Dienstag, 1. August 1989

Aus den Augen, aus dem Sinn - Trümmerfrauen der neunziger Jahre


















Männer Vogue, München
8. August 1989
von Reimar Oltmanns



Die Polit-Dramaturgie der Selbstdarstellung zu jedem beliebigen Thema, hohle Versprech- ungen, telegene "Kalendersprüche" mit ihren einhergehenden Vertrauensbrüchen waren im Politikverhalten der einstigen Hauptstadt am Rhein alltäglich geworden. Seit dem ver- mehrt Frauen mit einem neuen feminine Bewusstsein in die Politik eingestiegen sind, kämpften diese zehn Politikerinnen um ihre Macht, Ansprüche und um eine feminine Gestaltungskraft. Im Bonner Milieu wurden sie zu den Trümmerfrauen der neunziger Jahren (in der Bildreihenfolge).

Renate Schmidt, 46, hat sich zu einer klassischen Hoffnungsträgerin der Sozialdemokratie gemausert. Die Witwe mit drei Kindern hat es notgedrungen lernen müssen, sich in der raubeinigen, zuweilen Bier lallenden Bonner Männerwelt ("Sie sehen besser aus, als Sie reden") durchzusetzen und ihre Identität dennoch zu wahren. Ein kontinuierlicher Überzeugungswandel bleibt nicht aus. Renate Schmidt: "Im Jahr hätte ich auf die Frage, 'Bist du Feministin?' mit Unverständnis und Abwehr reagiert, 1988 bin ich sauer, wenn ich von Feministinnen ausgegrenzt werde. 1968 war bei noch das Bedürfnis, Männern zu gefallen, vorherrschend, 1988 der Wunsch, als Frau gut zu sein und zu bestehen. Wir sind zwar die Leichtlohngruppe des Bundestages, aber leicht haben wir's deswegen nicht. Nur haben wir festgestellt, dass wir eine Macht sind."

Herta Däubler-Gmelin, 46, gelang es als erste Frau zur stellvertretenden SPD-Parteivorsitzenden aufzusteigen - und das, obwohl Hans-Jochen Vogel die "sehr kompetente und bienenfleißige Herta" da gar nicht haben wollte. Genossin Herta war hochschwanger, als sie 1972 in den Bundestag einzog und gemeinsam mit Willy Brandt mehr Demokratie wagen wollte. Selbstverständlich zählt Herta Däubler-Gmelin zu jener Frauen-Generation , der in der SPD nichts geschenkt wurde, die sich um Rede um Rede, Stimmzettel um Stimmzettel nach oben durchkämpfen musste. In der nächsten SPD-geführten Bundesregierung ist sie als Bundesjustizministerin vorgesehen. Vielleicht kann sie in dieser Eigenschaft einmal ihren langgehegten Tagtraum verwirklichen, "wenigstens einmal Jil Sander persönlich kennenzulernen. Auf ihr Parfum möchte ich schon heute nicht verzichten."

Ursula Maria Lehr, 59, ist ein Paradebeispiel dafür, wie unversöhnlich sich Wissenschaft und Politik gegenüberstehen. Der Heidelberger Psychologie-Professorin ist der plötzliche Umstieg von der Wissenschaft in die dumpfe Machart Bonner Politik missraten. Ein "Oh" und "Au" raunten die Herren im feinsten Nadelstreif beim Antritt in der Fraktion entgegen. Gelächter brach aus, als Frau Ministerin erklärte, dass sie über 600 wissenschaftliche Veröffentlichungen habe. Frau Lehr nach wenigen Wochen im Amt: "Ich muss ja nicht ewig Ministerin bleiben."

Gerda Hasselfeldt, 38, bringt alle Voraussetzungen mit, sich zum Bumerang der Frauenbewegung zu entpuppen. Als der Kanzler die CSU-Politikerin aus Regen im Bayerischen Wald zur Bundesministerin kürte, rühmte er: "Sie ist eine Frau, jung, Volkswirtin, Mutter von zwei Kindern." Ergo eine Repräsentantin der Gruppierungen, die der CDU/CSU als Wählerinnen scharenweise davonlaufen. Gerda Hasselfeldt zu ihrer atemberaubenden Polit-Karriere: "Ich war erst richtig baff, als mich der Kanzler nichts ahnend in sein Kabinett holte." Unter klassischer Politik verseht sie: "Zum richtigen Zeitpunkt tätig zu werden. Ein bisschen Ellenbogen braucht man schon als Frau. Und einen langen Atem."

