Ein unfreiwilliges Sittengemälde über interne Abläufe des stern lieferte sein Chefredakteur Peter Koch (*1939+1989) vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg im Jahre 1981 ab. Damals klagte im sogenannten "Titelblattprozess" Frauenrechtlerin Alice Schwarzer mit zehn Frauen (u.a. Inge Meysel (*1910+2004), Erika Pluhar, Margarethe von Trotta) gegen stern-Cover. Sie verlangten, Frauen als Menschen wie du und ich und nicht als bloße Sexualobjekte darzustellen. Diesen ersten Sexismus-Prozess der Pressegeschichte verloren die Frauen. Laut Richter Manfred Engelschall (*1922+2008) haben sie zwanzig Jahre zu früh geklagt.
Konkret, Hamburg
Februar 1981
die taz, Berlin
vom 18. Mai 1981
Es geht immer noch um die Spätfolgen eines Prozesses von 1978, in dem zehn Frauen, angeführt von Alice Schwarzer, vom "stern" verlangten, Frauen als Menschen wie du und ich und nicht als Sexualobjekte auf dem Titel abzubilden. Diesen ersten Sexismus-Prozess der Pressegeschichte haben die Frauen verloren. Laut Richter Engelschall haben sie zwanzig Jahre zu früh geklagt. Jetzt, knapp drei Jahre danach, geht es um folgendes:
"Emma" hatte den Austausch eines Kommentars der "stern"-Redakteurin Ingrid Kolb, der sich kritisch mit dem Titelblatt-Prozess befasste, gegen einen Beitrag über russische Dissidenten erstens als Zensur bezeichnet und zweitens Henri Nannen dafür verantwortlich gemacht. Der verwahrte sich gegen diese Beleidigung und ließ durch seinen damals jungfräulichen stellvertretenden Chefredakteur Peter Koch eidesstattlich versichern, dieser habe den Austausch zu verantworten.
UNVERHOFFTER ZEUGE
"Emma" wäre zur Aufgabe gezwungen gewesen, hätte sich nicht plötzlich der Stern-Ex-Redakteur Reimar Oltmanns gemeldet. Durch einen "Konkret"-Artikel war er auf die ganze Sache aufmerksam geworden und stellte sich "Emma" als Zeuge zur Verfügung. Er sei damals bei einem Gespräch zwischen Nannen und Koch anwesend gewesen, in dem es darum ging, wie man den Titelbildprozess "im Blatt fährt". Zur Auswahl standen "positive" Agenturmeldungen und der "negative" Kommentar von Ingrid Kolb, der vorsichtig zum Ausdruck brachte, dass auch die Verfasserin sich schon "über einige ... Titelbilder geärgert" habe. Im übrigen sei, so Oltmanns, sowieso die Mehrheit der Redaktion der Meinung gewesen, dass der Titelbildprozess zu Recht geführt wurde. Fühlte sich Herr Nannen in seiner persönlichen Eitelkeit verletzt? Kurzerhand soll er jedenfalls entschieden haben: Der Kommentar wird gekippt. Begründet wurde das nicht. "So was wird nie begründet", sagte Oltmanns. Nicht nur der Kommentar wurde ausgetauscht, sondern auch - großer Lacherfolg an diesem tristen Prozesstag - der Kopf des großen Chefs per Fotomontage aus den seiner Meinung nach missglückten Fotos zum Prozess. "Es laufen zu viele Scheißfotografen im Stern rum", soll er gemeint haben. Anschließend habe Nannen dann die sonntägliche Aktualisierungskonferenz geleitet.
WAHN ODER WAHRHEIT
Beides, sowohl das Einzelgespräch, als auch die Nannen-Konferenzleitung wird von Peter Koch bestritten. Sein Anwalt unterstellt Reimar Oltmanns gar "Wahnvorstellungen", Wahn oder Wahrheit, Nannen oder Koch, der Stern meint nun: "Streitgegenstand des Prozesses" wären auf einmal wieder nicht Personen oder die Tat an sich, sondern "lediglich" das "untergeschobene Zensurmotiv" (Stern). Damit wird es "Emma" in der Tat schwer haben. Obwohl man bei Nannens empfindsamen Reaktionen natürlich Rückschlüsse auf seine grundsätzliche Sympathie zum Thema ziehen kann, wird das Triumvirat des Oberlandesgerichts darin wohl kaum einen Beweis sehen. Sicherlich ist so etwas beim "stern" ganz normal und alltäglich. Was bleibt ist die Frage, warum der Koloß "stern" es für nötig hält, die vergleichsweise winzige "Emma" mit Prozessen zu verfolgen. Das Aufsehen, das der Titelblattprozess in der Öffentlichkeit erregte, die Diskussionen in der eigenen Redaktion mögen schon ärgerlich sein. Sollte aber die Rechthaberei des Mächtigen darauf aus sein, die Kritikfähigkeit anderer durch finanziellen Druch lahmzulegen? Das wäre dem "stern"-Image aber gar nicht zuträglich.
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