Samstag, 10. September 1994

Ein Quäntchen Selbstverleugnung ganz in der Tradition Rousseaus







































































Frauen sind der Realität und dem Lebensgefühl der Menschen weitaus näher. Zwei französische Politikerinnen mit gegensätzlichen Ansichten, aber einem gemeinsamen Ziel: Sie wollten die starre Pariser Männer-Macht brechen.Die Ärztin Dominique Voynet von den Grünen und die konservative Sozialministerin Simone Veil. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts verstand es Staatspräsident Nicolas Sarkozy, Frauen in seiner Regierung als "Minenhündinnen" männlicher Macht-Interessen fremd zu bestimmen. Im Pariser Parlament bleiben Frauen in einer erdrückenden Minderheit. Ein schwieriges Kapitel: Französinnen in der Politik. Rückbesinnung.



Frankfurter Rundschau
vom 10. September 1994
von Reimar Oltmanns

Was waren das noch für denkwürdige Frauen-Zeiten - damals in den achtziger Jahren. Aufbruchstimmung. Der Amtssitz des französischen Staatspräsidenten Francois Mitterrand hatte sich unversehens zu einer einflussreichen Frauen-Bastion entwickelt - und das trotz seiner jahrhundertealten männerbündischen Exklusivität.

Zunächst von der Öffentlichkeit eher verschmitzt aufgenommen, umgab sich François Mitterrand in seinem "Schloss" mit immer mehr Frauen. Ausgerechnet in
einer Republik, die schon in ihrer Geschichte Frauen von der politischen Macht-teilhabe wohlbedacht ausschloss. Am Parlament und den Parteigremien der Sozia-listen vorbei, wies Mitterrand nahezu unbekannten Politikerinnen zunächst den Status "Elysée-Beraterinnen", sodann einen Ministersessel zu. Hießen sie nun Elisa-beth Guigou (Europa), Ségolène Royal (Umwelt), Martine Aubry (Arbeit), Frédérique Bredin (Sport), Yvette Roudy (Frauenrechte) wie auch Edwige Avice als Staats-sekretärin für Verteidigung oder gar Edith Cresson, die als Ministerpräsidentin ein kurzes Gastspiel gab. Ohne Mitterrands gezielte Ausschau nach geeigneten Politi-kerinnen wären Frankreichs Frauen wohl kaum in die inneren Machtzirkel der Männer vorgedrungen. "Es ist ein untragbarer Zustand, dass so wenige Frauen im Parlament sitzen. Sie sind der Realität einfach näher als die Männer", rechtfertigte er damals seinen Alleingang.

ANFLUG AUF "MACHO"-NESTER


Mit ihrem Anflug über "Pariser Macho-Nester" (Libération) wähnten sich vielerorts Frankreichs Frauen in Aufbruchstimmung. Die Ära politischer Ausgrenzung schien beendet. Seinerzeit durchdrang zum Entsetzen so mancher Pariser Beoabachter "mit diesem weiblichen Schattentheater eine feminine Atmosphäre, Wärme, Offenheit, ja Spontaneität" das ansonsten majestätisch erkaltete Elysée-Gemäuer. Wetterfühlige Chronisten wie das Mitglied der Académie française, Jean d'Ormesson, mutmaßten im "Le Figaro" gar: "Ein Netz aus Ehe- und Regierungsfäden war aufgespannt, um allen Abstürzen vorzubeugen. Die berühmte Gegengewalt war durch die doppelten Bande der Ehe und der Abhängigkeit ernsthaft unter Kontrolle."

