Rudolf Wassermann (*1925+2008 ) war eine Ausnahmeerscheinung in der Phalanx deutscher Richter-Eminenzen der siebziger und achtziger Jahre. In 600 Zeitschriften-Aufsätzen und Beiträgen in Sammelwerken sowie in Büchern wie "Der politische Richter" setzte sich Wassermann kritisch mit Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit in Deutschland auseinander. Er war ein unbeirrbarer "Wanderprediger in Sachen Richterreform" - weg vom Standesdünkel, weg von der Klassenjustiz - hin zu bürgernahen Gerichten. "Wenn es gelingt, eine wirklich gerechte Justiz immer wieder zu erneuern und lebendig zu erhalten, wird ein Versprechen eingelöst, das sich mit den Namen Demokratie verbindet" , war sein Lebenscredo. Dabei war Wassermann persönlich gezielten Rufmord-kampagnen ausgesetzt. Flüchten oder standhalten? Rudolf Wassermann hielt stand und blieb von 1971 bis 1990 Präsident des Oberlandesgerichts in Braunschweig. Das Klischee vom "roten Buhmann" wirkte nicht.
Frankfurter Rundschau
vom 21. Dezember 1971
von Reimar Oltmanns
Niedersachsen Christdemokraten waren sich einig: "In Sachen Justiz" sollte der Aufstand geprobt, die totale Konfrontation mit all ihren Ehrverletzungen geprobt werden. Mit konservativer Presse und der geschlossenen Phalanx der niedersächsischen Landgerichtspräsidenten im Gepäck galt es ein Exempel zu statuieren. Das Exem-pel hieß Rudolf Wassermann. Man wollte ihn "fertigmachen", beschimpfte ihn im Plenum des Landtages als "Opportunisten, der nur Reformgeschwätz im Dienste der eigenen Karriere betreibe". Oppositions-führer Wilfried Hasselmann (*1924+2003) konstatierte: "Es droht der Rechtsprechung in unserem Lande etwas, das in einem Rechtsstaat zu den schlimmsten Übeln gehört, nämlich eine parteipolitische Orientierung der Justiz."
MASKE UND MENSCHENVERÄCHTER
Doch damit nicht genug: zu Justizminister Hans Schäfer (*1913+1989) gewandt, wütete der CDU-Abge-ordnete Edzard Blanke: "Sie haben mit Ihren Vorhaben Ihre gesamte Reformpolitik diskreditiert. Sie haben sich selbst in diesen Sumpf hineingetrieben." Und Minister-präsident Alfred Kubel (*1909+1999) galten die Worte: "Sie haben vor der Presse die Richter angegriffen, beleidigt, bedroht, wie wir es in diesem Lande seit 1945 nicht gehört haben. Sie haben damit Ihre Maske fallen lassen und sich als Menschenverächter gezeigt."
KOMMUNISTEN-NÄHE
Zu guter Letzt rückte derselbe Abgeordnete die Wasser-mann-Berufung zum Braunschweiger Oberlandes-gerichtspräsidenten in die scheinbar bewährte Kommu-nisten-Nähe. Dabei machte der CDU-Parlamentarier den als links aussortierten, für das Bürgertum offen-kundig nicht mehr gesellschaftsfähige Kultusminister Peter von Oertzen (*1924+2008) zum eigentlichen Drahtzieher: "Sie haben viel mit dem jugoslawischen Tito-Modell (Josip Broz Tito *1892+1986, Staatspräsident Jugoslawiens 1953-1980) jongliert. Was Sie hier betrieben haben, ist das tschechoslowakische Modell (Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in Prag am 21. August 1968). Starke Worte der Konser-vativen, gefallen am 16. Dezember 1970 im Plenum des Landtages. Tumulte, Krakeelereien - Kalter Krieg in Deutschlands Provinzen.
BÜRGERSCHRECK
In jenen tristen Dezember-Tagen des Jahres 1970 hatte die "Operation Wassermann", die Offensive der Opposition ihren Höhepunkt erreicht, Rudolf Wassermann zum "Bürgerschreck" abzustempeln. Die Berufung des fortschrittlichen Präsidenten des Frankfurter Landgerichts (1968-1971) fand bundesweite Aufmerksamkeit. Dabei hatte sich Rudolf Wassermann nicht gedrängt noch angeboten, seinen Wirkungskreis in das justiz-politisch eher unbedarfte Niedersachsen zu verlegen. Doch nach jenem einsilbigen Groß-Spektakel gab es für ihn kein Zurück mehr. Gleichzeitig bestand die Re-gierung Kubel und insbesondere Justizminister Hans Schäfer ihre erste Kraftprobe. Das galt insbesondere für Hans Schäfer, dem nachgesagt wird, er sie ein kein Mann markiger Worte, aber konsequenter Taten. Und die Berufung des früheren Pressesprechers Rudolf Wassermann des Justizministers Gustav Heinemann (*1899+1976, Bundesminister der Justiz 1966-1969, Bundespräsident 1969-1974) ) war solch eine Tat. Bekenner-mut im Land Niedersachsen der Deiche, Bauern und Heimatvertriebenen.
ADOLF HITLER BEJUBELT ... ...
Zwischenmenschliches Klima, die Atmosphäre schlechthin war unterkühlt, verstockt bis vergiftet, als Rudolf Wassermann am 12. Januar 1971 in sein Präsidentenamt in der Stadt eingeführt wurde, die bekanntlich den Österreicher Adolf Hitler mit der Ernennung zum Regierungsrat im Jahre 1932 die deutsche Staatsbürgerschaft übertrug - Braunschweig. Seinerzeit bei Hitlers Zeremonie waren Rang und Namen mit Pauken und Trompeten zugegen. Als der Jude Wassermann zur Ernennungsfeier lud, bleiben viele Richter des Oberlandesgerichts ostentativ fern. - Berührungsängste.
