Montag, 1. Mai 1989

"Nähe korrumpiert" Hofberichterstatter in der Hauptstadt























Ist der Hauptstadt-Journalismus aus Berlin tatsächlich wahrhaftiger, lebensnaher, kritischer - unabhängiger geworden als zu Zeiten des Treibhauses in Bonn mit seinen angepassten Artigkeiten? Oder macht immer noch die Lokalität die Nachricht, stimmt nunmehr der Ereignis-Charakter mit seinen Berliner Show-Effekten die Inhalte dieser Jahre ? - Der Journalist Reimar Oltmanns hat zwei Bücher über seine Erlebnisse als Korrespondent auf dem Parkett am Rhein geschrieben und dabei nichts und niemanden geschont. Johannes Nitschmann hat für die feder Oltmanns' Bücher gelesen und mit dem Autor gesprochen.


Die Feder, Stuttgart
5/1989


Als der Journalist Reimar Oltmanns Anfang der 70er Jahre als Korrespondent ins Bonner Stern-Büro kam, war er "zunächst überrascht darüber, wie vertraut-intim Politiker, Journalisten und Ministerialbeamte miteinander umgingen". Bald schon stellte er fest, dass "die Herren aufeinander einspielt waren". Für den Neuankömmling "roch dieses Ritual nach einem Komplott zwischen Mächtigen und Eingeweihten". Inzwischen hat Oltmanns die Nase voll. Seine Bücher, in denen der Autor am Beispiel der beiden Spitzenpolitiker Heiner Geißler (CDU) und Jürgen Möllemann (FDP) die Innenabläufe der Macht in der "Bonner Operetten-Republik" aufzeigen will, werden in der feinen Journalisten-Gesellschaft zumeist nur mit spitzen Fingern weitergereicht. Zwar werden die farbigen Sittengemälde über die "Inzuchtzirkel" in der Bundeshauptstadt von den Presseleuten begierig aufgesogen, nicht zuletzt, weil der umstrittene Autor unter der bewussten Inkaufnahme journalistischer Regelverletzungen (wie dem Durchbrechen der Vertraulichkeitsabsprachen) manches Tabu bricht und nicht an den vertrauten Sprachregelung der Partei-Kommuniqués entlang schreibt.

NESTBESCHMUTZER

Aber Oltmanns gilt unter vielen seiner Kollegen als "Nestbeschmutzer", seine Bonn-Bücher werden in den Medien mehr oder weniger totgeschwiegen. Die naserümpfende Empörung über den Autor richtet sich am Ende freilich gegen die Bonner Verhältnisse selbst - und ihre Hauptakteure, die Politiker, die Medienleute und die Mächtigen in Verlagen und Funkanstalten.

Allerdings sind Oltmanns Bonner Milieu-Studien bisweilen zu einem arg pauschalen Verriss über die Journalisten geraten: manch notwendige Differenzierung, an denen es diesen Reports zweifelsohne gebricht, ist offenbar durch den Blick zurück im Zorn verstellt worden. Und dennoch hat sich der Autor durchaus couragiert eines Themas angenommen, das für den eigenen Berufsstand offensichtlich keines ist.

DOPPELPASS-SPIEL IM HOFE DER MACHT

Das augenfällige Doppelpass-Spiel zwischen Politik und Presse in Bonn haben vor Oltmanns durchaus schon andere Insider problematisiert: "Exclusive Informa-tionen für Journalisten sind die vornehmste Art der Bestechung", hat der ehemalige Bonner Regierungssprecher Conny Ahlers (*1922+1980), selbst ein versierter Medienmann mit Blick auf seine Klientel gesagt. Für Armin Grünwald, stellv. Regierungssprecher der sozialliberalen Koalition, beruht die Symbiose zwischen dem Bonner Pressekorps und den Parteipolitikern auf "einem strengen Comment von Spielregeln, der dafür sorgt, dass jeder es mit Fleiß vermeidet, den anderen in die Pfanne zu hauen oder bloßzustellen."

Oltmanns hat nach eigenem Bekunden bei seinen Reports über die Innenansichten des Machtgeplänkels in der Bundeshauptstadt auf solche "Rücksichtnahmen gepfiffen". Respektlos rechnet er in seinem Buch über die "Möllemänner" ab und mit jener "Hundertschaft von Menschen, die sich in der quälenden Enge des Bonner Regierungsviertels drängt und sich mit auf ihren schnüffelnden Voyeurismus berufen darf".

