Süddeutsche Zeitung
vom 7. April 2000
von Gerd Kröncke
Die berühmteste Französin, die je eine Armee gegen den Feind führte, hatte in Männeruniformen das belagerte Orleans von den Engländern befreit und wurde zur Na- tionalheldin. Doch um welchen Preis:
EINST AUF DEN SCHEITERHAUFEN
Am Ende verbrannte Jeanne d'Arc auf dem Scheiter-haufen von Rouen. Als die Jungfrau den "Stimmen" nachfolgte, die sie riefen, ihren König Charles VII. zur Krönung zu führen, war sie mal gerade 17 Jahre alt. So jung wie die Französinnen, die am Samstag zu einer Art Musterung gebeten werden.
VORBEREITUNGS-TAGE
Es ist das erste Mal, dass außer den jungen Männern auch Frankreichs Mädchen, ein ganzer Jahrgang, von den Streitkräften vorgeladen werden. Wobei dies freilich keine wirkliche Musterung ist, vielmehr erhalten alle Jugendlichen vor ihrem 18. Geburtstag die Aufforder- ung, sich an einem landesweiten "Vorbereitungstag für die Verteidigung" zu beteiligen. Im Pariser Fort von Vincennes, einem der 220 Informationszentren, wird es sich der Leutnant der Reserve, Jacques Chirac (Staats-präsident 1995-2007), nicht nehmen lassen, die jungen Frauen zu inspizieren.
JETZT UNTER WAFFEN
Theoretisch gilt die Wehrpflicht noch bis 2002, aber de facto hat sie der Staatspräsident bereits abgeschafft. " Wir brauchen keine Einberufungen mehr", hatte Chirac vor vier Jahren erklärt und sprach sich für eine Profes-sionalisierung der Streitkräfte aus. Für die Übergangs- zeit bis 2002 können immer noch jene jungen Männer zu den Waffen gerufen werden, die bislang wegen ihrer Ausbildung zurückgestellt worden waren. Um aber eine Berufsarmee zu schaffen, werden im Zeichen der Gleich-stellung auch Frauen angeworben. Und damit sie gleich wissen, worum es geht, müssen alle zum "Vorbereitungs- tag" antreten. Wer sich drückt, kann keinen Führer-schein machen und bekommt sein Abiturzeugnis nicht ausgehändigt.
ZWEITGRÖSSTE FRAUEN-KORPS
Frauen unter Waffen gibt es seit langem, schon der Gründer der V. Republik Charles de Gaulles (*1890+1970) hatte während seiner englischen Emi- gration ein Frauen-korps aufgestellt. Offiziell öffnete sich die Armee 1983 - "Aux armes, citoyennes", rief der damalige Verteidigungsminister Charles Hernu (*1923+1996) nachdrücklich: "Zu den Waffen, Bürger-innen!" Inzwischen hat Frankreich, nach den USA, mit 27.000 Uniformträgerinnen das zweitgrößte Frauen-korps. Manche tragen den Marschallstab im Tornister. Eine wurde médecin général inspecteur, was einem Divi-sionsgeneral entspricht. Der Dienstgrad bleibt männ- lich, le général Valérie André wurde vergangenes Jahr als erste Soldatin mit dem Großkreuz der Ehrenlegion ausgezeichnet.
"ANMACHE-FRAU"
Der deutsche Autor und Frankreich-Kenner Reimar Oltmanns ("Vive la Française") hat im Garnisonsstädtchen La Valbonne die Welt der Soldatinnen ausgekundschaftet. "Wir müssen", hat ihm Colonel Nicole Riedel gemeldet, "uns stets neu beweisen, immer hartnäckiger, einfach besser als die Männer sein. Insgeheim werden wir immer noch als Exotinnen empfunden." Als Unteroffizier Sandrine Gervasoni merkte, dass sie zur "Anmache-Frau" der Kompanie gekürt werden sollte, eine der man Blumen und Briefe schickt, reagierte sie schroff. In solchen Momenten helfe nur der Dienstgrad, sagt sie. "Die Unterordnung gehört zur Militärdisziplin, sie schützt vor Ungehorsam. Die Männer begreifen hier schnell, dass nicht in einem Bordell, sondern bei der französischen Armee sind." Dann lässt sie ihre Rekruten strammstehen, um sie anschließend mit Stahlhelm samt Sturmgewehr durch Schlammlöcher und unter Stacheldrahtverhauen hindurchzujagen. Beim Waldlauf bleiben männ- liche Überlegenheitsgefühle auf der Strecke, berichtet der Autor.
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