Freitag, 28. April 1972

Kirche im Nationalsozialismus: Entzauberung einer Legende. Ein Denkmal wankt - "Der Krieg als geistige Leistung" - Bischof Hanns Lilje (*1899+1977)

































Die Kirchen in Deutschland waren tief in die Nazi-Diktatur verstrickt. Nur wenige Christen fanden Courage zu widerstehen. Zu ih
nen soll Hanns Lilje (*1899+1977) , Hannovers Protestanten-Bischof, gezählt haben; ein emphatischer "Prediger des inneren Widerstands", als "kühnster Sprecher der Bekennenden Kirche" gegen Hitler-Deutschland hieß es landauf, landab in all den Jahren. Tatsächlich war Hanns Lilje im Nachkriegs-Deutschland eine der wenigen weltgewandten Persönlichkeiten des Protestantismus im 20. Jahrhundert. Ein Theologe, an dem sich viele aufrichteten, Orientierung suchten, ein Märytrer. Letzte Forschungen belegen zweifelsfrei, Liljes Opposition gegen die Nazis ist Legende - zwischen wohldosierter Dichtung und unterdrückter Wahrheit. Wie konnten derlei Verklärungen über all die Jahrzehnte funktionieren? Propaganda-Tricks , Vertuschungen ? Begegnung mit einem Mitläufer. Zeitgeschichte
.
Zur Erinnerung: Hanns Lilje war elffacher Ehrendoktor, Träger des Großen Verdienstkreuzes mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, des Großkreuzes des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland sowie der Niedersächsischen Landesmedeaille. Er ist Namensgeber der 1989 gegründeten synodalen Hanns-Lilje-Stiftung. Lilje starb im Alter von 77 Jahren. Seine Grabstätte befindet sich auf dem Klosterfriedhof in Loccum.
.
-----------------------
Frankfurter Rundschau
28. April 1972
von Reimar Oltmanns
---------------------------
In der Meraner Straße im hannoverschen Waldhausen verbringt Landesbischof a.D. Johannes Ernst Richard - genannt Hanns - Lilje seinen Lebensabend. "Ein Christ im Welthorizont", wie Lilje oft genannt wurde, der "allzeit das Ohr am Boden gehabt und das Grollen sich ankündigender Bewegung im voraus vernommen" hat, so charakterisierte ihn die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Ich habe mich auf mein Gespräch mit Hanns D. Lilje intensiv vorbereitet, Fragen notiert. Ich wusste um seine geschliffene Sprache, um seine wortgewaltige Argumentationsweise - eine vielleicht vordergründige Prägnanz, die aber gleichwohl unliebsame Ereignisse, Erinnerungen vom Tisch zu fegen verstehen. Nun, an seinem Lebensabend, hatte Hanns Lilje die Gelassenheit gefunden, fernab von der aktuellen Kirchenpolitik, Bilanz zu ziehen, eine Art Lebensresümee aufzuzeichnen - seine Memoiren zu schreiben.
POLITISCHER PRAGMATIKER
Hanns Lilje war seit 1947 kein Landesbischof im herkömmlichen Sinne. Als Prediger und Journalist (Urbegründer des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblattes 1948-2000), als Theologe und Seelsorger, als Kirchenführer und Schriftsteller versuchte er nicht nur, wie er es nannte, "Brücken zu schlagen". Das jedenfalls schrieb der Evangelische Pressedienst 1969 zu seinem 70. Geburtstag. Hanns Lilje war, wie er selbst von sich sagt, in all den politisch Zeiten der Irrungen und Wirrungen ein "politischer Pragmatiker", der keinen Weg betrat, "von dem ich nicht wusste, dass ich ihn nicht zu Ende gehen kann". Diese Maxime bestimmte seine Kirchenpolitik, sei es als Generalsekretär der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung (1927-1935) oder auch als Präsident des Lutherischen Weltbundes, der er von 1952 bis 1957 war.
VOM AUFSTIEG VERFÜHRT
Ein Schlüsselerlebnis, das Lilje zur Theologie führte, gab es nicht. Ursprünglich wollte er Verkündiger sein, "um mein Leben an eine ernsthafte große Aufgabe dieser Art zu verwenden". Doch schon 1927 - sechs Jahre vor Hitlers Machtergreifung - begann für ihn als Generalsekretär der Deutschen Christlichen Vereinigung der steile Aufstieg in die Hierarchie der Kirchenpolitik, von der er sich bis zu seiner Pension nicht mehr loseisen konnte - und auch wollte. Folglich begründete Lilje im Jahr 1933 die "Jungreformatorische Bewegung" mit und sagte zur NS-Machtübergabe ein "freudiges Ja". - Kirchen-Karriere.
