Mittwoch, 14. August 1974

Axel Springer: Nun adé, du schöne Welt - die fetten Jahre sind vorbei






































Axel Cäsar Springer (*2. Mai 1912 in Hamburg-Altona;+ 22. September 1985 in Berlin) ist die umstrittenste, angefeindeteste und auch verehrteste Verleger-Persönlichkeit der deutschen Nachkriegsgeschichte

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stern, Hamburg
14. August 1974,
27. Februar 1975
11. März 2009
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von Reimar Oltmanns
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Ende der sechziger Jahre forderten revoltierende Studenten der Außerparlamentarischen Opposition (APO): "Enteignet Springer". Auslöser war die Erschießung des Berliner Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967. Dieser Tod galt als Höhepunkt einer einseitigen, verhetzenden Berichterstattung der Springer-Presse, vornehmlich dem Boulevard-Blatt BILD, gegen eine vorwiegend linksgerichtete Studentenschaft. (BILD -Zeitung hat in Deutschland eine Reichweite von täglich 11,49 Millionen Leser am Tag, 2007). Dem Verleger Axel Cäsar Springer verstand sich als Speerspitze gegen sozialistische Ideen aus dem Osten und als Bollwerk gegen die studentische APO unter Rudi Dutschke (*1940+1979 ). Feindbilder.
SPRINGER "FREIWILLIG ENTEIGNEN"
Sechs Jahre später - nach den APO-Springer-Krawallen - will sich Deutschlands umstrittenster Großverleger Axel Cäsar Springer freiwillig entgegen - gegen bar. Einen Käufer freilich hat er bislang noch nicht gefunden. Deshalb macht sich Springer jetzt daran, sein Pressehaus zu renovieren: Die preisdrückenden Verlustobjekte, in erster Linie Springers ideologische Parade-Zeitung "Die Welt" sollen ausgeforstet werden. Auflagen-Verluste, Verluste-Geschäfte begleiteten das bürgerlich-konservative Weltbild dieses Blattes seit seiner Gründung im Jahre 1946.
HELMUT HORTEN'S KAUFHÄUSER
Seit Wochen bemüht sich der Hamburger Multi-Millionär, mindestens ein Viertel seines Imperiums an zahlungskräftige Banken zu verkaufen. Auch für den Springer Verlag (Bild-Zeitung, Die Welt, Hör Zu, Hamburger Abendblatt, Berliner Morgenpost etc. usf.) sind die einträglich fetten Jahre in der Zeitungsbranche vorbei. Der Gesamtwert des einstigen Milliarden-Unternehmens rutscht auf dem freien Markt zunehmend tiefer in den Keller. Schon erkannte die München erscheinende Süddeutsche Zeitung einen neuen heimatlosen Rechten: "Ein Teil der Beobachter meint, Axel Springer wolle wie vordem Helmut Horten schlicht Kasse machen und von einem ausländischen Domizil aus am Drücken bleiben." - Bekanntlich hatte Helmut Horten (*1909+1987 ) in den Jahren 1969 auf 1970 seinen Kaufhaus-Konzern in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. So konnte er seinen Anteil verkaufen, sich aus dem Warenhaus-Geschäft im seinem Bar-Vermögen ganz in die Schweiz zurückziehen.
KAUFPREIS SACKT IN DEN KELLER
Aber bisher waren weder die Bayerische Landesbank noch die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank bereit, für einen 25prozentigen Anteil am Hamburger Konzern 200 Millionen Mark auf den Tisch zu legen. Sie boten lediglich 175 Millionen. Ein prominenter Bankier, der natürlich nicht genannt werden will, mutmaßte: "Wenn Herr Springer nicht schnell macht, sackt der Preis noch weiter ab." - Atemnot, Zugzwang.
"DIE WELT" MUSS DRAN GLAUBEN
Deshalb will Axel Springer jetzt sein Objekt für Finanzmärkte wieder attraktiver machen. Beizeiten gab er die Devise aus: "Wenn schon verkauft wird, muss der Laden von innen her in Ordnung sein. Denn wer kauft schon Verluste." Springer-Verluste auch aus geschlagenen Schlachten gegen die APO-Generation vergangener Jahre. Und verlustreich ist vor allem Springers durch Krisen und reaktionären Durchhalteparolen der Ausgrenzung wie Stigmatisierung Andersdenkender - eben sein Flaggschiff "Die Welt". Sie ist schon das Springers Herzstück, verschlingt aber zugleich Unsummen an Zuschüssen; allein im Jahre 1973 über 26 Millionen Mark. Eine überregionale Tageszeitung, die noch ein weiteres Viertelhundert Jahr für Jahr Millionenverluste einfahren sollte - erst im Jahr 2007 so genannte "schwarze Zahlen" notierte.
