Tagesspiegel, Berlin
vom 4. April 1994
vom Reimar Oltmanns
FANGFRAGEN BEIM EIGNUNGSTEST
Überall in Frankreich leben Soldatinnen ziemlich kontaktlos, zuweilen von einander isoliert neben sich her. Sicherlich, als Vorkämpferin der Emanzipation versteht sich wohl keine dieser Armee-Frauen. Sonst wären sie wahrscheinlich schon beim Eignungstest spätestens über die Fangfrage gestolpert: "Was antworten Sie demjenigen, der Sie aggressiv fragt: wenn es Ihnen paßt, sind Sie Militär, sonst eine Frau?" Aber selbst ein bisschen Frauen-Solidarität scheint arg verdächtig in diesem Milieu. Heikel wird es jedenfalls immer dort, wo Frauen sich weigern, als Aufräumhilfskräfte herhalten zu müssen, bei den Fallschirmspringern zum Beispiel. Dort haben sie noch heute die Schirme der Männer nach ihren Sprüngen zusammenzufalten. Oder bei den Panzerfahrern. Nicht selten bleibt den Kommandantinnen nur der Trockenkurs im Simulator, weil die Herren Kameraden es sich halt nicht nehmen lassen wollen, höchstpersönlich über die Äcker zu donnern. Wenn Soldatinnen derlei Gebaren geißeln, heißt es lapidar: "Sie sind doch wohl nicht etwa eine Feministin? Das merken wir uns."
ZWEITGRÖSSTE FRAUEN-KONTINGENT
Obwohl sich die französische Armee zu Lande, zu Wasser und in der Luft seit zehn Jahren auch von kampferprobten Frauen führen lässt, und sie mit 34.000 Berufs- wie Langzeit-Soldatinnen über das weltweit zweitgrößte Frauen-Kontingent nach den USA verfügt - nichts scheint in der Männer-Domäne Militär offenkundig bedrohlicher zu sein als die Frauen-Gespräche dieser Jahre, "Früher", gesteht der Presse-Colonel Ivanoff aus dem Pariser Verteidigungsministerium freimütig, "war Kommunismus eines unserer Reizwörter. Unversehens ist es aber jetzt der Feminismus geworden, der überall und nirgends durch unsere Gemüter spukt." Der adrette Franzose Ivanoff fragt entnervt: "Was wollen wir denn hier eigentlich? Eine schlagkräftige Armee oder vielleicht eine seichte Armee mit Kindergartenspielplätzen, die sich durch die Einbeziehung von Frauen aktiv am gesellschaftlichen Wandel beteiligt?
In der Tat: Internen Umfragen in der etwa 570.000 Soldaten starken französischen Armee zufolge reagieren die Männer gereizt auf Frauen in Soldaten-Röcken. Sie fühlen sich in doppelter Hinsicht bedroht. Zum einen in ihrer auslaufenden Rolle als Beschützer; zum anderen in ihrem Machtpotenzial, das nun einmal aus Gewehrläufen kommt - nunmehr gegen sie selbst gerichtet sein könnte. Jedenfalls brachte die Monatszeitschrift "Armées aujourd`hui" zutage, dass immerhin über ein Drittel der Offiziere beim Heer und sogar 60 Prozent der Matrosen den Frauen in Uniform ablehnend gegenüberstehen.
An diesem Mittag am uniformierten Frauenstammtisch zu Valbonne sind es scheinbare Beiläufigkeiten der militärischen Alltagsbewältigung, die die Soldatinnen bewegen. Petitesen würden es die Kameraden zeihen, weil sie sich so gar nicht in das Selbstporträt aus Härte, Effizienz samt Durchschlagskraft fügen wollen. Aber es sind eben zentrale Momentaufnahmen, die das feminine Selbstverständnis zwischen Knobelbecher und Kanone empfindlich berühren.
HAUCH EINER CHARME-BRIGADE
Auf dem Tisch liegen Ausgaben der Soldaten-Zeitschrift "Terre magazine", die mit seiner Auflage von 80.000 Exemplaren monatlich informieren, Orientierung geben soll. Das Hauptaugenmerk dieses Heftes soll werbewirksam auf die Frauen in den Streitkräften gelenkt werden. Seite um Seite wird der Öffentlichkeit in großformatigen Vier-Farbfotos ein anschmiegsames Frauen-Image als militärisches Schönheitsideal auf dem Panzer hockend, kriechend im Manöver und natürlich üppig lächelnd in der Flugbereitschaft präsentiert. Der Hauch einer Charme-Brigade weht über die Hochglanzblätter. Ganz im Sinne der unausgesprochenen Botschaft: Diese Soldatinnen haben ihre Hemmschwelle zum Krieg längst überwunden: fügsam und erotisch allemal.
Verständlich, dass sich die Frauen in Überfallhose, klobigen Armeestiefeln und dunkelgrünem Käppi auf dem Kopf an ihrem Stammtisch zu Valbonne über solche Rollenklischees so gar nicht wieder beruhigen mögen. Sie heißen Sandrine, Nicole, Véronique und Dominique. Über Jahre ist ihnen eingebläut worden, sich im Dienst möglichst als "Unfrau", eben sexneutral zu verhalten, die weibliche Identität im Dienst abzulegen. Einfach deshalb, um sexuelle Übergriffe, Exhibitionismus, Unflätigkeiten, Vergewaltigungen zu vermeiden. Nur so liessen sich auch die "chronischen frauentypischen Krankheiten" im Zivilleben Schwangerschaften genannt, ausschliessen. Gilt es doch, bedrohliche Ausschreitungen, etwa wie in den US-Streitkräften, möglichst gar nicht aufkommen zu lassen. Dort klagten 81 Prozent der Frauen in der 3. US-Infanteriedivision in Unterfranken, dass sie unentwegt körperlichen Attacken wie auch Obszönitäten ausgesetzt seien. Eigens eine Frau durfte zur Oberaufsicht des Geschlechterkampfes in Frankreich aufsteigen. "La Général", wie Anne-Marie Meunier angeredet wird, sieht es als Hauptaufgabe an, die femininen Wesenskerne in die von Männern für Männer bestimmten Welt der Streitkräfte sorglos einzupassen.
