einzuziehen. Auch sollten die gerade erst Achtzehnjährigen nach dem Fünfuhr-Dienstschluss nicht Abend für Abend ihre Probleme mit sich allein ausmachen. Vielmehr sollten die Vorgesetzten mit ihren Rekruten auch in der Freizeit Arbeitsgemeinschaften für Schach, Fußball, Politik usw. aufziehen.
Dem Bonner Führungsstab empfahl Berkhan quasi als Vermächtnis seiner Zeit als Wehrbeauftragter: "Schleunigst einen Forschungsauftrag zu vergeben", der die Ursachen von Angst-, Alkohol- und Aggressionsschüben in den Streitkräften durch-leuchtet. Geändert hat sich über all die Jahre - Jahrzehnte - nichts. Es wird weiter gesoffen. Einen solchen Schub durchlebten etwa zwei Gefreite, die angezecht und aggressionslustig einen 28 Tonnen schweren Schützenpanzer "Marder" entführten und zweihundert Kilometer über die Autobahn jagten. Polizei und Feldjäger hatten eine unruhige Nacht. ehe sich die beiden 19- und 2ojährigen Amokfahrer schließlich in der Nähe von Hannover festnehmen ließen - bierselig lächelnd.




























































































Donnerstag, 24. Mai 1979

Dans la vie de Règis Debray - la révolution en Amérique Latine et un "amour fou"



































L'intellectuel français , Régis Debray, fils de parents de la grande bourgeoisie influente fut arrêté dans la jungle en 1967 par des militaires en Bolivie avec le révolutionnaire Che Guevara. Le Che ( 1928-1967 ) fut fusillé un jour plus tard, le 9 octobre 1967, sans aucun procès. Par contre, Régis Debray échappa à l'exécution parce qu'il était étranger. Un tribunal militaire condamna Debray à trente ans de détention.Après sa libération anticipée , il fut membre du cercle de conseillers du Président décédé Salvador Allende (1908-1973). De retour à Paris, Debray vendit entre autres ses souvenirs de guerilla dans un roman-clé. Une épopée dans laquelle il érigea à la révolutionnaire allemande Monika Ertl (1937-1973 ) un monument littéraire des plus contestables. Des années de romantisme. Pour cette œuvre „ La neige brûle",avec pour sujet crime et amour dans le milieu de la guerilla, Debray a obtenu en 1977 le célèbre prix Femina en France. Au cours des années 90, Debray fut le conseiller en affaires étrangères du Président de la République François Mitterrand (1916-1996) . Des légendes d'une époque révolue
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ZEIT-Magazin, Hamburg
du 24 mai 1979
de Reimar Oltmanns

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Seul un petit escalier de service mène aux combles d'un appartement dans un petit immeuble de la place Dauphine à Paris. Derrière une porte en bois , sans nom, il y a une étroite mansarde. Des livres jonchent partout le sol, des bouteilles de rosé à moitié vides décorent les rayons poussiéreux, des canettes de bière sont au milieu de la pièce, les cendriers débordent de mégots.Le tout petit balcon offre à l'habitant de cet appartement mansardé une vue panoramique sur le vieux Paris, avant tout sur les grandes maisons bourgeoises du quartier universitaire Saint-Michel sur l'autre rive de la Seine.

LE FILS D'ARISTOCRATES

Le maître de maison porte une écharpe jaune clair,une écharpe enroulée deux fois autour du cou et qui tombe jusuq'aux genoux, dessous une chemise bleu-roi , et par-dessus une veste de velours noir élimée- et un pantalon en flanelle grise.Lui, fils d'aristocrates propriétaires en Normandie, ancien étudiant de l'Ecole Nationale Supérieure,le jeune philosophe issu de l'entourage de Jean-Paul Sartre(*1905+1980), le révolutionnaire qui lutta dans la jungle aux côtés de Che Guevara (+1928+1967), qui fut le conseiller du Président chilien Salvador Allende (*1908+1973) et qui resta pendant des décennies l'ami de Fidel Castro. Le théoricien et acteur de la guerilla qui partit en 1965 faire la révolution en Amérique Latine et qui, en 1973, de retour en Europe, compta parmi les plus proches conseillers du chef des socialistes et plus tard chef de l'Etat François Mitterrand (*1916+1996). Cet homme était assis au cours de notre entretien derrière son bureau comme un élève qui s'ennuie à l'internat.

UN CHARISME DEPUIS LONGTEMPS JAUNI

Le charisme du légendaire compagnon de jungle de Che Guevara a depuis longtemps jauni; il est assis face à moi, plutôt emprunté, mal à l'aise. La peau de son visage entourée de cheveux bruns tombant sur ses épaules et la moustache sont palottes. Ses yuex bleus vifs restent sans cesse fixés sur un détail de son appartement, comme si un sombrero pendu au mur pouvait lui donner de l'assurance.„Des interviews",me déclare Debray,"je n'en ai pas donné depuis trois ans. C'est la contrerévolution qui a vaincu en Amérique Latine „.Cet homme âgé maintenant de 38 ans ne veut absolument plus être replongé dans son „passé héroique de révolutionnaire „. Replongé dans une époque où il avait „l'index sur la la gâchette et était stupéfait d'entendre le coup partir tout près" et où „dans sa ligne de mire,il voyait s'effondrer une personne inconnue ".