AUFLAGEN-EINBRÜCHE
Damals, in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, rangierte die rechts-konservative Zeitung noch an dritter Stelle unter den größten deutschen Tageszeitungen. Sie ist mittlerweile mit 231.153 verkauften Exemplaren (1973) auf Platz zwölf abgefallen. Seit jenem Einbruch haben sich die Gesinnungsschreiber aus der rechten Ecke nicht mehr merklich erholen können; verzeichnete die Auflage nach 24 Jahren einen geringfügige Plus nahezu 49.000 Zeitungen.
KOMMEN UND GEHEN
Verständlich, dass die innere Beschaffenheit dieses Blattes bei relativ kleiner Auflage mit überaus hohem Sendungs-Bewusstsein, keinem der Chefredakteure Atem ließ, aus der Kontinuität heraus Erneuerung, Aufgeschlossenheit zu entwickeln - Tabu-Zonen zu kippen. Bei Springers Welt galt nun einmal die Losung - alle drei Jahre wieder steht ein neuer Chefredakteur im Vorzimmer. Fünfzehn Männer gaben sich seit Kriegsende im Durchschnitt nach 36 Monaten abermals die Klinke in die Hand; von einigen Ausnahmen einmal abgesehen. Springer Welt - ein Taubenschlag. Aber auch das unentwegte Auswechseln, Einwechseln der Chefredakteure - des ultrarechten Gesundbeters Herbert Kremp bis hin zum aalglatt auftretenden Pragmatiker Wolf Schneider ( "Wörter machen Leute", 1986) - konnte das "ramponierte Ansehen" der Welt ("Süddeutsche Zeitung") kaum verbessern. Im Vergleich zum zweiten Quartal 1973 gewann das Springer-Blatt in diesem Jahr nur 1.084 Leser hinzu, während beispielsweise die Frankfurter Allgemeine Zeitung immerhin 10.531 neue Abonnenten fand. Springers Allein-Vorstand Peter Tamm (1968-1991) gesteht: "Die Welt ist eines unserer Hauptthemen. Sie könnte besser sein." Und Springers Büro-Chef Claus-Dieter Nagel räumt ein, dass Die Welt und Welt am Sonntag auf der für Anzeigenkunden wichtigen offiziellen Auflagen-Skala der IVW-Liste, "schwache Kunden" sind. Dazu plagen den Großverleger Gewinneinbußen der kapitalkräftigen Fernsehzeitschrift "HörZu" von zehn Millionen Mark im vergangenen Jahr 1973.
EINBLICKE INS EINGEMACHTE
Wenn einer derlei Einblicke ins Eingemachte hatte, dann war es eben Claus-Dieter Nagel. Fünfzehn Jahre hatte Springer Adlatus gemeinsam mit dem seinem Herrn aus seinem Verlagshaus auf Stacheldraht wie Todesstreifen der Berliner Mauer geschaut. Fünfzehn Jahre lang verband ihn eine tief empfundene Religiosität und der Glaube an die deutsche Einheit mit Axel Cäsar Springer; beteten gelegentlich miteinander. Und schließlich fünfzehn Jahre waren beide zutiefst davon überzeugt, dass immer noch "Männer Geschichte machen, Geschichte schreiben" - ihre lädierte Tageszeitung Die Welt auch nur von einer starken Männer-Hand aus der Misere geführt werden könne.
NEUE MÄNNER BRAUCHT DIE "WELT"
Folglich steht wieder ein möglicher neuer Schriftleiter für Springers Führungscrew schon in Reserve. Der von der Wirtschaftswoche abgesprungene Chefredakteur Claus Jacobi ( Spiegel, Welt am Sonntag, Wirtschaftswoche, Bild-Zeitung) unterschrieb einen Fünf-Jahres-Vertrag. Wie auf dem üppigen Transfert-Markt für Bundesliga-Fußballer hatte der Hanseat Jacobi seine "Ablösesumme" in die Höhe getrieben, einen Chefposten in München abgelehnt. An der Isar sollte er die mit abgebildeten Frauenbrüsten in die Jahre gekommene Illustrierte Quick (1948-1992) mit frischen Sex-Geschichten ("Lass jucken Kumpel") liften. - Personen-Geschachere, Postillen-Rochaden im Namen der Pressefreiheit.
