die tageszeitung, Berlin
vom 30.September 1988
von Johannes Nitschmann
Das Porträt eines gedankenlosen Opportunisten und Karrieristen. Ein Buch über den Bildungsminister. Bonn und seine Möllemänner.Ein "subjektives, radikales Buch" wollte er schreiben, das "auf Rücksichtnahmen pfeift" und die "Innenabläufe der Bonner Macht schonungslos zeigen will", sagt der ehemalige 'stern'-Korrespondent Reimar Oltmanns (39).
Oltmanns hat nicht zu viel versprochen. Gnadenlos beschreibt der freie Journalist in seinem beim Frankfurter Eichborn Verlag erschienenen Report "Möllemänner oder die oppportunistischen Liberalen" das Milieu einer abgeschotteten Gesellschaft:Bonn lebt nach eigenen Gesetzmäßigkeiten, Wertmaßstäben und Ritualen. Hauptdarsteller des Oltmanns-Reports ist einer, "der für viele Karrieristen im Bonner Polit-Geschäft steht": Bundesbildungsminister Jürgen W. Möllemann (FDP).
IM BONNER MACHTGETTO
Jahrelang hat der Autor, so sagt er, Möllemann beobachtet, im Bonner Machtgetto, bei fast sämtlichen FDP-Parteitagen und auf Wahlkampftourneen. Dabei hat er mit dem FDP-Politiker geredet ("wobei ich mit seiner Einwilligung das Tonband mitlaufen ließ"), aber auch mit seinen Bonner Mitarbeitern im Abgeordneten-Büro und im Auswärtigen Amt, mit Ehefrau Carola, seinem Bruder Norbert und Freunden zahllose Gespräche geführt. Auf der Grundlage dieser Materialsammlung hat Oltmanns schließlich "das Porträt eines gnadenlosen Opportunisten" gezeichnet, "für den Politik ein Zielgruppengeschäft ist, das mit Showeinlagen garniert werden muss": Mit Möllemann wird hier der "verbogene Charakter" (Oltmanns) eines Politikertyps beschrieben, der exemplarisch ist für den Niedergang der FDP und den Niedergang der Politik. Journalistische Regelverletzungen nimmt Oltmanns in Kauf, etwa die Preisgabe vertraulicher Hintergrundgespräche, und so vermittelt er einen Eindruck davon, wie Minister, Generalsekretäre, Bürokraten und Meinungs-macher in der Bundeshauptstadt Politik machen; zum bei Saufgelagen in "Ossis Bar" im Bundeshaus, wo der Bundestagspräsident wohlweislich Fotografierverbot verordnet hat.
Neben Möllemann ist vor allem dessen persönlicher Referent Axel Hoffmann eine
ergiebige Quelle für den Autor gewesen. In den Äußerungen des Möllemann-Referenten wird jener Zynismus deutlich, mit dem in Bonn Politik betrieben wird:
"Bonn", sagt Hoffmann in einem der Tonbandprotokolle über seinen Chef und sich, "hat uns beide sowieso grundlegend verändert. Wir zeigen keine Gefühle mehr, wir sind ständig auf der Hut, deshalb unheimlich kontrolliert. Wir nehmen die Ereignisse hin, analysieren sie und stopfen sie schnell weg. Sonst wäre das hier kaum auszuhalten. Das liegt natürlich an dem überall hervorgebrachten Machtanspruch, an den ewigen Intrigen wie dem hehren Parteigewissen. Denn wenn ein FDP-Mann etwas werden will, vor allem im Bewusstsein der Leute draußen, dann geht das nur über eine sehr stark vom Bekannten- und Freundeskreis losgelösten Arbeit. Und dieser Mief wird immer noch intensiver, wenn wir sagen, wir sind nicht nur die liberale Partei, wir wollen auch noch liberale Karriere machen. So kommt es dann, dass die Kollegen vor allem die MdB-Weiber meinen, wir seien ein gefühlskaltes, taktierendes Team."
"OH, WIE ICH DIE ALTE HASSE"
Zu Frauen, insbesondere zu Politikerinnen, die er bisweilen abfällig als "Manikürmädchen" tituliere, habe Möllemann ein besonders gestörtes Verhältnis, schreibt Oltmanns. "Oh, wie ich die Alte hasse", donnert es heftig aus ihm heraus, als ich ihm im September 1982 in seinem Abgeordneten-Büro gegenübersaß. Helga Schuchardt war gemeint. "Eine ausgekochte, ausgelutschte Karrieristin, die die beleidigte Diva spielt", ordnete er Ingrid Matthäus-Maier ein, die ehemalige Listenplatz-Rivalin aus Münster.
