Die Frankfurter Buchmesse ist mit über 7.000 Ausstellern und 280.000 Besuchern die wichtigste und größte Buchmesse der Welt - ein literarisches, gesellschaftliches Großereignis; ein Jahrmarkt aus Showbiz und Eitelkeiten. - Man sagt, Verleger Vito von Eichborn habe nicht nur eine Bierflasche als Bettvorleger.
CULT, Hamburgvom 1. November 1981von Reimar OltmannsDa stehen sie nun auf der Bühne, bedeutungsschwer, aber immerhin ohne Zeremonienmeister. Zurück aus dem fernen Libanon - die bundesdeutsche Heimat hat sie wieder. Hanna Schygulla, ihre Lippen so breit geöffnet, dass der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter in der achten Reihe Kastrationsängste befallen. Einen halben Schritt zurück präsentiert sich Bruno Ganz, der manierliche Selbstzweifler. Er schaut so sensibel und weltfremd drein, dass die Seufzer der "Kon-kret"-Kolumnistin Peggy Parnass, "Bruno, oh Bruno", schon unterkühlt wirken. Allen voran turnt der ange-strengte Volker Schlöndorff. Träte er als Situations-komiker auf, ihm wäre der Stiebitz-Slogan "zack-zack, ein Huhn, zwei Gänse" sicher. Da aber Herr Schlöndorff etwas mit Film zu tun hat, lässt sich seine Gestik auch in "zack-zack, ein Bambi, zwei Oscars" umdeuten.
GLANZ- UND GLIMMER-WELT
Wir sind nicht etwas bei den Glanz- und Glimmer-Festivals in Cannes oder gar Venedig. Wir hocken betonversunken inmitten von Frankfurts City im "Elysee-Cinema", eingekeilt zwischen Würstchenbuden, Peep-Showes und Billardtischen. Dieses "Elysee"-Kino hat soeben die Weltpremiere von Schlöndorffs "Fälschung" hinter sich gebracht. Einer Verfilmung, die der literarischen Vernichtung des gleichnamigen Romans von Nicolas Born (*1937+1979) gleichkommt, der 1979 erschien.
Schlöndorffs Weltpremiere zählte zum Auftakt der diesjährigen Buchmesse gewissermaßen als eine Große-Koalitions-Veranstaltung zwischen dem Rowohlt Verlag sowie den Kino-Firmen United Artists und Bioskop Film sozusagen.
FILM-DUNST - MEDIENDÜNKEL
Wenn Egomanie tatsächlich ein unverkennbarer Aus-druck dieser Jahre sein sollte, dann in diesem exklusiven Kino-Rund. Leute aus Film-Dunst, Mediendünkel, die überall und nirgendwo sein wollen, die keine Milchkanne am Wegesrand stehen lassen, dafür aber das Privileg genießen, sich unentwegt selbst zu beklatschen oder auch zu bemitleiden und sich der Ausmerksamkeit ihres Publikums auch noch sicher sein dürfen. Bei derlei scheint's austauschbar, wer da gerade auf der Bühne den Entertainer abgibt, solange es im Inzuchtladen nicht allzu lasziv kracht und der progressive Anstrich in der Außenausstattung noch ein Quäntchen Zugkraft verheißt.
SCHECKBUCH-JOURNALISMUS
Da versteht es sich von selbst, dass Dezenz längst verpönt, zaghafter Zweifel mittlerweile belächelt wird. Was macht das schon, dass Literatur zur filmischen Arbeitsfolie verkommt, dass Nicolas Borns eigentliche Reflexion über den heuchlerischen Zustand des deut-schen Scheckbuch-Journalismus - aufgezeigt an einem 'stern'-Reporter im Libanon - bis zur Unkennt-lichkeit zurechtgebogen wird. Dafür jagt auf Schlön-dorffs Leinwand eine Attraktion die andere ästhetisch und showbesessen. Alle sechs Sekunden ein Irrsinnsbild, aus allen Ecken und Enden wird geschossen, die "Holi-day-Inn"-Ruine schluckt 5.000 Liter Sprit, Schlöndorffs Pyro-Szenario brennt lichterloh. Bürgerkrieg in Beirut, Schlöndorff der Held im Libanon.
