SPD-Rausschmiss, Demos, Blockaden - Auftritt- und Fernsehverbot in Deutschland. Ausgewandert von Hannover ins österreichische "Exil" in die Steiermark Von den "wilden" Protest-Jahrzehnten gezeichnet. Dietrich Kittner (*1935+2013), war ein widerspenstiger Rebell, Sänger, Satiriker, der nicht "vernünftig" werden wollte. Bilanz eines ungeliebten Außenseiters.
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Frankfurter Rundschau
18. April 1972/
12. Januar 2008
von Reimar Oltmanns
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Er ist ein Mann der Grenzüberschreitungen, Grenzver- letzungen - ein feixender Tabu-Brecher früherer Jahrzehnte. Nahezu 45 Jahre macht Dietrich Kittner politisches Kabarett im deutsch-sprachigen Europa. Immer unterwegs, immer auf Tour, von Saal zu Kneipe, vom Tresen zum Barhocker mit über 7.000 Veranstaltungen in drei Jahrzehnten. - Lang ist's her; unter Satirikern Rekord verdächtig.
"AUFMÜPFIGSTE SATIRIKER"
Damals in der so genannten 68er Bewegung, als "Liedermacher" des Protests wie Franz-Josef Degenhardt oder auch Dieter Süverkrüp mit ihren -Songs über Notstandsgesetze, Vietnam-Krieg Hallen füllten, der Rebellen-Look zum Mode-Schick aufstieg - das waren gleichsam seine Jahre - Kittner-Jahre. Damals, als Polit-Satire mehr mit bissiger Aufklärung als mit wohlgefällig vermarkteter Comedy zu tun hatte, da galt der mittlerweile 73jährige Dietrich Kittner als "gefürchtester, aufmüpfigsten Satiriker" deutscher Zunge. Eben, wie Günter Wallraff es einmal über Dietrich Kittner formulierte: "Er ist der Einzelkämpfer und Partisan, der sich wesentlich weiter vorwagt auf feindliches Terrain als alle etablierten - früher mal politischen Kabaretts zusammen."
EXIL EINES VERSCHMÄHTEN
Da hockt er nun in seinen alten Tagen in der Steiermark im arg verträumten Städtchen Bad Radkersburg zu Österreich. Wer Dietrich Kittner von früher kennt und ihn erneut begegnet, der spürt schon nach seinen ersten Sätzen, dieser Mann ist ausgewandert - Distanz und Schutz als Exil. Er sagt: "Wer nicht kämpft geht unter, wer kämpft reibt sich auf." Der alte Barde lächelt wehmütig, spürt er irgendwie schon, dass seine letzten Auftritte in Deutschland angebrochen sind, müde ist er geworden - etwa vom Deutschlandlied und Tagesthemen-News von "Mega-Hartz IV" über "Aldi-Schnellbehandszentren" bis zum "Zirkus Bush" oder mit Golf-Viagra in den Puff. - Resignation.
POLIT-SATIRE
Es sind Lebensskizzen eines Mannes, die keine Kontinuität vermissen lassen - die da lauten: Aufbruch, Abbruch, Ausdauer, Stehvermögen, Hatz wie Atemlosigkeit - und das mithin vier Jahrzehnte lang. Dabei sind Kittners Programme kaum in Schubläden zu suchen. Er beherrscht alle Stile und Spielrichtungen der 10. Muse; Sketch und Conference, Paradie und Ballade, Nachricht, Pamphlet und Morität. Aus all dem mischt er einen Cocktail, der das Publikum wachrüttelt. - Aufklärung mit Polit-Satire auf höchstem Niveau.
