Eine Große Koalition reagiert seit Jahrzehnten diese Republik: das Bündnis der Modemuffel, die Schäbigkeit zum Prinzip erklärt haben
Männer Vogue, München
vom 2. Januar 1990
von Reimar Oltmanns
Freitag, 12 Uhr: Für die Fahrbereitschaft des Deutschen Bundestag beginnt jetzt der Großeinsatz. Die Abgeordneten steigen in glänzende BMW- und Mercedes-Limousinen, es geht nämlich zurück in den heimatlichen Wahlkreis. Die obligate Ausgeh-Uniform der Herren MdB's und Ministerialbeamten duldet seit Jahrzehnten nur gedecktes Grau oder Dunkelblau, Streifenkrawatten und weiße, allenfalls noch zartblaue Hemden. Allesamt schreiben die skrupelfreien Dynamiker zu Bonn anscheinend dieser Kluft eine beruhigende Wirkung zu.
IN LETZTER SAUBERER BLUSE
Abgekämpft, oft in der letzten sauberen Bluse, die Hosen selten noch bügelfrisch, fährt die Politikerkarawane ab zu Heim und Herd. Nicht wenigen ist anzumerken, dass sie sich während der Sitzungswoche nicht einmal die Haare gewaschen haben: Fett hängen die Strähnen ins Gesicht. Mancher Abgeordnetenschuh lässt erahnen, wie flüchtig da vor lauter Zeitnot mit einem Socken drübergezogen wurde - Nachkriegsdeutschland lässt grüßen.
"Grausam und lieblos", so befindet Antje Vollmer, Fraktionssprecherin der Grünen, schon allein die äußere Erscheinungsform vieler ihrer MdB-Gefährten. "Ohne die Frauen zu Hause würden doch viele arg verwahrlosen." Kollegin Waltraud Schoppe konstatiert knapp: "Bleierne Mittelmäßigkeit." Und Annemarie Renger (*1919+2008) ,Vizepräsidentin wie Grande Dame des Hohen Hauses, beklagt sich im trauten Kreis bitter: "Ich habe selten so schlecht angezogene Männer auf einem Haufen gesehen wie im Plenum des Deutschen Bundestages: zu kurze Hosen, unmodische Sakkos - sie sehen scheußlich aus!" So appellierte Berlins Familiensenatorin Anne Klein denn auch an die Volksvertreter, die ihr Graue-Mäuse-Dasein zum Bekleidungs-Prinzip erhoben haben: "Raus aus dem engen Grau, rein in mehr Farbe und Lockerheit. Vor allen Dingen aber, bitte, keine Mode oben ohne."
SCHÄBIGKEIT ZUM KULT STILISIERT
Lediglich der ausgemusterte CSU-Haudegen Richard Stücklen (*1916+2002), einst wohlbeleibter Bundestagsabgeordneter, bot solch herber Kritik wenigstens halbherzig Paroli: "Nur nicht auffallen. Wichtiger ist , wie es drinnen ausschaut." Es blieb dem EU-Kommissar und früheren Wirtschaftminister Martin Bangemann vorbehalten, aus der Schäbigkeit seiner Kleidung einen koketten Kult zu machen. Auf seine ausgelatschten Schuhe angesprochen, sagte er: "Wir sind sowieso bald alle museumsreif."
In der Tat: Die Anachronismen beginnen im Bundes-Bonn bereits bei scheinbaren Vordergründigkeiten. Die Bediensteten des Bundestages stehen noch heute wie dazumal im Frack so akkurat wie bedeutungsschwer Spalier. Die Herren MdB's lümmeln sich derweile im ausgesessenen Neckermann-Verschnitt - nicht selten Horoskop lesend - auf den Abgeordnetenbänken. Nur hin und wieder raunt ein "Hört, hört", durch den leer gefegten Saal.
ARGWÖHNISCHE MODE-MUFFEL
Wohl achtzig Prozent der Bundestagsabgeordneten würden nicht einmal mehr als Kundenberater bei der Provinz-Volksbank Birstein eine Anstellung finden. Weil ihre Kleidung selbst nach dortigem Maßstab nicht geschmackvoll ist - und schon gar nicht berufsadäquat: Ist sie doch alle andere als vertrauenserweckend. Diese Ausgeh-Uniform erinnern sehr an vergilbte Überbleibsel aus den siebziger Jahren. Insofern dominiert schon sehr lange eine Große Koalition diese Republik: ein stillschweigendes Bündnis argwöhnischer Modemuffel. Zwar weiß seit Gottfried Keller (*1819+1890) jedes Kind, dass Kleider Leute machen, doch in der Bundeshauptstadt Bonn gilt diese Erkenntnis nichts.
