Donnerstag, 1. Januar 1970

Neue Schulen, anderer Unterricht, Demos - Liberaler Schülerbund droht mit Streiks




Hannoversche Allgemeine/
Neue Osnabrücker Zeitung
vom 26. Februar 1968


HANNOVER (lni). - Der Liberale Schülerbund (LS) will in Niedersachsen zu "schärferen Mitteln" greifen und notfalls zu "Schulstreiks" aufrufen, falls das niedersächsische Kultus-ministerium seine Arbeiten zur Schulreform künftig nicht intensiviert. Das kündigte der Vorsitzende des LS-Landesverbandes Niedersachsen, Reimar Oltmanns am Sonntag in Hannover an. Obwohl das Ministerium bereit sei, mit den Schülern zu diskutieren, habe es noch keine "anderen wesentlichen Schritte" zur Verwirklichung der Reform in Sachen Demokratisierung, Mitbestimmung unternommen.

FÖDERALISMUS GESCHEITERT

Während einer zweitägigen Verbandstagung sprachen sich die Delegierten aus achtzehn niedersächsischen Städten in scharfer Form gegen den Föderalismus auf bildungspolitischer Ebene aus und forderten Bundestag und Bundesregierung auf, eine Rahmengesetzgebung für schulische Angelegenheiten auszuarbeiten. Das gegenwärtige Schulsystem sei den Anforderungen einer demokratischen Gesellschaft nicht mehr gewachsen. Deshalb trete der Liberale Schülerbund für die Überführung des zur Zeit vertikal gegliederten Schulsystems in ein horizontal gegliedertes ein. Den Haupttyp dieses neuen Schulsystems bildet nach Ansicht des LS die Gesamtschule.

Unter dem Thema "Warum liberale Schüler?" ging der redegewandte Gymnasiast zunächst auf die heutige Situation von Schule und Schülern ein und erläuterte anschließend einzelne Punkte des Aktionsprogramms der liberalen Schüler.

FEHLERSUCHSYSTEM

Reimar Oltmanns betonte, dass eine durchgreifende Schulreform erforderlich sei, wenn - wie es in der Niedersächsischen Verfassung heißt - Schülerinnen und Schüler zu selbstständig denkenden Menschen erzogen werden sollen. Das zur Zeit bestehende Bewertungs-system in der Schule sei ein Fehlersuchsystem. Und eine Institution, die Fehler so überbewerte, fördere die Bereitwilligkeit, ein Ziel auf dem Wege des geringsten Widerstands zu erreichen. Der Liberale Schülerbund ist der Meinung, dass eine Schule über ihre Funktion als Bildungs- und Ausbildungsstätte hinaus für die Ent-wicklung der Schüler zu demokratisch denkenden und verantwortungsbewussten Staatsbürgern zuständig sei.

MITSPRACHE-RECHTE

Die Schülermitverantwortung (SMV) sei in ihrer jetzigen Form keine mit selbstständige Rechten versehene Organisation, die in ihrem Handeln von autoritären Diktatoren abhängig ist und von den Schülern kaum unterstützt wird. Zu den Zielen des LS gehört die weitgehende Unterstützung der SMV, um die not-wendige Schulreform möglichst schnell voranzutreiben. Als eine von Lehrern und Direktoren unabhängige Organisation verfüge der Liberale Schülerbund über einen größeren Aktionsradius als die örtlichen Schülermitverwaltungen. In Verhandlungen mit Parteien, Direktoren und dem Kultusministerium will der LS sein Hauptaugenmerk auf ein zeitgemäßes Schulsystem richten. Schüler sollen Mitspracherechte bei der Stoffverteilung bekommen. Schüler sollen gleichberechtigt an Schul- und Klassenkonferenzen teilnehmen. Die Schülerpresse-Freiheit soll gesetzlich verankert werden.

AUTORITÄRE GESPRÄCHE

Gleichfalls gilt es, dass etwaige Beschlüsse der Kultus-ministerkonferenz - trotz der Kultur- und Bildungs-autonomie - für alle Bundesländer rechtsverbindlich sind. Und zu guter Letzt, dass Schuldirektoren von den Lehrerkollegien zu wählen seien. Es sei dringend geboten, dass Lehrer, Direktoren, Schul- und Ministerialräte angehalten werden, autoritäre Formen der "Gesprächsführung" zu überwinden. Reimar Oltmanns: "Sonst sitzen sie bald allein in ihren Schulen. Wir streiken."

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