Otto Freiherr von Fircks (*14. September 1912 in Pedswahlen in Lettand+17. November 1989 in Hannover) war Landwirt, SS-Obersturmführer in Litzmann- stadt (SS-Nr. 357261), Mitglied der CDU/CSU Fraktion im Deutschen Bundestag 1969-1976
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Geschichts-Aufarbeitung nach drei Jahrzehnten der Nazi-Barbarei: Die Mörder sind unter uns, auch wenn sie nicht getötet haben. Ein KZ-Aufseher in Dachau wurde Bürgermeister in diesem Landkreis. Eine "Bürokraft des SS-Dienststellenleiters in Paris wurde Bürgermeister von Bürgstadt. Der Kommandeur der Sicherheitspolizei im französischen Angers, im Range eines SS-Hauptsturmführers, trat über zwanzig Jahre als "Herr Rechtsanwalt Ernst" vor dem Oberlandesgericht in Oldenburg in schwarzer Robe auf. - Deutsche Karrieren. Sie waren sicherlich keine "Nazi-Größen". Aber sie haben eine unverdächtig erscheinende Kontinuität - eine deutsche Mentalität bewahrt.
80.000 NAZIS STRAFFREI
Der Holocaust hatte schätzungsweise 150.000 Täter, Organisatoren, Vollstrecker. Auf deutschem Boden sind aber nach dem Kriege nur 88.587 staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Ohne Strafe an "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" blieben 80.000 Täter. Sie sind straffrei ausgegangen. Der Anspruch der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse, die Ehre und Würde der Verletzten wiederherzustellen und das verletzte Recht wieder einzusetzen - ist nicht erfüllt worden.
JUNGE GENERATIONEN
Nur ein präzise Erinnern für jüngere Generationen lässt die schon damals festgefahrenen restaurativen Abläufe in ihrer bedrückenden Gesamtheit des Verdrängens und der Lügen erkennen. Ein Prozess, der seit Ende der achtziger Jahre durch die rechtsextreme NPD oder auch durch die Nationale Sammlung eine scheinbar ungeahnte, fortwährende Aktualität gewinnt. Momentaufnahmen aus einem typischen Nazi-Verfahren jener Jahre.
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Frankfurter Rundschau
01. März 1972 und
02. März 2009
von Reimar Oltmanns
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Vor der 6. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Hildesheim bot sich den etwa 300 Zuschauern an zwei Verhandlungstagen ein seltenes, zeitweilig arg zweifelhaftes Bild. Auf der Anklagebank saß der 40jährige Volksschullehrer Artur Sahm, ehedem bis 1969 niedersächischer Landesvorsitzender der Deutschen Friedens-Union (DFU) aus Burgdorf bei Hannover. Nach dem KPD-Verbot von 1956 war die DFU 1960 gegründet mit dem Ziel gegründet worden, sozialistische und kommunistische Kräfte zu bündeln. Artur Sahm, von untersetzter Figur mit Nickelbrille und Halbglatze, hinterließ vor Gericht so ganz den Eindruck vom Dorfschulmeisterlein, dem es nichts anderes als um die Wahrheit geht". Dabei hatte er sich wegen übler Nachrede und Verleumdung in einer Berufungsverhandlung zu verantworten. - Verquere Welten.
"NAZISTISCHE UNTATEN"
In einem Flugblatt, das Artur Sahm kurz vor der Bundestagswahl 1969 in der 18.000 Einwohner zählenden Kreisstadt verteilte, warf er dem damaligen CDU-Kreisvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Otto Freiherr von Fircks vor, sich "an den nazistischen Untaten wegen der Besetzung Polens" beteiligt zu haben. Wörtlich hatte Arthur Sahm formuliert: Otto Freiherr von Fircks "war tätig beim SS-Aussiedlungsstab in Litzmannstadt (Lodz) der sog. 'Umwanderungszentralstelle, der UMZ, von der die Zwangsauswanderung der unerwünschten Juden und Polen gelenkt worden ist. Heute jedoch will von Fircks nichts mit der 'Aussiedlung', der Vertreibung von über einer Millionen Polen aus Siedlungsgebieten zu tun gehabt haben", schrieb der Pädagoge.