DES MORTS SUR LE CHEMIN

Trop de morts pavent son chemin „comme de petites pierres noires" (Debray).De ses anciens compagneros dans la forêt bolivienne et des combattants de la guerilla urbaine à La Paz , aucun n'a survécu. Régis Debray ne fut pas exécuté sur place par la police secrète pour la simple raison qu'il était étranger. Un tribunal militaire bolivien le condamna à 30 ans de prison, en 1970, au bout de trois ans de détention,le Pape Paul VI (*1897+1978) et Charles De Gaulle (*1890+1970) obtinrent sa libération. A lui seul, issu du cercle autour de Che Guevara, incomba le privilège de passer de révolutionnaire à réformiste, d'échanger la mitraillette contre la machine à écrire et de tirer un profit littéraire de sa vie clandestine de jadis.

UNE EXISTENCE DE GRINGO

Dans son premier roman „le solitaire „ (traduit en 1976 en allemand ) il se remémorait avec une certaine larmoyance son existence de Gringo au sein du mouvement révolutionnaire latino-américain. Encore plus sentimental bien que plus spectaculaire, son deuxième opus que l'éditeur Classen publia comme bestseller avec un tirage de 20.000 exemplaires. Six ans après le retour de Debray d'Amérique Latine et à une époque où les dictatures militaires avaient depuis longtemps imposé au continent un silence de mort -depuis le milieu des années soixante et jusque dans les années soixante-dix - où les charniers étaient couverts d'une dalle de béton à Cordoba en Argentine et que les camps de concentration étaient pleins en Uruguay,on lit ce livre comme un roman à clé avec d'indéniables traits auotobiographiques. La neige brûle"est l'autocritique et l'aveu d'un camarade qui est tombé amoureux en 1971 à Cuba d'une révolutionnaire d'origine allemande et a préparé avec elle un assassinat politique à Hambourg. Apparamment,un oublié déballe tout ce qui a été oublié.Dans le roman, l'homme s'appelle Boris masi il ressemble tellement à Régis que l'on peut sans aucun problème prendre un nom pour l'autre. Comme Régis, Boris fut incarcéré en Bolivie, comme Régis, il se rendit à sa libération d'abord au Chili mais ensuite directement à Cuba et comme Régis,il fit la connaissance à Miramar d'une femme qui le déconcerta.

UNE GRANDE FILLE BLONDE

Boris/Régis, le romantique hésitant, auquel sa mère a toujours inculqué le rationalisme, fut fasciné par cette „grande fille blonde" qui s'appelle Imilla dans le roman et qui y figure "comme une femme d'action „en première ligne, sans peur d'être vaincue ".

C'est avec un sentiment de jalousie que Boris voyait Imilla saluer seulement le ministere de la Défense Raoul Castro et l'ignorer lui. Cependant il adorait la camarade parec qu'il croyait avoir trouvé en elle l'original "dont je n'étais qu'une copie: l'incarnation de tout ce que me manquait: cette aptitude à s'assumer, à se livrer au hasard et à ne pas accorder une trop grande importance á ses propres problèmes."

Une "déesse de la résistance" - que ce soit faire de faux passeports ou dans des exercices de tir. Debray écrit: "Elle réussissait au tir à la carabine sur 50 mètres. J'yarrivais sur 25 mètres au pistolet et sourtout avec le colt qu'elle maniait avec dextérité".

Même le Chef d'Etat Fidel Castro félicita à l'époque Imilla pour sa précision. Elle en rougit de fierté. Puis on a bu des cannettes de bière sur la terrasse. Et Boris se sentit porté par le même sentiment qu'il éprouva au début des grandes vacances.

Pourtant, malgré l'activité que déployaient Boris et Imilla pour préparer la nouvelle guerilla malgré les nuits de discussions sur leur passé, sur la philosophie du Che et les actions de guerilla, Imilla restait sourde à l'amour dévoué de Boris. Car elle n'aimait pas les gens indécis, les lumières dans le brouillard, les situations pas claires". Bref, pas un homme avec des complexes d'infériorité.

LE POUVOIR DE LA VIRILITE

Par contre, elle prenait son plaisir au cours des nuits cubaines avec le "pouvoir de la virilité". Plus Boris voyait ces amours de passage, plus il perdait confiance en soi. Elle ètait la "putain" qu'il haissait. Il se percevait comme nullité sexuelle, comme le "fond du panier", un homme de "maigre utilité "et bête à manger du foin".

Lorsque réapparut aussi à Cuba le chacal, chef de commando - il avait passé quelques mois en Europe à conspirer - et que Imilla conçut un enfant, Boris ne voulut plus entendre un mot d'espagnol.

Une seule fois il trouva la force de parler espagnol, dans le bureau du Président de l'époque Salvador Allende (*1908+1973). Le docteur comme on appelait Allende toujours avec respect, vêtu de sa veste verte, était assis à un bureau rustique. Avec Boris/Régis, Allende essaya de convaincre Imilla et Carlos qu'il était et ne servait à rien de quitter le Chili pour emporter la guerilla en Bolivie. "Vous ne nous comprenez pas, Président", dit Imilla à Allende, "entrer dans la lutte, c'est un serment que nous avons faits. Le Che nous aurait compris." Sur Allende déclara: "Ce sont des gosses, ils jouent aux hussards, mais ils n'ont pas d'armure!".