Obwohl die weiblichen FDP-Abgeordneten von Möllemanns Ausfällen gegen die Frauen-Fraktion durchaus wissen, kuschen sie nach den Beobachtungen Oltmanns zumeist vor dem Karrieristen. Allein Hildegard Hamm-Brücher wird in dem Buch als eine zitiert, die Möllemann die Stirn bieten und ihn schon mal vor versammelter Fraktion annehmen: "Sie, Herr Möllemann. Sie sind eine tragische Figur wie einst die Herren Ihres Kalibers im Altertum. Sie geben Ihre innere Freiheit und Unabhängigkeit auf, um nur von Ihrem Genscher angekettet dabei zu sein, mitspielen zu dürfen. Offenbar merken Sie nicht einmal mehr, wie Sie sich für einen Dienstwagen instrumentalisieren lassen und der Rest an Menschlichkeit auch noch flöten geht."
Einen Möllemann, der sich am Telefon seines Abgeordneten-Büros bisweilen schon einmal mit "hier die Städtischen Bühnen" meldete, ficht solcherlei Kritik nicht an. Statt dessen philosophiert er in der Dorfkneipe seines Geburtsortes Appeldorn, einer kleinen Dorfgemeinschaft bei Kalkar am Niederrhein, lieber Pils kippend über seine steile Politkarriere: "Ja, ja, das war schon eine seltsam-satte Genugtuung. In deinem heimatlichen Dorf merkst du schnittpunktartig, dass aus dir eine Menge geworden ist, mit dem wohl keiner im entferntesten gerechnet hatte. Das macht mir Mut, das motiviert mich ungeheuer. Da habe ich mich auch kurzerhand überzeugt, mach weiter so, Jürgen, auch wenn die Politik knüppelhart ist."
MÖLLEMANNS STELLVERTRETER
Der Bundesbildungsminister nimmt die Politik freilich eher von der leichten Seite, selbst zum Ärgernis seines Getreuen Hoffmann. Den überkommt laut Oltmanns "manchmal auch ein Quäntchen Trübsal über seine stellvertretenden Möllemann-Existenz". "Da sitzt er nachts am Schreibtisch und listet die Argumente für ein neues Positionspapier der FDP auf. Morgens um acht Uhr ist er im Büro, sieht Möllemann. Was macht der? Er liest 'Bild'-Zeitung. Um elf Uhr geht's per Dienstwagen auf Reisen - in den Wahlkampf auf dem Lande. Ob in den Ortschaften oder auf den Autobahnen, Möllemann gibt keinen Laut von sich." "Ja, aber gut, was macht er denn die ganze Zeit, wenn er nicht schläft", werfe ich ein. Hoffmann: "Das habe ich doch schon gesagt. Er liest 'Bild'-Zeitung und den 'Bonner Express'. Öfter blättert er auch noch die Illustrierten durch. Erst wenn wir das Ortsschild passieren, guckt sich Möllemann noch kurz meine Zettelwirtschaft an, was er da nun eigentlich sagen will. Aber meistens fängt er sowieso mit Genscher seine Rede an. Und das kennt er auswendig."
Referent Hoffmann ist es schließlich, der für seinen Chef lauf Oltmanns seit über zwölf Jahren "die Honneurs inszeniert, Intrigen lanciert, Schuhe putzt, Steuererklärungen erledigt, auf dem Abgeordnetenstuhl Stallwache hält und natürlich auch - Jahr für Jahr die Winterreifen aufzieht".
"Der auf Public-Relations-Gags bedachte Politiker namens Möllemann ist ein untrüglicher Seismograf für die Wünsche der FDP-Zielgruppe: Karrieristen aller Art", so Oltmanns. Bei seinen Recherchen nach den "Möllemännern" hat er auch eine Reihe ehemals führende FDP-Politiker, wie etwa den Ex-Bundesinnenminister Werner Maihofer, befragt. Den schüttelt es bei dem Namen Möllemann heute noch:
"Dass sich ein unsäglicher Jahrmarktsjodler, der nur eine Show nach der anderen abzieht, sich deutscher Politiker nennen darf, es ist einfach unfassbar."
"MIESES MACHWERK"
Für Möllemann ist das jüngste Oltmanns-Buch ("Ich werde so etwas auf keinen Fall ganz lesen") nichts anderes als "ein von Lügen, freien Erfindungen und Gehässigkeiten strotzendes mieses Machwerk". Juristische Schritte erwägt Möllemann allerdings nicht. "Das würde diese Leute doch nur aufwerten." Möglich aber, dass der Eichborn Verlag bald die Gerichte anrufen wird: "Wenn der Möllemann weiter so tönt, werden wir uns das mit einer Klage ernsthaft überlegen", erklärte Eichborn-Sprecher Uwe Gruhle. Notfalls werde der Frankfurter Verlag bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung sämtliche Tonbandaufzeichnungen und Dokumente in Sachen Möllemann offenlegen - das aber fürchtet offensichtlich der Bundesbildungsminister.
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