Freitag, 30. September 1988

Dass der sich deutscher Politiker nennen darf ... Möllemann und Langzeitwirkungen




die tageszeitung, Berlin
vom 30.September 1988
von Johannes Nitschmann

Das Porträt eines gedankenlosen Opportunisten und Karrieristen. Ein Buch über den Bildungsminister. Bonn und seine Möllemänner.Ein "subjektives, radikales Buch" wollte er schreiben, das "auf Rücksichtnahmen pfeift" und die "Innenabläufe der Bonner Macht schonungslos zeigen will", sagt der ehemalige 'stern'-Korrespondent Reimar Oltmanns (39).

Oltmanns hat nicht zu viel versprochen. Gnadenlos beschreibt der freie Journalist in seinem beim Frankfurter Eichborn Verlag erschienenen Report "Möllemänner oder die oppportunistischen Liberalen" das Milieu einer abgeschotteten Gesellschaft:Bonn lebt nach eigenen Gesetzmäßigkeiten, Wertmaßstäben und Ritualen. Hauptdarsteller des Oltmanns-Reports ist einer, "der für viele Karrieristen im Bonner Polit-Geschäft steht": Bundesbildungsminister Jürgen W. Möllemann (FDP).

IM BONNER MACHTGETTO

Jahrelang hat der Autor, so sagt er, Möllemann beobachtet, im Bonner Machtgetto, bei fast sämtlichen FDP-Parteitagen und auf Wahlkampftourneen. Dabei hat er mit dem FDP-Politiker geredet ("wobei ich mit seiner Einwilligung das Tonband mitlaufen ließ"), aber auch mit seinen Bonner Mitarbeitern im Abgeordneten-Büro und im Auswärtigen Amt, mit Ehefrau Carola, seinem Bruder Norbert und Freunden zahllose Gespräche geführt. Auf der Grundlage dieser Materialsammlung hat Oltmanns schließlich "das Porträt eines gnadenlosen Opportunisten" gezeichnet, "für den Politik ein Zielgruppengeschäft ist, das mit Showeinlagen garniert werden muss": Mit Möllemann wird hier der "verbogene Charakter" (Oltmanns) eines Politikertyps beschrieben, der exemplarisch ist für den Niedergang der FDP und den Niedergang der Politik. Journalistische Regelverletzungen nimmt Oltmanns in Kauf, etwa die Preisgabe vertraulicher Hintergrundgespräche, und so vermittelt er einen Eindruck davon, wie Minister, Generalsekretäre, Bürokraten und Meinungs-macher in der Bundeshauptstadt Politik machen; zum bei Saufgelagen in "Ossis Bar" im Bundeshaus, wo der Bundestagspräsident wohlweislich Fotografierverbot verordnet hat.

Neben Möllemann ist vor allem dessen persönlicher Referent Axel Hoffmann eine
ergiebige Quelle für den Autor gewesen. In den Äußerungen des Möllemann-Referenten wird jener Zynismus deutlich, mit dem in Bonn Politik betrieben wird:
"Bonn", sagt Hoffmann in einem der Tonbandprotokolle über seinen Chef und sich, "hat uns beide sowieso grundlegend verändert. Wir zeigen keine Gefühle mehr, wir sind ständig auf der Hut, deshalb unheimlich kontrolliert. Wir nehmen die Ereignisse hin, analysieren sie und stopfen sie schnell weg. Sonst wäre das hier kaum auszuhalten. Das liegt natürlich an dem überall hervorgebrachten Machtanspruch, an den ewigen Intrigen wie dem hehren Parteigewissen. Denn wenn ein FDP-Mann etwas werden will, vor allem im Bewusstsein der Leute draußen, dann geht das nur über eine sehr stark vom Bekannten- und Freundeskreis losgelösten Arbeit. Und dieser Mief wird immer noch intensiver, wenn wir sagen, wir sind nicht nur die liberale Partei, wir wollen auch noch liberale Karriere machen. So kommt es dann, dass die Kollegen vor allem die MdB-Weiber meinen, wir seien ein gefühlskaltes, taktierendes Team."