LA NOSTALGIE DES CHÂTEAUX

La rupture entre Imilla et Boris était parfaite, Boris eut la nostalgie de son ancienne chambre d'étudiant, de son "château magique" à Paris. La métropole sur la Seine le vit bientôt arriver, mais seulement pour peu de temps car Imilla se manifesta depuis Londres. C'est au numéro 15 de la Tynemouth road à Londres qu'il retrouva son "monstre irrésistible". Son bras gauche avait été recousu après une action de la guerilla en Bolivie, sa main gauche paralysée, des brûlures couvraient tout son corps: il a fallu extraire par césarienne son enfant mort.

VIOLER, TORTURER - TUER

La police secrète et l'armée avaient à La Paz systématiquement passé les pâtés de maisons au peigne fin, détruit tous les dépots d'armes, violé les femmes, torturé les hommes avant de les achever avec des salves de mitraillettes. Tous étaient morts, de même que l'omniprésent commendant Carlos qui avait toujours assuré à Imilla que sa patrie ètait là où il y avait des armes.

Le hasard et sa présence d'esprit avaient à Imilla de se réfugier dans une église catholique. La nuit elle fut transportée discrètement à l'ambassade italienne pour y être opéree. A peine à nouveau sur ses jambes, elle put quitter le paye à des complices-bien sûr avec de faux papiers.

Boris et Imilla restèrent tout d'abord à Londres, mais partirent ensuite pour Paris. Pour l'amoureux transi qu'était Boris, l'amour impossible dans la clandestinité en Amérique Latine semblait enfain devenir réalité. Imilla lui avoua: "Je n'ai plus que toi, Boris. Et elle voulut un enfant de lui.

LE GOÛT POUR LES FINES ETOFFES

Boris, à nouveau fasciné par la vie somptueuse découvrit chez Imilla aussi le goût pour les fines étoffes, la moussline, la batiste, le crêpe de Chine. Dans la cuisine - et pour un fils de grands bourgeois comme Boris, c'est important fit aussi ses preuves. Elle savait faire la différence entra un conflit d'oie d'Amiens et du foie gras des Céyennes, savait si le pâté de lapin de Bresse avait été confectionné avec du beurre ou des ooignons. Des moments de bonheur dans les années de rébellion. C'était un plaisir pour Boris de trouver Imilla tout simplement sexy, loin des réflexions révolutionnaires. Il ne soupçonnait pas qu'il y avait longtemps que sa compagne aux multiples facettes déjà repris du service.

A Londres, elle avait déjà reçu de Raoul Castra, le ministre cubain de la Défense, un message codé. On l'informait que le chef de la police boliviennes, un certain Anaya avait été muté au consulat général à Hambourg. A son sujet, Boris avait déjà dit à Cuba: Quand on est en face de sadiques, on n'a pas le choix, il faut les éliminer" et Imilla avait répondu: "Il serait temps de l'attraper ...".

UN COLT ET UN PISTOLE DANS LES BAGAGES À MAIN

Quelques mois plus tard, elle mit ses paroles en pratique. Elle a convaincu Boris de l'accompagner à Hambourg, Pendant qu'elle traersait la Belgique et la Hollande avec une voiture de location de la marque Opel, avec un colt et un pistolet dans son sac, il prenait un jet à Paris-Orly.

Pour elle, Hambourg était une "ville exacte et virile qui avait presque autont d'horloges que d'arbres". On fit un tour du port, flâna sur les passerelles, alla manger de la soupe à l'anguille à ka capitainerie Övelgönne, voulut même assistet à l'opéra du "Wozzeck " d'Alban Berg. Un couple d'amoureux français en pleine lune de miel à l'hôtel de luxe "Atlantik".

DEGUISEE EN FEMME PASTEUR

De temps en temps, Imilla se rendait dans un meublé à Sankt-Pauli où elle se déguisait en femme pasteur ou en honorable dame patronesse d'une oeuvre de charité, parfois avec perruque, parfois et itinéraires menant à la huppée Heilwigstraße, au numero 125, le siège du consulat bolivien, calculait les secondes vec sa montre, mémorisait les trois étages du bâtiment en briques.

Tout se déroula comme prévu: Avec sa voiture le location, le couple de conspirateurs se rendit sur l'autoroute E 4, direction Hannovre. La sortie Undeloh menait à un petit bois de cônifères au sein de la réserve naturelle Wilseder. C'était ici que Imilla avait enterré les armes sur son chemin pour Hambourg. Tous les deux cessaient de se répéter: "faire attention à tout ne rien oublier, on etstr à la merci du moindre détail anodin". Ils vidèrent la caisse de munitions, un exercice comme jadis à la Havanne. A la difference que, dams la lande du Nord, un sapin leur servait de cible.

"VICTORIA O MUERTE"

Le lendemain, Imilla se trouva au secrétariat du consul général Anaya. Elle se fit passer pour une ethnologue australienne qui avait besoin d'une lettre de recommandation de "Monsieur le Consul" pour n institut de La Paz. Imilla a été obligée d'attendre une demi-heure. Puis, juste après midi, elle se trouva devant le bureau diplomate, elle dit en siuriant "Bonjour, mon colonel". Imilla n'hésita pas longtemps, elle tira trois coups de revolver sur le consul. Aux pieds de sa victime couverte de sang, elle déposa un billet "Victoria o muerte" - La victoire ou la mort.