LA GÉNÉRALE ZIEHT VOM LEDER
Ob bei Truppenbesuchen, in Einzelgesprächen oder auch in emanzipatorisch vermarkteten Interviews - La Général weiß stets zu mahnen, die Frauen zu ermahnen. Der Führungsstab hört es gern, wenn Madame über ihre Geschlechtsgenossinnen vom Leder zieht. "Die Frauen dürfen ihre Weiblichkeit wirklich nicht ausnutzen, um den militärischen Spielregeln des Militärs zu entkommen. Es ist doch nervtötend immer nur zu hören, werde ich anders behandelt, nur weil ich eine Frau bin. Weinerlich ist das. Ich sage diesen jungen Mädchen,nicht vor eurem Hintern, sondern vor eurer Leistungsfähigkeit beugt sich jeder. Wenn ihr so weiter macht, gibt es bald keine Frau als General mehr."
Auch wenn die Damen um Sandrine zu verschiedenen Waffengattungen gehören, so haben sie eines gemeinsam: nicht die Arbeitslosigkeit trieb sie in die Armee, sondern ihre Qualifikation, die höher ist als die der Männer. Exakt 95 Prozent der Bewerberinnen haben das Abitur; bei den Herren sind es nur 60 Prozent. Und noch deutlicher klafft die Schere beim Studium auseinander. Die meisten Armee-Kandidatinnen haben ein abgeschlossenes Universitätsexamen.
Emanzipatorische Gründe waren es freilich nicht, Frauen den Einzug in die Streitkräfte zu ermöglichen. Geburtenschwache Jahrgänge und eine hohe Anzahl von Kriegsdienstverweigerern rissen Lücken in der Bedarfsdeckung. Hinzu kam, dass der moderne Krieg den Charakter eines "reinen Waffenkrieges" verloren hat. Der waffentechnologische Sprung machte eine Bedienung der Systeme mit weitaus weniger Krafteinsatz erforderlich. Bereits heute stehen in den NATO-Armeen 361 Verwendungsmöglichkeiten von 377 den Frauen offen. Eingehende Untersuchungen ergaben zudem, dass Frauen den Männern im Militärdienst mindestens gleichwertig sind. Zwar sind sie physisch schwächer, so eine französische Expertise, dafür aber oft qualifizierter, ausdauernder, widerstandsfähiger. Auch seien sie in der Verteidigung mutiger als die Männer.
VOM STAAT BEVORZUGT ÜBERNOMMEN
Es war der französische Verteidigungsminister Charles Hernu (*1923+1990), der im Jahre 1983 in Paris auf einer Pressekonferenz ausrief: "Zu den Waffen, Bürgerinnen!" Und die Frauen kamen. Schon zwei Jahre später hatten 18.000 Frauen Militärposten inne. Durchschnittlich melden sich jährlich zweitausend Mädchen freiwillig zum Wehrdienst. Auf nunmehr 850 neu zu besetzenden Planstellen haben sich bereits 4797 Bewerberinnen gemeldet. Denn die Jahre in der Armee eröffnen auch neue berufliche Perspektiven im zivilen Leben. Nach Beendigung der Militärzeit geniessen sie ein einzigartiges Privileg: Sie werden vom öffentlichen Dienst bevorzugt übernommen - auf Lebenszeit.
Tatsächlich hat Frankreich in seiner Geschichte im Ernstfall noch nie auf Frauen verzichtet, wenn es militärisch zur Sache ging. Schon General de Gaulle mobilisierte während seiner englischen Emigration ein Frauenkorps, mit dem er kämpfend Frankreich befreite. Und während des algerischen Unabhängigkeitskrieges mussten Französinnen auf Seiten der Kolonialmacht ihr Leben lassen.
Anfangs, zu Beginn der siebziger Jahre, waren es französische Frauenrechtlerinnen, die vor einer weiteren Militarisierung der Gesellschaft warnten. Mittlerweile ist solche Kritik verstummt. Und das nicht nur, weil in vielen Ländern die Frauen unaufhaltsam in ihren Armeen auf dem Vormarsch sind, allein die NATO weiß insgesamt 250.000 Soldatinnen in ihren Reihen.
IRONIE DER GESCHICHTE
Allmählich setzte sich unter den Frauen die Erkenntis von "der Ironie der Geschichte" durch. Obwohl in der Historie Frauen an der Waffe lediglich als Männerersatz gerufen und wieder weggeschickt wurden sind, kam die Emanzipation merklich voran. In den neunziger Jahren sind ganz gewiss die Französinnen nicht mehr aus den Streitkräften zu verbannen. Da mag die verheerende Wirtschaftslage vieler Länder Abertausende junger Männer auf der Suche nach einem Arbeitsplatz an die Kasernentore lassen - in Frankreich gibt es in der Armee praktisch eine Quotenregelung, "Grenzwert- theorie" genannt. Danach sollen stets zehn Prozent der Soldaten Frauen sein.
Am Frauenstammtisch im Garnisionsstädtchen zu Valbonne sagte Sergeantin Sandrine: "Wir wären doch verrückt, wenn wir uns das wieder nehmen liessen. Erst jetzt allmählich fangen wir an, uns richtige Gedanken darüber zu machen, wie wir die Männer-Welt knacken können."Sandrine lacht: "Einen Fuß haben wir schon drinnen. Abtreten."
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