Freitag, 20. März 1970

Der "andere" Deutsche vor fast leeren Rängen































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Cuxhavener Zeitung

vom 20. März 1970
von Reimar Oltmanns
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In Gedenken an Bernt Engelmann (
*1921+1994). Der Journalist und Schriftsteller war der "andere" kritische Deutsche. Ein Landsmann mit einem intellektuell feinfühligem , messerscharfem Verständnis, der mit seinen "Anti-Geschichtsbüchern" Verdrängung samt Lebenslügen Paroli bot. Er schrieb vielbeachtete Werke über Reichtum, Armut, Recht und Gerechtigkeit; von oben und unten in diesem Land. ( "Großes Bundesverdienstkreuz" - "Meine Freunde die Millionäre). Gegen Ende der Nazi-Diktatur schloss sich Engelmann einer Wider-standsgruppe an, wurde im KZ Dachau inhaf-tiert. Nach dem Krieg wirkte er als Journalist, verfasste insgesamt über 50 Sachbücher wie Romane mit einer Gesamtauflage von über 15 Millionen Exemplaren. Sein Credo war, sich "von niemanden instrumentalisieren" zu lassen. Daran änderten auch seine zeitwei-ligen Kontakte zur DDR-Staatssicherheit nichts. Unermüdlich bereiste Engelmann deutsche Provinzen, las auch zu kleinsten Veranstaltungen - oft ohne Entgelt - aus seinen Werken, als gelte es - hier und heute, an Ort und Stelle - Korrekturen in diesem Deutschland vorzunehmen.



Auf dieser Erde wäre genügend Platz und Essen für alle Menschen. Die Verhältnisse sind aber nicht danach. Wie lange können wir noch warten?" Mit dieser Frage been-dete der Publizist Bernt Engelmann seinen Vortrag vor nur einer Handvoll Zuhörern in der leer gefegt wirken-den Aula der Wichernschule. Die Volkshochschule hätte für diesen Engelmann-Auftritt auch getrost ein Kneipen-Hinterzimmer reservieren können. Dabei hatte gerade der Autor Bernt Engelmann in den letzten Jahren durch sein zeitkritisches Engagement unverkennbar bundes-deutsches Profil gewonnen. Achselzucken in diesen scheinbar politisch bewegten Jahren.

REICHE UND SUPER-REICHE

Wer vielleicht schon zuvor einmal einen Blick in Engelmanns Werke ("Meine Freunde, die Millionäre" oder "Großes Bundesverdienstkreuz") riskiert hatte,
für den war es nachvollziehbar, dass der frühere Fernseh-Journalist und Buch-Autor Engelmann zu-weilen bissig, hämisch und sarkastisch sich mit der allgegenwärtigen "Raffgier" der Reichen und Super-reichen auseinander setzte. Fast resignierend fügte er hinzu: "Mit der gesellschaftspolitischen Entwicklung des hastig wachsenden Wohlstands sind wir nicht fertig ge-worden. Diese Zivilisation kann zugrunde gehen, weil die Reichen auf dieser Welt die Pille verbieten, aber das Geld scheffeln, um es zu horten."

WIE IM MITTELALTER

Es versteht sich von selbst, dass Engelmann jene gesellschaftlichen Gruppen in der Bundesrepublik vorführte, die über einen Großgrundbesitz verfügen, der sich in einer Dimension von 34.000 Hektar, das sind 340 Millionen Quadratmeter, bewegt. Es versteht sich weiter von selbst, dass sich ein Gesamtvermögen dieser Größen-ordnung nicht exakt benennen, allenfalls nur grob schätzen lässt - sich demnach auf etwa drei Milli-arden Mark belaufen soll. Der von Bernt Engelmann geschilderte "Fall" der Thurn und Taxis sei jedoch keine Ausnahme, kein Betriebsunfall auf einer ansonsten intakten Bühne. "Ich könnte Ihnen 50 Familien benennen, deren Kapital sich in dieser Größenordnung beziffern lässt. Denn für fast alle Menschen, für den einfachen Bürger von nebenan, ist die gesellschaftliche Tragweite, das politische Ausmaß dieses oft versteckten Reichtums nicht vorstellbar". Engelmann nannte Namen, erzählte und zählte auf. "Ja", so sein Fazit, "an der Verteilung des Grundbesitzes hat sich seit dem Mittelalter nicht geändert. Dieser Besitz rekrutiert sich aus den entsprechenden Erbschaftsgesetzen, die längst reformiert werden müssten. Aber wer mag sich von der Politiker-Klasse schon mit Reichen und Superreichen anlegen?" Im Nachkriegs-Deutschland Fehlanzeige.

KÄUFLICH UND KORRUMPIERBAR

Eine der Konsequenzen aus diesen festgezurrten Strukturen sei, so Bernt Engelmann, dass das Großkapital einen nicht von der Hand zu weisenden Einfluss im politischen Leben habe. Viele Menschen, Manager, Macher und natürlich viele Politiker seien in einem unvorstellbaren Ausmaß "käuflich, korrumpier-bar, manipulierbar". Es sei nun einmal eine Tatsache, dass die Bankkonten zahlreicher Parlamentarier Nullen aufweisen, die für den Bürger unvorstellbar sind. Aus dieser Perspektive, unter diesem zentralen Aspekt, müsse sich die Bundesrepulik einmal grundlegend betrachtet werden. Engelmann folgerte: " Es ist doch kein Zufall, dass nur 5,6 Prozent aller Arbeiterkinder eine höhere Schule besuchen. Mit dieser Bildungspolitik sollen die Privilegien, die sich machtpolitisch auszahlen, aufrecht erhalten werden."

SYSTEMKRITISCHES ENGAGEMENT

Die Moral der Geschichte: Um eine gesellschaftliche Umstrukturierung, Umverteilung, letztlich um einen Umbau, werde man auch in der Bundesrepublik nicht umhin kommen. Schließlich wolle man für sich in An-spruch nehmen, in einer Demokratie zu leben, in der soziale Gerechtigkeit verwirklicht werden soll. Der Druck werde über Jahrzehnte betrachtet zusehends heftiger, somit sei eine Explosion nicht mehr aufzu-alten. Gemeint seien damit Krisenszenarien, Armut, Hunger, mangelnde gesundheitliche Versorgung, mangelnde Bildung in der Dritten Welt. Gleichfalls werde sich aber auch in den sogenannten Industrie-ländern das "systemkritische Engagement" junger Menschen diesen Aufbruch verkrusteter Strukturen in der parlamentarischen Demokratie beschleunigen. "Das alles muss recht schnell geschehen", bedeutete Bernt Engelmann seinem Auditorium , weil es sonst zu spät scheint, "diese Auswüchse grotesken Unrechts auch nur halbwegs zu entschärfen", bemerkte er und lud seine zwölf Zuhörer in die Kneipe ein - zum Nachttrunk sozusagen.










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