ALLES GEWUSST - NICHTS GESAGT
Als Generalsekretär und später als Vizepräsident dieser Organisation will er "das Handwerk gelernt haben, um überhaupt in der geistigen Diskussion dieser Zeit drin sein zu können". Tagungen, Vortragsveranstaltungen und zeitweilig literarische Aufträge haben ihn "in das Licht der Öffentlichkeit gerückt". Und obwohl er "kein dramatischer Mensch war und auch nicht unbedingt provozierende Dinge gedacht und gesagt hat" (Lilje) schrieb er nach dem misslungenen Attentat auf Hitler am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller in der Zeitschrift "Furche": "Dass durch solche Anschläge der Siegeswille des nationalsozialistischen Deutschland nicht gelähmt werden darf, bedarf keines Wortes." Liljes Kirchen-Wort zu einer Zeit, als in Hitler-Deutschland längst Bücher und Synagogen brannten und der Angriffskrieg längst begonnen hatte.
KEIN WIDERSTANDS-KÄMPFER
Zwar gehörte Hanns Lilje zur Bekennenden Kirche um Dietrich Bonhoeffer (*1906+9.April 1945 im KZ Flossenburg ermordet ) und Martin Niemöller ( *1892+1984 - seit 1937 Häftling im KZ Sachsenhausen), doch ein Widerstandskämpfer war der rhetorisch wetterfeste Bischof im schwarzen Talar mitnichten. Ganz im Gegenteil. Weil Hanns Lilje vielleicht "kein dramatischer Mensch" war, schrieb er 1941 in den Furche-Schriften, einen Aufsatz "Der Krieg als geistige Leistung", um, wie er sich heute rechtfertigt, "den Menschen, die in die Maschinerie des Krieges hineingeraten sind, zu helfen, ihre geistige Existenz wahren zu können". So steht dort geschrieben: "Für Luther ist der Krieg 'Gottes Werk' - in demselben Sinne, in dem Größe und Grauen der Geschichte Gottes Werk heißen und in dem alle Geschichte gleicherweise Zeichen seiner Gnade wie seines Zornes ist ...". - Verständlich, dass Gott im Dienst "nationaler deutscher Belange" steht. Lilje im Originalton: "Es muss nicht nur auf den Koppelschlössern der Soldaten, sondern in Herz und Gewissen stehen: Mit Gott!" - Gott als Legitimation der Nazi-Barbarei; Hanns Lilje sein Chefinterpret: "Soldaten sind Männer, die jetzt wieder den grauen Rock der Ehre tragen."
VERKLÄRUNG FRÜHERER JAHRE
Lilje Nachkriegsleben mit neu zurechtgerückten Collagen begann schon zwei Jahre nach dem Zusammenbruch am 8. Mai 1945. Da lobte ihn der "Internationale Biografische Dienst" als einen vom Volksgerichtshof Verurteilten, der die "eisernen Fenstergitter und Türen des berüchtigten Gefängnisses von Moabit mit seinem ungebrochenen Geist gesprengt habe, längst ehe nach dem Einmarsch der alliierten Truppen in Berlin die Zeiten sich öffneten". Im selben Jahr, im Frühjahr 1947, stellte die viel beachtete britische Zeitung British Zone Review, dem wichtigsten Presseorgan des Kontrollrats, Lilje als einen "mutigen Deutschen" dar, der in Gestapo-Haft kam (1944 bis 1945), weil er in das Komplott des deutschen Widerstands vom 20. Juli verstrickt gewesen sei. Naheliegend, dass dieser Lilje in einem Atemzug mit den Widerstandskämpfern Theodor Steltzer (*1885+1967 ), Fabian von Schlabrendorff (*1907+1980 ), Helmuth Graf von Moltke (*1907+23. Januar 1945 gehängt im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee ) und Eugen Gerstenmaier (*1906+1986; als Mitglied des Kreisauer Kreises am 20. Juli 1944 verhaftet) genannt wurde. Beinahe so, als sei Hanns Lilje einer der wenigen, der den Nazi-Schergen noch entronnen sei. Lilje als Märtyrer. Karriere-Bausteine. Blanko ausgestellte Persilscheine, die dem Kirchenmann nicht nur hohe Reputation sicherte, sondern gleichfalls zu einer der ersten von den Briten genehmigten Zeitungslizenzen verhalfen - das "Sonntagsblatt", welches er herausgab. In Wahrheit hatte sich Hanns Lilje nicht gegen die Nazis gestellt. Auch war er nicht - wie immer wieder in Umlauf gesetzt - zum Tode , sondern zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Letztlich war der Prozess am Volksgerichthof unter dem Vorsitzenden Roland Freisler (*1893+1945 ) gegen den Kirchenmann wegen seiner zahlreichen Auslandskontakten ("Landesverrat") inszeniert worden - und nicht gegen seiner Zugehörigkeit zu einer Widerstandsguppe gegen Hitler, gar zu den Männern des 20. Juli 1944. - Aufklärung.
