Freitag, 24. März 1995

Première Dame, die riskierte, Grenzen zu überschreiten























Der fortwährend schrille Bruni-Sarkozy-Boulevard inFrankreich der Neuzeit lässt an den lautlosen Abgang der Danielle Mitterrand erinnern, die länger Première Dame de la France (1981-1995) war als jede ihrer Vorgängerinnen seit Napoleon III. Mit ihrer Menschenrechts-Organisation "France Libertés" half Danielle Mitterrand (*1924+2011) weltweit entrechteten, unterernährten, hungernden, von Kriegen oder vom tödlichen Aids-Virus bedrohten Menschen. Aus Sicht der französischen Oberschicht war sie ein ungeliebtes "Aschenputtel" der Nation. Dabei hatte die Ehefrau von François Mitterrand (*1916+1996) mehr bewegt als jede ihrer Vorgänger- und wohl auch Nachfolgerinnen bis zum heutigen Tag.

Wochenzeitung FREITAG, Berlin
vom 24. März 1995
von Reimar Oltmanns


Leise spricht Danielle Mitterrand, wenn es um die Bedeutung der "Grande Nation" - ihren Glanz, Grandeur und Glorie geht. Auffallend leise, fast gelangweilt. "In vielen eitlen Politik-Männern dieser Tage", befindet sie lakonisch, "da spuckt noch der Macht-Mythos ver- blichener Jahre, als lebten wir noch in einer Monarchie. Sie dulden nur schmückende Ehefrauen als Insignien gütiger Nächstenliebe, aber keine Frauen, die sich für einklagbare Menschen- und damit auch für Frauen- rechte einsetzen. Das schmerzt mich...".

Sie steht am Fenster im obersten Stockwerk des "Palais de Chaillot" am Pariser Trocadéro. Nicht etwa im Elysée-Palast, dem Amtssitz des Präsidenten mit seinen 395 Räumen und knapp tausend Komparsen, hat sie ihr Domizil, sondern in den Büroräumen der von ihr 1986 gegründeten Menschenrechtsorganisation "France Libertés" - Engagement gegen Terror, Gewalt, Rassis- mus und Elend in der Welt; Frankreich wie selbstver- ständlich inbegriffen. Was für Danielle Mitterrand soviel heißt wie "an einer Front der Frauen zu kämpfen, für die Ausgeschlossenen und Entrechteten einzutreten". In den Büros von "France Libertés" ereilen die über- wiegend jungen Mitarbeiterinnen Notrufe aus der Türkei, dem Irak, Algerien - aus Bosnien, Tschetsche- nien oder China. Immer wieder sind es die gleichen Alarmberichte: Folter, Mord, Vergewaltigungen oder Ausrottung dort, wo so etwas wie ein alltäglicher Ausnahmezustand herrscht.

IN ÜBER 60 LÄNDERN

Und mittendrin agiert eine kleine zierliche Frau mit fast mädchenhafter Stimme, die es ablehnt, eine Chefrolle wahrzunehmen, "weil wir eine Gruppe von Gleichbe- rechtigten und Gleichgesinnten sind, voilà." In über 60 Ländern ist "France Libertés" mittlerweile engagiert, der dafür erforderliche Haushalt wird aus dem Grund- kapital von 27 Millionen France (4,12 Millionen Euro) und Spenden abgedeckt.

KEINE LUST AUF ARTIGKEITEN

Es ist in Frankreich kein Geheimnis, dass Danielle Mitterrand nie Lust verspürte, sich protokollarischen Artigkeiten zu unterwerfen, wie sie für die Gattin des Präsidenten bis dahin üblich waren. - Sie lacht darüber und erklärt mir zu diesem Thema knapp: "Zeitver- schwendung, teilweise geschmacklos, auf jeden Fall überflüssig. Man lässt sich doch nicht selbstgefällig im Elysée nieder, dort kann man allenfalls ein Werkzeug sein."

Geheiratet hatte Danielle Gouze ihren François im Jahr 1944. Sie war die Tochter eines atheistischen Schul- direktors und Freimaurers. Sie einte die Résistance gegen die deutschen Besatzer, die gemeinsame Vision von einer gerechteren, einem sozialistischen Frankreich. Es scheint heute fast vergessen, aber im Jahre 1981 gewann François Mitterrand die Wahlen mit dem Versprechen, dieses neue Frankreich gestalten zu wollen. Schon 18 Monate später kam ihm dergleichen nicht mehr über die Lippen. Nunmehr gehörten Computer samt Hochtechnologie, Kernkraftwerke, TGV-Schnellzüge und das Bildschirmtextgerät "Minitel" zu seinem Lieblingsvokabular - die Terminologie eines fundamentalen Sinneswandels. Längst hatte der Präsident die "Union der Linken" verabschiedet - fortan suchte er die Symbolik eines Charles de Gaulles (*1890+1970), ganz besonders war er in monumentale Bauten verliebt, die das Unvergängliche seiner Amtszeit zu dokumentieren vermochten.