Irmgard Adam-Schwaetzer, 47, pflasterte ihren Werdegang mit Frauenleichen. Die menschlich ruinöse wie wortbrüchige Wende ist mit dem Namen der promo-vierten Pharmazeutin aus Düren untrennbar verbunden. Früher als andere Frauen, die im politischen Geschäft um ihre Identität kämpfen mussten, hatte sie erkannt, dass die moralische Unbestechlichkeit in der FDP eine verblasste Tugend ist. Folglich erkaufte sich die gewiefte Dame ihren politischen Einfluss stets mit einem eloquent verbrämten Opportunismus. 1982 fungierte sie als Informationsbeschafferin für den damaligen Parteivorsitzenden Hans-Dietrich Genscher aus dem sogenannten feindlichen Frauenlager. Mit Hintergrundinformationen über die renitenten Schwestern und ihr Privatleben lieferte sie ihre Kolleginnen ans bereits aufgeklappte Messer. Die Partei dankte es ihr und ließ die visionslose Apothekerin Stufe um Stufe nach oben purzeln.

Anke Fuchs, 52, sie wird immer wieder gezielt als erste SPD-Kanzlerkandidatin ins Gespräch gebracht. Tatsache ist, dass Frau Fuchs zu den qualifiziertesten bundes-deutschen zählt und ihr selbst von den Damen der Union eine Führung im Kanzleramt "ohne weiteres " (Rita Süssmuth) zugetraut wird. Anke Fuchs ist eine Sozialdemokratin mit Stallgeruch, die in der Politik hauptsächlich durch zupackende Männer geprägt wurde und folglich zu theoriebeflissenen "Schickimicki-Sozialisten"nur schwerlich einen Zugang findet. Sie hält es lieber mit dem Vorschlag-hammer, "um die Genossen auf Trab zu bringen. Denn Ärger darf uns nicht abschrecken".

Cornelia Schmalz-Jakobsen, 55, hat einen typisch fraulichen Part über-nommen. Sie soll besonders darauf achten, dass die Liberalen keineswegs nur als eine profitable Tantiemenpartei der sozialen Kälte beim Wähler ankommen. Die frühere Berliner Familiensenatorin soll auch Nestwärme, Behaglichkeit und soziale Zulänglichkeit vor dem Publikum glaubhaft akzentuieren. Ganz nach der Infas-Weisheit: Lambsdorff fürs Grobe, Frau Schmalz-Jakobsen fürs Eingemachte. Parteichef Lambsdorff zu dieser in feministiaschen Zeitläuften notwendigen Arbeitsteilung: "Natürlich muss ich eine Frau nehmen, und ich möchte eine Dame." Die Dame Schmalz-Jakobsen darauf: "Ein Amt braucht man nicht zu behalten, aber die Selbstachtung, Herr Lambsdorff. Ich komme nach Bonn."

Rita Süssmuth, 52, ist die einzige Repräsentantin in der arg ramponierten Politikerklasse zu Bonn, die quer durch alle Schichten der Bevölkerung unein-geschränkt Vertrauen genießt. Ob als Familienministerin oder als Bundestags-präsidentin - Frau Süssmuth vermittelt den Menschen draußen im Lande ein neues Politikgefühl. Mit ihrem Engagement als zweite Frau des Staates kann Kohl beim Wähler wuchern. Aber er wird sich auf einiges gefasst machen müssen. Rita Süssmuth: "Wir Frauen werden schon hinreichend lästig werden."

Trude Unruh,64, Vorsitzende der aufsässigen Altenorganisation "Graue Panther",mag sich als parteilose Bundestagsabgeordnete in der Fraktion der Grünen mit ihrem erreichten Power-Zustand nicht zufriedengeben. Mit 30.000 Mitgliedern im Hintergrund probt "die unruhige Unruh" die Rebellion. Unruhs Ziel: Das allzu oft erschreckend armselig Dasein alter Leute, gar die Menschenrechtsverletzungen in Altenheimen, ins allgemeine Bewusstsein zu drücken, "Graue Panther sind für alle neuen Gedanken offen, wenn sie dazu beitragen, die Lebenssituation der alten Menschen zu verbessern."

Waltraud Schoppe, 47, fädelte erstmals ein vertrauliches Treffen verschiedener Frauen aus allen Bundestagsfraktionen im Bonner Presseclub ein. Das war mehr als ungewöhnlich, weil ansonsten die Herren MdB's nur "das fraktionsübergreifende Saufen gewöhnt sind" (Schoppe). Für die Gymnasiallehrerin Schoppe aus Bassum ist die Gewissheit, dass Veränderungen im Verhalten der Geschlechter untereinander hauptsächlich von Frauen ausgehen. Die Abgeordnete vor dem Bundestag: "Eine wirkliche Wende wäre es, wenn hier oben zum Beispiel ein Kanzler stehen und die Menschen darauf hinweisen würde, dass es Formen des Liebesspiels gibt, die lustvoll sind und die Möglichkeit einer Schwangerschaft ausschließen ..."