"OH, WIE ICH DIE ALTE HASSE"
Zu Frauen, insbesondere zu Politikerinnen, die er bisweilen abfällig als "Manikürmädchen" tituliere, habe Möllemann ein besonders gestörtes Verhältnis, schreibt Oltmanns. "Oh, wie ich die Alte hasse", donnert es heftig aus ihm heraus, als ich ihm im September 1982 in seinem Abgeordneten-Büro gegenübersaß. Helga Schuchardt war gemeint. "Eine ausgekochte, ausgelutschte Karrieristin, die die beleidigte Diva spielt", ordnete er Ingrid Matthäus-Maier ein, die ehemalige Listenplatz-Rivalin aus Münster.

Obwohl die weiblichen FDP-Abgeordneten von Möllemanns Ausfällen gegen die Frauen-Fraktion durchaus wissen, kuschen sie nach den Beobachtungen Oltmanns zumeist vor dem Karrieristen. Allein Hildegard Hamm-Brücher wird in dem Buch als eine zitiert, die Möllemann die Stirn bieten und ihn schon mal vor versammelter Fraktion annehmen: "Sie, Herr Möllemann. Sie sind eine tragische Figur wie einst die Herren Ihres Kalibers im Altertum. Sie geben Ihre innere Freiheit und Unabhängigkeit auf, um nur von Ihrem Genscher angekettet dabei zu sein, mitspielen zu dürfen. Offenbar merken Sie nicht einmal mehr, wie Sie sich für einen Dienstwagen instrumentalisieren lassen und der Rest an Menschlichkeit auch noch flöten geht."

Einen Möllemann, der sich am Telefon seines Abgeordneten-Büros bisweilen schon einmal mit "hier die Städtischen Bühnen" meldete, ficht solcherlei Kritik nicht an. Statt dessen philosophiert er in der Dorfkneipe seines Geburtsortes Appeldorn, einer kleinen Dorfgemeinschaft bei Kalkar am Niederrhein, lieber Pils kippend über seine steile Politkarriere: "Ja, ja, das war schon eine seltsam-satte Genugtuung. In deinem heimatlichen Dorf merkst du schnittpunktartig, dass aus dir eine Menge geworden ist, mit dem wohl keiner im entferntesten gerechnet hatte. Das macht mir Mut, das motiviert mich ungeheuer. Da habe ich mich auch kurzerhand überzeugt, mach weiter so, Jürgen, auch wenn die Politik knüppelhart ist."

MÖLLEMANNS STELLVERTRETER

Der Bundesbildungsminister nimmt die Politik freilich eher von der leichten Seite, selbst zum Ärgernis seines Getreuen Hoffmann. Den überkommt laut Oltmanns "manchmal auch ein Quäntchen Trübsal über seine stellvertretenden Möllemann-Existenz". "Da sitzt er nachts am Schreibtisch und listet die Argumente für ein neues Positionspapier der FDP auf. Morgens um acht Uhr ist er im Büro, sieht Möllemann. Was macht der? Er liest 'Bild'-Zeitung. Um elf Uhr geht's per Dienstwagen auf Reisen - in den Wahlkampf auf dem Lande. Ob in den Ortschaften oder auf den Autobahnen, Möllemann gibt keinen Laut von sich." "Ja, aber gut, was macht er denn die ganze Zeit, wenn er nicht schläft", werfe ich ein. Hoffmann: "Das habe ich doch schon gesagt. Er liest 'Bild'-Zeitung und den 'Bonner Express'. Öfter blättert er auch noch die Illustrierten durch. Erst wenn wir das Ortsschild passieren, guckt sich Möllemann noch kurz meine Zettelwirtschaft an, was er da nun eigentlich sagen will. Aber meistens fängt er sowieso mit Genscher seine Rede an. Und das kennt er auswendig."

Referent Hoffmann ist es schließlich, der für seinen Chef lauf Oltmanns seit über zwölf Jahren "die Honneurs inszeniert, Intrigen lanciert, Schuhe putzt, Steuererklärungen erledigt, auf dem Abgeordnetenstuhl Stallwache hält und natürlich auch - Jahr für Jahr die Winterreifen aufzieht".