NIEMANDSLAND
Wohl niemand erwartet von der Politikerklasse am Rhein modische Extravaganzen à la Pariser Prêt-à-porter-Kollektionen, gar einen avantgardistischen Minderheiten-Zwirn oder großbürgerliche Aufgeblasenheit. Zwischen den Extremen Avantgarde und Ignoranz liegt allerdings ein in der Bundeshauptstadt bislang arg vernachlässigtes Niemandsland. So mancher Spitzenpolitiker würde zweifellos gewinnen, wenn er sich zum Auftakt der neunziger Jahre zur Abwechselung einmal von einem zeitgemäßen Herrenausstatter einkleiden ließe. Ob CSU-Finanzminister Theo Waigel, der heimliche Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine oder der SPD-Neuling Otto Schily - sie hätten, mit einem guten Stylisten im Hintergrund, zumindest eines gemeinsam: Mit neuem Outfit würden sie in Bonn selbst in einer unpolitischen Epoche kameraluchsend Furore machen und könnten sich ihre Statements für kommende dürftigere Zeiten aufheben.
"Mode", schreibt der baden-württembergische CDU-Landtagsvizepräsident Gerd Weng, "gilt als ein wesentliches Regelungs- und Ausdrucksmittel des gesellschaftlich lebenden Menschen, und wer wäre dies mehr als der Volksvertreter?" Wie wahr. Das ändert freilich wenig an der Tatsache, dass für Herrn Herbert Piedboeuf, Geschäftsführer Deutschen Instituts für Herrenmode, "die Politiker in Bonn beschissen gekleidet sind". Platz eins seiner Namensliste teilen sich Kanzler Kohl, Hans-Dietrich Genscher und Gerhard Stoltenberg (*1928+2001).
Als unlängst Kohl in einer Meinungsumfrage las, dass jeder dritte Bundesbürger glaubt, gutes Aussehen trage zum Erfolg der Politik bei, ließ er ausnahmsweise einmal Profis sein Erscheinungsbild stylen. Auf Bitten von Freunden erarbeitete eine Frankfurter Werbeagentur ein Konzept, mit dem das Kanzler-Image durch andere Kleidung erheblich verbessert werden könnte. Kernstück des Vorschlagpakets: Kohl möge doch statt der ermüdenden Einreiher zuweilen in flotte Zweireiher steigen. Kohl lehnte brüsk ab.
NICHTS INSPIRIERENDES DRAN
Und das, wo sich im Laufe der achtziger Jahre das Erscheinungsbild und damit auch das Selbstverständnis des Mannes radikal gewandelt haben. Noch ist diese Ver- änderung in Bonn nicht mal als zaghafter Trend sichtbar, doch Herbert Piedboeuf ist siegesgewiss: "Mode gewinnt für Männer zunehmend an Bedeutung. Zwar lassen sich noch 60 Prozent die Garderobe von der Partnerin aussuchen, dennoch kann von modischer Inkompetenz der Männer weiß Gott keine Rede mehr sein." Um so mehr bringt die Kohl-Ignoranz, typisch für die erbärmliche Bonner Modekultur, die deutschen Erfolgsfunktionäre in Rage. Modemacher Wolfgang Joop weist es folglich weit von sich, auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie Kohl dem Wahlvolk appetitlich zu servieren sei. Joop gelangweilt: "Ich finde, da ist nichts Inspirierendes dran. Diese großen, glänzenden Mistkäfer-Jacken - wenn man schon so gewölbt aussieht, sollte man das nicht auch noch polieren. Ich weiß auch nicht, wer ihn anzieht, aber der Mann gehört in den Tower."
JACK LANG IN PARIS
In Frankreich und Italien ist es für einen gestandenen Politiker gerade zu eine Selbstverständlichkeit, herausragend angezogen zu sein. Schließlich ist Mode Kultur und die Kultur ein zentrales Anliegen europäischer Identität. Bestes Beispiel: Jack Lang, der französische Minister für Kultur. Erfolgreich unternahm er den Versuch, die künstliche Trennung von Kunst und Design aufzuheben. Lang umgarnte die Modeleute, lud sie in den Elysée-Palast, dekorierte sie mit Orden der Ehrenlegion. Und Lang scheute sich keineswegs, ihre Mode zu tragen. Geschmeidig gekleidet, ging er seinem Politikerjob nach, hin und wieder im dunkel-grauen Anzug von Thierry Mugler, dessen Nähte - analog zur Architektur des Centre Pompidou - außen unverkennbar war.
GENSCHER IN BONN
Aber immerhin gibt es einen kleinen Fortschritt im Bonner Bundesdorf zu verzeichnen. Früher, Anfang der siebziger Jahre, als Hans-Dietrich Genscher noch Innenminister war, schlief er oft nachts in voller Montur in seinem Arbeitszimmer ein. Tags darauf präsentierte er sich in zerknittertem Tuch. Genscher zu Männer Vogue: "Ja, ja, so war das damals. Aber es ist längst Vergangenheit. Heute kommt das nicht mehr vor. Ich habe nämlich mehrere Anzüge in Reserve."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen