Samstag, 23. April 1994

Frankreichs Fremdenlegion - Alles ist besser als die Heimat

























































Von Mythos und Moral der Fremdenlegion, einer Armee ohne Nachwuchsprobleme - 8.500 Männer aus 120 Ländern - Frankreichs fremde Söhn
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Bonner General-Anzeiger
vom 23. April 1994

von Reimar Oltmanns

Von Ferne betrachtet, könnte das ockerfarbene Gebäude in der Rue d'Ostende in Straßburg ein Generalkonsulat sein. Eine mit Stacheldraht versehene zweieinhalb Meter hohe Mauer schützt die französischen Beamten vor unliebsamen Überraschungen. Tagsüber bilden sich hier zwischen altehrwürdigen Kastanienbäumen kleine Menschentrauben. Wortfetzen in verschiedensten Sprachen fliegen hin und her. Alle warten. Alle sind ungeduldig.

Ein Nationalitäten-Gemisch aus Polen, Ungarn, Russen, Engländern, Deutschen wie auch Schweizern harrt in Reih und Glied der Dinge. Keine Familien, keine älteren Menschen. Es sind Bubengesichter, kaum älter als 18 Jahre alt; Übernächtigte, die sich in Straßburgs Rue d'Ostende ihres Einlasses vergewissern. Gelangweilte, Orientierungslose, Gescheiterte, aber auch Idealisten und Romantiker treibt es dort hin.

AUF DER FLUCHT

Sie alle wähnen sich auf der Flucht, verlassen ihre Heimatländer - meist nur mit einer kleinen Reisetasche; fast immer, ohne sich zu verabschieden. Auch wenn sich diese Jugendlichen untereinander allenfalls meist nur mit gestikulierenden Händen verständigen können, so hat sie doch meist eines hierher geführt: Sie waren arbeitslos, manche auch ohne je gearbeitet zu haben; andere sind gar kriminell geworden.

Suche nach Akzeptanz, nach Nähe, Hoffnung auf einen Sinn im Leben, auf dem Weg in neue, noch unbekannte Länder - das eint sie. Nur ein kleines Hinweisschild verrät, wohin der Exodus geht: Légion ètrangère - auch Frankreichs Söldnertruppe genannt. Stund um Stund haben die Neuankömmlinge auf ein kunterbuntes Soldaten-Plakat am Portal zu starren, das einen radikalen Lebenseinschnitt signalisieren soll.

UNTERARME WIE KEULEN

Kinn gereckt, den Kopf unterm legendären weißen Képi kahl geschoren. Unterarme wie Keulen, Epauletten rot-grün. Augen stramm gen Sanddünen, Meer und blauen Himmel gerichtet: Im Schulungsraum der Legionärs-Kaserne zwischen museums-reifen Maschinengewehren mit der französischen Fahne an der Wand inspiziert Major Olivier Souville, Kommandant des Rekrutierungsbüros gnadenlos die Neu-ankömmlinge. Und es werden Mitte der neunziger Jahre immer mehr, die ihren Rettungsring zur Söldner-Truppe auswerfen.

Nach offiziellen Angaben sollen es allein im vergangenen Jahr mehr als 10.000 gewesen sein - davon kamen allein zwei Drittel der Bewerber aus den früheren Ostblock-Staaten.

Unerwartete Zuläufe zur Fremdenlegion waren und sind seit eh und je en Reflex auf politische und wirtschaftliche Krisen, Zusammenbrüche, erlittene Kriege. "Ver-änderungen auf der ganzen Welt wirken sich ganz direkt auf die innere, soziale wie psychologische Verfassung und natürlich auch auf die Kampfkraft der Legion aus", urteilt ihr Pressesprecher René Tomatis.

VON KOMMUNISTEN BIS ZU SS-CHARGEN

Spanische Kommunisten suchten nach ihrem gegen Franco verlorenen Bürgerkrieg Mitte der dreißiger Jahren Zuflucht bei der Legion. Nach dem Zweiten Weltkrieg heuerten hochrangige SS-Chargen an, um sich so unter anderem Namen der deutschen Strafverfolgung zu entziehen.

Ob nach dem Ungarn-Aufstand 1956, nach dem Prager Frühling 1968 oder nunmehr nach dem Offenbarungseid der Warschauer-Pakt-Staaten - es sind vor allem ausge- musterte polnische, russische und ehemalige DDR-Soldaten der Nationalen Volksarmee, die jetzt als Söldner für Frankreich kämpfen.

Knappe 8.500 Mann aus 120 Ländern beherbergt die Legion. Jährlich kommen durchschnittlich 1.500 Neu-Legionäre mit Fünf-Jahres-Verträgen dazu. "Wenn wir wollten", befindet Lieutnant-Colonel Richard Pau vom Hauptquartier aus Aubagne, "könnten wir ohne großes Aufsehen eine 100.000-Mann-Eingreif-Truppe aller Sprachen, aller Rassen auf die Beine stellen. Nur das ist eine politische Entscheidung und die wird in Paris getroffen. Nachwuchsprobleme kennen wir jedenfalls nicht." Denn zu den Vertrags-Kämpfern aus fernen Ländern stoßen noch ein Drittel französische Elite-Soldaten. Es sind Absolventen der Offizierskriegsschule Saint-Cyr. Sie bilden das Rückgrat der Interventionstruppe.