"Der auf Public-Relations-Gags bedachte Politiker namens Möllemann ist ein untrüglicher Seismograf für die Wünsche der FDP-Zielgruppe: Karrieristen aller Art", so Oltmanns. Bei seinen Recherchen nach den "Möllemännern" hat er auch eine Reihe ehemals führende FDP-Politiker, wie etwa den Ex-Bundesinnenminister Werner Maihofer, befragt. Den schüttelt es bei dem Namen Möllemann heute noch:
"Dass sich ein unsäglicher Jahrmarktsjodler, der nur eine Show nach der anderen abzieht, sich deutscher Politiker nennen darf, es ist einfach unfassbar."

"MIESES MACHWERK"

Für Möllemann ist das jüngste Oltmanns-Buch ("Ich werde so etwas auf keinen Fall ganz lesen") nichts anderes als "ein von Lügen, freien Erfindungen und Gehässigkeiten strotzendes mieses Machwerk". Juristische Schritte erwägt Möllemann allerdings nicht. "Das würde diese Leute doch nur aufwerten." Möglich aber, dass der Eichborn Verlag bald die Gerichte anrufen wird: "Wenn der Möllemann weiter so tönt, werden wir uns das mit einer Klage ernsthaft überlegen", erklärte Eichborn-Sprecher Uwe Gruhle. Notfalls werde der Frankfurter Verlag bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung sämtliche Tonbandaufzeichnungen und Dokumente in Sachen Möllemann offenlegen - das aber fürchtet offensichtlich der Bundesbildungsminister.








Donnerstag, 1. September 1988

Politiker-Klasse unter sich - Sauf-Gelage in Ossis-Bar zu Bonn



















Die Bundeshaus- Bar als Wohnzimmer-Ersatz und mit der Whisky-Flasche "verheiratet": FDP-MdB Detlef Kleinert (1969-1998)







Als Mätresse von Bundeskanzler Willy Brandt (1969-1974) Jahre später auf sich aufmerksam gemacht: Heligine Boelesch-Ihlefeld

Von der Bundeshaus-Bar zu Bonn sich stets in die Nobelherberge Schloßhotel zu Kronberg chauffieren lassen: Der Industrielle und FDP-Bundestagsabgeordnete W. Alexander Menne (*1904+1993)



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"Deutschland ist das einzige Land, wo Mangel an politischer Befähigung den Weg zu den höchsten Ehrenämtern sichert." (Carl von Ossietzky in "Die Weltbühne" )

Nahezu 4,3 Millionen Menschen sind alkoholabhängig. Nahezu 40.000 Suchtkranke begleitet die Flasche in den Tod; Männer wie Frauen; Jahr für Jahr.


"Wahlen verändern nichts, sonst wären sie verboten" (Graffito in einem Bonner Fußgängertunnel)


PFLASTERSTRAND, Frankfurt a/M
WIENER, München
1. September 1988
von Reimar Oltmanns

Gelallt haben die Herren Politiker nicht nur einmal an Oswaldos Theke. So heißt der 44jährige italienische Barkeeper des Bundeshauses, den die Abgeordneten kurz "Ossi" rufen. Zur informellen, "zweckungebundenen Kontaktaufnahme" soll dieses Refugium mit seinen 60 Quadratmetern und 87 Cordsamtpolstern dienen. Nur zu verständlich, dass der Bundestagspräsident ein Fotografierverbot anordnete, dass das Tageslicht aus dem angrenzenden Restaurant dieser "Moon-light-Atmosphäre" aus VIP-Lounge und Nacht-Klub im diskreten Halbdunkel nichts anhaben kann, dass hier fast jede "MdB-Entjungferung" gebührend begossen wird - vor der Mittagspause.

"ENTJUNGFERT" ZWISCHEN 9 UND 11 UHR


Als "entjungfert" gilt ein Bonner Politiker, wenn er im Plenum der verwaisten Stühle seine erste Rede ablesen darf; das passiert meistens morgens zwischen 9 und 11 Uhr. Dort mufft's noch kalt und unnachahmlich nach Bohnerwachs samt Linoleum wie einst in den Bahnhofswartesälen der Adenauer-Jahre - und dieses Bundeshaus ist der größte Verladebahnhof dieser Republik.

Dafür vermittelt Ossis Bar jene behagliche Nestwärme, die schon am Morgen den anstehenden Tag vergessen lässt. Während die Newcomer ihre für den Wahlkreis gedachten Turnübungen im Parlament vorführen, kippt derweil vornehmlich die eingesessene liberale Bügelfalten-Kundschaft ihren gewohnten Pegel für den 16stündigen Arbeitsmythos in sich hinein. Jägermeister, Fernet Branca, Bier, Steinhäger; hin und wieder ein Quarkbrot, um die Leber zu entlasten. Dort gibt der in Hannover mit dem Alkohol verheiratete Detlef Kleinert die allseits akzeptierte Weisheit von sich: "Wenn man drin ist, dann kann man rausgucken" - als Morgenandacht sozusagen. Da hockt er am Telefon und gibt die ersten wichtigen Anweisungen seiner Sekretärin durch, um sogleich wieder zum Tagungsordnungspunkt "Früh-Witzchen"zurückzukommen. Kleinert hat seine Hand noch am Hörer und posaunt voller Lebensfreude in die verkaterte Runde, "die eine Hand am Telefon, die andere am Kitzler, das ist der deutsche Arbeiter- und Bauernsohn Karl-Eduard von Schnitzler" (*1918+2001).

ROSÉ WIE MINERALWASSER

Aber richtig zur Sache kommen die Volksvertreter und Pressekollegen mit ihren Assistentinnen wie den Journalisten-Damen erst am späten Nachmittag, wenn im Raumschiff-Bonn die gemeinsam erlebte Einsamkeit droht, wenn innere Spannungen wie äußerliche Gewichtigkeit ihren Seelenausgleich benötigen.

Dann breitet sich unter Ossis Klientel das intensive Gefühl aus, als seien sie alle in einem kleinen Verlies unter der Erde. Allenfalls eine namentliche Abstimmung im Plenum oder kurzfristig anberaumte Fraktionssitzungen könnten die ehrenwerte Ossi-Gesellschaft wieder an die Erdoberfläche spülen.

Klaus Altmann (*1933+2001), FDP-Korrespondent im Bonner Studio des Westdeutschen Rundfunks, schluckt seinen Rosé wie Mineralwasser und lamentiert zum wiederholten Male über die Kanzlerschaft Willy Brandts, seinen Wahlkampf-Sonderzug, der es ihm besonders angetan hat, und natürlich über "Willys nächtliche Damen-Besuche irgendwo bei Osnabrück auf dem Abstellgleis da". Nach dem sechsten Glas drängt Altmann zur Toilette. Auf dem Weg dorthin trifft er auf eine Besuchergruppe aus Oberhausen. Sie sucht offenkundig Bonn, das Bonn der Fernsehlegenden. Aber wo ist dieses Bundes-Bonn jetzt, hier inmitten des Bundeshauses? Rosé-Altmann blickt in ratlose Gesichter. Menschen, die nicht im leisesten ahnen können, dass ihnen ein Teil der Bonner Wirklichkeit mit glasigen Augen gegenübersteht - ein vom Alkohol gekrümmten Mattscheiben-Mann, der überdies mit seinem eckigen Gang größte Mühe hat, bei Ossi wieder sein Plätzchen einzunehmen.

MIT SEKRETÄRIN UNTERM SCHREIBTISCH


Auch ich trinke mein fünftes großes Bier und mische mich in Altmanns Tiraden ein: "Aber Herr Altmann, das wissen wir hier schon alle zu genau. Was wir nicht kennen, ist die Geschichte, wie Sie tagsüber im Abgeordnetenbüro des Herrn Dr. Menne (*1904+1993) mit seiner Sekretärin unterm Schreibtisch in flagranti von ihm erwischt worden sind. Das hat er mir zumindest so erzählt, seine Sekretärin musste schließlich ihre Sachen packen, bekam die Kündigung." Altmann: "Herr Kollege", wenn Sie noch solch einen Scherz vom Stapel lassen, habe ich allen Grund, mir gleich eine ganze Flasche von diesem Zeug zu bestellen, nicht wahr Ossi ?" - "Selbstverständlich Herr Altmann, es ist ja noch früh am Abend."