'CASH IN DIE TÄSCH'

Originalton Oltmanns: "Derlei Journalisten, das öffentliche Interesse als Berufsethos vor sich hertragend, sind darauf geeicht, Freud und Leid mit aufgesetzter Anteilnahme anzubohren, weil natürlich in schwierigen Ausnahmesituationen oder lallendem Bar-Palaver persönliche Zugänge, gar subtile Abhängigkeiten sich anbahnen. Ganz nach dem Motto 'cash in die Täsch' sind es eben verschwommene, aber auch bar bezahlte Unterwürfigkeiten, die später die Möglichkeit schaffen, Fakten und Intrigen, Gerüchte und Denunziationen je nach Meinungsbefund, aber auch Publikumsdruck aus den Fraktionen und Ministerien abzurufen ... ... In keiner Hauptstadt der westlichen Welt arbeiten Politiker und Journalisten so versteckt eng, so vordergründig harmonisch zusammen wie in Bonn, das sich nicht umsonst als informationsfreudigste Hauptstadt empfiehlt. Kritisch, unabhängiger, manchmal auch schmerzlicher Journalismus, wird hier zum Fremdbegriff."

"UNGLAUBLICHE GESCHWÄTZIGKEIT"

Der ehemalige Regierungssprecher Grünwald will in der Bundeshauptstadt die Beobachtung gemacht haben, dass sich dort die Journalisten mit den Politikern "die geschnipselte Macht" teilen und dass sich aus diesem Geschnipsel die "unglaubliche Geschwätzigkeit" herleitet, "die die rheinische Kapitale vor allen Regierungssitzen der Welt auszeichnet." Die Selbstverleugnung vieler Journalisten liegt für Oltmanns darin, dass sie sich ein halbes Leben lang vorgaukelten, der "Innenansicht der Macht" tatsächlich teilhaftig zu sein.

ABFÜTTERN STETS AM BUFFET

In einem Beitrag für das Magazin Transatlantik hat sich der Bonner Hörfunk-korrespondent Peter Zudeick ("Ich habe mir damals geschworen, an dieser Kumpanei nicht teilzuhaben und musste bald feststellen, dass das nicht geht") den Kopf darüber zerbrochen, wie die auffällig vielen politischen Wahlverwandtschaften der Bonner Journalisten angebahnt werden. Sein Ergebnis: "Nähe korrumpiert." Dabei seien Einladungen oder die vielen vornehmen Essen und üppigen Buffets in der Bonner Polit-Gesellschaft gar nicht einmal das Problem: "Bonner Korrespon-denten verdienen in der Regel genug, um sich einen kommoden Lebenswandel selbst leisten zu können." Wenngleich Zudeick da manchmal schon Zweifel befallen: "Wenn man sieht, wie die Damen und Herren Kollegen wie die Schweine auf ein Buffet losstürzen, oder wenn man Heerscharen von Journalisten beobachtet, die man bei Pressekonferenzen und anderen Arbeitsterminen nie, beim unentgeltlichen Abfüttern aber ständig sieht. Auch die Reisen machen es nicht, die gelegentlich recht unverstellt nach Bestechung aussehen: hier drängen sich in der Regel immer dieselben um die Großkopfeten, werden zuweilen auch noch Berichterstattungs-Wohlverhalten ausgesiebt."

Zudeick hat die Erfahrung gemacht, dass, "wer die Kontaktpflege in Bonn intensiv betreibt", mittelfristig ein dichtes Netz von Bekanntschaften aufbauen könne, "die er mal eben anrufen kann, wenn er bestimmte Informationen braucht". Wer freilich übertreibe - und hier liegt nach Ansicht des Hörfunkkorrespondenten das eigentliche Dilemma werde "bald nichts anderes mehr um die Ohren haben" als diese berüchtigte "Umgebung", er werde schließlich "zur Distanz nicht mehr fähig sein."

DIE LOKALITÄT MACHT DIE NACHRICHT

Typisch wie Nachrichten in dem Treibhaus der Bundeshauptstadt gedeihen: "Bonner Vorkommnisse erhalten ihren Ereignischarakter nicht durch den Charakter des Ereignisses, sondern dadurch, dass sie in Bonn stattfinden. Die Lokalität macht die Nachricht, nicht der "Inhalt", urteilt Zudeick. "Die berühmten 'politischen Kreise', abends beim Schoppen in einer Landesvertretung. 'diplomatische Kreise' aus dem Auswärtigen Amt und dem diplomatischen Korps bei einem der unzähligen Cocktails in Botschaften oder Konsulaten, alle zusammen bei Ausstellungseröffnungen und Konzerten, die Parteien bei Veranstaltungen in ihren Zentralen, 'Regierungskreise' bei Kanzler- oder Ministerreisen im Flugzeug, im Hotel, im Bus, Stallwächterpartys, Sommerfeste, Oktoberfest, der Bundespresseball, die Weihnachtsfeste im früheren Postministerium, gern besucht wegen der Briefmarken, die es da umsonst gibt - wer will, kann unentwegt an der Bonner Symbiose zwischen Politik und Journaille teil-nehmen, die manch Außenstehenden an schiere Kumpanei erinnert."