... ... JUDE WASSERMANN AUSGEPFIFFEN
Zum zweiten Mal, resümierte Rudolf Wassermann , trat mit ihm in der braun befleckten Löwenstadt Braun-schweig der Fall sein, dass ein sozialdemokratischer Richter vom sogenannten staatstragenden Bürgertum gemieden wurde. Schon im Jahre 1922 löste die Berufung des für damaligen Zeiten fortschrittlichen Richters Dr. Levin zum Oberlandesgerichtspräsidenten in Braunschweig heftigste Proteste hervor. An seiner Einführung nahm die Gesellschaft keinen Anteil; er selbst wurde noch lange Jahre von seinen Kollegen isoliert, missachtet.
ZUM "ROTEN TEUFEL" VERKETZERT
Nachdem die CDU-Taktik nicht aufging, Wassermann in die Knie, zur Selbstaufgabe zu zwingen (er solle doch im rot verseuchten Hessen-Süd der Sozialdemokraten bleiben) - brach sie ihre Rufmord-Kampagne spontan ab. Selbst Richter mussten sich notgedrungenerweise eingestehen, dass sie hier einen "roten Buhmann" aufgebaut haben, den sie gar auf den Kanzeln der katholischen Kirche zu Vechta zum "roten Teufel" verketzern ließen.
OFFENSIVE SPONTAN ABGEBROCHEN
Auf ihrem justizpolitischen Kongress startete die Union den letzten Versuch, ihren ungeheuer konfrontativ-polarisierenden Frontalangriff zu rechtfertigen. Fehl-anzeige. Mit vordergründigen Zweckbehauptungen suchte sie nunmehr kleinlaut eine Erklärung für ihre Ausgrenzungskampagne. Selbst konservative Zeitungen in Niedersachsen sprachen plötzlich von einem "Wasser-mann-Festival". Rudolf Wassermann hatte sich auf der CDU-Fachtagung seinen Kritikern persönlich gestellt, zog direkten Blickes sämtliche Register in Sachen Fachkompetenz, Fairness und Anstand.
RATE-SHOW MIT CDU-RICHTERN
Das Klischee vom "roten Buhmann" brach jäh in sich zusammen. Wassermanns Dynamik und die oft unterschätzte Integrationskraft seiner Person setzten sich durch. Folglich begann die einst zusammen-geschweißte Front der um ihre Karriere fürchtenden CDU-Richter zu bröckeln. Das einst angespannte Verhältnis zum Landgerichtspräsidenten Eberhard Kuthning hat sich inzwischen derart gestaltet, dass beide über ihre alltägliche Arbeit hinaus an einem justizpolitischen Quiz für eine Rateshow basteln.
ATEMPAUSE
Um Rudolf Wassermann war es nach monatelanger Anspannungen nun erst einmal still geworden. Atem-pause. Verschnaufmomente. Sein Richter-Devise heißt: Kleinarbeit, Geduld, Überzeugungsarbeit, Engels-Geduld. Sein unprätentiöser Amtsstil und der ungebrochene Wille, zunächst einmal ein neues entspanntes Klima entstehen zu lassen, schufen ihm eine neue Basis. Wassermann gründete Arbeitskreise. Dort werden zentrale sozial-wissenschaftliche Fragestellungen unter didaktischen Gesichtspunkten von jungen Richtern erörtert und erarbeitet. Wassermann intensivierte die Referendarausbildung junger Juristen. Justizminister Hans Schäfer berief ihn demzufolge zum Vorsitzenden einer Kommission, die eine gesellschaftsnahe Konzeption für die juristische Fakultät in Hannover erarbeiten soll.
WANDERPREDIGER
Gleichwohl: Ein Wanderprediger in Sachen Justiz-reform ist Rudolf Wassermann geblieben. Meist in den frühen Abendstunden jagt er mit seinem Dienstwagen über Niedersachsen Autobahnen über Cuxhaven bis Osnabrück. Gewiss ein wenig versessen, ein Tüpfelchen selbst verloren - ein bisschen stereotyp doziert er vor seinem Publikum. Ihm komme es so gar nicht auf Patentrezepte an. Er suche die Menschen, um der "un-träglichen Polarisierung" entgegen zu wirken, ein Reformklima zu schaffen. Denn diese Justiz mit ihren oft schwerfälligen Apparaten benötige Bewegung dringender denn je. - Wassermann, der Reformer.
Den ehrwürdigen Richtereminenzen um den erlauchten Celler Oberlandesgerichts-präsidenten Wilhelm Kregel, (*1909+1094 ) auch Sport-Kregel genannt, und dem Landgerichtspräsidenten Hoppe wird Rudolf Wasser-mann zunehmend unbequemer. Da wo Wassermann auftritt, sagt sich Bewegung an, sind Resonanzen nicht zu überhören - nachhaltig.
WASSERMANN KEIN WANDERVOGEL
Sein Durchsetzungsvermögen neben der "Nehmer-Qualität", Kritik wegzustecken, brachten ihm neue Präsidenten-Angebote aus anderen Bundesländern ein. Doch Wassermann will kein Wandervogel sein und winkte ab. Justizminister Hans Schäfer orakelt gar: "Ich halte Wassermann als Staatssekretär in meinem Haus für sehr geeignet." - Die Moral von der Geschicht' - eine Rufmordkampagne geriet zum Strohfeuer. Als Strohfeuer deshalb, weil sie Rudolf Wassermanns Stehvermögen nicht kannten, als sie ihn beleidigten, beschimpften und zum roten Buhmann stigmatisieren wollten.
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