KLATSCH-REPORTERINNEN OHNE GRENZEN

Am Tresen plauscht derweil der Mainzer FDP-Staatssekretär Professor Rumpf in eitler Koketterie mit Bonns Klatsch-Kolumnistin Almut Hauenschild. Dabei reißt Frau Hauenschild , wie sie sich sibyllinisch entschuldigt, hier nur ihre "Schicht" ab. Früher, als sie noch in München klatschte, spürte sie die Haute-Volée im Bayerischen Hof auf; als Arbeitskollegen vom Reporter-Kollegen "Baby Schimmer-los" im Milieu der Schickeria sozusagen. Heute menschelt Frau Hauenschild mit den Wohlbeleibten aus Politik und Wirtschaft, um ihren Bonner Bauchladen als freie Journalistin bedienen zu können. Jedenfalls ist ihr die Schlagzeile des kommenden Tages schon gewiss: "Wo Detlef Kleinert zum Schiffversenken ruft." Eine ihrer Vorgängerinnen wurde zu Beginn der siebziger Jahre auch plötzlich ganz unvermittelt gerufen - aus dem Bundeskanzleramt im Palais Schaumburg des Willy Brandt. Gleichsam füllte Heli Ihlefeld-Bolesch Münchens Druckspalten mit vielerlei Nippes exklusiv aus dem Zentrum der Macht. War sie unter anderem nach eigenen öffentlichen Bekundungen in erster Linie doch die "Geliebte von Willy Brandt"; in erster Linie deshalb, weil da noch so mancher Minister oder auch mal ein Staatssekretär über ihre Bettkante hüpfen durften. Nur über Bars, ausgerechnet diese vermieften Bars, Hotelbetten oder gar Liegesitze in Staatskarossen - da konnte Heli sanft und introvertiert lächeln, "irgendwie fürs Fußvolk - genau wie Ossis abgestumpfte Tresen-Romantik", beschied sie und flüsterte in den Telefonhörer im Keller-Büro in der Dahlmannstraße. "Bin schon auf dem Weg." Irgendwie schon naheliegend und auch folgerichtig hat Frau Ihlefeld drei Jahrzehnte später von ihren Bonner Jahren Sittsames aus dem Nähkästchen geplaudet. Mitteilungsdrang. "Auf Augenhöhe" mit den Männern der Macht nannte sie ihre in Buchdeckel gepackten Spickzettel verblaßter Zyklen. Wenn es nur bei der Augenhöhe geblieben wäre - sie hätte sich mit ihrem Mätressen-Mythos, aber auch ihrer Familie daheim einen großen Gefallen getan.

Unterdessen steht an Ossis Bundeshaus-Bar Kleinerts Freund Helmut Herles von der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" neben seinem Matador. Auch Herles zählt zum Schnaps-Klüngel, er wirkt auf mich, als verführe er nach dem Motto: Ich kriege die Gerüchte, und du bekommst bei nächster Gelegenheit in die FAZ.

KLEINE WELT AUF GROSSER BÜHNE

Herles, einst Berichterstatter beim Vatikan, klagt Kleinert sein Leid über den immensen Druck der Frankfurter Zentralredaktion, dass da die schreiberische Konkurrenz groß sei, dass er eben nicht alles so durchbekomme, wie sie es sich hier in der Bundeshaus-Bar so ausmalen. Nur fehlt dem baumlangen Kleinert nach diesem strapaziösen Arbeitstag zwischen Theke und Ausschusssitzungen einfach der Nerv. Er will "anständige Berichte" sehen und sonst gar nichts.

Herles antwortet seinem Kleinert, dass er ja oft über "menschliche Situationen" schreibe, damit diese von den großen Ereignissen hier in Bonn nicht zugeschüttet werden. Dass seine Politiker etwas mit der Macht zu tun haben, das erwähnte er häufig gar nicht mehr. Er, Herles, habe sich längst darauf verständigt, die kleine, oft mickrige Welt auf die große Bonner Bühne zu zimmern, wie ja schon Walter Boehlich (*1921+2006) über ihn in der Satire-Zeitschrift "Titanic" zu Recht geschrieben habe. Ja, ja, die kleine Welt als große Bühne." ... ... gespielt werden auf ihr vor allem Stücke, die niemanden, und schon gar nicht der staatstragenden FAZ, weh tun: Komödien, und wenn es hoch kommt, allenfalls Provinzpossen, beileibe keine Stücke von Mord und Gewalt und Verschwörung, keine Eifersuchtsdramen, keine Tragödien."

