Montag, 22. Juli 1991

Aufbruch ohne Ankunft? - Frauen äußern sich über ihren Weg zur Macht

























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Frankfurter Rundschau
22. Juli 1991
von Iris Rozdzynski
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Was bereits vor Jahren begann, scheint noch immer akut zu sein: der Aufbruch von Frauen in die Politik, deren Ankunft und Bleiben am Hebel der Staatsmacht noch immer keine Selbstverständlichkeit ist. Sechs Frauen berichten von ihrem Einstieg, ihrem Werdegang und Leben in Bonn. Wenn man Marie Schlei, Renate Schmidt, Irmgard Adam-Schwaetzer, Rita Süssmuth und Antje Vollmer Glauben schenken darf, so haben selbst Frauen, denen es gelang, hohe politische Ämter zu erringen, bei ihren Parteigenossen einen schweren Stand.

So berichten beispielsweise Marie Schlei: " ... ... die Ellenbogenpolitik der Männer dominiert. Darin sind die Bonner Männer stark. Aber solche Werte und Umgangs-formen haben heutzutage auch in den Regierungsetagen nichts mehr zu suchen. Wir Frauen hingegen sind darin geübt, direkt und frei zu beschreiben, was wir fühlen, meinen, erfahren."

Reimar Oltmanns, der dieses Buch zusammenstellte und zu jeder persönlichen Stellungnahme der Frauen eine Einleitung schrieb, konstatiert: "Ihr blieb ... letztlich keine andere Wahl, als sich an die Bartheke zu setzen, wenn sie Aufmerksamkeit und Einfluss gewinnen wollte", wozu viele andere Frauen nicht bereit waren. Dies jedoch ist kein Problem, das ausschließlich die (nicht vorhandene) Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau berührt. Es ist generell die Entscheidung eines jeden Menschen - gleich ob männlich oder weiblich - ob er beziehungsweise sie An-passungsfähigkeit als Mittel mitbringen will, um ein Ziel zu erlangen, oder die Priorität - ungeachtet der ungeschriebenen Gesetze - auf eigene Vorlieben, Eigenschaften oder Prinzipien setzt.

Der Geschlechterklassifismus, den Reimar Oltmanns beklagt, beginnt schon dort, wo er selbst ansetzt, nämlich in dem Punkt, dass Männer und Frauen unterschied-liche Eigenschaften oder Interessen hätten; in diesem Fall, dass - beherrschten Frauen die Politik - Einfluss und Macht nicht am Stammtisch verteilt würden. Doch die Unterschiede im Denken und Fühlen , die Männer und Frauen unterstellt werden, haben ihren Ursprung meist weniger in der Geschlechtszugehörigkeit als in der Erziehung.

Oltmanns geht davon aus, dass sich mit den Frauen ein neues Politikverständnis durchsetzt, dass "hierum der eigentliche Kampf zwischen den routinierten Alleskönnern und den nachdenklichen Frauen" ginge. Allein diese Verall-gemeinerung - auch wenn sie im Dienste der Gleichberechtigung steht - könnte dazu geeignet sein, dem Gegenteil Vorschub zu leisten: Menschen, die sich weigern, Frauen gesellschaftsrelevante Posten zu genehmigen, bedienen sich ebenfalls nur allzu häufig des Argumentes, dass Frauen eben nicht die gleichen Qualitäten wie Männer mitbringen, was letztlich auch heißt, dass sie eben andere haben.

Möglicherweise wäre es der Gleichberechtigung wesentlich dienlicher, von den angeblich männlichen und augenscheinlich weiblichen Charaktereigenschaften abzusehen und statt dessen jedem Menschen das Recht auf gleiche Gefühle, Gedanken und Handlungen, vor allem der Handlungsfähigkeit, einzuräumen. Damit entfiele gleichzeitig jedes Argument, das die irrige Annahme unterstützen könnte, Frauen seien weniger dazu geeignet, Führungspositionen zu übernehmen als Männer.

Daran, dass die genannten Frauen ihrer Positionen - ungeachtet dessen, auf welcher politischen Seite sie sich befanden oder befinden - gewachsen waren und sind, besteht kein Zweifel. Ihre Berichte bieten zudem einen weitreichenden Einblick hinter die Bonner Kulissen bis in die Privathäuser der Politikerinnen. Ihre Erzählungen sind lebendiger und bieten größere Möglichkeiten, sie als Menschen hinter den ausgeübten Funktionen kennenzulernen, als manch ein Fernsehinterview. Dies ist es, was das Buch reizvoll und lesenswert macht.

Vielleicht wird es auch einige männlichen Leser das Umdenken lehren: das Ausbrechen aus einem Gedankengut , dessen Wurzel eher in überalterten Vor-stellungen unserer Kultur zu suchen ist als in naturgegebenen Voraussetzungen. Bleibt zu hoffen, dass Reimar Oltmanns mit seiner Vermutung "die Frauen werden die Politik wieder politisieren. Auch diese Mauer wird fallen", recht behält.