CLAQUEURE WEIT UND BREIT
"Beirut als Science-Fiction für die Städte der Bundes-republik", sagt Herr Schlöndorff weitsichtig, "fan-tastisch, hautnah, atemberaubend",sagt sein Publikum. Ein Claqueur kommt selten allein. Schon gar nicht ins Nobelhotel "Frankfurter Hof", wo nach dem Film-De-büt die Party der selbst gezüchteten Eitelkeiten und Extravaganzen beginnt. Aber zunächst muss die "Ely-see"-Gesellschaft erst einmal raus auf die Straße. Der Kintoppversion vom Bürgerkrieg in Beirut stellt sich zum Kino ein bulliger Wasserwerfer entgegen. "Mam-mut" wacht erst wenige Stunden auf dem Vorplatz. Zuvor war er an der Startbahn West-Front im Einsatz. Dort draußen am Flughafen, wo sich Tausende von Menschen Baum um Baum, Furche um Furche gegen den bürgerkriegsnahen Polizeiaufmarsch stemmten. Nunmehr soll "Mammut" im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung alles verteidigen, was mit Büchern und Filmweltpremieren zusammenhängt. Vor der Alten Oper, jenem Parade-Neubau wiederer-starkten CDU-Bewusstseins, zieht eine Hundertschaft in Stellung. In verdeckten Seitengassen lauern mobile Einsatztrupps auf ihren gepanzerten Fahrzeugen sprungbereit. Hubschrauber kreisen über der Innen-stadt, irgendwo heulen Polizeisirenen auf.
ZÄRTLICHKEIT UND SCHMERZ
Schnellstraßen, Hochhäuser, Abgase und Smogalarm. Trinkwasser, das teilweise ungenießbar ist, Flüsse, die zu Kloaken vergammeln. In den vergangenen 30 Jahren wurden bereits 3.700 Hektar Wald, das entspricht rund 6.000 Fußballplätzen, für Wachstum und Wohlstand abgeholzt. Über drei Millionen Bäume fallen der Start-bahn 18 des Flughafen zum Opfer.
Der 21jährige Alexander, ein ehemaliger Theologie-student, hockt draußen im Wald vor einer proviso-rischen Holzkapelle, die für ökumenische Gottesdienste hergerichtet wurde. Er liest in dem Buch "Zärtlichkeit und Schmerz". Eine gelassene und zugleich doch sehr angespannte Atmosphäre durchdringt den Wald, so, als ob es zwischen technologischem Fortschritt und Rückbe-sinnung auf die Urwüchsigkeit der Lebenslust keine Zwischentöne mehr gäbe. In Minuten-Abständen dröhnen im Tiefflug Jumbos und Airbusse aus anderen Kontinenten ihrer Landebahn entgehen.
Unterdessen hat Schlöndorffs Premierengesellschaft direkten Weges den "Frankfurter Hof" erreicht. Gott sei Dank - Beirut ist fern und war nur im Kino, Frankfurt ist zwar nah, aber nicht hautnah.
FILM, FLANELL UND FUMMEL
Salon 14, Film, Flanell und Fummel, Akkuratesse im Gesicht und am Zwirn, Aigner, Yves Saint Laurent, Christian Dior, Coco Chanel - Kameras surren, Blitz-lichter blitzen. Ob nun links oder rechts gestrickt, ob in der Hierarchie unten oder oben, einer wie der andre pustet sich in Siegerpose auf. Deutschland kennt nur Sieger. Und fortwährend fliegen flüchtige Blicke zum Eingang, wer da noch alles unverhofft kommen mag. Herein rauscht Alice Schwarzer mit ihrer Damenflotte. Enthusiastisch durchkämmt der Emma-Trupp die Menge. Hier ein Küsschen, dort ein Küsschen, "toll Schwester, dich hier wiederzusehen, vor allem, dass du dich unter diese "ekeligen Chauvis traust". Frauen-Avantgarde in Luxus-Herbergen. Ganz im Gegensatz dazu der schriftstellernde Burkhard Driest. In Wolfs-manier kreist er im Salon, um im rechten Augenblick den richtigen Damen sein im Knast einstudiertes Stan-dardlied vorzujaulen: "Bist du einsam heut' Nacht".