TICKEN EINER ZEITBOMBE
Dessen ungeachtet tickt im Hause des Großverlegers eine ganz andere Zeitbombe. Für dem explosiven Zündstoff sorgte der Konzernherr diesmal persönlich. Im Sommer 1974 kam der Pressezar mit einem Herrn Specht in Verbindung, der sich andiente, eine Millionenbeteiligung des Schahs von Persien (Mohammad Reza Schah Pahlavi *1919+1980) am Springer-Verlag zu vermitteln. Mit derBeziehung Springers zu Dr. Alfred Specht muss sich jetzt eine Kammer für Handelssachen beim Berliner Landgericht (Aktenzeichen: 90.0.18/75) beschäftigen. Der Grund: Der Kaufmann und Antiquitätenhändler Alfred Specht,44, fordert für seine Vermittlungsbemühungen rund 600.000 Mark.
SCHAH-BETEILIGUNG BEI SPRINGER
Specht, der dem Verleger schon Jugendstil-Antiquitäten im Wert von 80.000 Mark verkauft hatte, behauptet, am 19. August 1974 von Axel Cäsar Springer in dessen Berliner Privathaus , in der Bernadottenstraße 7, beauftragt worden zu sein, "alles zu unternehmen, was er für die Realisierung einer direkten oder indirekten Beteiligung Persiens an der Springer Verlags AG für erforderlich halte". So steht es in Spechts Klageschrift an das Gericht. Und dies: Bei der vertraulichen Besprechung im Kaminzimmer soll Axel Cäsar Springer sogar Verständnis dafür gezeigt haben, dass Specht seinen Verbindungsleuten "Schmiergelder" zahlen müsse, denn er "wisse von Berthold Beitz (Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrates der ThyssenKrupp AG, 1990) was für enorme Beträge dort für solche Zwecke hätten fließen müssen", um die Beteiligung Persiens bei Krupp perfekt zu machen (1974).
EIN SPECHT WOLLTE HOCH HINAUS
Auch Porschefahrer Alfred Specht wollte ganz hoch hinaus. Er kaufte am 23. August 1974 die Genfer Briefkastenfirma "Real-Treuhand-AG" für 59.600 Schweizer Franken. Über dieses Tarn-Unternehmen sollte Persien seine Anteile bei der Axel-Springer AG in Berlin einbringen. Am selben Tag - so die Anklageschrift Spechts - habe er "mit der zwischengeschalteten PR-Interessengemeinschaft, der deutsche, schweizerische und persische Journalisten angehörten und die über entsprechende Verbindungen zum persischen Staat verfügten ... ...die Zahlung einer einmaligen Summe von 500.000 Mark" vereinbart. Für diesen Betrag habe er dem Münchner Journalisten Siegfried Dinser einen Wechsel gegeben.
HOTEL-SUITE 900/901
Nach seinen Angaben flog Antiquitätenhänder Alfred Specht am 27. August 1974 mit Axel Cäsar Springer von Berlin nach Düsseldorf. In der Suite 900/901 des Hotels "Intercontinental" trug Specht nun auch dem früheren Springer-Berater und heutigen Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch (1973-1982) seine Persien-Pläne vor. Noch am selben Abend, so versprach Specht, könne Axel Cäsar Springer mit dem Schah in Zürich zusammentreffen. Doch daraus wurde nichts. "Innenpolitische Gründe", so erklärte der Kaufmann dem Presseherrn bedauernd, hielten den Kaiser in seinem Land zurück.
GROSCHEN FIEL PFENNINGWEISE
Da fiel bei Springer endgültig der Groschen, zumal Eberhard von Brauchitsch seinen einstigen Chef vor Specht und dessen Geschäftspartners gewarnt hatte. Dem Manager war aufgefallen, dass Specht dem Iran-Botschafter in Washington als "Schlüsselfigur" bei dem Geschäft bezeichnete, aber noch nicht einmal dessen Namen korrekt wiedergeben konnte. Außerdem fürchtete Brauchisch, Spechts "iranische Freunde" existierten überhaupt nicht.