Kein Land westlicher Demokratie leistet sich derlei widersprüchliche Beispiele, wenn es um politische Gestaltungsspielräume der Frauen geht. Tatsächlich rast die Gesellschaft draußen im Lande der Politiker-Klasse zu Paris bizarr davon. "Es sind die letzten Gefechte der Männer", konstatiert die 50jährige sozialistische Bürger-meisterin Marie-Eliane Drut-Gorju aus dem Kleinstädtchen Brion im Département Ain. "Mit unserer finanziellen Unabhängigkeit und der Schwangerschaftsverhütung haben sie ganz allmählich die Oberhand über uns Frauen eingebüßt. Jetzt heben sie ihre angestammten Plätze in der Politik zu ihren allerletzten Verteidigungsgräben aus. Frauen, die kandidieren wollen, wurden bisher immer in die Niederlage geschickt. Als ich geboren wurde, da hatte meine Mutter noch nicht einmal das Wahlrecht. Nach Jahrzehnten des Verzichts wollen wir jetzt mitmischen. Ob in den Rathäusern oder in Paris - auch diese Barrieren werden wir über kurz oder lang einnehmen."

FRANZÖSINNEN AUF DEM VORMARSCH

Überall in der Republik sind Französinnen auf dem Vormarsch. Nur in den Zentren der politischen Macht sind die Frauen bislang draußen vor der Tür geblieben - unfreiwillig. Ganze sechs Prozent Frauen vermochten es bisher, als Abgeordnete die Türen aufzustoßen. Frankreich - das Schlusslicht westlicher Demokratien? Deutschland zählt beispielsweise 20,5 Prozent oder Finnland 38,5 Prozent Frauen in den gesetzgebenden Nationalversammlungen. In der im Jahre 1993 gewählten bürgerlichen Regierung Balladur hingegen dürfen lediglich drei Frauen am Kabinettstisch Platz nehmen. Bis auf wenige Ausnahmen sind die Ministerinnen von einst mithin von der politischen Bildfläche verschwunden - sitzen nicht einmal mehr auf den Oppositionsbänken.

Dafür kam eine alte Bekannte mit 67 Jahren zurück: Simone Veil als ranghöchste Ministerin im Kabinett Balladur, zuständig für Gesundheitspolitik . Auch wenn Madame Veil schon zu Zeiten der Präsidentschaft Giscard d'Estaings (1975 - 1980) ein auf Frauen-Erfordernisse zugeschnittenes Abtreibungsrecht durchsetzte, beabsichtigt sie in dieser Epoche konservativer Renaissance nur ein zentrales Gesetz über die Hürden zu bringen. Mit dem sogenannten "Mutterlohn" (die Hälfte vom Mindesteinkommen von etwa 500 Euro) nach dem zweiten Kind gilt es, berufstätige Französinnen zu locken. Sie sollen möglichst ganz auf ihren Beruf verzichten, "weil doch die Lage der Französinnen so zerbrechlich geworden ist", mahnt Simone Veil da.

VICHY-REGIME

In Wirklichkeit, so mutmaßt die frühere sozialistische Frauenbeauftragte Yvette Roudy, bezweckt Madame Veil, die Frauen wieder an den Küchenherd zu schicken. Yvette Roudy erregt sich: "Hier soll die Arbeitslosigkeit auf dem Rücken der Frau gesenkt werden. Aus ihren Bäuchen sollen dafür mehr Kinder kommen, um die Geburtenrate zu erhöhen. Wir wissen schon, dass alte Geister wieder am Ruder sind, Aber wir dachten nicht, dass sie sich trauen würden, mit Gedanken des Vichy-Regimes des Marschall Pétain aufzuwarten.

Nationalspezifisch französisch scheint schon die verhärtete Ausgangslage vieler Frauen zu sein, die ihre Lebensentwürfe in die Politik erfolgreich einzubringen gedenken. Die einstige Staatssekretärn Véronique Neiertz macht in Frankreich eine "fatale Entwicklung" aus. "Alles Weibliche wird in der Politik getilgt. Selbst das Wort Frau ist zum Tabu geworden."