Lorsque, quelques secondes plus tard, la femme du consul général se précipita dans le bureau, il y eut une bagarre. Imilla porta deux coups de karaté à Senora Anaya et dans sa précipitation, elle laissa sur les lieux la perruque et le revolver. Avant l'arrivée de la police sur les lieux, le couple d'amoureux avait retrouvé sa voiture de location et venait de parvenir à Ohlsdorf, le plu grand cimentière d'Europe. Lentement ils contournèrent l'aéroport de Fuhlsbüttel, évitèrent le centre-ville pour atteindre l'autoroute de Kiel, direction Hannovre.

IL N'Y AURA PAS DE PROCHAINE FOIS

Le lendemain matin, ils avaient atteint Salzbourg, Imilla voulait rendre visite à une amie, Boris faire quelques courses. Lorsqu'il revint à la voiture, il trouva sur lie siège avant de la voiture quelques mots griffonnés au feutre violet: "Merci pour tout, ne m'attends pas, il n'y aura pas de prochaine fois. Victoria o muerte,Ruth (je garde moin vrai nom pour moi)."

113 jours plus tard, Imilla est abatue en Bolivie par des policiers. Le roman de Régis Debray se termine ainsi. Qui furent en reálité Imilla et le cónsul général qu'elle a abattu, cela n'est pas dit.

ROMAN ET REALITE

Cependant quelque chose est clair: à l'époque où se suite l'action du roman, le chef des services secrets boliviens Roberto Quintanilla était consul général à Hambourg. Dans son pays il avait la réputation d'être un redoutable chasseur de guerilleros et qui avait abattu en 1967 Che Guevara ainsi que deux ans plus tard son adjoint Inti Peredo. Le gouvernement de La Paz l'avait éloigné du champ de bataille après avoir détruit toutes les bases de la guerilla et tué leurs occupants. On pensait que Hambourg serait un lieu tranquille pour ce chef des services secrets connu particulièrement sanguinaire. C'était penser juste, à ce 29. mars 1971 où une jeune femme l'abattit dans sons bureau.

IMILLA ETAIT MONIKA ERTL

Au cours de notre interviwe dans sa mansarde parisienne, Régis Debray qu'il connaissait personellement l'auteur de l'attentat - dans son livre Imilla. Mais il affirme n'avoir appris son vrai nom, bien qu'il ait eu une liaison avec elle, que après son assassinat, lorsque des photos d'elle furent publiées dans la presse européenne et américaine: elle s appelait Monika Ertl, était née en 1937´à Munich et avait émigré en Bolivie en 1952 avec son père, le célèbre cameraman Hans Ertl. Après un mariage raté avec un un industriel du nom de Hans Harjes, Monika Ertl avait rejoint les rangs de la guerilla bolivienne.

Régis Debray va chercher dans le rayon deux verres À moutarde propres et sert du cognac. L'action que décrit son roman, il continue à la défendre comme un "acte politique par amour de l'Homme "comme il l'avait formulé plus de dix ans plus tôt pour Che Guevara. Si on soupçonne Debray d'avoir fait son propre portrait dans Boris, alors il s'accuse lui-même indirectement d'être par son livre complice d'un meurtre, La peine minimun pour cela: trois ans de prison, A ce propo il di laconiquement: "Qui peut prouver que j'etais Boris?"

EXPLOSION - FELTRINELLI

En définitive, Debray serait le seul survivant de ce drame. Car, à part Monika Ertl, il n'y avait en Europe qu'un seul compagnon, un homme qui s'appelait Tonio dans les cercles de la guerilla et qui était fiché à la police comme l'éditeur de gauches milanais Giangiacomo Feltrinelli. Il a acheté le 18 juillet 1968 à Milan un colt américain "Cobra 38, spécia "comme le FBI en utilise. C'est, selon les conclusions de l'enquête du procureur général de Hambourg, une balle de cette arme (numéro d'enregistrement 212.607) qui a tué le consul général bolivien Quintanilla.

Feltrinelli s'est donné la mort en 1972 en se faisant exploser. Après la mort de l'éditeur il n'y avait pour Régis Debray aucune raison de protéger quelques protagonistes du meutre de Hambourg. Le chemin était libre pour lui de vendre son histoire de clandestinité, conscient des retombées financières. Le livre "la neige brûle" n'est qu'un début. Régis Debray espère réaliser une percée avec un film, le metteur en scènce en Costa Gravas (auteur de Z) et l'interprète idèale de Imilla serait Romy Schneider.


Règis Debray: Mit einer "Amour foux " vor vielen, vielen Jahren Revolution gemacht




























Der französische Intellektuelle Régis Debray, Sohn einflussreicher Eltern aus dem Groß- bürgertum, wurde 1967 in Bolivien gemeinsam mit dem Revolutionär Che Guevara im Dschungel von Militärs gefasst. "Che" (*1928+1967) wurde einen Tag später - am 9. Oktober 1967 - ohne Gerichtsverfahren erschossen. Régis Debray hingegen blieb die Hinrichtung erspart, weil er Ausländer war. Ein Militärtribunal verurteilte Debray zu einer 30jährigen Haftstrafe. - Märtyrer-Zeiten.
Nach vorzeitiger Entlassung zählte er zum Beraterkreis des 1973 umgekommenen chilenischen Staatspräsidenten Salvador Allende (*1908+1973). Zurück in Paris vermarktete Debray u. a. persönliche Guerilla-Erlebnisse zu einem Schlüsselroman. - Ein Epos, in dem er seiner Geliebten, der deutschen Partisanin Monika Ertl, (*1937+1973) ein höchst zweifelhaftes litera- risches Denkmal setzte. Romantiker-Jahre. Für dieses Werk "La neige brûle" (Der Schnee brennt) über Mord und Liebe im Guerilla-Milieu erhielt Régis Debray im Jahre 1977 den renommierten Prix Femina Literaturpreis in Frankreich. In den achtziger Jahren fungierte Debray als außenpolitischer Berater des da- maligen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand (*1916+1996). - Legenden verflossener Epochen.