SPIONAGE-VERDACHT
Obwohl danach "die Angelegenheit für Axel Cäsar Springer erledigt" war, wie es in der Erwiderung auf die Specht-Klage heißt, brach der Pressezar die Kontakt zu dem zwielichtigen Antiquitätenhändler nicht ab. Der inzwischen eingeschaltete Vorstand der Axel Springer AG hatte gegenüber dem Verleger die Befürchtung geäußert, Specht könne "Absichten verfolgen, die hinter dem Eisernen Vorhang beheimatet sind". Springer - wie weiland Willy Brandt mit dem Spion Günter Guillaume (1974) sollte mit Alfred Specht noch eine Zeitlang Kontakt halten, um ihn als möglichen Ost-Agenten zu enttarnen. In seinem Schriftsatz beklagt Springer-Rechtsanwalt Hans-Joachim Rust, dass Specht "dies zum Anlass nahm, hinter seinem Rücken weiter zu operieren".
BOTSCHAFTER IN USA BESTOCHEN
So habe Alfred Specht am 8. Oktober 1974 dem Verleger erklärt, "er habe die iranische Angelegenheit dadurch weiter gefördert, dass er den iranischen Botschafter in Washington mit 500.000 Mark bestochen und diesen Betrag auch schon überwiesen habe. Specht hingegen bestreitet das, bleibt aber dabei, dem Journalisten Dinser einen 500.000 Mark-Wechsel gegeben zu haben. Wie auch immer - Axel Cäsar Springer ist nicht bereit dafür aufzukommen. Nun hofft Specht auf das Gericht, denn das Wasser steht ihm bis zum Hals. "Ich habe kein Geld mehr." - Deutsches Sittengemälde - Springer-Jahre aus den Siebzigern.

Donnerstag, 8. August 1974

Bonner Polit-Affären: "Nur Weiber im Kopf"
























Sie hatten ein stillschweigendes Abkommen, der SPD-Politiker Ludwig Fellermaier (*1930+1996) und der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Leo Wagner (*1919+2006). Sie wollten sich wegen ihrer Zecherlebnissen und unendlichen Weiber-Affären nicht gegenseitig anschwärzen. Einvernehmliches Stillschweigen. Männer-Bünde. Bayern in Bonn. Warum die Staatsanwaltschaft dennoch wegen einer Bettgeschichte gegen den Genossen Fellermaier ermittelte, und sein CSU-Kollege Leo Wagner wegen "Verschwendungssucht" in Bars und Bordellen rechtskräftig verurteilt wurde. Jagdszenen aus den siebziger Jahren. Einmal muss es ins Auge gehen.


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stern, Hamburg
08. August 1974
von Reimar Oltmanns
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Einst machte sich der Genosse Ludwig Fellermaier in der bayerischen Unterwelt als Rausschmeißer und Geschäftsführer der Neu-Ulmer "Insel-Bar" einen Namen. Dann verschreckte er die Bürger als Gebrauchtwagenhändler. Jetzt ist der SPD-Bundestagsabgeordnete (1965-1980) und Chef der Sozialistischen Fraktion im Europa-Parlament (1975-1979) in eine pikante Scheidungsaffäre verstrickt.
"AMÜSANTES BETTERLEBNIS"
Seit zwei Monaten ist die Bonner Staatsanwaltschaft Fellermaier auf der Spur. Ein Ermittlungsverfahren (Aktenzeichen 8 Js 288/74) ist inzwischen eingeleitet worden: Bundestagspräsidentin Annemarie Renger (1972-1976: *1919+2008) wurde informiert. Der Grund für die Strafverfolgung: Weil Fellermaiers Intimfreund, der Münchner SPD-Landtagsabgeordnete Edi Hartmann (1970-1986) seine Frau Uta loswerden wollte, aber keinen Scheidungsgrund hatte, behauptete der Europa-Politiker Fellermaier vor dem Bonner Amtsgericht, mit Uta Hartmann in seiner Bonner Abgeordneten-Absteige am Rhein ein amüsantes Betterlebnis gehabt zu haben. Fellermaier: "Vor einer Fahrt nach Luxemburg fand zwischen mir und Uta Hartmann einmal Geschlechtsverkehr statt." - Gezeichnet Ludwig Fellermaier, Abgeordneter des Deutschen Bundestages.
SEX UND WÜNSCHE
Die Mutter von zwei Kindern ließ diese Unterstellung nicht auf sich sitzen: "Das sind die Wunschvorstellungen von Herrn Fellermaier." Und ihr Rechtsanwalt Heinrich Borst beschuldigt den rechten Sozialdemokraten der Falschaussage, üblen Nachrede und der Beihilfe zum Prozessbetrug. Der erboste Advokat, früher einmal Staatsanwalt, gibt sich zuversichtlich: "Ich stelle nur Strafanträge, die Erfolg haben."