MIT PROSTITUIERTEN IN SPELUNKEN

Vorbei sind jedenfalls die Zeiten, in denen sich junge Männer in billigen Spelunken von Legionärs-Anwerbern mit Prostituieren im Gefolge betrunken machen ließen, sich im Vollrausch für die Légion verpflichteten - und anschließend in der Kaserne wieder aufwachten. Heute werden vier von fünf Bewerbern wieder nach Hause geschickt - oft zurück in die Strafverfolgung, fast immer in die Arbeitslosigkeit.


Passé sind jene romantisch untermalten Legenden von Legionären auf Kamelen vor dem Würstenfort Siddi bel Abbès. Aus den Legionären sind in den neunziger Jahren hoch qualifizierte Spezialisten geworden. Ihr Fachgebiet heißt Krieg. Und wenn es den nicht zu führen gilt, bauen sie Straßen durch den Dschungel von Guayana, observieren Frankreichs Atom-Atoll in der Südsee oder im Raumfahrtzentrum von Kourou. Überall dort verdienen die Legionäre das Doppelte ihres ursprünglichen Gehalts; etwa 1.000 Euro bei freier Kost und Logis.


HÄRTESTE, BRUTALSTE TRUPPE


Routinegeübt ist in Straßburgs Rekrutierungskaserne Majors Souvilles Röntgen-blick: Bedrohlich korrekt sitzt die Uniform des Kommandanten. Sie ist Ausdruck einer über Jahrzehnte versteckte Selbstgewissheit, noch vor den amerikanischen Ledernacken als die härteste, brutalste Truppe überhaupt zu gelten. Letztendlich ist es die Bindungslosigkeit der Söldner, wohl aber auch ein Stück brachialer Zuneigung, die in der Legion belobigt werden. Ganz im Sinne von Colonel Boileau, der als Kommandeur des 6. Sturmpionierregiments seinen pädagogischen Auftrag umschrieb: "Natürlich wird der Legionär zum bedingungslosen Sterben erzogen." - "Nur steuerbar muss das alles sein", bedeutet der Rekrutierungs-Major und wendet sich seinen Jungs zu. "Tiens, voilà du boudin" (ran an die Blutwurst), posaunt Monsieur Souville an diesem Morgen zum wiederholten Male. Kaum einer versteht's. Noch nicht. Aber die Jugendlichen nicken wissbegierig.


Wie bei einer Pferdeversteigerung lässt sich der Major die Zähne zeigen, Muskeln wie Brustkorbumfang vorführen. Nach wie vor ist der Körper wichtiger als der Kopf. Eineinhalb Dioptrien zu viel sind schlimmer als der niedrigste Intelligenzquotient. Sodann entlässt der Inspizient die Jugendlichen mit einem Zitat. Der ehemalige Befehlshaber der französischen Truppen in Algerien General Georges Cartoux, sagte über seine Söldner: "Sie jammern nicht, sie haben keine schwangeren Ehefrauen und keine im Sterben liegende Mutter. Sie stehen für keine Sache und für keine Idee. Kein General in der Welt kann sich eine bessere Truppe wünschen als diesen heimatlosen Haufen ohne Vaterland."


"FRISCHBLUTZUFUHR"


Ob Ledernacken, Stalinschüler oder die Leibstandarte Adolf Hitler - allesamt benötigten sie Führer, Volk, Partei oder Vaterland, um in den Abgrund zu rennen. Heute hingegen braucht etwa die französische Fremdenlegion lediglich 17 Millionen arbeitslose Menschen in Europa als Korsettstange, um sich auch ohne Fahneneid zu erneuern. In der Legion kurz "Frischblutzufuhr" genannt.


In einer Zeit atemloser weltweiter Kleinkriege, ob am Golf, in Kambodscha, dem ehemaligen Jugoslawien oder auch in Angola und Somalia, will sich die Fremden-legion als häufig eingesetzter UN-Ordnungsfaktor - die schnellste französische Eingreiftruppe schlechthin - keine unangenehmen Beurteilungen mehr gefallen lassen. Genugtuung ist gefragt. Und das mythisch eingehauchte Selbstwertgefühl dieser Tage bei Frankreichs Legionären versteckt sich nicht mehr hinter vergilbten militärischen Ritualen.


VERSTAUBTE KOLONIALZEIT


Ihr Lieutenant-Colonel Richard Pau vom Hauptquartier im südfranzösischen Aubagne frohlockt: "Gerade die Golfkrise und die Ohnmacht auf dem Balkan offenbaren doch, wie wichtig es ist, eine Truppe zu haben, die auf Pfiff hin bereit ist, in ein Krisengebiet geschickt zu werden. Viele Nationen beneiden uns heute um unsere Légion étrangère."


Szenenwechsel. Durch das Offizierskasino im Château, einem Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert, sind Floskeln zu hören. "Mon capitaine ..., respect mon colonel ..." Benimm wie Bewegung lassen im Hauptquartier in Aubagne keinen Zweifel aufkommen, dass hier noch Männer-Rituale aus längst verstaubter Kolonialzeit ungeahnt fortleben. Auf dem Kasernenvorplatz prunkt eine weiß gefleckte Weltkugel in Bronze. Jeder helle Punkt signalisiert: hier kämpfte schon die Legion - klimaer-probt, weltweit. Natürlich gilt es, diese Weltkugel zu bewachen, natürlich findet hier der Aufmarsch einer Ehrenkompanie weißer Képis statt. Trommelwirbel, Fanfaren, würdiges Daherschreiten mit exakt 76 Schritten in der Minute, Hand auf der Brust, die Mareillaise als Begleitmusik - alles im Zeitlupentempo.


RUHRPOTT-FRANZÖSISCH


Nicht wie vom Bronze-Ball auf dem Appellplatz steht seit etwa einer Stunde der frischgebackene Legionär Ernst Hasinger aus Bochum in voller Montur stramm. Hinter ihm rankt in großen Lettern auf einem Sockel geschrieben: "Legia Patria Nostra" - Die Legion ist unser Vaterland. Seit einer Stunde ist von ihm fortwährend nur ein Satz zu hören: "Je suis un âne" (Ich bin ein Esel). Strafexerzieren für ein liederlich gemachtes Bett.


Wie 60 Prozent seiner Kameraden, so hat auch er sich nach französischem Gesetz einen anderen Namen zulegt. "Bochum", stammelt der frisch gekürte Legionär aus Deutschland auf einmal in seinem Ruhrpott-Französisch, "da will ich nie wieder hin. Da wird viel gequatscht und wenig getan."


AUTOMATEN GEKNACKT


"Mein Vater", fährt der Legionär Ernst fort, "ist schon seit Jahren arbeitslos, er rennt nur noch in die Kneipe und zum Taubenschießen. Mutter schuftet für einen Billig-lohn beim Kaufhof in der Wurstwarenabteilung, abends bügelt sie unsere Hemden. Und ich habe mich zwei Jahre vergeblich um eine Berufsausbildung bemüht und schließlich vor Langeweile Spielautomaten geknackt. In eine Jungarbeiterklasse für Hilfsarbeiter wollten die mich stecken. Nullbock - weg war ich zur Fremdenlegion. Jetzt will ich Franzose werden. Dies wollen meine Kameraden aus Cottbus und Rostock auch."


BEI UNGEHORSAM - GLATZKOPF


In Frankreich wurden ihm erst einmal die Haare kurzgeschoren. Bei jedem Ungehorsam hagelt es ohnehin einen Glatzkopf. Und bei der Legion rennen viele kahlrasierte Zeitgenossen im Laufschritt über den Hof. Über vier Monate wurde Ernst und die Kameraden auf einem isolierten Campus in der Nähe der Kleinstadt Castelnaudry so hart im Nahkampf "geschliffen" und als Scharfschütze "abgerichtet", dass jeder Dritte vor Ende des Drills abmusterte. Befund: dienstuntauglich geworden auf einem der zahllosen 50-Kilometer-Gewaltmärsche.


Immerhin hat Ernst den Legionärs-Grundschliff überstanden und darf zur Be-lohnung nun auch das Képi blanc tragen. Nur unruhig ist er geworden. Deshalb lassen ihn ja seine Vorgesetzten über eine Stunde strammstehen und "Esellaute" von sich geben. Derweil laufen im Kommunikations-Video-Zentrum des Hauptquartiers wieder brandneue Kriegsfilme von den Kämpfen aus Sarajevo über die Bildschirme.


Ernst weiß das, weil er die Drehungen der Parabolanlagen häufig verfolgen kann. Als aktuelle wie logistische Informationen sind sie sehr wichtig für die Legion, falls Frankreichs Söldner doch den Marschbefehl zu einer Intervention bekommen sollten. Keine 24 Stunden könnten sie dort sein. Vertragssoldat Hasinger sagt: "Eigentlich müssten wir dort mit dem Bajonette aufräumen. Und uns nicht dafür entschuldigen, wenn wir vergewaltigten Frauen in dieser Kälte Brot und Decken geben. Auch unsere Jungs gehen drauf - und es ändert sich nichts."


Aber freilich noch lieber würde Ernst als Frankreichs neuer Legionär in der Südsee Wache schieben - "wegen der Bezahlung, des Klimas und der schönen Frauen."
























Montag, 4. April 1994

Feministinnen unerwünscht



































Sergeantin Sandrine Gervasoni vom 4. Regiment in La Valbonne gibt Marschbefehl. Unterordnung gehört zur Militärdisziplin. Männer begreifen schnell, "dass hier kein Bordell, sondern die französische Armee" ist. Frauen gelten als qualifizierter, ausdauernder und widerstandsfähiger als Männer. Weltweit verfügt Frankreich mit 34.000 Berufs- und Langzeit-Soldatinnen nach den USA über das zweitgrößte Frauen-Kontigent.

Tagesspiegel, Berlin
vom 4. April 1994
vom Reimar Oltmanns

An diesem frühen Morgen hatte Sergeantin Gervasoni "ihre Jungs" auf dem Kasernenhof wieder einmal Stund' um Stund' stramm stehen lassen. Vorsorglich, wie sie später einräumte. Ihr war nämlich aufgefallen, wie sie lüstern zur "Anmache-Frau" der Kompanie gekürt werden sollte. Blumen und zweideutige Zeilen hatte sie bereits erhalten. "In solchen fragilen Momenten", befindet Sergeantin Sandrine, "schafft uns Frauen nur der Dienstgrad wieder die nötige Autorität. Die Unterordnung gehört zur Militärdisziplin. Sie schützt sozusagen vor Ungehorsam. Die Männer begreifen hier schnell, dass sie nicht in einem Bordell, sondern bei der französischen Armee sind."

Abgehackt waren ihre Handbewegungen, bewegungslos ihr Gesicht. "Vor mir zu fünft aufgereiht", herrschte die Unteroffizierin ihre Rekruten an. Und kerzengerade standen Frankreichs Soldaten nun da, exakt eine Armlänge vom Nachbarn entfernt, die Beine gegrätscht. Mit Stahlhelm samt Sturmgewehr ging es sodann zum drei Kilometer langen Waldlauf, durch Schlammlöcher unter Stacheldrahtverhaue hindurch, ließen sie sich folgsam von einer zwanzigjährigen jungen Frau über Eskaladier-Wände hoch- und runterjagen.

MÄNNER-DOMINANZ

Jetzt, zur Mittagszeit, hockt Mademoiselle, wie sie die Soldaten auf einmal respektvoll anzureden verstehen, am Frauenstammtisch im Kasino des 4. Infanterie-Regiments im Garnisonsstädtchen La Valbonne an den auslaufenden Jura-Bergen im Südosten Frankreichs. In diesem erkalteten Zimmerchen - mit uralten Postern aufgemöbelt - begegnen oder verabreden sich die Soldatinnen - ihr Refugium, ihre Frauen-Kontaktbörse. Beinahe wöchentlich treffen zudem Kameradinnen anderer Kompanien, auch aus der Luftwaffe und Marine, aus dienstlichen Gründen in La Valbonne ein. Wenn nur irgendwie möglich, wollen die Soldatinnen zumindest gemeinsam essen, wenigstens zu Tisch einmal Gedanken und ihre Befindlichkeiten im von der Außenwelt isolierten Kasernen-Trott austauschen - von der erdrückenden wie allgegenwärtigen Männer-Dominanz ungestört.

FANGFRAGEN BEIM EIGNUNGSTEST

Überall in Frankreich leben Soldatinnen ziemlich kontaktlos, zuweilen von einander isoliert neben sich her. Sicherlich, als Vorkämpferin der Emanzipation versteht sich wohl keine dieser Armee-Frauen. Sonst wären sie wahrscheinlich schon beim Eignungstest spätestens über die Fangfrage gestolpert: "Was antworten Sie demjenigen, der Sie aggressiv fragt: wenn es Ihnen paßt, sind Sie Militär, sonst eine Frau?" Aber selbst ein bisschen Frauen-Solidarität scheint arg verdächtig in diesem Milieu. Heikel wird es jedenfalls immer dort, wo Frauen sich weigern, als Aufräumhilfskräfte herhalten zu müssen, bei den Fallschirmspringern zum Beispiel. Dort haben sie noch heute die Schirme der Männer nach ihren Sprüngen zusammenzufalten. Oder bei den Panzerfahrern. Nicht selten bleibt den Kommandantinnen nur der Trockenkurs im Simulator, weil die Herren Kameraden es sich halt nicht nehmen lassen wollen, höchstpersönlich über die Äcker zu donnern. Wenn Soldatinnen derlei Gebaren geißeln, heißt es lapidar: "Sie sind doch wohl nicht etwa eine Feministin? Das merken wir uns."

ZWEITGRÖSSTE FRAUEN-KONTINGENT

Obwohl sich die französische Armee zu Lande, zu Wasser und in der Luft seit zehn Jahren auch von kampferprobten Frauen führen lässt, und sie mit 34.000 Berufs- wie Langzeit-Soldatinnen über das weltweit zweitgrößte Frauen-Kontingent nach den USA verfügt - nichts scheint in der Männer-Domäne Militär offenkundig bedrohlicher zu sein als die Frauen-Gespräche dieser Jahre, "Früher", gesteht der Presse-Colonel Ivanoff aus dem Pariser Verteidigungsministerium freimütig, "war Kommunismus eines unserer Reizwörter. Unversehens ist es aber jetzt der Feminismus geworden, der überall und nirgends durch unsere Gemüter spukt." Der adrette Franzose Ivanoff fragt entnervt: "Was wollen wir denn hier eigentlich? Eine schlagkräftige Armee oder vielleicht eine seichte Armee mit Kindergartenspielplätzen, die sich durch die Einbeziehung von Frauen aktiv am gesellschaftlichen Wandel beteiligt?

In der Tat: Internen Umfragen in der etwa 570.000 Soldaten starken französischen Armee zufolge reagieren die Männer gereizt auf Frauen in Soldaten-Röcken. Sie fühlen sich in doppelter Hinsicht bedroht. Zum einen in ihrer auslaufenden Rolle als Beschützer; zum anderen in ihrem Machtpotenzial, das nun einmal aus Gewehrläufen kommt - nunmehr gegen sie selbst gerichtet sein könnte. Jedenfalls brachte die Monatszeitschrift "Armées aujourd`hui" zutage, dass immerhin über ein Drittel der Offiziere beim Heer und sogar 60 Prozent der Matrosen den Frauen in Uniform ablehnend gegenüberstehen.

An diesem Mittag am uniformierten Frauenstammtisch zu Valbonne sind es scheinbare Beiläufigkeiten der militärischen Alltagsbewältigung, die die Soldatinnen bewegen. Petitesen würden es die Kameraden zeihen, weil sie sich so gar nicht in das Selbstporträt aus Härte, Effizienz samt Durchschlagskraft fügen wollen. Aber es sind eben zentrale Momentaufnahmen, die das feminine Selbstverständnis zwischen Knobelbecher und Kanone empfindlich berühren.

HAUCH EINER CHARME-BRIGADE

Auf dem Tisch liegen Ausgaben der Soldaten-Zeitschrift "Terre magazine", die mit seiner Auflage von 80.000 Exemplaren monatlich informieren, Orientierung geben soll. Das Hauptaugenmerk dieses Heftes soll werbewirksam auf die Frauen in den Streitkräften gelenkt werden. Seite um Seite wird der Öffentlichkeit in großformatigen Vier-Farbfotos ein anschmiegsames Frauen-Image als militärisches Schönheitsideal auf dem Panzer hockend, kriechend im Manöver und natürlich üppig lächelnd in der Flugbereitschaft präsentiert. Der Hauch einer Charme-Brigade weht über die Hochglanzblätter. Ganz im Sinne der unausgesprochenen Botschaft: Diese Soldatinnen haben ihre Hemmschwelle zum Krieg längst überwunden: fügsam und erotisch allemal.

Verständlich, dass sich die Frauen in Überfallhose, klobigen Armeestiefeln und dunkelgrünem Käppi auf dem Kopf an ihrem Stammtisch zu Valbonne über solche Rollenklischees so gar nicht wieder beruhigen mögen. Sie heißen Sandrine, Nicole, Véronique und Dominique. Über Jahre ist ihnen eingebläut worden, sich im Dienst möglichst als "Unfrau", eben sexneutral zu verhalten, die weibliche Identität im Dienst abzulegen. Einfach deshalb, um sexuelle Übergriffe, Exhibitionismus, Unflätigkeiten, Vergewaltigungen zu vermeiden. Nur so liessen sich auch die "chronischen frauentypischen Krankheiten" im Zivilleben Schwangerschaften genannt, ausschliessen. Gilt es doch, bedrohliche Ausschreitungen, etwa wie in den US-Streitkräften, möglichst gar nicht aufkommen zu lassen. Dort klagten 81 Prozent der Frauen in der 3. US-Infanteriedivision in Unterfranken, dass sie unentwegt körperlichen Attacken wie auch Obszönitäten ausgesetzt seien. Eigens eine Frau durfte zur Oberaufsicht des Geschlechterkampfes in Frankreich aufsteigen. "La Général", wie Anne-Marie Meunier angeredet wird, sieht es als Hauptaufgabe an, die femininen Wesenskerne in die von Männern für Männer bestimmten Welt der Streitkräfte sorglos einzupassen.

LA GÉNÉRALE ZIEHT VOM LEDER

Ob bei Truppenbesuchen, in Einzelgesprächen oder auch in emanzipatorisch vermarkteten Interviews - La Général weiß stets zu mahnen, die Frauen zu ermahnen. Der Führungsstab hört es gern, wenn Madame über ihre Geschlechtsgenossinnen vom Leder zieht. "Die Frauen dürfen ihre Weiblichkeit wirklich nicht ausnutzen, um den militärischen Spielregeln des Militärs zu entkommen. Es ist doch nervtötend immer nur zu hören, werde ich anders behandelt, nur weil ich eine Frau bin. Weinerlich ist das. Ich sage diesen jungen Mädchen,nicht vor eurem Hintern, sondern vor eurer Leistungsfähigkeit beugt sich jeder. Wenn ihr so weiter macht, gibt es bald keine Frau als General mehr."

Auch wenn die Damen um Sandrine zu verschiedenen Waffengattungen gehören, so haben sie eines gemeinsam: nicht die Arbeitslosigkeit trieb sie in die Armee, sondern ihre Qualifikation, die höher ist als die der Männer. Exakt 95 Prozent der Bewerberinnen haben das Abitur; bei den Herren sind es nur 60 Prozent. Und noch deutlicher klafft die Schere beim Studium auseinander. Die meisten Armee-Kandidatinnen haben ein abgeschlossenes Universitätsexamen.

Emanzipatorische Gründe waren es freilich nicht, Frauen den Einzug in die Streitkräfte zu ermöglichen. Geburtenschwache Jahrgänge und eine hohe Anzahl von Kriegsdienstverweigerern rissen Lücken in der Bedarfsdeckung. Hinzu kam, dass der moderne Krieg den Charakter eines "reinen Waffenkrieges" verloren hat. Der waffentechnologische Sprung machte eine Bedienung der Systeme mit weitaus weniger Krafteinsatz erforderlich. Bereits heute stehen in den NATO-Armeen 361 Verwendungsmöglichkeiten von 377 den Frauen offen. Eingehende Untersuchungen ergaben zudem, dass Frauen den Männern im Militärdienst mindestens gleichwertig sind. Zwar sind sie physisch schwächer, so eine französische Expertise, dafür aber oft qualifizierter, ausdauernder, widerstandsfähiger. Auch seien sie in der Verteidigung mutiger als die Männer.

VOM STAAT BEVORZUGT ÜBERNOMMEN

Es war der französische Verteidigungsminister Charles Hernu (*1923+1990), der im Jahre 1983 in Paris auf einer Pressekonferenz ausrief: "Zu den Waffen, Bürgerinnen!" Und die Frauen kamen. Schon zwei Jahre später hatten 18.000 Frauen Militärposten inne. Durchschnittlich melden sich jährlich zweitausend Mädchen freiwillig zum Wehrdienst. Auf nunmehr 850 neu zu besetzenden Planstellen haben sich bereits 4797 Bewerberinnen gemeldet. Denn die Jahre in der Armee eröffnen auch neue berufliche Perspektiven im zivilen Leben. Nach Beendigung der Militärzeit geniessen sie ein einzigartiges Privileg: Sie werden vom öffentlichen Dienst bevorzugt übernommen - auf Lebenszeit.

Über zehn Monate müssen die jungen Frauen (Volontaires Militaires Féminines) sich ebenso wie die Männer ausbilden lassen. Früher wurden sie schon zu dieser Zeit vornehmlich zu Schreibarbeiten eingeteilt. Heute hingegen werden sie zunehmend zum Schießen in Kampfeinheiten oder zu harten Körperübungen in Feldmanövern herangezogen. Überstehen Frankreichs Frauen beim Militär diese Härtetests, öffnen sich ihnen über Zulassungsprüfungen der Karrieresprung zur Militärhochschule. Als sichtbares Zeichen einer erstarkten Frauen-Macht treten sie nunmehr auch als Mitglieder der Motorradstreifen der Gendarmerie und der Musikstaffel der Republikanischen Garde öffentlich in Aktion.

Tatsächlich hat Frankreich in seiner Geschichte im Ernstfall noch nie auf Frauen verzichtet, wenn es militärisch zur Sache ging. Schon General de Gaulle mobilisierte während seiner englischen Emigration ein Frauenkorps, mit dem er kämpfend Frankreich befreite. Und während des algerischen Unabhängigkeitskrieges mussten Französinnen auf Seiten der Kolonialmacht ihr Leben lassen.

Anfangs, zu Beginn der siebziger Jahre, waren es französische Frauenrechtlerinnen, die vor einer weiteren Militarisierung der Gesellschaft warnten. Mittlerweile ist solche Kritik verstummt. Und das nicht nur, weil in vielen Ländern die Frauen unaufhaltsam in ihren Armeen auf dem Vormarsch sind, allein die NATO weiß insgesamt 250.000 Soldatinnen in ihren Reihen.

IRONIE DER GESCHICHTE

Allmählich setzte sich unter den Frauen die Erkenntis von "der Ironie der Geschichte" durch. Obwohl in der Historie Frauen an der Waffe lediglich als Männerersatz gerufen und wieder weggeschickt wurden sind, kam die Emanzipation merklich voran. In den neunziger Jahren sind ganz gewiss die Französinnen nicht mehr aus den Streitkräften zu verbannen. Da mag die verheerende Wirtschaftslage vieler Länder Abertausende junger Männer auf der Suche nach einem Arbeitsplatz an die Kasernentore lassen - in Frankreich gibt es in der Armee praktisch eine Quotenregelung, "Grenzwert- theorie" genannt. Danach sollen stets zehn Prozent der Soldaten Frauen sein.

Am Frauenstammtisch im Garnisionsstädtchen zu Valbonne sagte Sergeantin Sandrine: "Wir wären doch verrückt, wenn wir uns das wieder nehmen liessen. Erst jetzt allmählich fangen wir an, uns richtige Gedanken darüber zu machen, wie wir die Männer-Welt knacken können."Sandrine lacht: "Einen Fuß haben wir schon drinnen. Abtreten."











































































































































































































































































































































































































































Freitag, 1. April 1994

Die Legion der Arbeitslosen
























































Frankreichs Fremdenlegion - Gescheiterte, Gelangweilte, Abe
nteuerlustige. Eine Ver-heißung neuer Heimat für einen heimatlosen Haufen. Mythos und Moral leben in der Truppe ohne Vaterland. Freiwillige locken Kampfeinsätze irgendwo auf der Welt. Bevor sie das Képi blanc tragen dürfen, werden sie im Nahkampf geschliffen und als Scharf-schützen abgerichtet - beim Strafexerzieren haben Legionäre den Esel zu mimen.


DIE ZEIT
vom 1. April 1994
von Reimar Oltmanns


Wortfetzen in verschiedenen Sprachen schwirren herum, suchen ungeduldig ihren Adressaten. Was sich da in der Rue d'Ostende in Straßburg vor dem ocker-farbenen, durch eine hohe, stacheldrahtbewehrte Mauer geschützten Gebäude in Reih und Glied aufgebaut hat, ist ein Nationalitätengemisch: Polen, Ungarn, Russen, Engländer, Deutsche, ein paar Schweizer - lauter Buben-gesichter, kaum älter als achtzehn Jahre.

Übernächtigte Gesichter. Sie alle, die es hierher in die Rue d'Ostende verschlagen hat - Orientierungslos, Gescheiterte, auch Idealisten und Romantiker - , sie sind auf der Flucht; sie verliessen ihre Heimatländer jählings - meist nur mit einer kleinen Reisetasche, fast immer, ohne Adieu zu sagen. Auch wenn sich die meisten dieser Jugendlichen untereinander allenfalls gestikulierend verständigen können, verbindet sie fast alle ein gemeinsames Schicksal: Sie sind arbeitslos, ohne je gearbeitet zu haben: sie sind kriminell geworden, ohne Schwerstverbrecher zu sein - Menschen auf der Suche nach dem Durchbruch, auf dem Weg in unbekanntes Land.

UNTERARME WIE KEULEN

Ein kleines Hinweissschild verrät, wohin der Exedus geht: Légion étrangère. Während sie warten, Stunde um Stunde, haben die Neuankömmlinge das plakatierte Soldatenbild am Portal vor Augen, das ihnen den radikalen Lebensabschnitt signalisieren soll, das Bild eines Muster-soldaten aus Frankreichs Söldnertruppe: Kinn gereckt, der Kopf unter dem weißen képi kahlgeschoren. Unterarme wie Keulen, Epauletten rot-grün. Augen stramm gen Sanddünen, Meer und blauen Himmel gerichtet.

Im Schulungsraum der Legionärskaserne zwischen museumsreifen Maschinengewehren mit der französischen Fahne an der Wand inspiziert Major Olivier Souville, Kommandant des Rekrutierungsbüros, die Kandidaten. Seit Beginn der neunziger Jahre werden es immer mehr, die ihren Rettungsring zur Söldnertruppe auswerfen. Nach offiziellen Angaben haben sich allein im Jahr 1993 mehr als 10.000 junge Männer um Aufnahme in die Fremdenlegion beworben, zwei Drittel Bewerber kamen aus den früheren Ostblockstaaten.

REFLEX WIRTSCHAFTLICHER KRISEN

Der Zulauf zur Legion war seit eh und je ein Reflex auf politische und wirtschaftliche Krisen, Zusammen-brüche, Niederlagen. "Veränderungen auf der ganzen Welt wirken sich ganz direkt auf die innere soziale wie psychologische Verfassung aus - und natürlich auf die Kampfeskraft der Legion", urteilt ihr Pressesprecher René Tomatis.

Derzeit beherbergt die Legion 8.500 Mann aus 120 Ländern. Jedes Jahr kommen durchschnittlich 1.500 Neulegionäre mit Fünfjahreskontrakten dazu. "Wenn wir wollten, sagt Lieutenant-Colonel Richard Pau vom Hauptquartier in Aubagne, "können wir im Handumdrehen eine 100.000-Mann-Truppe auf die Beine stellen. Nachwuchsprobleme kennen wir nicht." Zu den Vertragskämpfern aus fernen Ländern stoßen zu einem Drittel, noch französische Elitesoldaten, Absolventen der Offiziersschule Saint Cyr, die das Rückgrat der Interventionstruppe bilden.

Vorbei sind die Zeiten, in denen junge Männer in Spelunken von Werbern mit Prostituierten im Gefolge betrunken gemacht wurden, sich im Vollrausch für die Legion verpflichteten - und in der Kaserne wieder aufwachten. Heute werden vier von fünf Bewerbern nach Hause geschickt - oft zurück in die Arbeitslosigkeit.

Vorbei ist es auch mit der romantisch untermalten Legende von Legionären auf Kamelen vor dem Wüstenfort des früheren Hauptquartiers im algerischen Sidi bel Abbès. Von den Legionären der neunziger Jahre wird qualifiziertes Spezialistentum erwartet. Ihr Fachgebiet heißt Krieg. Und wenn es den nicht zu führen gilt, bauen sie Straßen durch den Dschungel von Guayana, schützen das Atom-Atoll in der Südsee oder das Raumfahrtzentrum von Kourou.

ZUM STERBEN ERZOGEN

Dort verdienen sie monatlich etwa 1.000 Euro bei freier Kost und Unterkunft. Routinegeübt ist in Straßburgs Rekrutierungskaserne der Röntgenblick des Majors Souville, emotionslos seine Höflichkeit wie seine Selbstkontrolle. Bedrohlich korrekt sitzt die Uniform des Kommandanten. Sie ist Ausdruck einer über Jahrzehnte gehegten Gewissheit, noch vor den amerikanischen Ledernacken als die härteste, brutalste Truppe überhaupt zu gelten. Letztendlich ist es die Bindungslosigkeit der Söldner, durchaus mit einem Quäntchen brachialer Zuneigung zur Legion, die belobigt wird. Ganz im Sinne von Colonel Boileau, der als Kommandeur des 6. Sturmpionierregiments seinen pädogischen Auftrag so umschrieb: "Natürlich wird der Legionär zum bindungslosen Sterben erzogen." Nur steuerbar müsse das alles sein, erläutert der Rekrutierungsmajor und wendet sich seinen Jungs zu wie ein Zirkusdirektor in der Manege. "Tiens, violà du boudin" (ran an die Blutwurst), posaunt Monsieur Souville an diesem Morgen zum wiederholten Male. Kaum einer versteht's. Noch nicht. Aber die Jugendlichen nicken einsatzfreudig.

Wie bei einer Auktion auf dem Pferdemarkt lässt sich der Major die Zähne zeigen, die Muskeln und den Brustumfang. Nach wie vor ist der Körper wichtiger als der Kopf. Eineinhalb Dioptrien zuviel sind schlimmer als zwanzig IQ zuwenig. Sodann entlässt der Inspizient die Männer mit einem Zitat des ehemaligen Befehlshabers im Algerien, General George Cartoux, der über seine Söldner sagte: "Sie jammern nicht, sie haben keine schwangeren Ehefrauen und keine im Sterben liegenden Mütter. Sie stehen für keine Sache und für keine Idee. Kein General in der Welt kann sich eine bessere Truppe wünschen als diesen heimatlosen Haufen. - Abtreten!"

MÄNNERRITUALE AUS DER KOLONIALZEIT


Szenenwechsel. Durch das Offizierskasino im Château, einem Herrenhaus aus dem 18. Jahrhundert, säuseln Wortfloskeln im Französisch der feinen Gesellschaft. "Aah, mon captaine ... respect mon colonel ...". Benimm wie Bewegung lassen im Hauptquartier der Legion in Aubagne keinen Zweifel, dass hier noch die verstaubten Männerrituale aus der Kolonialzeit fortleben. Auf dem Kasernenhof prunkt eine Weltkugel in Bronze. Jeder helle Punkt darauf signalisiert: "Hier kämpfte schon die Legion." Klimaerprobt, weltweit sozusagen. Zur Feier des Tages Aufmarsch einer Ehrenkompanie weißer képis, Trommelwirbel, Fanfaren, würdiges Daherschreiten mit exakt 76 Schritten in der Minute, Hand auf der Brust, die Marseillaise als Begleitmusik. Zeitlupentempo.

Nicht wie vom Bronzeball auf dem Appellplatz steht seit etwa einer Stunde der frischgebackene achtzehnjährige Legionär Ernst Hasinger aus Bochum in voller Montur stramm. Hinter ihm steht in großen Lettern auf einem Sockel geschrieben: "Legio Patria Nostra" (Die Legion ist unser Vaterland). Seit einer Stunde ist von Legionär Ernst Hasinger fortwährend nur ein Satz zu hören: Je suis un âne (Ich bin ein Esel). Strafexerzieren für ein liederlich gemachtes Bett.

Mit welchem bürgerlichen Namen Legionär Hasinger bei der Legion ankam, das mag er nicht sagen. Wie sechzig Prozent seiner Kameraden hat auch er sich hier einen anderen Namen zugelegt. "Bochum", sagt er in seinem Ruhrpott-Französisch, "da will ich nie wieder hin. Mein Vater ist seit Jahren arbeitslos, geht nur noch in den Kneipe. Meine Mutter schuftet für Billiglohn im Kaufhof. Und ich habe mich zwei Jahre vergeblich um eine Berufsausbildung bemüht, vor Langeweile Spielautomaten geknackt. In eine Hilfsarbeitergruppe wollten die mich stecken. Null Bock, weg war ich. Jetzt will ich Franzose werden. Das wollen meine Kameraden aus Cottbus und Rostock auch." Hier hat man ihm erst einmal die Haare kurz geschoren. Bei jedem größeren Ungehorsam hagelt es ohnehin einen Glatzkopf.

Über vier Monate wurden sie auf einem Campus hart geschliffen, dass jeder Dritte vor Ende des Drills abmusterte. Ernst Hasinger hat den Legionärsgrundschliff überstanden, darf sich auch das képi blanc tragen. Aber unruhig ist er geworden. Deshalb muss er auch über eine Stunde strammstehen und Eselslaute von sich geben. Derweil laufen im Kommunikationsszentrum des Hauptquartiers wieder brandfrische Video-Kriegsfilme von den Kämpfen in Sarajevo ein. Ernst Hasinger weiß das, weil er die Drehungen der Parabolantennen verfolgen kann. Falls Frankreich Söldner einen Marschbefehl bekommen sollten, können sie keine 24 Stunden später dort sein. Vertragssoldat Hasinger sagt: "Eigentlich müssten wir richtig mit dem Bajonett aufräumen."

Noch lieber würde der neue Legionär freilich in der Südsee Wache schieben - "wegen der besseren Bezahlung, wegen des Klimas und der schönen Frauen und so."