FERNSEH-VERBOT
Aufmüpfigkeit, Gegen-Rede, Widerspruch, Widerstand - das waren schlechthin noch nie so recht die Lebensart der Deutschen. Es waren die siebziger Jahre, als Tausende wie Abertausende junger Menschen wegen ihrer unangepassten Gesinnung mit Berufsverboten abgestraft wurden. Dietrich Kittner bekam Fernseh-Verbot in Deutschland - praktisch sein Leben lang. Lediglich - und das ausnahmesweise zur Mainzer Fastnacht - machten die Mächtigen der Republik "gute Miene zum bösen Spiel", wenn mal da mal einer aus dem politischen Kabarett am sorgsamen Politiker- oder Manager-Image tupfte. So humorvoll artig gab man sich in diesem Land; nicht so Kittner.
NARRENFREIHEIT
Auf der Bühne seines Ein-Mann-Kabaretts genoß Dietrich Kittner unter Ausschluss der Medien-Öffentlichkeit Narrenfreiheit, selbst dann, wenn er mit der Sozialdemokratie nicht lange zauderte und führende Genossen unter gleißendem Scheinwerferlicht seinem Publikum als "spezielle Charaktere des Aufstiegs" ausleuchtete - Abend für Abend vors Schienbein trat. Was SPD-Funktionäre ihrem Parteimitglied Kittner auf der Bühne noch konzedierten, dazu waren sie auf einer von Kittner organisierten Flugblatt- und Unterschriften-Aktion nicht mehr bereit. Berührungs-Ängste mit Kommunisten. "Verträge ratifizieren! Rechtsentwicklung stoppen", verlautbarte es da. - Die Folge: Partei-Rausschmiss.
WANDEL DURCH ANNÄHERUNG
Damals bestimmte die Neue Ostpolitik von Egon Bahr (Bundesminister für besondere Aufgaben 1972-1974) "den Wandel durch Annäherung" die Ostverträge mit Polen und der damaligen DDR. Verständigung, ein neuer Umgang der Menschen in beiden Systemen war gefragt. Nicht jedoch so an der Parteibasis zu Hannover. Der Widersinn jener sozialdemokratischen Jahre mit ihren Öffnungs-Gebaren gen Osten mit ihrer geradezu traumatischen Phobie vor vermeintlicher kommunistischer Unterwanderung - dafür sollte mit dem Fall Kittner ein populäres Parade-Beispiel statuiert werden. Stein des Anstosses im politisch penibel sortierten Deutschland: auch ein paar westdeutsche Kommunisten hatten gewagt, sich per Unterschrift auf dem Kittner-Flugblatt öffentlich für die Entspannungspolitik der Ära Brandt/Scheel (1969-1974) zu bekennen. Es blieb dem niedersächsischen Verfassungsschutz vorbehalten, eine Handvoll Kommunisten unter den 1.500 Menschen ausfindig zu machen, die ihre Unterschrift gegeben hatten. Es waren erste Schnüffel-Aktionen, die wenig später im Überwachungsstaat der Berufsverbote eine ganze studentische Jugend mundtot zu machen glaubte.
DAMOKLES-SCHWERT
Mit dem Damokles-Schwert im Nacken - "denke an deine Parteikarriere, grenze dich rigoros von Kommunisten und ihren Organisationen ab" - zwang der SPD-Apparat in Hannovers Odeonstraße seine Mitglieder ihren Namen auf dem Kittner-Flugblatt zurückzuziehen. (Willy Brandt, Bundeskanzler 1969-1974: "Wir wollen mehr Demokratie wagen.") Ausnahmslos alle kuschten, keiner will da wirklich seinen Namen gegeben haben. Friedhofsruhe. Wäre Kittner nicht Kittner, dann hätte er dasselbe getan. Nur ging es ihm, wie er beteuerte, "um Glaubwürdigkeit". Auch wolle er sich ausgerechnet von diesen "satten und kugelrunden SPD-Funktionären nicht zum Toren" machen lassen. Denn nach Thomas Mann (*1875+1955) ist der "Antikommunismus die Grundtorheit des 20. Jahrhunderts".
PROTEST UND PROVOKATION
Kittner war zeitlebens ein Mann des Protests und Provokation. Viel Kraft, Energie - auch so manche Federn hat er dabei lassen müssen. So Mitte der sechziger Jahre, als er auf offener Straße in Hannovers Innenstadt mit Stahlhelm und Gasmaske festgenommen wurde - eine Aktion, die er als Widerspruch gegen die Notstandsgesetze verstanden wissen wollte.
