Dienstag, 29. September 1970

"Der Papst sagt nein zur Pille" - Protestsongs mit Franz Josef Degenhardt - Ende der sechziger Jahre

























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Cuxhavener Zeitung
29. September 1969
von Reimar Oltmanns
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Revolutionäre Romantik hatte die Stimmung in der Kurparkhalle erfasst; mythische Stimmung kam auf, Ressentiments gegenüber deutsche Verhältnisse, Aggressionen. Die Protestsongs des APO-Sängers und Liedermachers Franz Josef Degenhardt (*1931+2011) ließen die Gemüter an diesem Herbstabend an der Nordsee-Küste zu Cuxhaven überkochen. Da stand er nun auf der Bühne mit seiner Gitarre als Wegbegleiter, dieser "Väterchen Franz, dieser versoffene Chronist, der weiß, wie es ist". Kein Zweifel: Als Liedermacher ist Franz Josef Degenhardt eine der Stimmen der 68er Bewegung; seine ersten Auftritte waren bei den spektakulären Burg-Waldeck-Festivals in den Jahren 1964-1969; als Signal-Wirkung versteht sich.
LUFT ABLASSEN - BIS FLASCHEN FLIEGEN
An die 500 Jugendliche waren zum Degenhardt-Festival gekommen, um als Oppositionelle "Luft abzulassen", Ressentiments oder auch "Aggressionen rauszulassen" gegen das bundesdeutsche Großkapital, Bourgeoisie, Kirche und SPD. Der Zeitgeist in Deutschland weht, spricht und singt bekanntlich links in diesen nun beginnenden siebziger Jahren. Die klare, akzentuierte Stimme des APO-Sängers, aber vornehmlich die bitter-süffisante Ironie seiner Lieder machten aus diesem Abend aber allerdings alles andere als eine der x-beliebig austauschbaren Konsumverstaltungen verschlafener deutscher Provinzen. Identifikation wurde gesucht und spätestens bei dem Lied "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" gefunden. Ausgrenzung, Ohnmachtgefühle vielerorts.
"WER HAT UNS VERRATEN ?"
Verständlich, dass dieser Degenhardt, der als Rechtsanwalt SPD-Mitglieder oder auch Kommunisten in APO-Strafprozessen verteidigt, auch in seinen Liedern gesellschaftskritische Bezüge herstellt. Da wurde halt eben die Sozialdemokratische Partei nicht nur in seinem Song, gleichfalls auch vom Publikum besonders aufmerksam bedacht, der so lautet: "Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!" schallte es minutenlang durch die vollbesetzte Halle. Viele dieser Jugendlichen, in Siedlungen oder auch im Fischerei-Hafen groß geworden, sind der Ansicht, dass sozialistische Grundsätze von Gleichheit, Brüderlichkeit und Gerechtigkeit in der SPD verloren gegangen seien, vor allem eine Partei der Malocher - speziell in Cuxhaven der Fisch-Mehlfabrik-Arbeiter zu sein. Ein Abend mit Franz-Josef Degenhardt wird so unweigerlich zu ihrem Spiel - zum Heimspiel in einer für viele kaum noch zu verstehenden Welt. " ... Aufbauen ,Schritt für Schritt, sagt der alte Sozialdemokrat und spricht und spricht, nur die richtigen, die wilden Streiks, die macht der nicht."
WEISSMACHERN IN LERNFABRIKEN
Gleichwohl glaubt Franz Josef Degenhardt, wenn er da so voller Inbrunst mit seiner Gitarre auf der Bühne wedelt, nicht daran, sein Publikum "politisch zu agitieren". Degenhardt sagt: "Das Singen macht mir Spaß. Früher waren meine Lieder zwar nicht so politisch, doch jeder macht in gewissen Zeiten einen Emanzipationsprozess durch. Aber ich glaube nicht, dass meine Lieder politisch etwas bewirken können. Man kann es vielleicht mit einem Maler vergleichen. Der malt, weil er die Fähigkeit hat, mehr nicht." Nicht von ungefähr stellt Degenhardt die Ballade von den Weißmachern, den aal-glatten Schönrednern ins Zentrums seines Liederabends. In dieser Ballade besingt und betextet er die unreflektierte, auf Angepaßtheit, Duckmäusertum ausgerichtete Systemkonformität des Alltags-Lebens. Ein Vorgriff auf kommende Jahrzehnte, wenn er da singt: " ... und als der fleißige Student hat beendet sein Studium, da zog er aus der Lernfabrik in eine andere um, das war das große Seifenhaus, dort stellte er tagein tagaus die allerfeinste Seife her, die hatte 100 Weißmacher ...".
"WAS SOLLST DU GLAUBEN, CHRIST?"
Und die Katholiken in diesen bewegten Jahren? Was sollen sie glauben, denken, fühlen in einer Ära des Geburten-Überschusses, grassierender bitterer Armut in der Dritten wie Vierten Welt ? Und Franz Josef Degenhardt fragt wieder, "was sollst du glauben Christ, der Papst sagt nein zur Pille und Kondomen, und das ist Gottes Wille. Wen soll dieser Gott beschützen, was ist das für ein Gott? Das sollst du fragen, du glaubensfroher Christ. Die Antwort wird dir sagen, wes lieber Gott das ist ... ... Wem nützt es, wenn die Proleten in Dublin und in Kapstadt nicht kämpfen, sondern beten, dass ihre Not ein End' hat? ... Das ist der Gott der Reichen, die den Gewinn einstreichen und sich die Pillen kaufen. Doch es werden die Proleten beenden ihre Not und kämpfen statt zu beten, dann stirbt auch dieser Gott ... ... dann weiß der fromme Christ, dann weiß die ganze Christenschar, wes lieber Gott das war ...".
LIEDER MIT LANGER LEBENSDAUER
Dieses Papst-Pillen-Lied war charakeristisch für Franz-Josef Degenhardt an diesem seinen Song-Abend. Mit derlei Lieder und ihrer offenkundig langen Lebensdauer will der APO-Anwalt seine Zuhörer aus dem alltäglich dahinsiechenden, einlullenden Milieu herauslösen; im Fall der katholischen Kirche ihre Herrschaftsstrukuren verdeutlichen. Aufklärung ist gefragt. Es ist der künstlerische Versuch eines Mannes, einen Denk- oder auch Befreiungsprozess einzuleiten, der es lautet: Recht auf Selbstbestimmung, die den Menschen zu einen kritischen Denkansatz verhilft - ihn letztendlich von seinem "ausgebeuteten Dasein befreit".
"AUTOBIOGRAFISCHER LEBENSLAUF"
In seinen Liedern über den "autobiografischen Lebenslauf eines westdeutschen Linken" der ihm vorauseilende Gehorsam vornehmlich zu Zeiten der sozialliberalen Koalition (1969-1982). "... ... aus der linken Ecke nur Knurren und Bellen, doch niemals den Klassenfeind stören ...". Der politische Weg des Franz-Josef Degenhardt schien vorgezeichnet. Im Jahre 1961 hatte er sich der SPD angeschlossen, zehn Jahre später wurde ihm dort die "rote Karte " gezeigt. Er ging zur DKP, trat bei ihren UZ-Pressefesten auf. Seinen Liederabend zu Cuxhaven beendete er mit einem Lied, das ihn berühmt gemacht hatte, Einvernehmen erlaubte: "Spiel nicht mit Schmuddelkindern" und "Väterchen Franz, versoffener Chronist, du weißt, wie es ist" - in Cuxhaven und anderswo in diesem Land.

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