POLEN MIT WANZEN VERGLICHEN
Und er holte noch weiter aus. Weiter heißt es seinem DIN-A4-Papier, dass von Fircks die Polen mit Wanzen verglichen habe. Und dass der Reichsführer SS, Heinrich Himmler (*1900+1945; hauptverantwortlich für Holocaust an europäische Juden, Sinti und Roma) ihm, dem Freiherrn von Fircks, in Anerkennung seiner Verdienste den Rang eines SS-Obersturmbandführers verliehen hatte. Das vier eng beschriebene Schreibmaschinenseiten umfassende Flugblatt berichtete zudem detailliert darüber, was damals sonst noch so alles in Polen geschah. Zitat: "Fast in allen größeren Orten fanden durch die erwähnen Organisationen (SS und Polizei) öffentliche Erschießungen statt. Die Auswahl war dabei völlig verschieden und oft unverständlich, die Ausführung vielfach unwürdig. Verhaftungen waren fast immer von Plünderungen begleitet".
IM NAMEN DER SS + POLIZEI
Auf dem Handzettel stand auch vermerkt: "Durch die Tätigkeit der SS-Einsatzgruppen waren bis zum Februar 1940 schon etwa 300.000 Polen "umgesiedelt" worden. Allein aus dem Warthegau wurden 120.000 polnische Landbesitzer deportiert. Auf ihre verlassenen Höfe wurden u.a. auch die bäuerlichen Landleute des Freiherrn von Fircks delegiert. In den Statistiken der SS stieg die Zahl der liquidierten oder - wie es hieß - der "sonderbehandelten" Polen und Juden auf "einige Zehntausend". Bei der "außerordentlichen Befriedungsaktionen" im Frühjahr 1940 wurden 3.500 Polen reihenweise umgebracht.
GEBOT GOTTES - DEUTSCHEN DIENEN
Zur Erinnerung, wider das Vergessen. - Mit vorbereiteten Listen trieben die SS-Häscher polnische Lehrer, Ärzte, Beamte, Geistliche, Gutsbesitzer und Kaufleute in die Umsiedlungs- oder Auffanglager, die sich nicht selten als Liquidierungsstätten erwiesen. Die "rassisch Wertvollen" wurden herausgesucht, die polnische Elite wurde vernichtet. Der Rest sollte verkümmern und als Arbeitsvolk den Deutschen dienen. Der polnischen Jugend wurde beigebracht, dass es ein Gebot Gottes sei, den Deutschen gehorsam zu sein, ehrlich, fleißig und brav.
FREISPRUCH IN ERSTER INSTANZ
Arthur Sahm warf dem CDU-Bundestagskandidaten von Fircks letztendlich vor, "sich an den nazistischen Untaten wegen der Besetzung Polens" beteiligt zu haben. Das Amtsgericht Burgdorf hatte den Lehrer in erster Instanz freigesprochen; doch Otto Freiherr von Fircks ging in die Berufung. Er wollte es nicht auf sich sitzenlassen, dass er sich 1940 als Leiter eines SS-Einsatzstabes im Landkreis Gnesen an von Hitler gefohlenen Verbrechen in Polen beteiligt, in Nacht-und-Nebel-Aktionen polnische Bauern vertriebe habe, um deutschen Siedlern Platz zu machen - zu guter Letzt die Polen gar mit "Wanzen" verglichen habe.
"IM KERN WAHR"
Das Amtsgericht in Burgdorf war nach siebenstündiger Verhandlung im Mai 1971 zu dem Schluss gekommen, dass die Vorwürfe Sahms "im Kern wahr" seien.Ein Urteil, das der CDU-Politiker nicht hinnehmen wollte. Berufung. So saßen sich nunmehr der linke Volksschullehrer Arthur Sahm und Freiherr Otto von Fircks (in der Rolle des Nebenklägers) erneut gegenüber. Doch diese sonderbare Rollenverteilung wurde zu keiner Minute dem tatsächlichen Prozess-Ablauf gerecht. Die "Braunschweiger Zeitung" beobachtete richterliche Berührungsphobien der Herren in schwarzer Robe, wenn es um die unerlässliche Aufarbeitung deutscher Vergangenheit geht. Sie kommentierte: "In diesem Prozess ist alles ganz anders. Der Angeklagte (Arthur Sahm) ist in Wahrheit der Angreifer, und der Nebenkläger (Freiherr von Fircks) muss sich verteidigen. Der gerichtliche Verteidiger Heinrich Hannover aus Bremen wirkt mit der Technik eines Staatsanwalts, während der Anklage-Vertreter gewissermaßen in der neutralen Ecke steht. Die Vertreter der Nebenkläger möchten diesen gern in eben dieser Ecke haben und versuchen, aus Formalität Palisaden zu bauen. Es wäre zum Schmunzeln, wenn es nicht so traurig wäre." - Deutsche Vergangenheits-Bewältigung.