KITTNER-ZEIT VOM ROTEN PUNKT
Seinen Höhepunkt an Einfluss und Popularität gewann er als Mitinitiator der Aktion "Roter Punkt" in Hannover gegen Fahrpreiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr in den Jahren 1969-1973. Der Club Voltaire in der Nicolaistraße war Kittners Domizil, praktisch wohnte er dort gleich neben der Theke im Hinterstübchen. Hier im Zentrum der Außerparlamentarischen Opposition in Niedersachsen ging es Kittner und Kumpanen um die Schaffung eines kulturellen Ortes einer neuen linken Gesprächs- und Streitkultur.
CLUB VOLTAIRE IN HANNOVER
Der Clubname vermittelte ein Gedenken an den französischen Philosophen und Schriftsteller Voltaire, der mit bürgerlichen Namen François-Marie Arouet (*1694+1778) hieß. Er war einer der tragenden Initiatoren der französischen Aufklärung , außerdem Mitarbeiter an der großen "Enzyklopädie" - ein Anhänger des Deismus. ( Gehen von Gott aus Schöpfer des Universiums aus. Glauben aber, dass Gott keinen Einfluss auf die Geschehnisse auf Erden hat).
AUSSCHAU NACH ALTERNATIVEN
Und unter Schaffung einer neuen linken Gesprächs- und Streitkultur wurde in den Anfangsjahren verstanden, eigene Standpunkt vertreten, artikulieren zu können, ohne dem Anderen abzusprechen, dass auch er eigene Positionen, Ansichten besitzen und mit Leidenschaft vertreten darf. Für Dietrich Kittner in jenen Jahren war die Streitkultur schlechthin positiv besetzt. Sie ermöglicht alte Normen, überkommenes Gefüge radikal in Frage zu stellen - nach Alternativen Ausschau zu halten. Aufbruch-Zeiten.
GENOSSEN VORM LANDGERICHT
Undenkbar schien Kittner damals, die Sozialdemokratie links liegen zu lassen. Er wollte sie einbinden in die Phasen des politischen Umbruchs.Das glaubte er jedenfalls. So war für das ausgeschlossene SPD-Mitglied Kittner über seinen Verstoss noch längst nicht das letzte Wort gesprochen. Er kämpfte weiter, sogar bis vor dem Landgericht. Nach dem Motto, was dem einen recht ist, istdem anderen billig, will er mit seinen Anwälten erreichen, dass der Parteiausschluss revidiert wird.
SCHRÖDER FÜR KITTNER
Die Unterstützung des linken Flügels der Partei ist ihm dabei gewiss. Niedersachsens Juso-Chef Gerhard Schröder (Bundeskanzler 1998-2005) urteilte: "Das Engagement für die Ostverträge wird doch durch die Teilnahme von irgendwelchen Kommunisten nicht diskreditiert." So will Kittner mit einer Akte von Flugblättern, die ihm aus allen Teilen der Bundesrepublik zugeschickt wurden, vor Gericht ziehen. Dort glaubt er beweisen zu können, dass SPD-Politiker vom Kommunalparlament bis hin zum Bundestag ähnlich Auftrufe unterzeichnet haben, an denen auch Kommunisten geteiligt waren.
FLUGBLATT ÜBER FLUGBLATT
Der Aberwitz dieser Tage. Kittner war im Besitz eines Flugblatts, das auch der Journalist und SPD-Politiker Fritz Sänger (*1901+1984), Mitglied der Bundesschiedskommission, unterzeichnet hatte. Fritz Sänger meint zwar, "die Unterschrift ist ohne meine Kenntnis auf das Flugblatt gekommen", fügt aber gleichzeitig hinzu, "man hätte es ruhig unterschreiben können". Im übrigen bedaure er die ganze Rauschmeißerei außerordentlich."