STAATSGEHEIMNIS: PARALLEL-HAUSHALT

Danielle gehörte in seiner engsten Umgebung zu den wenigen, die sich dieser bizarren Wendung des "Wahl- monarchen" entgegenstemmten, "Aber er ist Mitterrand, ich bin Sozialistin", sagte sie oft ein wenig verschämt und ungefragt. Die Ehe war längst auseinander. François lebte in einem präsidialen Parallelhaushalt mit der Kunsthistorikerin Anne Pingeot am Pariser "Quai Branly" zusammen. Mit ihr verbindet ihn auch die gemeinsame z1wanzigjährige Tochter Mazarine. Ein reines Staffagen-Dasein fristeten die Bewacher der "Garde Républicaine", die stets ungerührt und pflichtversessen seine eigentliche Wohnung in der "Rue de Bièvre" bewachten. - Staatsgeheimnis.

FRAUEN WIE BLUMEN LIEBEN

Im Gegensatz zu Deutschland und vor allem den angel- sächsischen Staaten sind im romanischen Frankreich in der Öffentlichkeit außerhäusige Bettgeschichten, längere Amouren, dauerhafte Zweisamkeiten und damit auch uneheliche Kinder geradezu tabu. Vornehmlich dann, wenn es den Namen eines hochgestellten Mannes aus Politik, Wirtschaft oder Verwaltung als Erzeuger auf dem Geburtsschein einzutragen gilt. Zu sehr ist die fami- liäre Daseinsfürsorge der Männer zu einem scheinbar unanfechtbaren Dogma geworden. Dabei weiß die Re- publik insgesamt etwa 1,2 Millionen uneheliche Kinder in ihren stolzen Reihen. Nur Heimlichtuereien pflastern den Karriere-Weg im Dunstkreis des gesell- schaftlichen Anstands. Dabei gelten doch auch unter den Männern des Pariser Etiketten-Milieus nur die "besten Jäger" als förderungswürdig für den erhofften Aufstieg, der sich im Kürzel "PDG"("Président Directeur Général") nennt. Und François Mitterrand gefiel sich schon immer in der Rolle des "homme à femme" - als diskreter Frauenheld der Republik. Einer Frauen-Zeitschrift bekundete er: "Frauen lieben, das ist wie Blumen lieben."

URKNALL - EIN TÖCHTERCHEN

Tatsächlich nimmt nun ein vom Krebs gezeichneter Mann Abschied - von seiner Macht, von der Politik, von seinem Leben. Und während des Schlusschorals für die "Ära Mitterrand" wagt er es wohlbedacht, sich mit seiner ihm verblüffend ähnlich sehenden illegitimen Tochter Marzarine im Pariser Restaurant "Le Divellec" in der "Rue de l'Université" zu zeigen. Schließlich galt es, mit Freunden ihre Aufnahme in die Elite Hoch- schule "Ecole normale supérieure zu feiern. Heimlich geschossene Fotos und Reportagen aus der Schlüssel-loch-Perspektive - ein Urknall im Frankreich der Männer. "Eine ganze Macho-Gesellschaft zitterte", schrieb die Satire-Zeitung "Charly Hebdo" mit hämischen Unterton.

MÄNNER-BÜNDE - MÄNNER-MORAL

Verständlich, dass derlei von Mitterrand offenkundig beabsichtigte Indiskretionen sein Vorgänger, der liberal- konservative Valéry Giscard d'Estaing, "bedauerlich" fand. Verständlich auch, dass sich der gaullistische Innenminister Charles Pasqua "tief schockiert" zeigte und Sozialistenchef Henri Emmanuelli gar von einem "absoluten Tiefschlag" wetterte. Frankreichs Männer-Phalanx in einer Großen Koalition vereint oder Geschlechterkampf auf französisch. Nur Danielle Mitterrand, die eigentlich betroffene Ehefrau, blieb ganz gelassen. Sie äußerte frohgemut: "Wären wir alle ehrlicher miteinander, es blieben uns diese lüsternen Schlüsselloch-Effekte einer gesellschaftlichen Doppel- moral erspart. François und ich, wir haben uns noch sehr viel zu sagen."

ADIEU DANIELLE

Von Danielle Mitterrands Abschied an der Seite ihres Mannes mag so eigentlich niemand in Frankreich Kenntnis nehmen. Er findet praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dabei ist die einstige Buch- binderin länger die "Première Dame de la France" gewesen als alle ihre Vorgängerinnen - Napoléon III. und die Ära Charles de Gaulle eingeschlossen.

Sie wird politisch in der Dritten Welt mehr bewegt, gezielter in die Innenpolitik eingegriffen haben als so manche dere berufenen Münder des "Corps diploma- tique" oder die politischen Klassen Frankreichs überhaupt.

"Leb wohl, Danielle, man mochte Dich nicht besonders, aber Respekt hatte man schon vor Dir", schrieb lediglich das Magazin "L'événement du jeudi". Merklich unter- kühlt war dieses "Adieu" - geradezu emphatisch er- schienen dagegen die Zeilen über den vermeintlichen Neubeginn mit Marie-Josèphe Balladur als der künftig "Ersten Dame" am Hofe der Republik. Zweifels- frei steht Madame Balladur in einer nahtlosen Konti- nuität großen Frauen des französischen Staates. Vergangene, verschollen geglaubte Standes-Regularien erleben eine ungeahnte Renaissance. "Wenn ich im Elysée bin", gesteht sie freimütig, "wird sich so manches gewaltig ändern. Anstand, Moral und Werte sind heute gefragter denn je." Wird das Terrain so vermessen, dann weiß sie im heimatlichen Chamonix in den Alpen als Fabrikerbin nicht nur das Großbürgertum an ihrer Seite. Im Alltag achtet Madame streng auf zwei arg vernachlässigte Vorgaben. Die Balladur-Kinder haben ihren Vater in der "Sie-Form" anzusprechen, und sie überwacht mit peinlicher Genauigkeit, dass ihr Ehe- mann, der "Doudou", nicht zuviel zunimmt, wenn er einmal Zeit für den häuslichen Kamin hat. Frankreich in Wendezeiten!

DAMEN AUS DER OBERSCHICHT

Das schließt die Kasten-Philosophie ein: Es ist einge- gerbte Tradition der französischen Oberschicht - Frauen haben sich zuvörderst als Schmuckstück ihres Mannes darzustellen. Sogenannte Traumkleider weisen die gesellschaftliche Richtung, das Schloß von Versailles bildet den emotionsgeladenen Hintergrund, wenn es sich um stilsichere Momentaufnahmen republikanischer Daseinsbewältigung handelt. Hießen sie nun Yvonne de Gaulle, die sich "Tante Yvonne" umschmeicheln ließ, oder war es die unnahbare Anne-Aymone Giscard d'Estaing - mit familien- und harmoniebetonter Weiblichkeit wußten Frankreichs Große Männer ihren Staat zu machen. Ob beim Teekränzchen oder auf Kunstausstellungen - geflüsterte Neuigkeiten gab es allemal.

CHANEL, DIOR, CHARDIN

Die Modehäuser Chanel, Dior, Chardin schufen ihren Blickwinkel auf feminine Wirklichkeitsaus-schnitte der letzten Jahrzehnte, wobei den Vorzeige-Damen stets ein gebührender Platz eingeräumt wurde - genauer gesagt ihren Prestige-Kleidern aus der "Haute Couture" im Pariser Mode-Museum. Dabei ist die französische Nation so unendlich stolz darauf, einen Umsturz im Sinne der Gleichheit aller Staatsbürger erlebt zu haben - nur nicht für die Frauen in der Politik. Das bleibt Männer-Sache. Diese "Herren-Mentalität" gesteht den Frauen alle nur erdenklichen Privilegien zu, aber ein- klagbare Rechte? Die gab es früher nicht und die soll es auch in den kommenden Jahren des konservativen Neubeginns nicht geben.

Es versteht sich, bei diesen Klischees dürfte Danielle Mitterrand als eine unberechenbare, zänkische Politiker-Gemahlin in die grob gefrästen Annalen der franzö- sischen Oberschicht eingehen, die sich so ganz und gar nicht dem höfischen Zeremoniell der Männer fügen wollte. In ihrem Büro bei "France Libertés" hängen Bilder, Fotos, Masken oder Gemälde von naiven Malern, die Danielle Mitterrand von ihren Reisen in Staaten der Dritten Welt mitgebracht hat, wenn sie zu Aids-Stationen in Afrika, den Obdachlosen von Dacca oder den Straßenkindern von Manila unterwegs war. Mit besondere Hingabe hat sie sich stets nach dem kur- dischen Volk gewidmet. Im irakischen Kurdengebiet entging sie 1992 nur knapp einem Attentat, als eine Autobombe explodierte. Sieben Menschen fanden den Tod.


FRANZÖSIN ODER KURDIN ?

"Bin ich Französin oder Kurdin? Ich weiß es nicht mehr", sagte sie bei ihrer Rückkehr nach Paris. Tonnen um Tonnen an Nahrung und Medikamenten schickte sie auf die Reise: Die Gattin des Präsidenten als Flugbe- gleiterin gleich neben den Kisten. Szenen kräfte- zehrende Selbstbehauptung in den Jahren der bewußt riskierten Regelverletzungen, des Affronts gegen Frankreichs etablierte Machteliten, die sich an Export-Ambitionen und eine flankiernde Außendiplomatie zu halten pflegen, wenn es um die Dritte Welt ging. Es krachte zusehends heftiger zwischen den Außen- politikern am Quai d'Orsay und Madame. Immer wieder waren es dieselben Interessenkonflikte. Frankreich verkaufte Waffen oder Atomkraftwerke - natürlich als Entwicklungshilfe deklariert.


HILLARY CLINTON MIT OLGA HAVEL

Ob in China, Südamerika oder auch in Marokko - die unliebsame Danielle Mitterrand hatte längst ihre Paralleldiplomatie in Sachen Menschenrechte aufge- baut. Ihr blieb es vorbehalten, auf höflich unterkühlten Staatsempfängen Politiker-Frauen wie Hillary Clinton oder auch Olga Havel zu einem Netz- werk in puncto Zivilgesellschaft und Bürgerrechte zu motivieren. Sie blieb das stete Ärgernis, woraus schon 1990 der gaullistische Abgeordnete Erich Raoult die rigide Forderung ableitete, dieser "Brachialsozialistin" müsse "das Handwerkzeug genommen weden".

LA MARSEILLAISE

Aber ihre Grenzüberschreitungen ließen sich nicht nur geografisch verfolgen, Danielle Mitterrand wollte auch den Text der französischen Nationalhymne erneuern. Diktion wie Inhalt der "Marseillaise" waren ihr zu "kriegerisch", besonders Formulierungen von den "brüllend wilden Soldaten, die unsere Söhne und Frauen erwürgen und "deren Blut unsere Ackerfurchen tränkt" störten ihr Empfinden. Natürlich ein aussichts- loser Vorstoß, aber es entsprach ihrem Selbstver- ständnis. "Ich habe es satt, wie ein Paket des Präsi- denten herumgeschoben zu werden, artig Chrysan- themen-Shows zu eröffnen und die Pariser Mode zu repräsentieren. Mein ganzes Leben hatte ich einen Faltenrock und einen Pullover für den Winter und einen anderen Faltenrock und ein T-Shirt für den Sommer", konnte sie in aller Öffentlichkeit poltern.

WEICHBILD DER METROPOLE

Ausgerechnet in diesem Jahr des Abschieds ist Danielle Mitterrand noch zusätzlich in eine unerwartete Aus- nahmesituation geraten. Eine Herzoperation zwang sie, sich mehr Ruhe und Muße zu verordnen - sich Momente der Besinnung zu gönnen, der Fragen an eine sich schon auflösende Ära.

Von ihrem Büro läßt sie den Blick herabgleiten auf das Weichbild der Metropole, die im letzten Monat vor der Präsidentenwahl viele bunte, überlebensgroße Männer-Plakate und über vier Millionen Quadratmeter leer- stehende Bürofläche kennt, aber keine Schmuddel- kinder mehr duldet. Wer kein Geld hat, der wird aus diesem hypermodern herausgeputzten Paris der Alt- und Neureichen in die kaum vorzeigbaren Vorstädte, an die soziale Peripherie vertrieben wie in kaum einer anderen westlichen Hauptstadt. Dort, wo nach den Wahr- nehmungen des Präsidentschaftskandidaten Jacques Chirac schon "die Gerüche und der Lärm" auf viele Einwandererfamilien schließen lassen.


EUROPÄISCHER PASS

Auf ihrem Schreibtisch liegt das Gesprächskonzept für ihren letzten Termin an diesem Tag, es wird um den "Europäischen Paß gegen Rassismus" gehen. Erst vor wenigen Wochen ist der siebzehnjährige Komorer Ibrabim Ali in Marseille von Wahlhelfern der rechts- radikalen "Front National" des Jean-Marie Le Pen während einer Kundgebung zur Präsidentschaftswahl von hinten erschossen worden.

Als ich mich schon verabschiedet habe, ruft sie mir noch hinterher: "Wer nicht handelt, begeht ein Verbrechen. Ich werde mit France Libertés kämpfen, bis ich umfalle..."