KEINE ERINNERUNG MEHR
Immer dann, wenn Heinrich Hannover durch geschickte Fragen den baltischen Baron schwer zu belasten drohte, konnte sich der frühere niedersächsische Vertriebenenfunktionär, der er auch einmal war, "an nichts mehr erinnern". Er schwieg und überließ seinen Anwälten das prozessuale Terrain. Laut wurden die Anwälte, sehr laut - als wollten sie durch ihre penetrante Brüllerei geschehenes Unrecht vergessen machen.
DOKUMENTE AUS WARSCHAU
Den geschickten Fragen der Verteidigung lagen mehr als 300 Dokumente zugrunde, die Arthur Sahm während eines einwöchigen Warschau-Besuchs in Archiven fand. Dass Otto Freiherr von Fircks Leiter des Sozialarbeitsstabs in Gnesen war, zudem im Mai 1940 von Heinrich Himmler ehrenhalber zum SS-Obersturmführer ernannt wurde, das gab von Fircks notgedrungenerweise zu. An die "Merkpunkte" für jene Arbeitsstäbe, mit dem Stempel "geheim" versehen, konnte er sich freilich nicht mehr erinnern. Aus ihnen ging zweifelsfrei hervor, dass Aus- und Ansiedlung von Polen und Deutschen nahezu nahtlos ineinander übergingen, wie es auch der Staatsanwalt in seinem Plädoyer hervorhob. So heißt es unter anderem in dem sechs Seiten umfassenden Dokument: "Erst wenn die evakuierte polnische Familie außer Sicht ist, erfolgt die Einweisung der Ansiedler." Oder: "Nur der beste polnische Besitz ist zu erfassen."
KRUZIFIXE VERBRANNT
CDU-Bundestagsabgeordneter von Fircks hingegen behauptet mit einer beinahe immer wiederkehrenden Stereotypie, Aus- und Ansiedlung von Polen, Wolhynien- und Galiziendeutschen haben miteinander absolut nichts zu tun gehabt. Was sich allerdings in jenen düsteren Tagen deutsche Geschichte offenbar abspielte, schilderte Sahms Kronzeuge, der Polendeutsche Eberhard Jagemann. Er war zu dieser Zeit dem Arbeitsstab als Dolmetscher zugeordnet: In den frühen Morgenstunden wurden die Dörfer umstellt, an den Ausgängen Maschengewehre postiert. Die Polen mussten in aller Kürze ihre Höfe verlassen und wurden zum Abtransport gebracht. Während die Aktion reibungslos ablief, blieb ein Teil des Polizeikommandos im Dorf, um aus den Häusern die Kruzifixe und Heiligenbilder zu entfernen. Sie wurden dann auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Wenige Stunden später erreichten die Trecks mit Balkan-Deutschen die Dörfer.
NICHTS IST VERBORGEN GEBLIEBEN
Zwar bestätigte Eberhard Jagemann ausdrücklich, von Fircks bei derartigen Aussiedlungsaktionen nie beoachtet zu haben. Doch er fügte sogleich hinzu: "Es kann ihm aber nicht verborgen geblieben sein." Selbst der von dem Freiherrn benannte Zeuge, namens Paulich, sagte aus, dass der Arbeitsstab Aus- und Ansiedlung zu verantworten hatte. - Und Leiter dieses Arbeitsstabs war nun einmal der baltische Baron Freiherr Otto von Fircks.
UNANGENEHME WAHRHEITEN
Die Aussagen Eberhard Jagemanns mussten von Fircks mehr als unangenehm sein; denn der Kronzeuge bestätigte dem Gericht auch, dass von Fircks während einer Dienstbesprechung zu Unnachsichtigkeiten und Härte gegenüber den Polen aufgefordert habe und sie immer wieder mit Wanzen verglichen habe.
EIN KOMMUNIST - DER KRONZEUGE
Nebenkläger von Fircks, mittlerweile in die Rolle des Verteidigers, trachtete immer eindringlicher danach, den Kronzeugen Jagemann als einen "unglaubwürdigen und zwielichtigen Kommunisten" vorzuführen. Der Kalte Krieg dieser Jahre. Der Freiherr unterstellte ihm, Jagemann sei schon deshalb "unglaubwürdig", weil er nach dem Kriege "stille Mitgied der KPD" gewesen sei. Er veranstalte hier eine "Hexenjagd" gegen unbescholtene CDU-Politiker der Bundesrepublik.