KUMPANEI

Diese offenkundige Kumpanei zwischen Politikern und großen Teilen der Presse geht in der Bundeshauptstadt einher mit einem zunehmenden "Hinhalte-Journalismus", wie der Bonner Büroleiter des privatkommerziellen Radio Luxemburg, Geert Müller-Gerbes, jüngst in einem "Werkstattgespräch" der nordrhein-westfälischen CDU beklagte: "Man hält ein Mikrophon hin, in der sichereren Erwartung, irgendwas wird schon kommen." Nach Ansicht des Literatur-Papstes der Frankfurter Allge-meinen Zeitung (FAZ), Marcel Reich-Ranicki, haben die Fragen und Antworten bei den stereotypen Bonner Politiker-Interviews häufig kaum mehr etwas mitein-ander zu tun. Ein Meister dieser langweiligen Frage-und Antwortrituale sei Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP): "Wenn Sie fragen, 'Was halten Sie von den deutsch-sowjetischen Beziehungen?', antwortet Genscher ungeniert: 'Wir müssen in Ecuador folgendes tun ...' ".

MISERE SIND "GESPRÄCHSZIRKEL"

Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU), sozusagen der Prototyp des "Tagesschau-Politikers", stellte sich bei dem Werkstattgespräch seiner Partei bei diesem Fragenkomplex ziemlich dumm und suchte die Ursachen für den Bonner Hinhalte-Journalismus mit grüblerischer Denkerstirn in der verkürzten Darstellungsform der Medien: "Sie können in Einsdreißig ein Problem nicht umfassend packen. Und die Leute merken's ja auch gar nicht, wenn man die Frage nicht trifft."

Und ob: "Die Leute merken's natürlich und fühlen sich verarscht", konterte der Düsseldorfer General-Intendant Volker Canaris. Darin liege schließlich einer der Gründe für die wachsende Politik- und Parteienverdrossenheit. "Die Politiker erwecken ja gerade den Eindruck, als wenn sie in Einsdreißig etwas Kompliziertes er-klären könnten." Stattdessen sonderten sie in den Interviews häufig nur Plattitüden an, "weil uns die Politiker ja nichts mitteilen, sondern nur den Eindruck erwecken wollen, das sie dies angeblich täten." Aber "da Schlimmste" dabei ist, sagt Canaris in der Düsseldorfer CDU-Werkstatt, "dass sich die Journalisten das auch noch gefallen lassen".

Eine Ursache für die Übelstände in der Bonn-Berichterstattung sehen ihre Kritiker auch in den berüchtigten Gesprächszirkeln, zu denen sich die Bonner Korres-pondenten, "meist artig nach Couleur sortiert" (Zudeick), zusammengeschlossen haben, um sich Politiker und andere Informanten aus dem öffentlichen Leben zu vertraulichen Hintergrundgesprächen einzuladen.

"Wer als Bonner Journalist 'in' sein will, der hat auf klare Verhaltensregeln zu achten, was und vor allem wie er sein Herrschaftswissen weitergeben darf", sagt Reimar Oltmanns, der darin "auch eine Form der Korruption" sieht. Durch die in diesen Gesprächskreisen verabredeten Vertraulichkeitsstufen eins, zwei und drei werde "nicht einmal ein Bruchteil der sogenannten Top-Informationen" öffentlich, behauptet Oltmanns.

Immerhin machen zum Beispiel die Spiegel-Redakteure diese Entmündigung nicht mit. "Wir gehen da bewusst nicht hin", sagt der Bonner Spiegel-Bürochef Dirk Koch: " Wir wollen uns nicht einbinden lassen, indem wir zusagen, dass wir nicht schreiben, was wir dort hören. Nicht selten wissen wir auch so, was dort erzählt wird." Koch kennt die Absicht und ist verstimmt: "Solche Zirkel werden zuweilen von Poli-tikern auch als Mittel genutzt, die Veröffentlichung heikler Informationen zu ver-hindern. Und das passt uns nicht."

Bonns neuer Informationsminister Hans Klein (CSU) ist mit den Medienleute in der Bundeshauptstadt denn auch ganz zufrieden: "Ich würde", sagte er zu seinem Amtsantritt, " an den Journalisten nicht viel ändern."

