Reimar Oltmanns besuchte das Schöninger Rathaus, um ein Exemplar der jüngsten Publikation zu überreichen. Empfangen wurde der Autor vom Ersten Stadtrat Peter Voß und der Fachbereichsleiterin Claudia Gehlhar. Bild unten: Reimar Oltmanns trägt sich ins Goldene Buch ein; der Journalist auf dem Marktplatz seiner Heimatstadt.
Braunschweiger Zeitung
Helmstedt 25. Juli 2009
RegJo-Magazin, Südniedersachsen
11/2009
Schöningen. - Vor kurzem ist das 680 Seiten starke Buch "Spurensuche auf verbrannter Erde -Reportagen, Berichte, Erzählungen zur Zeitgeschichte - Deutschland, Europa, Südamerika, Asien, Afrika (1969-2009) erschienen. Sein Autor ist der renommierte Journalist Reimar Oltmanns, der 1949 in Schöningen geboren wurde und hier den größten Teil seiner Kindheit verlebt hat; in Jahrzehnten des "Kalten Krieges" zwischen Ost und West unmittelbar am Zonenrand.
Regelmäßig besucht Reimar Oltmanns seine Heimatstadt. Er sagt: "Es ist mir immer wieder ein Bedürfnis , nach Schöningen zu kommen. Ich fühle mich hier emotional verwurzelt, hier wurde ich durch den damals unversöhnlichen Ost-West-Konfrontationen sehr früh politisiert, geprägt und sozialisiert. Jene Schöninger Ur-Erlebnisse trieben mich später immer wieder an viele durch Kriege und Krisen geschüttelte Knackpunkte unseres Daseins."
Denn Schöningen war für Oltmanns schon immer ein Seismograph deutscher Umbrüche, Abbrüche, Aufbrüche, Kriegsängste in vielen Jahrzehnten. Seinen letzten Aufenthalt nutzte der Autor für einen Besuch im Rathaus.Dort wurde er vom Ersten Stadtrat Peter Voß empfangen. In Anerkennung seines publizistischen Wirkens in großen Magazinen und gesellschaftskritischen Büchern trug sich Reimar Oltmanns, der seit zwei Jahrzehnten im Ausland lebt, ins Goldene Buch der Stadt Schöningen ein. Er wollte seine Unterschrift als Ausdruck seines unverbrüchlichen Zusammengehörigkeitsgefühls mit seiner Heimatstadt Schöningen verstanden wissen.
Oltmanns war es ein Anliegen, ein Exemplar seines neuen Buches für die Bücherei der Stadt zu übergeben. Er verarbeitet darin Reportagen, Berichte. Erzählungen zur Zeitgeschichte über Deutschland, Europa, Südamerika, Asien und Afrika über einen Zeitraum von 40 Jahren.
"Dieses Buch ist ein Rückblick, eine Rückbesinnung auf wichtige Epochen, die uns nachhaltig beeinflussten", erläuterte der Autor. In einigen Kapiteln spielt auch das Leben in Schöningen eine Rolle.
Viele Jahre lebt Reimar Oltmanns im Ausland. Er schrieb für den "Stern", "Die Zeit", den "Spiegel", "Frankfurter Rundschau", für französische und italienische Tageszeitungen.
In seinem jüngsten Werk finden sich Arbeiten aus 40 Jahren journalistischer Tätigkeit, die den heute in Graz lebenden Oltmanns rund um die Welt führten.
Begeistert von der Atmosphäre der Stadt. folgten der Autor und seine Ehefrau Irmgard interessiert den Ausführungen von Peter Voß. Der Erste Stadtrat berichtete unter anderem von den Problemen des Strukturwandels und der großen Chance, diesen zu gestalten. Wichtiger Baustein sei das in Schöningen entstehende Forschungs- und Erlebniszentrum zum Themenkomplex Schöninger Sperre, das für die kultur-touristische Erschließung der gesamten Region eine große Rolle spielt.
Ab sofort können Interessanten das Oltmanns-Buch in der Stadtbücherei am Brauhof 12 ausleihen (geöffnet Montag und Dienstag 10 bis 13 Uhr, am Dienstag auch 14 bis 17 Uhr, Donnerstag 10 bis 13, 14 bis 18 Uhr).
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Postskriptum - Heimat
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Ich habe erst im fünften Jahrzehnt meines Lebens im Ausland unverkennbar gespürt, dass meine tiefen Wurzeln, meine Lebenskraft in diesem Schöningen gedeihen konnten. Spätzündung. In meinen Zeitläufen zuvor - der APO-Jahre um 1968 - galten Begriffe wie "Heimat", "Südniedersachsen", "Deutschland", "Nation" als sehr suspekt, rückwärtsgewandt, eben als Gefühlsduselei. Allenfalls gestattete ich mir ein Zitat des ungarischen Schriftstellers György Konrad über das Verschwinden zu Lebzeiten: "In der Heimat vermisst dich niemand, in der Fremde erwartet dich niemand."
Reminiszenzen vergilbter Jahre
Als Reporter deutscher Magazine war ich viel in der Fremde auf allen fünf Kontinenten unterwegs, lebte schließlich in Italien, Frankreich und jetzt in Österreich. Aber Heimat ? Wohl keine. Es war Liedermacher Herbert Grönemeyer, der mich im Jahre 1999 meiner Heimat Schöningen näher brachte, indem er textete und sang: "Heimat ist ein Gefühl!" Indes: Meine Spurensuche nach der Heimat begann dort, wo gemeinhin das Leben aufhört - auf dem Todesacker dieses Ortes.
Schöninger Friedhof
Der Schöninger Friedhof ist die beschauliche anmutige Heimstatt verstorbener Frauen und Männer - sinnlos gefallener Soldaten vieler Länder. In den letzten Jahren wuchs in mir ein Bedürfnis, in den Sommermonaten immer wieder durch den Eingang jener scheinbar in sich ruhenden Friedhofskapelle Nähe wie Erinnerung zu längst vergessenen Menschen zu suchen. Meter um Meter näherte ich mich meiner Heimat, meiner Kindheit, meiner Jugend über die breite, altehrwürdige Friedhofs-Allee. Diese von hohen Bäumen dicht gesäumte Straße hatte sich in meinem Gedächtnis fest eingegraben. Schon als Kind in den fünfziger Jahren pflegte ich mit meiner Mutter dort das Grab meines Großvaters, dem Schöninger Färbermeister August Köhler; Jahrzehnte später seiner Ehefrau Gertrud Hoff . Der Schöninger Friedhof bedeutete für mich nicht nur Abschied oder Reminiszenzen an vergilbte, unwiederbringliche fast vergessene Jahre. Jene Grabstätten mit ihrer weichen, duldsamen Atmosphäre luden mich unverhofft ein zu einer unvermuteten Nähe längst verblichener Epochen. Heimat-Gefühl.
Toleranz und Solidarität
Ich erinnere mich an meinen ersten Klassenlehrer Grunwald in der Wallschule. Er war ein vom Krieg gezeichneter Pädagoge, der uns beibrachte, den anderen ausreden zu lassen. Toleranz war gefragt. Vor der großen Pause packte Grunwald das Frühstücksbrot aus. er verteilte tagein, tagaus Schnitten an seine hungernden Jungen wie Mädchen. Den Begriff 'Solidarität' kannten wir damals noch nicht. Ich lernte in Schöningen aber sehr schnell und nachhaltig für mein Leben: einer für alle, alle für einen. Heimat-Gefühl.
Kernstück - Bahnhof
Ich erinnere mich an den alten Schöninger Staatsbahnhof, ehedem ein Kernstück dieser Stadt. Seinerzeit knipste Bahner Hoffmeister (er spielte des Sonntags Fußball bei Schöningen 08, linker Außenverteidiger zu glanzvollen Zeiten) all die Fahrkarten in seinem Kontrollhäuschen. Als ich einmal von ihm als siebenjähriger Bub eine Fahrkarte nach Jerxheim entwerten ließ, war ich stolz wie Oskar. Das Erlebnis der Fahrt vom Bahnhof in Schöningen war für mich so feierlich wie Ostern und Weihnachten an einem Tag. Ich möchte Herbert Grönemeyer widersprechen. Heimat ist Schauplatz und Emotion in einem. Zuhause gibt es derlei viele, die Heimat nur eine: Schöningen.
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