GESCHLECHTS-NEUTRAL: REPUBLIKANISMUS

Ob konservativ oder linksorientiert - ausnahmslos eine Gemeinsamkeit teilen sich französische Politikerinnen: Ihre leidvollen Erlebnisse mit der Männerwelt. Selbst den Anschein von Gleichberechtigung haben sie in der politischen Arena noch nicht erleben können.

Wer sich in der Pariser Männer-Hierarchie auch nur halbwegs durchzusetzen trachtet, ist gut beraten, einen "geschlechtsneutralen Republikanismus" zu verinnerlichen. Und das in einer Zeit, die auch in Frankreich Identitätskrisen in der Männer-Kultur offenbart. Aber trotz Gesellschaftskrise und Männerproblemen - keine Frau, die auf der Karriereleiter mühsam nach oben kletterte, wagt sich etwas als "Feministin" zu bekennen, Frauen-Logik wie Frauen-Wahrnehmung in der Politik offensiv zu vertreten. Mancherlei verschämte Gesichter, Frauen-Getuschel über ihre verstecke Geschlechtsidentität vielerorts. Ein Quäntchen weibliche Selbstverleugnung wird im Pariser Politik-Milieu schon seit jeher belohnt.

KEIN FEMININER ZUKUNFTSIMPULS

Sorgsam von nahezu allen Präsidenten der Republik gesiebt und schließlich oben angekommen, sind es die Politikerinnen selbst, die sich im Männer-Milieu vorzensieren. Folglich mag so gar kein "femininer Zukunftsimpuls", wie Françoise Picq von der Frauenbefreiungsbewegung kritisch anmerkt, durch das Regierungsgemäuer nach draußen dringen. Madame Picq urteilt: "Gestört ist die Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft gravierend. Eine Brücke zwischen beiden zu schlagen, das wäre eigentlich klassische Frauenpolitik. Doch nichts passiert." Da mögen 350.000 Haushalte heillos überschuldet, fast jeder vierte Jugendliche unter 25 Jahren ohne Arbeit sein, die Frauen-Armut bedrohlich zunehmen - unisono verlautet es aus berufenen femininen Mündern an der Macht: "Ich verstehe mich nicht als Frau, sondern als Politiker" oder wie es Danielle Mitterrand quasi als gesellschaftliche Richtschnur vorgab: "Ich fühle mich nicht als Frau, wenn ich handele. Ich werde von Ideen getragen und nicht von einer weiblichen Identität."

Aber selbst fernab von Paris - in den Städten wie Gemeinden will es erprobten Kommunalpolitikerinnen im zentral beherrschten Frankreich nur schwerlich gelingen, ihren Einfluss etwa durch lokale Kärrnerarbeit auszubauen. Insgesamt verfügt die Republik über 1.986 Bürgermeisterinnen. Das sind wieder nur 5.4 Prozent der Ämter. Ihnen stehen 36.456 Männer gegenüber. Naturgemäß gelten Bürgermeisterämter in den Provinzen als Schlüsselpositionen, als Eintrittskarte für die großen Politik-Entwürfe in Paris.

"STADT-BARONE"

Eine alte Karriere-Faustregel besagt nun einmal: Wer kein Rathaus mit nach Paris bringt, braucht erst gar nicht anzulanden. In Frankreich sortiert das Mehrheitswahl-
recht die politische Klasse - gibt es folglich keine Landeslisten. Frauen abweisend - für politische Minderheiten zudem - ist es ohnehin. Und die zentrale Verfügungsgewalt aus Paris bis ins letzte Dorf hinein beseitigt Hoffnungen auf Veränderungen.