"Herr Herles", hat einmal ein Frankfurter Kollege zu ihm gesagt, "Sie sind doch ein Insider, Sie kennen Bonn doch wie ich meine Westentasche, Sie schreiben doch immer so hübsche Geschichten über die Bonner Zustände - und dabei sind Sie äußerst vorsichtig bedacht mit Ihren Formulierungen aus hätte und wäre, würde iund könnte ...".

Folglich widmet Kleinert seinen siebten Trinkspruch dem Nachrichtenmagazin "Spiegel", dessen Artikel ihn schon so manches Mal in Weißglut versetzten, die er als unflätig abtut. "Prost, Prost meine Herren, wer liest heutzutage noch den 'Spiegel', nicht einmal mehr Agnes Miegel." Trinkspruch Nummer acht: "Nun lasst uns noch einen verlöten, vielleicht gehen wir morgen schon flöten." Trinkspruch Nummer neun: "Ach, wie schon ist die Lütje Lage, sie rinnt so munter den Schlund herunter."

WOHLSTANDS-ELITE

Bemerkenswert dieses Trink-Szenario, dachte ich, und das manchmal auch schon zur Mittagszeit, während im Plenum die Gemüter sich in künstlicher Aufgeregtheit langweilen. Gerade jene FDP-Politiker-Klasse, die in der Öffentlichkeit gerne von der "leistungsorientierten Wohlstandselite" spricht, ähnelt in Ossis Bundeshaus-Bar einem Vertreter-Kegelverein aus einer x-beliebigen Vorstadt.

Den 55jährige Rechtsanwalt Detlef Kleinert kenne ich schon seit fast zwanzig Jahren. Damals, auf einer FDP-Wahlveranstaltung in Hannover, erlebte ich ihn zum letzten Mal. Es war eine gut besuchte Versammlung, in der die Liberalen ihre Klientel für die neue Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel gewinnen wollten. Neugierig waren die Leute, diskutieren wollten sie. Zumindest solange, bis Kleinert sich als Hauptreferent - direkt aus Bonn mit Verspätung kommend - auf den Weg machte.

SCHWANKEND AUFS PODIUM

Schwankend erklomm er das Podium. An die zwanzig Minuten redete er, "Witzchen" reißend, wahllos aus dem Stehgreif über sein Bonner Erlebnismilieu daher - allerdings darauf achtend, dass der Nachschub seiner Bier-Korn-Gedecke nicht versiegte. Mir blieb als lernwilligem jungen Mann ein Kleinert-Standard-Satz im Gedächtnis haften: "Liebe Freunde", verkündete er, "eines ist doch so klar wie der Korn. So oder so, ohne die FDP läuft gar nichts, ja gar nichts in diesem Land. Mit gutem Grund hat mich der Genscher gerade gefragt, ob ich nicht bei ihm Staatssekretär werden wollte."

ABKASSIEREN

Statt dessen lenkte Kleinert insgeheim sein Augenmerk darauf, wo und wie er ohne viel Arbeitsaufwand abkassieren kann. Ob nun im niedersächsischen Kasino-Krimi tatsächlich Roulette-Millionen in die Parteikassen geflossen sind - das werden wohl erst in mühseligen Verhandlungen die Gerichte klären können. Unstrittig hingegen ist, dass der FDP-Politiker Kleinert an der Spielbank Bentheim/Bad Zwischenahn eine Unterbeteiligung hält, die ihm rund zehn Prozent der Kasino-Erträge einbringt. Es sei schließlich "nicht ehrenrührig", sich an einem Unternehmen zu beteiligen, meinte Kleinert lapidar. Damals wiederholte Kleinert die ihm offenkundig bedeutungsvolle Genscher-Offerte gleich mehrere Male. Jedenfalls solange, bis das Publikum grölte und lachte. Nur eine ältere Frau, die am Rande des Saals mir gegenüber saß, murmelte vor sich hin: "Mein Gott, was ist aus ihm geworden." Als die Dame sichtlich bedrückt frühzeitig ging und sich kopfnickend von mir verabschiedete, wusste ich noch nicht, dass es Kleinerts Mutter war.