KPD-LEUTE AUF ANKLAGE-BANK
Als noch junger Prozess-Beachter für die Frankfurter Rundschau zum Landgericht gereist, fragte ich mich bei diesem Hass erfüllten Verhandlungsablauf, wer hier eigentlich zu Gericht saß - ein SS-Scherge oder durch Nazis verfolgte Kommunisten. Verquere Zeiten, in denen ein einstige SS-Obersturmführer mit der Immunität eines Bundestagsabgeordneten ausgestattet, unversehens aus ehedem Verfolgten zu unnachgiebigen Verfolger abstempelt. So sagten zwei weitere KPD-Funktionäre, die von Eberhard Jagemanns stille KPD-Mitgliedschaft hätten wissen müssen, unter Eid aus, dass es eine so genannte stille Mitgliedschaft überhaupt nicht gegeben habe.
"DREI SÄULEN" GLAUBWÜRDIGKEIT
Der Staatsanwalt indes zog die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen Eberhard Jagemanns nicht in Zweifel. Er sprach von "drei Säulen" (Dokumente, Aussage-Jagemann und die nahtlose Aus- und Ansiedlung), die beweiskräftig genug wären, um den Vorwurf glaubwürdig zu machen, von Fircks habe sich an nazistischen Untaten beteiligt. Heinrich Hannover bemühte in seinem Plädoyer ein Stück der Zeitgeshichte: " Niemand hätte sich um die Vergangenheit des Freiherrn von Fircks gekümmert, wenn er sich in eine stille Ecke zurückgezogen hätte, doch dieser Herr von Fircks ist Bundestagsabgeordneter der CDU, der durch die Ostpolitik Willy Brandts (1966-1974) ganz Europa geschädigt sieht."
UNRECHT NICHT EINGESEHEN
Dass damals bitteres Unrecht an den Polen im Namen der Deutschen geschehen ist, vermag Otto von Fircks nicht einzusehen. Wenn er überhaupt etwas vor den Richtern von sich gibt, dann wehrte er sich mit Vehemenz dagegen, die Vertreibung polnischer Bauern als "Untat" zu bezeichnen. Schließlich habe er ja auch keine Tötung begangen, der Freiherr. Zwei Tage warteten Prozess-Beobachter auf Worte des CDU-Politikers, die da etwa lauten würden: heute weiß ich, dass damals Unrecht geschehen ist. Heute bedaure ich das zutiefst. Fehlanzeige. Keine Reue, kein Bedauern. Zur Urteilskündung war von Fircks erst gar nicht mehr erschienen.
SS-MANN DER SIEGER
Im Gegenteil: Das Landgericht Hildesheim unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Günter Weber, 45, verurteilte Artur Sahm zu einer Geldstrafe von 2.000 Mark und zur Veröffentlichung des Urteils in mehreren überregionalen Zeitungen. Richter Weber befand, Sahm sei in seinem Flugblatt "weit über das Ziel hinausgeschossen". Obwohl er einen Teil der gegen von Fircks erhobenen Vorwürfe habe beweisen können, müsse das Flugblatt im Gesamtzusammenhang gesehen werden. In diesem so zitierten, so genannten "Gesamtzusammenhang" sei auch von Greueltaten die Rede, die von Fircks nicht beweiskräftig zu unterstellen seien.
AUS ANKLÄGER WIRD DER BEKLAGTE
Indes: Für den Lehrer Artur Sahm und seinen Rechtsanwalt Heinrich Hannover geht der Rechtsstreit weiter. Sahm hat sich jetzt vor einer Disziplinarkammer zu verantworten. Anklagepunkt ist abermals sein Flugblatt. Er habe sich , in dem er polnische Dokumente der Zeitgeschichte zitierte, nicht der beamtengemäßen Zurückhaltung bei politischen Äußerungen auferlegt, lautet der Vorwurf, den das niedersächsiche Kultusministerium gegen ihn erhob. Aus dem Fall von Fircks ist längst unversehen Fall Sahm geworden. Eine rund 100 Seiten umfassende Dokumentation eines Disziplinarverfahrens, das mittlerweile vier Jahre alt ist, sprach bereits eine neue Sprache in dem Land der Dichter und Denker - die Sprache des exakt in diesem Jahr - 1972 - erstmals in Hannover ausgeübten Berufsverbots. - Aus Täter werden Opfer, aus Verfolger werden Verfolgte. "Wir wollen mehr Demokratie wagen" - das sagte Willy Brandt (1969-1974) als Bundeskanzler in jener Epoche des Aufbruchs. - Deutsche Zeit-Geschichte.
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