FESTSCHRIFT ZUM 70. GEBURTSTAG
Junge Theologen um den Göttinger Pastoren Hartwig Hohnsbein fertigten zum 70. Geburtstag des Landesbischofs einen Raubdruck über sein Nazi-Mitläufertum an. Sie ließen ihm - als "Festschrift deklariert" - ein Exemplar zukommen. Danach war es Hanns Lilje, der den Anführer des zivilen Widerstands, Carl Goerdeler (*1984+1945 ), nationalkonservativer Oberbürgermeister von Leipzig, jede bittende Hilfe bei seiner geplanten Flucht ins Ausland - als letzte Rettung - verweigerte. Er , Goerdeler, so Liljes Maßgabe, solle doch lieber nach Leipzig zurückkehren Carl Coerdeler wurde 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Pastor Hartwig Hohnsbeins Befund: "Lilje war verlässlicher Parteigänger für die NS-Machthaber, bis er, sehr zufällig, selbst in das Räderwerk ihrer brutalen Unrechtsordnung kam."
FRAGEN ÜBER FRAGEN - KEINE ANTWORT
Es waren junge Theologen und in der Kirche aktive Christen, die ihren Landesbischof nach seiner Vergangenheit im Nationalsozialismus fragten. Viele junge Menschen fragten in den sechziger Jahren ihre Väter. Es war die Zeit der ersten schüchternen Aufarbeitung des Unverstellbaren - die Massenmordes im Namen der Deutschen. Es war die Zeit, des Publizisten Eugen Kogon (*1903+1987) mit seinem Standardwerk über den "SS-Staat". Es waren die Jahre des Psychoanalytikers Alexander Mitscherlich (*1908+1982) mit seiner deutschen Zustandsbeschreibung "Die vaterlose Gesellschaft" oder "Die Unfähigkeit zu trauern". Es waren aber nicht die Jahre, Aufklärungsjahre, Trauerjahre des Landesbischofs im Namen der Christen. Denk- und Diskussionsverbot. Hanns Lilje beschied lapidar: "Ich habe keinen Anlass, diese Kritik ernst zu nehmen, weil sie Ausschnitte aus einer geplanten Antipropanda gegen die Kirche sind, deren Ursprung höchstwahrscheinlich in der DDR zu suchen ist." Ende der Durchsage. Kein Pastor wagte aufzumucken, Kritiker versteckten sich.
NAZI-KONTINUITÄT
Zwei Jahre nach Kriegsende wurde Hanns Lilje, inzwischen zum Oberkirchenrat avanciert, von der hannoverschen Landessynode zum Landesbischof gewählt. Er trat damit die Nachfolge des NSDAP-Parteigängers und Antisemiten Bischof August Marahrens (*1875+1950) an, dem er zuvor des öfteren in der Kirchenpolitik begegnet ist: insbesondere um 1935, als August Marahrens Präsident des Lutherischen Weltkonvents war und Lilje als Generalsekretär fungierte. Von der Öffentlichkeit nicht zur Kenntnis genommen , dass mit der Amtsübergabe Marahens/Lilje eine unscheinbare, innere Kontinuität gewahrt wurde. Im Klartext: Hitler-Befürworter von einst gaben sich im neuen Gewande den Tresorschlüssel in die Hand. Nach draußen hin sollte die Ablösung Marahrens durch Lilje die Landessynode offensichtlich demonstrativ einen Schlussstrich unter die nationalsozialistischen Geschehnisse signalisieren; aber nur fürs Kirchenpublikum. Denn intern in vielen Pastorenstuben waren beklemmende Erinnerungen an die Marahens-Ära noch zu frisch, lebte auch das kirchliche Amtsblatt der Landeskirche zu Hannover vom 21. Juli 1944 in so manchen Seelsorger-Köpfen fort. Ein Amtsblatt der Zeitgeschichte, in dem August Marahrens "als Dank für die gnädige Errettung des Führers für den darauffolgenden Sonntag folgendes Gebet anordnete: "Heiliger barmherziger Gott! Von Grund unseres Herzens danken wir Dir, dass Du unserem Führer bei dem verbrecherischen Anschlag Leben und Gesundheit bewahrt und ihn unserem Volke in einer Stunde höchster Gefahr erhalten hast. In Deine Hände befehlen wir ihn ...".