"BILD"-ZEITUNG FÜR GENOSSEN
Tatsächlich sieht sich Dietrich Kittner als das Bauern-Opfer seines Intrigen-Spiels. Er behauptet in seiner Dokumentation: "Die SPD-Zentrale lancierte - zumeist über die "Bild"-Zeitung oder über den CDU-nahen Pressedienst "Rundblick" diffamierende Artikel. Sie sollen sodann als später Beweise dafür benutzt werden, dass es die Beschuldigten höchst persönlich seien, die der SPD in der Öffentlichkeit einen Image-Schaden zufügten. Auch habe ihm der SPD-Geschäftsführer Hans Striefler zugefeixt: "Endlich, jetzt haben wir dich!" - Es war eine der üblichen Disziplinierungs-Maßnahmen oder auch Maulkörbe. Sie wurden immer dann präsentiert, wenn es darum ging, mit Hilfe der Satzung unbequeme Kräfte los zu werden.
STAATSSEKRETÄR, DER KARRIERE MACHTE
Seinerzeit gewichtete Ernst Gottfried Mahrenholz ( SPD-Karriere als Staatssekretär in der Staatskanzlei - später Kultusminister in Niedersachsen, Verfassungsrichter in Karlsruhe) den Kittner-Exodus sehr korrekt. Er sagte mir als Korrespondent der Frankfurter Rundschau in Hannover: "Wenn es wirklich nur darum ginge, unbequeme Kräfte loszuwerden, dann ist dies ein Skandal."
ROTER PUNKT - UND DIE FOLGEN
In letzter Konsequenz war die "Aktion Roter Punkt", die empfindliche SPD-Achillesferse, die der Straßenprotest unverhofft traf - und Kittner einer ihrer Anführer. Es begann damit, dass die Verkehrknotenpunkte bis hin zu den Außenbezirken blockiert wurden - keine Straßenbahn fuhr mehr. Der Grund Fahrpreiserhöhungen um 30 Prozent waren beschlossen worden. Gleichzeitig sollte aber satte Gewinne des Unternehmens ÜSTRA an seine Aktionäre um 1,4 Millionen Mark ausgezahlt werden. - Nichts ging mehr keine Straßenbahn fuhr mehr im Großraum Hannover. Rote Aufkleber an der Heckscheibe signalisieren die Mitnahmebereitschaft für jedermann. Überaus harte Polizeieinsätze sollten den Protest ersticken. Alsbald musste Politiker und Polizisten miterlebten, wie sich der Unmut auf die gesamte Bevölkerung übertrug - sich immer mehr Menschen mit Studenten, Schüler - auch - Arbeitern solidarisierten. Ein Novum im Deutschland der Nachkriegsjahre. Die Zahl der Schwarzfahrer stieg, falsche Tickets wurden hergestellt, Fahrbahnautomaten aufgebrochen. Und eine schwer bewaffnete Polizei, die dem Massenprotest hilflos gegenüberstand.
DEGENHARDT, SÜLVERKRÜP ... ...
Es waren Kittners bewegende Tage, Wochen und Monate, ein Massenprotest, den er mit dem Parteiausschluss bezahlen hatte. Die Moral der Geschicht': gemeinsam mit dem Liedermacher Franz-Josef Degenhardt, Dieter Sülverkrüp und Mitgliedern der Gruppe Floh de Cologne wandten sie sich zum real existierenden DDR-Sozialismus zu. Kittner tingelte seither immer wieder durch die DDR. Immer öfter konstatierte er, ob in Dresden oder Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), auch ungefragt, wie heimatlos ihn die alte Bundesrepublik gemacht habe. Heute lebt er in Österreich. Ein Zurück nach Deutschland wird es für ihn nicht mehr geben. - Lang, lange ist es her. Wie sang Franz-Joseph Degenhardt (*1931+2011) seinerzeit: " ... dass das nur solche Geschichten bleiben, die man den Enkel erzählen kann es gibt eine Menge Leute, die haben ein Interesse daran ...".
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