Samstag, 17. November 1973

Bundes-Presseball auf Sparflamme. Abglanz der siebziger Jahre. Flugsand der Bonner Republik














































Bundespresseball anno 1973 in der Beethovenhalle zu Bonn. Das jüngste Mitglied der Bundespressekonferenz, der 24jährige stern-Korrespondent Reimar Oltmanns eröffnet mit Ruth Delius , der Enkelin von Bundespräsident Gustav Heinemann (*1899+1976) den Ball. Fernsehbutler Martin Jente (*1909+1996) (zweiter von links) serviert Bundeskanzler Willy Brandt (links) (*1913+1992) und Frau Rut (rechts) (*1920+2006) sowie Walter Scheel ein Schnäpschen.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung
von Walter Henkels (*1906+1987)
Abendzeitung, München
von Heli Ihlefeld
vom 19. November 1973
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Es hätte fast Hochrufe gegeben, als man ihn im Tanzgewühl entdeckte. Vorbeitanzend an seinem ehemaligen Bundeskanzler und Parteivorsitzenden Willy Brandt, in den Armen eine junge Schöne in Grün - da kann Karl Schiller (*1911+1994) ein Wörtchen mitreden. Die Talsohle liegt offensichtlich hinter ihm, dieser Auftritt war konzertierte Aktion. In nahen Pfützen und Lachen im großen Konzertsaal der Beethovenhalle saßen noch so leidenschaftlich wie früher, vor allem die Kontertänze. Jeder drängte sich auf der Tanzfläche, einen guten Platz zu erwischen, um ihn zu sehen und womöglich zu grüßen oder zu berühren.

PLISCH + PLUM

Und der Plisch tanzte auch am Plum vorbei, der saß da am Rande der Tanzfläche, und sie grüßten sich, der Karl August Schiller (*1911+1994) und der Franz Josef Strauß (*1915+1988). Der Plisch, die schöne Grüne schwenkend, rief es zum Plum hinüber: Tugend will ermuntert sein, Bosheit kann man schon allein. Und der Plum signalisierte zum Plisch zurück: Aber hier, wie überhaupt, kommt es anders, als man glaubt, so steht es schon bei Wilhelm Busch ( *1832+1908) in "Plisch und Plum".

ZAHL DER TÄNZE

Karl Schillers frühere Auftritte auf den Pressebällen lieferten den Bonnern immer viel Farbe. Wenn sich auch vieles nicht zusammenreimen wollte, aber seine erneute Beliebtheit schien in geometrischer Progression mit der Zahl der Tänze, die er hinter sich brachte. Neun Orchester spielten für die 2.500 Gäste (Eintrittspreis 70 Mark) aus Politik, Kultur und Wirtschaft auf, und wie alle Jahre hatte jeder von ihnen die Chance, einen der Hauptgewinne der Tombola, mit nach Hause zu nehmen. An der Spitze stand diesmal ein Mercedes 280 und für Liebhaber der Oldtimer "Tin Lizzy", ein Ford aus dem Jahre 1923. Zehn Kapellen spielten dann in acht Sälen zum Tanz. An sieben Bars wurde genippt, geschlürft - geschluckt: Sekt, Whisky, Pils, Kölsch, Malteser, Wodka, Cognac - unaufhörlich.

HEINEMANNS LETZTER AUFTRITT

Dem Bundespresseball, das gesellschaftliche Ereignis in Bonn, pflegt Gustav Heinemann, der Bürgerpräsident, im Smoking seine Aufwartung zu machen. Sicherlich zum Argwohn jener, die den Frack wie ein Fossil aus steinigen Zeiten mit Klauen und Zähen als "Staatstracht" oder geradezu als "staatliche Ausgeh-Uniform" verteidigen. "Man soll eingegerbte Traditionen nicht gedankenverloren über Bord werfen", mahnen sie und fügen geflissentlich hinzu, dass "der Frack nun einmal dem internationalen Protokoll entspricht." Sicherlich, nur im Fall des Bundespresseballs dreht sich nichts um das Prestige der Nationen, sondern allenfalls um die erlesene Eitelkeit solcher Politik-Gesichter, für die nahezu alle Unzulänglichkeiten dieses Erdballs sich erübrigen; vorausgesetzt, dass das Karusell , der diplomatischen Emfänge, Cocktails, Dinnerpartys unaufhörlich in Gang gehalten wird.