KAMPF UM RESTAURATION
Die Zeichen in der Nachkriegsgeschichte der evangelischen Kirche standen auf Sturm. So heißt es in der "Stimme", einer Zeitschrift um den früheren KZ-Häftling im Konzentrationslager Sachsenhausen und Widerstandskämpfer Martin Niemöller (*1892+1984): "Im Unterschied zur Gruppe der deutschen Christen konnte die lutherische antisozialistische Fraktion ihre Machtposition in den Landeskirchen und in der EKD auch nach 1945 behaupten, und sie setzte in den entscheidenden Jahren 1945 bis 1949 alles daran, eine kirchliche und gesellschaftliche Neuordnung zu verhindern."
PERSONEN-PROFILE
Das Hauptaugenmerk dieses gesellschaftlichen Kirchen-Kampfes um Erneuerung oder Bewahrung bei den Protestanten richtete seinen Blickwinkel auf zwei Protestantenführer jener Jahre - eben Hanns Lilje als Mann der westdeutschen Restauration - und Martin Niemöller, Repräsentant des Neubeginns, Vertreter der Aufarbeitung auch des Unrechts, das im Namen der evangelischen Kirche geschehen ist. Er schrieb in diesen Jahren einen Vers, der wohl kaum besser das allseits lähmende, erstickende Klima reflektiert:
"Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen, ich war kein Kommunist.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie die Sozialisten einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Sozialist.
Als sie die Juden einsperrten, habe ich geschwiegen, ich war ja kein Jude.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."
Doch einen gab es dann noch noch - der aber protestierte nicht: Hanns Lilje. Ganz im Gegenteil: Vier Jahre nach dem Nazi-Gräuel forderte der Bischof einen Schlussstrich zu ziehen, eine "Liquidation der Vergangenheit". Er war ein Exponent der anti-sozialistischen Lutheraner nach 1945. Und Hanns Lilje bekannte sich im Frühjahr 1971 erstmalig im Rückblick auf seine Amtszeit als Landesbischof ganz offen zur Wiederherstellung alter Verhältnisse, zur Wiedereinsetzung aller Figuren in ihren Ämtern - zur Restauration.
FÜR NS-TÄTER EINGESETZT
Vor der hannoverschen Synode sagte er: "Wir haben in der Tat wiederhergestellt. Und ich darf, ehe dieses Wort der Restauration wieder absinkt in den Streit der Schlagworte, sagen: Genau das war unsere Pflicht." War es auch seine Pflicht, sich für verurteilte NS-Täter einzusetzen; darunter Massenmörder wie Paul Blobel (+1894+1951; u.a, Führer des Sonderkommandos 4a, das 60.000 Menschen, darunter 30.000 Juden am 29. und 30. September 1941 bei Kiew ermordete und Franz Six (*1909+1975; SS-Brigadeführer - Generalmajor - , verantwortlich für Logistik der Judenverfolgung)?
STUTTGARTER SCHULDBEKENNTNIS
Hatte Hanns Lilje noch 1945 zusammen mit Martin Niemöller und Gustav Heinemann (*1899+1976; Bundespräsident 1969-1974) das "Stuttgarter Schuldbekenntnis" unterschrieben, so trennten sich die Wege beider Theologen in den fünfziger Jahren. Schon 1947 war Martin Niemöller in der Synode äußerst umstritten, galt als "linksverdächtig". So steht in einem Urantrag geschrieben: Sie (Synode) steht auf dem Standpunkt, dass Herr Niemöller als Leiter des Außenamtes der evangelischen Kirche untragbar ist." Aus den Synodalprotokollen geht hervor, dass Niemöller für den ehemaligen deutsch-nationalen niedersächsischen Ministerpräsidenten Heinrich Hellwege (*1906+1991; Ministerpräsident des Landes Niedersachsen 1955-1959) ein Dorn im Auge war. Grund der Auseinandersetzung: Martin Niemöller suchte vergeblich in Zeiten des "Kalten Krieges" eine "positive Klärung" der Westdeutschen zu ihren östlichen Nachbarn. Anti-Kommunisten Hellwege vor der Synode: "Solche Parolen sind gefährlich, weil sie den Widerstandswillen des deutschen Volkes gegen die östliche Bedrohung schwächen, und weil sie damit der ernstlichen Bemühung der Bundesregierung und unser aller geistiges Bollwerk in den Rücken fallen." - Kirchenpolitik.