ZEITmagazin, Hamburg
vom 24. Mai 1979
von Reimar Oltmanns

Nur ein schmaler, gewundener Dienstbotenaufgang führt auf den Dachboden eines verwinkelten Appartementhauses an der Pariser Place Dauphine. Hinter einer antiken Holztür ohne Namensschild liegt eine schmale Mansarde. Bücher stapeln sich kreuz und quer auf dem Boden, halb leere Rosé-Flaschen zieren verstaubte Regale, Bierdosen stehen mitten im Zimmer, Aschenbecher quellen über. Der winzige Balkon, der aus dem Gipfel ragt, eröffnet dem Hausherrn der Mansardenwohnung ein Weitwinkelpanorama über Alt-Paris, vornehmlich über die großbürgerlichen Häuser im Universitätsviertel Saint Michel, das auf der anderen Seite der Seine liegt.

DER ARISTROKATEN-SOHN

Hausherr Régis Debray trägt einen grell-gelben Schal; zwei Mal um den Hals ge-wickelt, reicht er immer noch bis zu den Knien, darunter en königsblaues Hemd, darüber eine abgewetzte schwarze Samtjacke - und eine Hose aus grauem Flanell.

Er, der Aristokraten-Sohn mit Landsitz in der Normandie, der Elitestudent der Ecole Normale Supérieure, der Jungphilosoph aus dem Dunstkreis Jean-Paul Sartres, der Revolutionär, der mit Che Guevara im Dschungel kämpfte, Chiles Präsident Salvador Allende beriet und noch über Jahrzehnte mit Fidel Castro befreundet war. - Der Theoretiker und Praktiker des Guerillakrieges, der im Jahre 1965 auszog, Südamerika zu revolutionieren und 1973, zurück in Europa, zu den engsten Beratern des damaligen französischen Sozialistenchefs und späteren Staatspräsidenten François Mitterrand (1916 - 1996) avancierte - er kauert bei unserem Gespräch hinter seinem Schreibtisch wie ein gelangweilter Internatsschüler.

CHARISMA LÄNGST VERGILBT

Das Charisma des legendären Che Guevara-Dschungelgefährten ist längst vergilbt; eher unbeholfen und unsicher sitzt er mir gegenüber. Seine Gesichtshaut zwischen schulterlangem brünettem Haar und Schnäuzer ist bläßlich. Seine wiesenflinken blauen Augen halten sich immer wieder an einem Detail seiner Wohnung fest, als ob ihm der an der Wand hängende Sombrero Sicherheit geben könnte.

"Interviews", erklärt Debray, "habe ich schon seit über drei Jahren nicht mehr gegeben. Schließlich hat in Lateinamerika die Konterrevolution gesiegt." Überhaupt will der mittlerweile 38jährige nicht mehr in seine "heldenhaft-revolutionäre Vergangenheit" zurückgeholt werden. In jene Zeit, da er "den Zeigefinger am Abzug hatte und verblüfft war, den Knall aus nächster Nähe zu hören", und wie er sah, "dass zwischen den Bäumen ein Fremder in meiner Visierlinie zusammensackte".

TOTE MARKIEREN SEINEN WEG

Zu viele Tote markieren seinen Weg, "wie kleine schwarze Steine" (Debray). Von seinen alten Companeros aus dem bolivanischen Urwald und den Stadtguerilla-kämpfern in der Hauptstadt La Paz überlebte keiner.

Régis Debray wurde nur deswegen nicht auf der Stelle von der Geheimpolizei exekutiert, weil er Ausländer war. Ein bolivianisches Militärgericht verurteilte ihn zu dreißig Jahren Gefängnis. 1970, nach dreijähriger Haft, erreichten Papst Paul VI. (1897-1978) und Charles de Gaulle (1890-1970) seine Freilassung.

So blieb ihm als einzigem aus dem Che Guevara-Kreis das Privileg, sich vom Revolutionär zum Reformer zu wandeln, die Maschinenpistole mit der Schreib-maschine zu vertauschen und aus den Untergrund-Erlebnissen von einst nun literarisches Kapital zu schlagen.

GRINGO-DASEIN

In seinem ersten Roman "Der Einzelgänger" (deutsch 1976) sann er weinerlich seinem Gringo-Dasein in der lateinamerikanischen Revolutionsbewegung nach. Noch sentimentaler, wenn auch spektakulärer geriet ihm sein Opus zwei, das der Classen-Verlag soeben mit einer Bestseller-Auflage von 20.000 Exemplaren auslieferte.