FRAUEN-PRANGER
Der Rechtsbeistand glaubt belegen zu können, dass Fellermaiers Aussagen vor Gericht dem Steuerbevollmächtigten Edi Hartmann aus der Patsche helfen sollte. Männer-Solidarität. Denn Fellermaier (Spitzname in der Partei: der schwitzende Lu) trat in dem Scheidungsprozess erst als Zeuge auf, nachdem sich die Gerichtsverhandlungen schon über 18 Monate hingeschleppt hatten und zwölf Zeugen vernommen warten. Anwalt Borst: "Alle Zeugen konnten keinen Beweis für Uta Hartmanns Untreue liefern." Die attraktive 29jährige über Fellermaiers Aussage: "Mein Mann hat in sicherlich unter Druck gesetzt." An Druckmitteln ist kein Mangel, bis hin zu Fellermaiers Familienleben.
AUSHÄNGESCHILDER
Fellermaier und Hartmann, die man "in ihrer moralischen Wirkung nicht unterschätzen darf", so die Stuttgarter Zeitung ironisch, sind nicht nur die politischen Aushängeschilder der Neu-Ulmer SPD in dieser idealistisch vorgetragenen Reform-Ära. Sie sind daneben auch sehr erfolgreich, wenn es um Geld und Mädchen geht.Jurist Heinrich Borst sarkastisch: "Wenn man all diese Akten so liest, kann man den Eindruck haben , als hätten diese Politiker nur Weiber im Kopf und sonst nicht mehr viel."
GEHEIME ABSTEIGE
Ihr geheimer Treffpunkt war jedenfalls der "Bärringer Hof" im abgelegenen Provinzdorf Ettenbeuren. Ihre Spielwiese ein verstecktes Etablissement in Reutin, einem Stadtteil von Lindau am Bodensee. Altgenosse Herbert Fleischer, Gastwirt im "Bärringer Hof", erinnert sich an die nächtlichen Barbesuche der Neu-Ulmer SPD-Prominenz: "Bei mir waren sie oft mit Weiber. Danach sind sie dann in das Appartement in Reutin gefahren." Der "schwitzende Lu" Fellermaier zu diesen Vorwürfen: "Das ist alles lächerlich."
MIESE TRICKS
Doch Neu-Ulms Justitiar, der FDP Landtagsabgeordnete Hans Willi Syring (1970-1974) lässt dieses Dementi nicht gelten: "Ich bin damals wegen der Machenschaften von Hartmann und Fellermaier aus der SPD ausgetreten." So hatte sich Edi Hartmann 1972 in München einen besonderen miesen Trick einfallen lassen, um seine Frau loszuwerden.
SEITENSPRÜNGE
Auf der Suche nach Beweisen für Seitensprünge seiner Frau alarmierte er unter Hinweis auf sein Abgeordnetenmandat die Polizei, als er Uta Hartmann mit dem Kaufmann und Hausfreund Erich Hupp im "Hotel an der Oper" vermutete.
POLIZEIEINSATZ FÜR EINEN FLIRT
Den Münchner Uniformierten machte Hartmann die Notwendigkeit des Einsatzes mit "staatspolitischen" Argumenten schmackhaft: Seine Frau habe ihm "geheime Notizen über die Ostpapiere (Grundlagen-Vertrag mit der DDR) und 2.000 Mark gestohlen und treffe sich gerade mit dem Ostspion Hupp im besagten "Hotel an der Oper". Hartmanns Plan freilich ging nur teilweise auf. Sechs Polizisten erwischten Frau Uta und Erich Hupp nur bei einem harmlosen Flirt, der als Scheidungsgrund aber nicht ausreichte. Und Geheimpapiere sowie 2.000 Mark fanden die Fahnder auch nicht. Denn Edi Hartmann hatte zu keiner Zeit Zugang zu vertraulichen Ostpapieren. Trotz Strafanzeige und Aufhebung der Immunität des SPD-Genossen durch den Bayerischen Landtag musste sich Politiker Hartmann vor keinem Gericht verantworten. Die Justiz schickte nur einen Strafbefehl.