TOTAL TOTE HOSE ... ...

feder-Gespräch mit Reimar Oltmanns über das weithin zweifelhafte Zu-sammenspiel von Politik und Presse in Bonn.

feder: Kollege Oltmanns, in ihrem jüngsten Bonn-Report über die "Möllemänner" fällen Sie ein geradezu vernichtendes Urteil über die in der Bundeshauptstadt ar-beitenden Journalisten. "In keiner Hauptstadt der westlichen Welt", so schreiben Sie dort, "arbeiten Politiker und Journalisten so versteckt eng, so vordergründig harmonisch zusammen wie in diesem Bonn." Für das Bonner Pressekorps ist "kritischer, unabhängiger, manchmal auch schmerzlicher Journalismus" nach Ihren Beobachtungen "ein Fremdbegriff". Gibt es denn tatsächlich nur journalistische Jubel-perser und als Publizisten getarnte Parteipolizisten in der Bundeshauptstadt?

Oltmanns: Nach meinen Erfahrungen ist das leider so, bis auf wenige Ausnahmen, zu denen von der Medienprominenz beispielsweise die Spiegel-Redakteure Jürgen Leinemann und Hartmut Palmer und Gunter Hofmann von der Zeit sowie der für verschiedene Publikationen arbeitende Korrespondent Werner Perger gehören. Ein kritischer, ein unabhängiger Bonn-Journalismus ist nach meinen Beobachtungen vor allem deshalb nicht möglich, weil sich die Journalisten von den Parteien und Politikern weitgehend in dieser von der Außenwelt wohlbedacht abgeschirmten Käseglocke haben instrumentalisieren lassen. Nahezu jeder Bonner Korrespondent gehört mindestens einem dieser parteipolitisch eingefärbten Gesprächskreise an, in denen unter gewissen Vertraulichkeitsstufen - unter eins, unter zwei, unter drei - Herrschaftswissen vermittelt wird, über das entweder überhaupt nicht oder nur mit erheblichen Einschränkungen berichtet werden darf. So etwas macht lammfromm. Wer als Bonner Journalist "in" sein will, der hat auf klare Ver-haltensregeln zu achten, was und vor allem wie er sein Herrschaftswissen weitergeben darf. Nicht einmal ein Bruchteil der sogenannten Top-Informationen hat an die Öffentlichkeit zu kommen. Dies läuft zwar schon seit Jahrzehnten so. Es wird offenbar aber erst jetzt augenfällig in einer Zeit, wo der Glaubwürdigkeitsverlust der Politik weiter zunimmt und der Gestaltungsspielraum für die Bonner Politik immer enger wird. In solch einer Situation stellt man sich schon eher die Frage: Was wird da überhaupt noch vermittelt, was kommt da überhaupt noch rüber?

feder: Im Klartext kommen Sie doch zu dem Ergebnis, dass uns die Mehrheit der Bonner Korrespondenten nur mehr eine von den Parteien und Politikern geschönte Scheinwelt vermittelt.

Oltmanns: Das ist absolut so. Aus meiner Erfahrung als Bonner Korrespondent kann ich dies nur unterstreichen. Da geben Politiker den ihnen vertrauten Presse-leuten bis ins einzelne Sprachregelungen vor, da degeneriert Journalismus zu billiger PR-Arbeit. Das ist im Grunde genommen eine fiktionale Welt, die den Leuten draußen aus der Bundeshauptstadt vermittelt wird. Das geht damit los, wie stark der Mann ist, es geht fortlaufend um innerparteiliche Rankünen, taktisch-strategische Einschätzungen, um sogenannte dynamische Abläufe. Zum größten Teil ist das ohne jede inhaltliche Substanz, vieles ist eben Fassade. Total tote Hose, wenn man ein bisschen genauer hinguckt. Und das eigentliche Problem besteht darin: Wenn man sich in Bonn als Journalist diesen Spielregeln nicht unterwirft und da letztendlich - von ein paar Nuancen abgesehen - nicht mitpfeift, hat man es dort überlebensschwer. Unabhängiger, kritischer Journalismus - wie etwa nach Gangart des US-Aufklärungs-Journalismus - der ist halt in Bonn verpönt. Angepasste Artigkeiten werden honoriert.

feder: Aber die Spezies des knallharten Rechercheurs kann doch in Bonn nicht gänzlich ausgestorben sein?