MÄNNER-TÄSCHCHEN UND JUNG-VERLEGER
Nur das Äußere , das "Outfit" im neudeutschen Sprachgebrauch dieser Tage, aus Plastiktüte samt baumelnden Männer-Täschchen eines nicht bestellten Herren, will so gar nicht ins erlesene Ambiente passen. Mit fettig-abgekämpften Haar, unrasiert und rot unterlaufenen Augen feiert Jungverleger Vito von Eichborn im "Frankfurter Hof" eine Premiere, sein persönliches Verlagsdebüt in diesem Gründungsjahr. Dabei ist er ganz allein - mal mir nichts, dir nichts - an die Bar gekommen. Übers lachen, wohnen, essen, vögeln, über Huren, Puffs, Ganoven mit oder ohne schmutzigen Sprüchen sucht er sein Verlagsprofil kommender Jahre pointiert zu schärfen. Ausnahmlos alle aus der feingeistigen Damenwelt geben sich, spielen verdutzt. Die aus Jamaika herbeigeeilte Jung-Filmerin Recha Jungmann-Spree gackert emphatisch: "Hier tut nun wirklich etwas arg weh". - "Ach", ergänzt die Grünen-Politikerin Petra Kelly (*1947+1992): "Vito, "Du bist immer besoffen, das macht mich so betroffen".
NEW WAVE
Szenenwechsel: Jürgen, ganz auf New-Wave geziert, findet Flirten mit derlei Frauen langweilig, Filme öden ihn ohnehin an, Literatur reißt ihn nicht vom Hocker. Autistisch liebt er nur sich selbst, allenfalls noch seine sporadische Alltagsposie. In den "Frankfurter Hof" kam er mit seinen Freunden, um "endlich mal wieder gut zu fressen und ordentlich einen wegzuschlucken". Folge-richtig gastiert die New-Wave-Generation nur am Buffet. Jürgen hat nicht einmal seinen Klepper-Mantel ausgezogen, der Kragen steht hoch, die Haare kurz geschoren - noch.
APO-OPA
Gegenüber den New-Wavies wirkt ein APO-OPA, ehemals ein Frankfurter Studentenrebell, wie ein verblichenes Überbleibsel aus der Requisitenkammer aus einer verlorenen Zeit, vielleicht eines verlorenen Lebens. Seit nunmehr zwei Stunden steigt der Enddreißiger Michael K. zwei Verlegern hinterher. Der APO-OPA, mit schulterlangem Haar und obligatorischer Nickelbrille, will es endlich wissen. Gespannt fixiert er jede Geste des Herren, die ihm zum literarischen Durchbruch verhelfen sollen. Aber es wird ein Einbruch. Doch nur der Durchbruch zählt. Wenn Günter Amendt die Peep-Show die "äußerste Form sexueller Verelendung" ist, dann ist die Buchmesse Deutschlands Edelbordell. Wie heißt es in Schlöndorffs verfälschter Fälschung: "Ich habe keine Angst, mein Leben zu verfälschen, nur Angst davor, dass ich es eines Tages nicht bemerke und weitermache:" Es ist 23 Uhr, Herr Schlöndorff wird zum letzten Mal abgelichtet, Herr von Eichborn erklärt noch immer Alice Schwarzer, warum er gegen "Schwanz-Abschneiderinnen" zu Felde ziehen werde - die letzten Premierengäste verlassen unbemerkt den Salon 14.
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