Sechs Jahre nach Debrays Rückkehr aus Lateinamerika und zu einem Zeitpunkt, da die Militärdiktaturen auf dem Kontinent schon lange - seit Mitte der sechziger bis weit hinein ins siebziger Jahrzehnt - für Friedhofsruhe gesorgt haben, gar die Massengräber im argentinischen Cordoba zubetoniert und die Konzentrationslager in Uruguay überfüllt sind, liest sich das Buch wie ein Schlüsselroman mit unver-wechselbaren autobiografischen Zügen. "Ein Leben für ein Leben" ist Selbstbezichti-gung und Offenbarungseid eines Genossen, der sich 1971 auf Kuba in eine Revolutionärin deutscher Herkunft verliebt und mit ihr gemeinsam einen politischen Mord in Hamburg vorbereitet. Ein Vergessener packt scheinbar Vergessenes aus.

Boris heißt der Mann im Roman, aber er hat zu viele Ähnlichkeiten mit Régis, als dass an der Austauschbarkeit der Namen Zweifel aufkommen könnten. Wie Régis war Boris in Bolivien inhaftiert, wie Régis reiste er nach seiner Freilassung erst nach Chile, dann aber unverzüglich nach Kuba und wie Régis lernte er dort, in Miramar, eine Frau kennen, die ihn aus der Fassung brachte.

GROSSES, BLONDES MÄDCHEN

Boris/Régis, der zaudernde Romantiker, dem seine starke Mutter stets Rationalität gepredigt hatte, war fasziniert von jenem "großen blonden Mädchen", das im Roman Imilla heißt und als Praktikerin "im offenen Visier, ohne Angst besiegt zu werden", charakterisiert wird.

Eifersüchtig beobachtete Boris, wie Imilla nur den damaligen Verteidigungsminister Raúl Castro grüßte, ihn aber links liegen ließ. Trotzdem betete er die Genossin an, weil er glaubte, in ihr das Original gefunden zu haben, "von dem ich nur eine Fälschung war: die leibhaftige Verkörperung all dessen, was mir fehlte: diese Fähigkeit, für sich selbst verantwortlich zu sein, sich dem Zufall auszusetzen und seine eigenen Schwierigkeiten nicht sonderlich ernst zu nehmen".

Eine Göttin der Résistance - ob beim Fälschen von Pässen oder bei Schießübungen. Debray schreibt: "Sie gewann bei den Maschinenpistolen auf fünfzig Meter Entfernung. Ich siegte bei den Pistolen auf 25 Meter, vor allem mit dem Colt 45, der ihr aus der Hand sprang."

Selbst Staatschef Fidel Castro gratulierte seinerzeit Imilla zu ihrer Präzision. Sie errötete vor Stolz. Anschließend wurde Dosenbier auf der Terrasse getrunken. Und Boris erlebte ein Hochgefühl, das er nur als Pennäler zum Beginn der Großen Ferien empfunden hatte.

Doch trotz aller Geschäftigkeit, mit der sich Boris und Imilla auf den neuen Guerillakrieg vorbereiteten, trotz nächtelanger Diskussionen über ihre Vergangenheit, Che-Philosophie und Guerilla-Fakten - von Boris' untertäniger Liebe wollte Imilla nichts wissen. Denn: "Sie mochte keine unentschlossenen Leute, keine Lichter im Nebel, keine undurchschaubare Situation ..." - kurzum keinen Mann mit Minderwertigkeitskomplexen.

MACHT DER MÄNNLICHKEIT

Statt dessen vergnügte sie sich in Kubas Nächten mit "der Macht der Männlichkeit". Je mehr Boris sich ihre flüchtigen Amouren bewusst machte, desto geringer wurde seine Selbstachtung. Sie war "die Hure", die er hasste; er fühlte sich als sexueller Versager, als "zweite Garnitur", ein Mann von "geringer Brauchbarkeit" und "strohdumm".

Als auch noch der Chef eines Kommandos, Carlos der Schakal, wieder auf Kuba auftauchte - er war einige Monate in Europa konspirativ unterwegs gewesen - und Imilla sogleich ein Kind machte, konnte Boris kein Spanisch mehr hören.

Nur einmal raffte er sich auf, spanisch zu sprechen - im Arbeitszimmer des damaligen Staatspräsidenten Salvador Allende (1908-1973). Der Doktor, wie Allende immer respektvoll genannt wurde, saß leger in seiner grünen Joppe an einem rustikalen Schreibtisch. Gemeinsam mit Boris/Régis versuchte Allende , Imilla und Carlos davon zu überzeugen, dass es zweck- und sinnlos war, von Chile aus neuen Guerillakampf nach Bolivien zu tragen. "Sie verstehen uns nicht, Präsident", sagte Imilla zu Allende, "in den Kampf zu ziehen ist ein Eid, den wir halten müssen. Che hätte uns verstanden."

Allende antwortete: "Das sind Kinder. Sie spielen Husar, aber sie haben keine Rüstung."

HEIMWEH ZU DEN SCHLÖSSERN

Der Bruch zwischen Imilla und Boris war perfekt. Boris bekam Heimweh nach seiner alten Bude, seinem "verzauberten Schloss" in Paris. Die Seine-Metropole hatte ihn dann auch bald wieder.

