Donnerstag, 2. April 1992

Alessandra Mussolini: "Opa würde jetzt erst mal richtig aufräumen"






























































Vielerorts in Italien inszeniert sich Alessandra Mussolini - Enkeltochter des einstigen Diktator Benito - dem Wahlpublikum mit dem Faschisten-Gruß des ausge-streckten rechten Arms . Mit "Duce-Nostalgien", Pathos, Parolen und Legenden gelang ihr der Einzug ins italienische, sodann ins Europa-Parlament. Dort ver-bündete sie sich mit der rechtsextremen NPD. Als Nichte der Schauspielerin Sophia Loren setzt Mussolini sich zuweilen ungefragt als "die schönste, erotischste Faschistin auf dem europäischen Kontinent" in Szene. Wahlkampf in Italien: Showstars, Faschisten, Sex und Mafia führen Regie. - Räuberpistole in Europa
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Aachener Nachrichten
vom 2. April 1992
von Reimar Oltmanns
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Ein Hauch der krisengeschüttelten dreißiger Jahre weht durch Italien, in dem am 5. und 6. April 1992 in neues Parlament gewählt wird. Wäre es für die 56 Millionen Einwohner von den Alpen bis zur Südspitze Siziliens nicht so bitter ernst, so könnten Zyniker mutmaßen, Italien sei drauf und dran, ein Drehbuch eines allmähliche Staatsverfalls für Hollywood frei Haus zu liefern. Die Dramaturgie der Ereignisse spülen jedenfalls ein bizarres Gemisch von ewig Gestrigen, Mordserien und aberwitzigen Show-Einlagen hohler Parolen hervor.

AUSLÄNDER WEG MIT IHNEN - BASTA

Im Edel-Restaurant "Brenta" zu Bologna, in dem Reiche und offenbar nur Schöne ihre Tagliatelle speisen dürfen, präsentiert die neofaschistische Partei Soziale Bewegung (MSI) ihren Wahlkampf-Attraktion - die 29jährige knusperig dreinschauende Medizinstudentin Alessandra Mussolini, Enkelin des Diktators Benito Mussolini, als Appetitanreger sozusagen."Nein", sagt die selbstbewusste junge Dame aus der Oberschicht da, "Italien hat schon lange keine Ordnung mehr. Es fehlt eine starke, durchgreifende Hand." Sie fährt fort: "Und die vielen Ausländer, diese Kostgänger unserer Portemonaies, was machen wir nur mit ihnen? Ich sage nur eines: raus und das ganz schnell, lieber gestern als morgen." Versunken stochert sie in den Nudeln, blickt dann auf und erinnert an verwegene Zeiten: "Wenn mein Opa das wüsste - er würde richtig aufräumen, durchgreifen, ohne mit der Wimper zu rucken." Die Runde nickt einvernehmlich.

RECHTS SEIN, RECHTS DENKEN, RECHTS FÜHLEN

Rechts zu sein, rechts zu denken, rechts fühlen - das ist in Italien wieder en vogue. Nicht umsonst trat der derzeitige Ministerpräsident Andreotti dafür ein, aus dem römischen Gedenkstein "für die Opfer des Faschismus" - das Wort "faschistisch" zu löschen. - Italiens Faschismus bedarf keines Gedenkens; offenbar ein Normalfall in diesem Land - auch Gewöhnung genannt.

Tatsächlich - überall in Italien ist der Anflug eines Auflösungsprozesses spürbar. Noch nie war das Land derart zerrissen wie heute. Da werden Politiker wie der christdemokratische Europa-Abgeordnete Salvo Lima, in Sizilien ermordet. Da setzt es Prügel und Krawalle in Wahlversammlungen, weil die Menschen den Politiker-Vorgaben nicht mehr glauben mögen. Überall grassieren Bestechungen, Korruption, Vorteilnahmen, paralysieren Land, Leben, Leidenschaft - gute Absichten fürderhin.

Seit Jahren redet die politische Garnitur in Rom von politischen Reformen. - Nichts geschieht. Verständlich, dass viele Leute mittlerweile nur noch direkt in ihren Wahlkreisen nach einem Mehrheitswahlrecht votieren wollen. Eine repräsentative Umfrage ergab, dass 83,6 Prozent der Bevölkerung unmittelbar mitzubestimmen trachten. Aus gutem Grund: Immerhin hat das Land in 47 Jahren 50 Regierungs-wechsel erlebt. Weitere Kleiderwechsel, raus den Klamotten, rein in die Regierung folgen. Sicher?´Ganz sicher.

MISSTRAUEN, ARGWOHN, SPOTT

Misstrauen, Argwohn - Spott sind die Wegbegleiter des italienischen Politik-Alltags geworden. So betrachtet, versteht es sich beinahe von selbst, dass die jetzt anstehenden Parlamentswahlen keine sonderlich Politisierung hervorrufen, sondern vielmehr quasi wie ein "Mensch-ärgere-Dich-Spiel" gesehen werden. Deshalb sind die derzeit höchstdotierten Pornostars Italiens in Sachen "Wählermobilisierung" nicht nur unterwegs. Gerade Ilona Staller alias Cicciolina (das Schnuckelchen) ist in der offenkundig ermatteten römischen Männer-Gesellschaft mehr als willkommen -zur Belustigung vor, zum verstohlenen Angrapschen hinter der Kamera.

Da weiß natürlich jede Partei ihr Star auf der richtigen Seite. So tritt Alt-Fußballer Gianni Rivera für die "Democrazia Christiana" ein. Opern-Star Luciano Pavarotti trällert ohne Programm für die Sozialisten drauf los. Zukunftsskizzen für Italien, Inhalte etwas für jeweilige Wahlkreise - das sind fremde Begriffe aus einer offenbar, verschlossenen, sehr fernen - eben einer anderen Welt.
WAHLEN UNTER MAFIA-REGIE
So bleibt es - wie es schon einst oder auch immer war: italienische Wahlen sind ein Spektakel erster Güte - mit Lotto-Resultate samt Calcio-Ergebnissen gleichauf. Nur
die Law-and-order-Gruppierung ewig Gestriger - der "Leghe" (Ausländer raus) hat ihre Marktlücke , das Dauerthema vom hartgesottenen Landgrafen, muss sich nirgendwo anbiedern. Sie weiß den angeblich viel genötigten Zeitgeist ohnehin auf ihrer Seite und kann bei den Wahlen mit einem Stimmenanteil bis zu zwanzig Prozent rechnen. Parlamentsvoten hin - Mandatssitze her - in Italien weiß eh ein jeder, dass etwa ein Drittel der Stimmen unter Mafia-Regie stehen. Achselzucken. Das ist offenbar die Zeit für rechtsextremen Neofaschisten alte, längst überwunden geglaubte italienische Zustände der Verfolgung, Ausgrenzung oder auch Beseitigung ins Bewusstsein zurückzurufen, neuerliche Ängste zu schüren. Als ich aus dem Restaurant "Brenta" in Bologna mich von den Reichen und Schönen der Region Emila-Romagna verabschieden will, begleitet mich Alexandra Mussolini zu meiner Überraschung zur Tür. Ungefragt gibt sie mir einen Satz mit auf dem Weg, den ich mir nicht einmal notierten musste. "Opa würde aufräumen in diesem Land, wenn er denn noch lebte. Und meine Tante habe ich im Kampf um Ordnung sowieso auf meiner Seite." - Sophia Loren.