Indes: Lippenbekenntnisse für die Gleichberechtigung der Frauen in der Politik gab es schon viele. Nur ändern will sich offenbar wenig; vornehmlich dann, wenn es um Macht wie Reichweite der sogenannten "Stadtbarone" geht. Jeder Regierungsvorschlag erregt Misstrauen, wird allzu oft im Keim erstickt. Und die wenigen Frauen, die es letztendlich geschafft haben, einem Rathaus vorzustehen, bekommen oft massive Schwierigkeiten. In Straßburg etwa, dem Sitz des Europa-Parlaments, wurde das Privatleben der Bürgermeisterin Catherine Trautmann von der dortigen Presse ausgiebig der Öffentlichkeit vorgeführt. Es sei unvorstellbar, dass eine Frau politische Karriere machen könne, schrieb die Zeitung "Dernières Nouvelles d'Alsace", "wo sie doch ständig in der Männerwelt sei", da müsse Madame ihren eifersüchtigen Ehemann frustrieren. "Wir dürfen doch mal nachforschen", hieß es scheinbar arglos.

Das Département Meuse kennt eine von drei Präfektinnen (Regierungspräsident) in der Republik. Im Jahre 1991 ist die Verwaltungsbeamtin Colette Horel in diese Spitzenposition berufen worden. Aber noch nach Jahren hat sich die feinere Gesellschaft vor Ort noch nicht damit arrangieren können, dass eine Frau Zukunftsaufgaben des Bezirks vordenkt und auch umsetzt. Wenn Madame Horel mit ihrem Mann aus dienstlichen Anlässen an repräsentativen Empfängen teilnimmt - so weiß sie stereotyp eines vorauszusagen. Ihr Mann wird - Bückling links, Bückling rechts - als "Monsieur le préfet" begrüßt. Sie natürlich als schmückendes Anhängsel beäugt, zumal der eigentliche Präfekt eng anliegende Kleider und dazu auch noch lange Strass-Ohrringe trägt.

POLITIK IST SUMPF

"Nein", sagt die 35jährige Ärztin Dominique Voynet, Sprecherin der französischen Grünen, "Politik in Frankreich ist Sumpf geworden. Es kann nicht darum gehen, dass Frauen Ämter besetzen, Die ganze Männer-Mentalität bedarf einer radikalen, auch kulturellen Mentalitätserneuerung. Sie ist ein Überbleibsel aus dem vergangenen Jahrhundert. Eine Zumutung für uns Frauen." Das glaubt auch die langjährige Präsidentin der Frauenvereinigung "Choisir - la cause des femmes", die Rechtsanwältin Gisèle Halimi. Sie saß im Jahre 1982 im Pariser Parlament. Damals brachte sie gemeinsam mit der sozialistischen Fraktion eine Novelle durch - eine Änderung, die in allen öffentlichen Ämtern eine Frauenquote von 25 Prozent vorsah. Nur der Verfassungsgerichtshof kippte das Gesetz mit der Begründung, "die Quote spaltet die Bürger in zwei Kategorien".

Nach Jahren vergeblicher Versuche, mit "kleinen Schritten" Machtverteilung samt Klimawandel in der Politik einzuleiten, bereitet Madame Gisèle Halimi mit ihren Frauen nun eine Volksbefragung zur Änderung der französischen Verfassung vor. Danach soll dem Artikel 3 der französischen Verfassung hinzugefügt werden: "Der gleiche Zugang der Frauen und Männer zu den politischen Mandaten wird durch Parität gesichert." Die Frauenrechtlerin sagt: "Ich möchte ein für allemal mit dem Mythos aufräumen, dass Frauen schon jetzt in der Politik mitmachen dürfen. Exakt 52 Prozent der Bevölkerung sind Frauen - aber nur sechs Prozent sind Abgeordnete."

Als Gisèle Halimi im Elysée Palast François Mitterrand ihre Absicht vortrug, sagte dieser: "Das ist eine gescheite Idee. Anders kommen wir wohl mit der Frauen-Frage in unserer Gesellschaft nich voran." - Nur: Die Entscheidung über ein Frauen-Plebiszit - wie etwa zu den EU-Verträgen - liegt nun in den Händen der konservativen Regierung. Und die lässt sich Zeit - viel Zeit.