RÜCKENLAGE AM RHEIN

Der Mond hing in Rückenlage über dem Siebengebirge, als die letzten der zweieinhalbtausend Gäste das Fest verließen. Bundespräsident Gustav Heinemann ("Ich liebe nicht den Staat, ich liebe meine Frau"; 1969-1974) und seine Frau Hilda (*1896+1979) hatten den Journalisten kurz die Ehre ihrer Anwesenheit gegeben, das letzte Mal. Der Generationswechsel ist vollkommen. Den Ball der Bälle eröffnete die 17jährige Heinemannsche Enkeltochter, Ruth Delius aus Bielefeld mit dem jüngsten Bonner Redakteur Reimar Oltmanns. Der 24jährige beat-gewohnte Bonner stern-Korrespondent übte in den Redaktionsräumen der Dahlmannstraße noch drei Stunden vor Ballbeginn Walzertanzen. Ein wenig schüchtern legten die beiden ihre Runden aufs Parkett, bis andere sich ihrem Beispiel angeschlossen und nach den Klängen der Big Band der Bundeswehr, Leitung Günter Norls, in großer Ballgarderobe über die Tanzfläche drehten. Aus einer gewissen Scheu, unbesonnen gegen die junge Generation zu sein, akzeptierte man das Geschrei und Gekreische des Hits der Humphrie Singers (*1940+2007) im Konzertsaal. Auf der großen Bühne wechselte sich das Tanzorchester des Saarländischen Rundfunks ab. Einer der eifrigsten Tänzer war auch diesmal wieder Ex-Minister Karl Schiller. Wie selbstverständlich blieb es dem ZDF-Sportchef Hanns-Joachim Friedrichs (*1927+1995 ) vorbehalten, Les Humphries hingebungsvoll anzusagen. Es musste schon etwas Hypermodernes sein.

WARTEN AUF DEN KANZLER

Lange sollten Ballbesucher auf Bundeskanzler Willy Brandt warten. Zusammen mit seiner Frau Rut, die ein schlichtes weißes Abendkleid trug, und dem Außenminister-Ehepaar Walter und Mildred Scheel (*1932+1985) ließ sich der Regierungschef von "Bundes-Butler" Martin Jente in die Halle führen. Genugtuung. Des Bundeskanzlers Augen ruhte auf seinen Kritikern; Frau Rut ist und bleibt ein rechter Augentrost. und wer sie beim Tanz in die Arme nehmen durfte. wird die Kriminalbeamten gerne übersehen. Der Bundesratspräsident Hans Filbinger (*1913+2007) machte dem Bundespräsidenten auf der Empore einen Besuch. Frau Ingeborg Filbinger (*1921+2008), Baden-Württembergs Landesmutter erging sich in landwirtschaftlichen Erwägungen. Der Außenminister und Frau Mildred Scheel widerfuhren von der Schauspielerin und Schlagersängerin Margot Hielscher Ermunterung, ob pro oder contra für ein Leben in der Bonner Regierungsvilla Hammerschmidt, erfuhr man nicht.

WILHELMINE LÜBKE (*1885+1981)

Die dicke Limousine, Untertürkheimer Machart, gewann Heinz Uhlich, für den fahrbereiten Ford-Oldtimer von 1924 fand sich kein Gewinner. Viele Male wurde Frau Wilhelmine Lübke, neunundachtzig Jahre alt, ehedem Gattin des einstigen Bundespräsidenten Heinrich Lübke (1959-1969) von Landwirtschaftsminister Josef Ertl (*1925+200o) über die Tanzfläche geschwenkt; es bleibt wirklich zu rühmen: diese
einstige Studienrätin. Sie beherrschte fünf Fremdsprachen perfekt. Einmalig und unvergessen ihre Klugheit, ihre Bescheidenheit.

PERSIFLAGE AUF POLIT-GESELLSCHAFT

Beim dissonanzreichen Klamauk von zehn Kapellen verkaufte Ernst Majonica (*1920+1997) , einstiger Bundestagsabgeordneter, wieder einen seiner lahmen Kennen-Sie-den-Witze. Der CDU-Parteitag falle aus. Warum? Wegen Energiemangels. Einer der Hauptpreise der Tombola war ein Fünfliterkanister mit Superbenzin. Der Presse-Almanach, jedes Jahr eine bibliophile Kostbarkeit, dieses Mal unter dem Schlagwort "Bonnewisten", war kein lyrisches, wohltemperiertes Gedicht, sondern eine handfeste Persiflage auf die Bonner Politgesellschaft, allen voran, noch vor Willy Brandt und Günter Gaus, auf Egon Bahr. In Bonn hat er bereits Unsterblichkeit. Er ist und bliebt mit den kleinen Schritten durch Annäherung das Symbol höchster Verlässlichkeit. - Bonner Regierungsjahre.