Aber nur für kurze Zeit. Denn es meldete sich Imilla aus London. In einer kleinen Pension an der Tynemouth Road in London N 15 fand er sein "unwiderstehliches Ungeheuer" . Ihr linker Arm war - nach einem Guerilla-Kommando in Bolivien - zusammengeflickt worden, die linke Hand steif, Brandflecken übersäten den ganzen Körper, ihr Kind musste per Kaiserschnitt tot aus dem Unterleib geboren werden.

VERGEWALTIGT, GEFOLTERT - NIEDERGESTRECKT

Systematisch hatten Geheimpolizei und Militärs in La Paz Block für Block durch-kämmt, Waffenlager für Waffenlager ausgehoben, Frauen vergewaltigt, gefoltert, ihre Männer mit MP-Salven niedergestreckt. Alle waren tot - auch der allgegenwärtige Commandante Carlos, der Imilla ständig versichert hatte, dass seine Heimat dort sei, wo es Waffen gibt.

Nur durch Zufall und Geistesgegenwart hatte Imilla sich in eine katholische Kirche retten können. Nachts war sie dann heimlich in die italienische Botschaft gebracht und operiert worden. Kaum auf den Beinen, hatten Helfer sie außer Landes geschleust - mit falschen Papieren natürlich.

Zunächst blieben Imilla und Boris in London, gingen dann aber nach Paris. Für Schwärmer Boris, so schien es, sollte die gescheiterte Liebe aus dem lateinamerika-nischen Untergrund doch noch Wirklichkeit werden. Imilla gestand ihm: "Ich habe nur noch dich, Boris." Und ein Kind wollte sie auch von ihm haben.

VORLIEBE FÜR FEINE STOFFE

Boris, vom großzügigen Leben wieder fasziniert, entdeckte auch bei Imilla eine Vorliebe für die feinen Stoffe von Paris, für Mousselin, Batist, Crêpe de Chine. In der Küche - und für einen Großbürgersohn wie Boris ist dies wichtig - bewies sich die Genossin ebenfalls. Sie wusste zu unterscheiden, ob Entenpastete aus Amiens oder Gänseleberpastete aus den Cevennen, Hasenpastete aus der Bresse in Butter oder in Zwiebeln gebraten waren. - Glücksmomente in Rebellen-Jahren.

Boris genoss es, Imilla ganz ohne revolutionäre Reflexionen einfach sexy zu finden, Er ahnte nicht, dass die vielseitige Gefährtin längst wieder im Einsatz war.

Bereits in London hatte sie von Raúl Castro, dem kubanischen Verteidigungs-minister, eine chiffrierte Information bekommen. Sie enthielt die Mitteilung, dass der Chef der politischen Polizei Boliviens, ein gewisser Anaya, an das Generalkonsulat nach Hamburg versetzt worden sei. Über ihn hatte Boris schon auf Kuba gesagt: "Wenn man Sadisten gegenübersteht, muss man sie wohl oder übel ausschalten." Und Imilla hatte geantwortet: "Es wäre an der Zeit, ihn zu erwischen."

COLT UND PISTOLE IM HANDGEPÄCK
Wenige Monate später sollte sie ihre Worte wahr machen. Sie überredete Boris, mit ihr nach Hamburg zu fahren. Während sie mit einem Leihwagen, Marke Opel, über Belgien und Holland reiste, Colt und Pistole im Handgepäck, startete er mit dem Jet in Paris-Orly,

Hamburg war für sie eine "männliche und exakte Stadt, die beinahe soviel Uhren wie Bäume hat". Man machte eine Hafenrundfahrt, flanierte über die Landungsbrücken, ging ins Övelgönner Fährhaus Aalsuppe essen, wollte sich gar in der Staatsoper Alban Bergs "Wozzeck" ansehen - ein französisches Pärchen in den Flitterwochen, ein-quartiert im Nobelhotel "Atlantik".

ALS PASTORENFRAU VERKLEIDET

Zwischendurch zog Imilla sich in einer St. Pauli-Absteige um, verkleidete sich als Pastorenfrau oder rechtschaffene Dame eines Wohltätigkeitsvereins mal mit, mal ohne Perücke, stellte ihr Auto am Hauptbahnhof ab, fuhr mit der U-Bahn bis zum Klosterstern, eruierte Kreuzungen und Straßenzüge bis hin zur vornehmen Heilwigstraße 125, dem Sitz des bolivianischen Konsulats, stoppte mit ihrer Uhr die Sekunden, prägte sich den dreistöckigen Backsteinbau ein.

Alles lief nach Plan: Mit dem Leihwagen begab sich das konspirative Paar auf die Autobahn E 4 Richtung Hannover. Die Abzweigung Undeloh führte zu einem kleinen Kiefernwald im Wilseder Naturschutzgebiet. Auf der Hinfahrt nach Hamburg hatte Imilla hier die Waffen vergraben. Immer wieder schärften sich die beiden ein: "Alles berücksichtigen, nie vergessen, schon einem unbedeutenden Detail kann man ausgeliefert sein." Sie verschossen eine Kiste Munition im Übungsstil wie einst in Havana. Nur mit dem Unterschied, dass in der Nordheide ein Tannenbaum ihre Zielscheibe war.

"VICTORIA O MUERTE"

Am nächsten Tag stand Imilla im Sekretariat des Generalkonsuls Anaya. Sie gab sich als australische Ethnologin aus, die vom "Herr Konsul" eine Empfehlung für ein Institut in La Paz benötigte. Eine halbe Stunde musste Imilla warten. Dann, kurz nach zwölf, stand sie vor dem Diplomatenschreibtisch. Sie lächelte: "Guten Tag, Herr Oberst!"