AUFRÜSTUNG - MILITÄRSEELSORGE
Ihren Höhepunkt fanden heftigst die Auseinandersetzung in der Diskussion um Wiederaufrüstung , Gründung der Bundeswehr im Jahre 1956. Wieder sollten Pastoren Panzer und Soldaten, diesmal in ihrer Hab-Acht-Stellung gegenüber dem Kommunismus, Pate stehen, Beistand leisten, Gottvertrauen zusprechen. Es war Kanzler Konrad Adenauer (*1876+1967), der die Pastoren - neun Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg - mit seinem Militärseelsorge-Vertrag wieder in die Kasernen rief. Es waren Martin Niemöller und Helmut Gollwitzer (*1908+1993), die eine abermalige Bindung ihrer Kirche an Panzern mit ihren Pastoren strikt ablehnten. Hanns Lilje hingegen engagierte sich mit seinem Kollegen Otto Dibelius (*1880+1967) fürs Engagement schwarzer Talare auf Kasernen-Höfen; nach dem Motto: Gotteswort überall.
BESCHLÜSSE EINFACH MISSACHTET
Bezeichnenderweise steht nichts über derlei gravierende Richtungskämpfe in offiziellen Kirchen-Verlautbarungen. Lediglich das "Jahrbuch für kritische Aufklärung" vermerkt: "Der Protest meldete sich auf der außerordentlichen Synode der EKD zu Wort, die auf Wunsch der Kirchen in der DDR wie von westdeutscher Seite wegen der Verbreitung der allgemeinen Wehrpflicht und des Militärseelsorgevertrages einberufen wurde. In einem am 29. Juli 1956 angenommenen Ausschuss-Resolution heißt es: 'Der Rat der EKD hat beschlossen, endgültige Maßnahmen zur Ordnung der Militärseelsorge nicht zu treffen ...' Der Beschluss sollte 'beachtet' und 'keine Tatsachen geschaffen werden, die die EKD zu dieser Sache binden'. Sandkasten-Demokratie,
MILITÄRSEESORGE DURCHPAUKT
Indes: Unter 'bewusster Missachtung' (Helmut Gollwitzer) dieses Synodalbeschlusses unterzeichnete der Ratsvorsitzende der DKD, Bischof Otto Dibelius sowie der Leiter der Kirchenkanzlei Heinz Brunotte (*1896+1984) den Militärseelsorgevertrag am 23. März 1957 in Bonn. Erster Militärbischof wurde Hermann Kunst (1957-1972; *1907+1999). Er war auch ohne Befragen der Synodalen kurzerhand ernannt worden. Hanns Lilje war jedenfalls ohne Wenn und Aber auf der Seite von Armee und Pastoren in Uniform zu finden. Er befand: "Es war schon immer Unsinn, wenn man meint, dass die Militärseelsorge die Waffen segnen soll."
US-AUSSENMINISTERIUM EINGESCHALTET
Der Konflikt zwischen beiden Flügeln in der evangelischen Kirche hatte zumindest Mitte der fünfziger Jahre ein solches Ausmaß erreicht, dass sich auch der damalige US-Außenminister John Forster Dulles (*1988+1959; US-Außenminister 1953-1959) für derlei Diadochen-Kämpfe in Sachen Jesus in Deutschland interessierte. Aus den Adenauer-Memoiren geht hervor: "Botschafter Krekeler habe John Forster Dullas sagen müssen, dass leider in der protestantischen Kirche neben den Persönlichkeiten von so klarer Haltung wie den Bischöfen Dibelius und Lilje sowie den Laien von Thadden-Trieglaff noch eine ganze Reihe von Geistlichen durchaus keine realistische Einstellung zum Problem des Kommunismus hätte."
LILJE: ZU WENIG ZUGETRAUT
Hanns Lilje will sich in all den verirrten und verwirrenden Epochen treu geblieben sein. Der "politische Pragmatismus", so sagt er, war der "einzige Weg, der uns ein Überleben sicherte". Und wenn er während seiner Amtszeit Fehler gemacht , Fehleinschätzung vorgenommen habe, dann sind sie darin zu suchen, "dass ich mir nicht immer so viel zugetraut habe, wie manche Situationen es von mir abverlangt hätte"; den Weg des geringsten Widerstands gegangen zu sein. Nach einer kurzen Pause fährt er fort: "Ich habe versucht, behutsam zu sein, um die Situation nicht noch weiter zu verschärfen." Kirchen- und Gesellschaftspolitik gehören für Hanns Lilje "organisch zusammen".

Keine Kommentare: