Donnerstag, 9. März 1972

SPD-Vetternwirtschaft - ein bedenklicher Alleingang des Superministers















In der Ära Willy Brandts als Bundeskanzler (1969-1974) wollten alle mehr "Demokratie wagen": Das bedeutete für Wirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller (1966-1972; *1911+1994; seinem Schwager einen gut dotierten Präsidenten-Posten zuzuschieben
. Anerkannt und angefeindet: Geologie Professor Eberhard Machens



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Frankfurter Rundschau
9. und 15. März 1972
von Reimar Oltmanns
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Als vor etwa drei Wochen der parlamentarische Staats- sekretär im Finanzministerium Hans Hermsdorf (1971-1974; *1914+2001) Niedersachsens Wirtschaftminister Helmut Greulich (1970-1974: *1923+1993) beiläufig fragte: "Helmut, hast du was dagegen, wir wollen den Machens ernennen?" konnte Schiller-Gehilfe Hans Hermsdorf noch nicht ahnen, welch eine Nepotismus-Debatte, eine Empörungswelle er bundesweit um Ämter, Geschachere samt Patronage er lostreten würde.

SCHILLERS MACHENS-SCHAFTEN

Ohne Kenntnis der eigentlich zuständigen Beamten hatte Wirtschaftsminister Karl Schiller gemäß einer Kabinetts-Vorlage seinen Verwandten, den Mainzer Geologen Professor Dr. Eberhard Machens, zum neuen Präsidenten der Bundesanstalt für Bodenforschung mit Sitz in Hannover berufen. Eberhard Machens, dessen Frau Hilke mit der damaligen Schiller-Ehefrau verschwistert ist, sollte diesen Chefposten mit einer Vergütung von 6.000 Mark monatlich erhalten. Widerwillig unterschrieb Bundespräsident Gustav Heinemann die Ernennungsurkunde.

PROTESTE, VETTERN-WIRTSCHAFT

Der aus Altersgründen ausscheidende Präsident der Bundesanstalt für Bodenforschung, Professor Richter-Bernburg protestierte in Telegrammen an Bundespräsident Gustav Heinemann ( 1969-1974; *1899+1976 ) und Bundeskanzler Willy Brandt (1969-1974); *1913+1992) gegen die Berufung des umstrittenen Geologen. Er geißelte den "Berufungs-Skandal" und sprach von einer "unserem Staate unwürdigen Vetternwirtschaft". Zudem sei Eberhard Machens als Wissenschaftler nicht "besonders hervorgetreten"; allenfalls habe er sich in den letzten Jahren als Privatdozent und letztlich als außerplanmäßiger Professor an der Universität Mainz "vorlesen dürfen". Tatsächlich sei dieser Machens ein "kleiner Piesepampel", der die "ganze Fachwelt entsetze, nur weil's ein Schwager des Ministers ist, das sollte doch einfach nicht möglich sein". Diesen Protesten schlossen sich die Personalräte der Bundes- und Landesansralt in Hannover an. Mitbestimmungsgremien, die sich übergangen fühlten, sich als geprellt betrachteten. Einfach deshab, weil sie in einer Ära der Brandt'schen "Demokratie-Wagnisse" entgegen früherer Zusagen nicht einmal angehört wurden - von Mitsprache ganz zu schweigen.

HOHE ANFORDERUNGEN

Hohe Anforderungen, Führungs-Qualitäten eilten dem Stellenprofil des Präsidenten-Amtes voraus. Denn die Bodenforscher explorieren in Deutschland und im Ausland, sie beraten die deutsche Wirtschaft bei geowissenschaftlichen Projekten. Sie planen außerdem durch ihre Prognosen wie Expertisen die Versorgung des Landes mit seltenen Rohstoffen wie Titan und Bauxit, Mangan und Chrom. Folglich herrschte bislang unter allen Beteiligten ein unausgesprochenes Konsens-Verhalten: Auf den Präsidentenstuhl sollte nur ein erfahrener und ausgewiesener Geologe Platz nehmen, der gleichfalls über Manager-Qualitäten verfügen müsse.

BESSERE KANDIDATEN

In diesem Zusammenhang um das "Ämter-Geschachere" wurden die Namen hochqualifizierte Wissenschaftler wie Eugen Seibold , Franz Goerlich und der derzeitige Vize-Präsident Gerhard Lüttig genannt; ausgewiesene Experten in ihrem Metier, die über jeden Zweifel erhaben sein dürften. Doch die vehementen Einwände kamen exakt einen Tag zu spät. Bezeichnenderweise stimmte das Bundeskabinett der Machens Ernennung zum Präsidenten der Bundesanstalt für Bodenforschung zu berufen, am 1. März 1972 zu - ohne Diskussion. Freilich wussten die wenigsten in der Runde, dass es sich um den Schwager des Superminister Karl Schiller handelt. Eberhard Machens kontert die gegen ihn vorgebrachten Attacken: "Ich kann doch nichts dafür, dass Herr Schiller die Schwester meiner Frau geheiratet hat". Was Machens allerdings übersieht: Auch wenn seine wissenschaftliche Qualifikation unanfechtbar wäre, hätte seine Präsidenten-Ambitionen an der Verwandtschaft zu seinem Dienstherrn, dem Superminister dieser Jahre, scheitern müssen.

ZUSAMMENARBEIT AUFGEKÜNDIGT

Wer nun glaubte, damit sie der Streit um die Bewerber ad acta gelegt worden, sah sich getäuscht. In weiteren Schreiben an die Spitzen des Staates, Willy Brandt, Gustav Heinemann , Karl Schiller und an den niedersächsischen Ministerpräsidenten Alfred Kubel (1970-1976; *1909+1999) haben inzwischen 162 der 168 in Hannover tätigen Wissenschaftler der Bundes- und Landesanstalt ihren Widerwillen artikuliert. Sie kamen zu dem Schluss, dass mit dem neuen Präsidenten Eberhard Machens keine Basis für eine sachgerechte Zusammenarbeit möglich wäre und zu befürchten sei, dass durch diese Berufungs-Praxis der Reputation der im In- und Ausland angesehenen Institution erheblichen Schaden zugefügt werde. - Flächenbrand.

TREIBJAGD

Ginge es in diesem Scharmützel nur um die fachliche Qualifikation Eberhard Machens, die anderenorts nicht umstritten ist, würde die Berufung dieses Außenseiters nicht derartig scharfzüngige Prostete hervorrufen. Nach Auffassung von Professor Schönenberg vom Geologischen Instituts der Universität Tübingen, ist Eberhard Machens ein "hochqualifizierter Fachgenosse". Schönenberg entrüstet sich: "Ich bin über diese Treibjagd und wissenschaftliche Rufschädigung aufs äußerste empört. Damit stehe ich nicht allein. Viele Kollegen in der Bundesrepublik teilen mit mir diese Empörung - aber in dieser Zeit des lauten Geschreis hört man in Hannover und in der Öffentlichkeit nicht gern auf die leiseren Stimmen der Vernunft."

FALL MACHENS - EIN FALL SCHILLER

Bei näherer Betrachtung lässt sich unschwer erkennen, dass mangelhafte Verfahrensweisen des Bundeswirtschaftsministers aus dem vordergründigen Fall Machens längst ein Politikum - einen Fall des selbstherrlich agierenden Karl Schiller gemacht haben. Zur Erinnerung: Vor zwei Jahren hatte es Wirtschaftsminister Helmut Greulich abgelehnt, auf Anregung des Bundes, Eberhard Machens zum Vize-Präsidenten der Bundesanstalt zu küren. Der Vize-Präsident ist Beamter des Landes Niedersachsen, der Präsident Bundesbeamter - Föderalismus und seine verwirrenden Folgen. Diese absonderliche Konstruktion ergibt sich darauf, dass Bundes- und Landesanstalt faktisch eine Behörde sind. Bei der Berufung des Präsidenten hat sich das Bundeswirtschaftsministerium mit dem Land Niedersachsen "ins Benehmen zu setzen". Wird ein neuer Vize-Präsident ernannt, ist es umgekehrt der Fall. So sieht es jedenfalls das 1958 zwischen dem Bund und dem Land Niedersachsen vereinbarte Verwaltungsabkommen vor.

NEU ERNANNT - SCHON ABGEBRANNT

Der Hausmeister hatte gerade noch rechtzeitig ein neues Namensschild am Präsidentenzimmer anbringen können. Wenige Minuten später ging die Nachricht "Machens ist da" wie ein Lauffeuer durch die Bundesanstalt für Bodenforschung. Unangemeldet und unerwartet ließ sich der neue Präsident mit einem Taxi ohne viel Aufhebens zur Bundesanstalt chauffieren, um, wie er sagte, "mit der Arbeit zu beginnen". Auf den Fluren der Behörde stimmten Mitarbeiter ihr bereits eingeübtes Liedchen an: "Hoch auf dem gelben Wagen, saß ich beim Schwager vorn ...". Professor Machens, schlank und hochgewachsen, von der Sonne Afrikas gebräunt, wo er gerade im westlich gelegenen Niger forschte, dieser arg ramponierte neue Präsident wirkt bescheiden, unaufdringlich, in sich ruhend, bisweilen freundlich. Es ist ihm kaum anzumerken, welchem seelischen Druck , welch einem Prestige-Verlust sein Schwager ihn ausgesetzt haben mochte.

BEAMTEN-PROTESTE - OHNE BEISPIEL

Spontan legten sämtliche 800 Bediensteten der Bundesbehörde ihre Arbeit nieder, erhoben sich von ihren Schreibtischen und trafen sich spontan zu einer Protestversammlung . Welche Atmosphäre unter den Beamten und Angestellten vorherrschte, darauf deutete der auf der Zufahrtsstraße der Anstalt in meterhohen Buchstaben gepinselte Satz: "Machens ist hier unerwünscht." Was sich da in der behäbig wirkenden Bundesanstalt für Bodenforschung ereignet hat, ist in Deutschland ohne Beispiel. Beamte, von denen man annehmen möchte, sie neigen eher zum staatstragenden, konservativen Denken, sie zeigten Courage, Zivilcourage - fernab vom auf Gehorsam verordneten Beamtenrecht.

ERSCHÜTTERUNG DER DEMOKRATIE

Überall knallte dem frisch ernannten Präsidenten Empörung, eine aufgeladene Stimmung entgegen. Tumulte auf den Personalversammlungen und immer wieder Sprechchöre mit Ausbrüchen, die da lauteten: "Unser Vertrauen in Sie und die Demokratie ist zutiefst erschüttert." - "Ich lehne Sie ab, wir werden nicht mit Ihnen zusammenarbeiten", war auf der anderen Seite des Saals zu vernehmen. Den überaus harten , menschlich verletzenden Wortgefechten folgten gellende Pfiffe, als Eberhard Machens unmissverständlich erklärte: "Ich trete nicht zurück. Ein Verzicht auf die Amtsübernahme würde der gegenwärtigen Bundesregierung schaden. Ich will aber versuchen, dieses Haus arbeitsfähig zu halten." - Wunschdenken.

MUT BEWIESEN - NICHTS GEÄNDERT

Eberhard Machens stellte sich den 800 Bediensteten in einer Personal- Vollversammlung der Diskussion. Nur seine Argumente konnten die zwiespältigen Bonner Geschehnisse um Wirtschaftsminister Karl Schiller kaum entschärfen. Im Gegenteil. Die Fronten erhärteten zu Betonblöcken, dass es beiden Parteien ohne Prestigeverlust kaum möglich ist, einen Rückzug anzutreten. Schon weigerten sich die Abteilungsleiter der Bundesanstalt zur offiziellen Amtseinführung des neuen Präsidenten Eberhard Machens durch Staatssekretär Johann Baptist Schöllhorn (1967-1972) nach Bonn zu fahren. Der Personalrat der Bundesanstalt war bereits zurückgetreten. Der Personalvertretung der Landesanstalt will noch die Entscheidung der Landesregierung in Hannover abwarten, ob Eberhard Machens tatsächlich zur selben Zeit auch nochdie Bestallungsurkunde als Präsident des Landesamts für Bodenforschung erhält. - Ämterhäufung. Normalerweise liegt die Führung beider Funktionen in einer Hand.

DIENST NACH VORSCHRIFT

Drei Tage des gezielten Protestes haben freilich ihre Wirkung nicht verfehlt. Überraschend empfing Superminister Karl Schiller urplötzlich in den Mittagsstunden ein vierköpfiges Aktionskomitee der Belegschaft. Ein aufgestauter Ärger, der da ausbrach und seine Bahnen fand, wäre ihm erspart geblieben, wenn er oder seine Staatssekretäre dieses Gespräch schon vor der Berufung Eberhard Machens' gesucht hätten. Scherben gilt es einzusammeln - mehr nicht. Ein selbstherrlicher Minister hat mit seinem Trotz dem Ruf seines Schwagers und auch der Glaubwürdigkeit der sozialliberalen Bundesregierung mehr als geschadet. Der Ruch der Vetternwirtschaft dürfte an Karl Schiller haften bleiben.

REGIERUNG BEIM WORT GENOMMEN

Die achthundert Bediensteten der Bundesanstalt nahmen dabei lediglich die sozialliberale Regierung der Republik beim Wort. Sie hatte versprochen, "mehr Demokratrie wagen" zu wollen. Dies galt es für sie einzuklagen. Nur so ist auch zu verstehen, dass SPD-Bundesgeschäftsführer Holger Börner (1972-1976; *1931+2006) ungefragt beschwichtigte: Die Vorkommnisse um die Berufung Eberhard Machens seien ein Problem des Ministers Karl Schiller und nicht etwa der Sozialdemokratie. Bliebe allenfalls hinzuzufügen, dass die SPD daran gemessen wird, was ihre Minister an sozialdemokratischer Regierungspolitik verwirklichen und an SPD-Lebensidealen vorgelebt haben.

Kaum vierzehn Tage im Amt, nahm Professor Eberhard Machens auf unbestimmte Zeit Urlaub. An seinen Arbeitsplatz dürfte er wohl kaum zurückkehren wollen.

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