KRONZEUGEN
Ganz so harmlos wird sein Freund Fellermaier dagegen nicht davonkommen. Er muss befürchten, dass der Bundestag seine Abgeordneten-Immunität schon bald aufheben und die Staatsanwaltschaft dann Anklage wegen falscher Aussage und übler Nachrede erheben wird. Kronzeuge der Anklage ist der Münchner CSU-Bundestagsabgeordnete Günther Müller (*1934+1997; von der SPD zur CSU gewechselter Münchner Bundestagsabgeordneter 1965-1994). Er will unter Eid aussagen, dass Uta Hartmann mit Fellermaier keinen Seitensprung begangen hat, weil sie an dem fraglichen Abend mit dem Sozialdemokraten nicht allein war.
"RHEIN-LUST"
Vielmehr habe Uta Hartmann zunächst mit Fellermaier , dem Kaufmann Hupp und ihm im Bonner Prominentenlokal "Maternus" in Bad Godesberg diniert und dann in der "Rheinlust" in Bonn-Kessenich, der ehemaligen Stammkneipe der SPD-Hinterbänkler um Bundesminister Egon Franke (*1913+1995) , den legendären "Kanalarbeitern" gezecht. Nach einem weiteren Lokalwechsel sei sie dann gegen 2 Uhr mit einem Taxi ins Hotel gefahren.
HOFFEN AUF LEO
Fellermaier kann nur noch hoffen, dass der CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer und Neu-Ulmer Kollege und Direktkandidat Leo Wagner (*1919+2006; CSU-MdB 1961-1976) seinen Parteifreund Müller zurückpfeift. Denn bisher galt zwischen Wagner und seinem sozialdemokratischen Konkurrenten in Neu-Ulm das stillschweigende Abkommen, sich wegen Zecherlebnissen inklusive Weiberaffären nicht anzuschwärzen. Augenzwinkern. Denn meist abends, wenn im Plenarsaal die Liveberichte für " die da draußen im Lande" zu Ende waren, vertauschte gleichsam der staatstragende CSU-Politiker Leo Wagner seine Rolle in die des schlüpfrigen Lebemanns. In kuscheligen Bordellen und grellen Bars um Bonn und Köln gab der bayerische Biedermann pro Abend zwischen zwei- und viertausend Mark für Champagner, Kaviar und Mädchen aus. Gerade deshalb baut der SPD-Genosse darauf, dass sich "Night-Club Leo" wegen dieser Übereinkunft "unter uns Männern" auch verpflichtet fühlt, seine Gesinnungsfreunde von Attacken auf Fellermaiers Lebenswandel abzuhalten. Bislang allerdings hat CSU-Politiker Leo Wagner nichts getan, um die gefährliche Aussage seines Kollegen Günther Müller zu verhindern. Rätselraten.
FINANZDEBAKEL
Verständlich. Leo Wagner plagte eine düstere Vorahnung. Schon wenige Monate nach dem Fellermaier-Sumpf musste er wegen seines eigenen nächtlichen Großmannsgehabe das herausragende Amt eines parlamentarischen Geschäftsführers niederlegen. Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Der Grund war sein Finanzdebakel, Schulden über Schulden. Er wurde fünf Jahre später (1980) von der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten mit Bewährung und 168.000 Mark Geldbuße verurteilt. Der frühere Pädagoge Wagner hat, so die Richter, seit Ende der sechziger Jahre über seine Verhältnisse gelebt und sich - bei einem Monatseinkommen von über 11.000 Mark - in "zunehmender Verschwendungssucht" in undurchsichtige Kreditgeschäfte verstrickt. Betrug deshalb, weil er längst verpfändete Bezüge oder auch Bundestagsdiäten hinterhälterisch nochmals als neue Sicherheit für die horrenden Geldforderungen anbot; eben wissentlich abtrat, obwohl längst nichts mehr zu holen war - gar nichts.
VORAHNUNG EINES DESASTERS
Ludwig Fellermaier kannte Wagners Milieus, Puffs, Pornos, Bars und Busen nur zu genau. Er, der Mann aus kleinen Verhältnissen, ahnte beizeiten, dass er der Rolle eines Lebemanns mit erfundenen Bettgeschichten nicht gewachsen war. Sie waren ihm längst entglitten. Kleinlaut gestand er im kleinsten Kreis: "Ich würde heute die Behauptung über Frau Hartmann nicht noch einmal machen. Wenn man aus dem Rathaus kommt, ist man eben klüger." Und seine Frau Martha fügt enttäuscht hinzu: "Ich verstehe überhaupt nicht, warum er sich auf so etwas einläßt. Uns geht es doch gut. Aber wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis."