Freitag, 7. Januar 2011

Die stille Revolution der Frauen in Frankreich - so nah und doch so fern
























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Pressenet
07. Januar 2011
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Manch eine Zeitgenössin oder auch kampferprobte Feministin wird es vielleicht noch als Provokation empfinden. Der Autor des Buches "Vive la française - Die stille Revolution der Frauen in Frankreich" ist ein Mann, ein deutscher Journalist. Über zwei Jahre reiste Reimar Oltmanns durch die französische Republik - war dem Leben der französischen Frau ihrer Stimmungslage, ihren Anforderungsprofilen, ihren Ansichten, aber auch ihren Ängsten und Diskriminierungen auf der Spur. Milieustudien, Mentalitäten, Hintergrund-Recherchen. Das Leben der Frauen in Frankreich - so nah und doch so fern.

Reimar Oltmanns beobachtete bei den Fischerinnen ihren aussichtslosen Existenzkampf gegen die Fangquoten samt Brüsseler EU-Bürokratie. Er verfolgte Soldatinnen bei den Vorbereitungen ihrer Militäreinsätze für den Balkan, sprach mit Ingenieurinnen in Kernkraftwerken über Ängste und potenziellen Gefahren eines Super-Gaus. Er hörte verzagten Bäuerinnen im Alpenvorland zu, die über Hofverluste wie Selbstwertverluste Klage führten - ein Landleben an der Armutsschwelle.

Oltmanns begleitete Pilotinnen der Air France auf ihren Kontinentalflügen. Frauen, die sich über Macho-Gebaren ihrer Kollegen kaum beruhigen konnten. Er notierte vehementen Missmut der einstigen première Dame der Republik im Élysée-Palast zu Paris über Frauenfeindlichkeit im französischen Politik-Milieu. Unterschiedlich sind die beschriebenen Lebenskreise, Ambiente, Atmosphäre, Alltagsbedingungen, Charaktere, Lebensschicksale.

Sicherlich - so genannte dramatische Frauengefechte, etwa wie in Deutschland, hat es im Land der Franzosen kaum gegeben. Ohne "Geschlechterkampf" erreichten es Französinnen eher leise, eher unauffällig, dass gesellschaftliche Rahmenbedingungen verstärkt auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten wurden. Bewusstseins-Wandel.

Französinnen verzichten weder auf Kinder noch auf Karriere. Während sich in Deutschland Geburtenraten (mit 1,37 Kinder pro Frau im Jahre 2010) nur marginal verbesserten, bleiben sie in Frankreich(durchschnittlich zwei Kinder pro Frau) als europäischer Spitzenreiter konstant hoch. Folglich wollen nach aktuellen Umfragen 28 Prozent der deutschen Akademikerinnen überhaupt keine Kinder bekommen. Der Fortschritt kennt einen Namen: Kinderlos. In Frankreich hingegen verzichten "Les femmes (qui) marchent au super" weder auf Kinder noch auf Karriere. Sie wollen beides. Insgesamt verfügt die französische Republik über ein Frauenpotenzial von immerhin 27.000 Ingenieurinnen.

Während Deutschland noch immer auf flächendeckende Gesamtschulen wartet, wird in Frankreich alsbald ein Jubiläum zu feiern sein: So werden Ganztagsschulen mit ihren vorgeschalteten Kindergärten schon 100 Jahre alt - Mittagessen inbegriffen. Indes: In Frankreich können Frauen getrost ihrem Beruf nachgehen, Kinder bekommen und niemand macht ihnen ein schlechtes Gewissen.

Wohl keine Frau war wie die Französin in der Geschichte - Jahrhunderte lang bis hinein in die Gegenwart - Opfer so vieler Reminiszenzen, geistreicher Aphorismen, himmlischer Elogen. Wohl keiner Frau wurden in der Literatur oder auch Operette so übermenschliche Huldigungen, eine derartige Vergötterung zuteil - wie eben der Französin. Künstlerische Männer-Fantasien überdauerten auch die zerrissensten Epochen, und sie leben auch zu Beginn eines neuen Jahrtausends in all ihren Facetten in allen sozialen Schichten vehement fort. Männer-Vorurteile. Männer-Klischees.

Gleichwohl: In den letzten fünf Jahren haben Französinnen mehr in ihrem Land verändert als in den 25 Jahre zuvor. Sie rollen ihr Land von unten - von der Basis - auf. Längst diktiert eine erkennbar feminine Atmosphäre Umgang und Geschehen. Wie sagte noch die frühere SPD-Familienministerin Renate Schmidt (2002-2005): "Frankreich ist gegenüber Deutschland mit seiner Frauen- und Familienpolitik uns mindestens um 30 Jahre voraus."