Gewiss, Detlef Kleinert ist kein Einzelfall in der alkoholisierten Bonner Operetten-Republik. Aber für ihn ist der Alkoholkonsum nun einmal kein Feierabendver-gnügen. Deshalb ist er auch nicht nur Volksvertreter. Tatsächlich zählt er längst zu den Schnaps-Lobbyisten im Bonner Parlament. Sie repräsentieren immerhin nahezu vier Millionen Menschen. Folglich kann in Ossis Bar sich alles nur um eines drehen - um Suff und Klatsch, Klatsch und Suff. Und dabei bleibt es einerlei, ob sich seine Kunden nun Politiker oder Journalisten nennen. "Ich kenne selbst begabte Kollegen", schrieb Leo Brawand, ehemalige Chef des Hamburger manager magazins, "die sich bis in die Psychiatrie getrunken haben."

GRENZÜBERSCHREITUNGEN

Doch scheinbare Ausnahmesituationen gestatten derlei Grenzüberschreitungen. Und Ossis Bar im Bundeshaus zu Bonn ist eine solche.

In der hintersten Bar-Ecke hat sich Hans-Jürgen Wischnewski (*1922+2005) gemütlich einge-richtet. Sein unverkennbar schwerer Seegang erlaubt es ihm nicht mehr, vorne an der Theke den Whisky zu kippen. Sichtlich angeödet schaut Helmut Schmidts früherer Staatsminister im Kanzleramt und SPD-Schatzmeister drein. "Alles weg, Referent weg, Auto weg, Fahrer weg", stammelt er vor sich hin. Langsam sackt Ben Wisch unter den Tisch.

Unverhofft, gleichwohl mit Gegröle willkommen geheißen, schaut auch noch Möllemann (*1945+2003) für einen "kurzen Drink" vorbei. Schnell die Situation erkennend, kann selbstverständlich auch er einen seiner Lieblingsjokes zum besten geben. Möllemann im Originalton: "Genscher und Möllemann fliegen mit der Bundesluftwaffe zum Staatsbesuch nach Gabun. Kurz vor der Landung in Libreville sagt Genscher zu Möllemann: ' Bitte stellen Sie sich darauf ein, hier ist nicht nur ein Affe Präsident, der heißt auch noch so, nämlich Bongo.' "

Aber es ist nicht so, dass Möllemann an Ossis Bar nur von exotisch-fernen Kontinenten zu berichten weiß. Auch sein zwar vertraut-loyales Verhältnis zum besagten Genscher sei keineswegs spannungsfrei, "Herr Kollege Wolfgramm, das können Sie mir ruhig abnehmen, wenn ich Ihnen das mit einem Beispiel verdeutlichen darf."

ZÄHNE GESCHLIFFEN

Erst kürzlich habe Genscher angerufen und ihn tatsächlich gefragt, ob er denn betrunken aus der Bundeshaus-Bar gekommen sei. "Nein , Herr Genscher, wirklich nicht, das können Sie mir ruhig glauben". hatte Möllemann geantwortet. Der Sachverhalt sei dieses Mal ganz, ja völlig anders. Er lasse sich gerade die Zähne schleifen und bekomme beim Zahnarzt laufend Spritzen. Deshalb könne er dann kaum sprechen. Darauf habe Genscher wirklich geantwortet: "Dann lassen Sie sich jeden Tag eine Spritze geben, solange ich im Urlaub bin."

Sigmund Freud hätte an diesem frischen Möllemann mit seinen fortwährenden Genscher-Geschichten seine wahre Freude gehabt, als er bemerkte: "Wir wissen, es besteht bei der Masse der Menschen ein starkes Bedürfnis nach Autorität, die man bewundern kann, der man sich beugt, von der man beherrscht, eventuell sogar misshandelt wird ...". Auf sich bezogen brachte Möllemann das einmal auf die einfaltige wie zutreffende Formel: "In Bonn regieren Zuckerbrot und Peitsche."

STAATSTHEATER POLITIK

Wie im Staatstheater haben sich die Kleinerts, Mölle-, Gatter- und Bangemänner an den Bar-Wänden mit ihren Fotos im Postkartenformat verewigt, als gelte es, beizeiten für ihr womöglich vorzeitiges Ableben Vorsorge zu treffen, sich ein sentimentales Denkmal zu setzen: "Für Ossis Gäste, stets das Beste", kritzelte Möllemann in großen Lettern unter sein Konterfei.