Imilla fackelte nicht lange. Drei Revolverschüsse feuerte sie auf den Konsul ab. Zu den Füssen des blutüberströmten Opfers legte sie einen Zettel: "Victoria o Muerte" - Sieg oder Tod.

Als Sekunden später die Frau des Generalkonsuls ins Büro stürzte, kommt es zu einem Handgemenge. Imilla versetzt Senora Anaya zwei Karateschläge und lässt in der Eile Perücke und Revolver am Tatort zurück.

Noch bevor die Hamburger Polizei am Tatort eintraf, saß das Flitterpaar Boris und Imilla schon wieder in seinem Mietwagen und erreichten gerade Ohlsdorf, den größten Friedhof Europas. Gemächlich umfuhren sie den Flughafen Fuhlsbüttel, steuerten um das Stadtzentrum herum und über die Kieler Autobahn Richtung Hannover.

ES GIBT KEIN NÄCHSTES MAL

Am nächsten Morgen erreichten sie Salzburg. Imilla wollte eine Freundin besuchen, Boris ein paar Besorgungen machen. Als er zum Wagen zurückkehrte, fand er auf dem Vordersitz eine kleine Notiz, geschrieben mit violettem Filzstift: "Danke für alles. Warte nicht auf mich. Es gibt kein nächstes Mal. Victoria o muerte - Ruth (meinen richtigen Namen behalte ich für mich)."

Hundertdreizehn Tage danach wird Imilla in Bolivien von Polizisten erschossen.

So endet der Roman von Régis Debray. Wer Imilla und der von ihr ermordete Generalkonsul in Wirklichkeit waren, bleibt verborgen.

ROMAN UND WIRKLICHKEIT

Fest steht jedoch: Zu der Zeit, da der Roman spielt, war der einstige bolivianische Geheimdienstchef Roberto Quintanilla Generalkonsul in Hamburg. In seiner Heimat galt er als meistgefürchteter Guerilla-Jäger, der 1967 Che Guevara und zwei Jahre später dessen Stellvertreter Inti Peredo zur Strecke gebracht hatte. Die Regierung in La Paz hatte ihn aus dem Schussfeld gezogen, nachdem alle Guerillabasen im Lande ausgehoben und ihre Besatzungen ermordet worden waren. Hamburg, so dachte man, sei für den als besonders blutrünstig bekannten Geheimdienstchef ein ruhiger Platz. Das traf auch zu - bis zum 29. März 1971, als ihn eine junge Frau in seinem Büro erschoss.

IMILLA WAR MONIKA ERTL

Im Laufe unseres Interviews in der kleinen Pariser Mansarde bejahte Règis Debray, dass er die Attentäterin - in seinem Buch Imilla - persönlich kannte. Ihren wahren Namen will er aber, obwohl er ein Verhältnis mir ihr hatte, erst nach ihrer Er-mordung erfahren haben, als Fotos von ihr in der europäischen und der ameri-kanischen Presse veröffentlicht wurden: Sie hieß Monika Ertl, war 1937 in München geboren worden und mit ihrem Vater, dem bekannten Kameramann Hans Ertl, 1951 nach Bolivien ausgewandert. Nach gescheiterter Ehe mit einem Industriellen namens Hans Harjes hatte sich Monika Ertl der bolivianischen Guerillabewegung angeschlossen.

Régis Debray holt zwei ausgewaschene Senfgläser aus dem Regal und schenkt Cognac ein. Die Tat, die sein Roman beschreibt, verteidigt er noch heute als "politische Tat aus Liebe zum Menschen", wie er vor mehr als einem Jahrzehnt für Che Guevara formulierte. Unterstellt man, dass sich Debray in Boris selbst porträtiert hat, dann bezichtigt er sich mit seinem Buch indirekt der Beihilfe zum Mord - Mindeststrafe drei Jahre Freiheitsentzug. Dazu sagt er lakonisch: "Wer kann beweisen, dass ich Boris war?"

IN DIE LUFT GESPRENGT - FELTRINELLI

Schließlich wäre Debray der einzige Überlebende dieses Dramas. Denn neben Monika Ertl gab es in Europa nur noch einen Mitverschwörer, einen Mann, der in Guerillakreisen Tonio hieß und für die Polizei mit dem Mailänder Linksverleger Giangiacomo Feltrinelli identisch ist. Er hat am 18. Juli 1968 in Mailand einen amerikanischen Colt"Cobra 38 Special" gekauft, wie ihn das FBI benutzt. Durch eine Kugel aus der Waffe (Registriernummer 212.607) wurde der bolivianische General-konsul Quintanilla, den Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft zufolge, erschossen. Feltrinelli sprengte sich 1972 in die Luft.

Nach dem Tod des Verlegers gab es für Régis Debray keine Ursache mehr, irgendwelche an dem Hamburger Mord Beteiligten zu schützen; der Weg war für ihn frei, seine Untergrund-Geschichte tantiemenbewusst zu vermarkten. Das Buch "Ein Leben für ein Leben" ist erst der Anfang. Den großen Durchbruch erhofft sich Régis Debray von der Verfilmung. Costa Gavras ("Z") soll Regie führen, und auch die ideale Darstellerin der Imilla haben sie schon im Auge: Romy Schneider.