Oltmanns: Natürlich würde ich das so pauschal nicht sagen. Aber die Zeiten haben sich inzwischen gewaltig geändert. In den siebziger Jahren, zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition, gab es nach meinen Beobachtungen doch wesentlich mehr Journalisten in Bonn, die sich nicht mit einem Sektfrühstück abspeisen ließen, die sich nicht zufrieden gaben mit irgendwelchen banalen Quotes. Da wurde mehr real dates und real facts erfragt, da kam auch mehr zum Vorschein, in welch einem deformierten Treibhaus da Politik gemacht wird,dr wie die Menschen dort zu zerbrechen drohen. Dies hängt zum Teil auch mit der Pressepolitik zusammen, die von der amtierenden Bundesregierung und in der Bonner CDU-Zentrale gefahren wird. Jeder politische Korrespondent ist da inzwischen nach seiner politischen Gesäßgeografie taxiert.

feder: Sie gehen mit Ihren Thesen sogar so weit, zu behaupten, dass selbst die ver-meintlichen Enthüllungs-Geschichten zumeist nicht das Produkt einer knallharten Recherche sind, sondern oftmals auf Intrigen, Durchstechereien und dubiosen Doppelspielen innerhalb der Regierungszentralen, Ministerien und Parteien basieren.

Oltmanns: Das entspricht exakt den Tatsachen. Je intimer der Umgang ist zwischen Journalisten und Politiker, desto mehr wird da natürlich auch Kanonenfutter gegen andere Politiker geliefert,mit dem dann die adäquaten Bonner Skandale produziert werden. Die Journalisten in Bonn sind von den Politikern unglaublich abhängig, aber auch die Politiker von den Journalisten. Das ist eine pathologische Symbiose auf Gedeih und Verderb. Dabei ist dann nicht mehr primär interessant, was nach draußen geschrieben wird und für die Information der breiten Bevölkerung wichtig wäre, Nein, da geht es in erster Linie immer nur um taktische Rankünen und inner-parteiliche Machtkämpfe.

feder: Ist die von Ihnen wiederholt angesprochene Abhängigkeit zwischen Politikern und Journalisten eine Bonner Gesetzmäßigkeit sozusagen, also eher strukturell begründet, oder sind für die Anfälligkeiten der Macht eher individuelle Gründe ausschlaggebend?

Oltmanns: Ich würde schon sagen, dass man hier von einer strukturellen Abhängigkeit sprechen kann, weil dies ja in Bonn im Prinzip schon seit Jahrzehnten gang und gäbe ist; mal auffälliger, mal versteckter. Damit ich nicht missverstanden werde: Keiner hat etwas dagegen, wenn sich Journalisten mit Politikern gut ver-stehen und einen kritischen Meinungsaustausch pflegen. Die Abgängigkeit in Bonn haben meines Erachtens aber auch in der mangelnden personellen Fluktuation ihre Ursache: ein Personalaustausch findet da kaum mehr statt. Die Journalisten, die dort sind und überleben wollen, müssen sich auf dieses Spielchen schon einlassen.

feder: Und Spielverderber werden isoliert?

Oltmanns: Dies kommt immer sehr auf das Medium an, das sie vertreten. Einen Kollegen vom Spiegel beispielsweise kann da so schnell keiner etwas anhaben. Aber ein Korrespondent, der dort etwa für eher unbedeutende Provinzblätter schreibt, wird sofort stigmatisiert oder systematisch ausgegrenzt, wenn er die entsprechenden Spielregeln verletzt oder gegen fest gefügte Rituale verstößt - und zwar stigmatisiert im Kollegenkreise.

feder: Das funktioniert so etwa wie Selbstreinigung im negativen Sinne?

Oltmanns: Ja, durchaus. Es gibt dafür eine ganze Reihe von Beispielen, die ich mit Rücksicht auf die betroffenen Kollegen hier nicht namentlich erwähnen möchte.

feder: Wenn Ihre Beobachtungen der Bonner Szene denn einigermaßen zutreffend sind, dann hat das, was da in den Pressehäusern und Korrespondentenbüros abläuft, mit Journalismus im eigentlichen Sinne nicht mehr viel zu tun. Haben Sie eigentlich eine Erklärung dafür, wie durchaus kritische Köpfe die in Ihrem Buch beschriebene "Selbstverleugnung" jahrelang mitmachen können und es kaum einmal Kollegen gibt, die versuchen, diese unseligen Info-Kartelle zu durchbrechen?

Oltmanns: Also, es hat da in der Vergangenheit schon immer wieder mal Leute gegeben, die versucht haben, dies zu durchbrechen - mit unterschiedlichem Erfolg. Ich will mich da nun nicht als jemand hinstellen, der diese Vorgänge als erster beschrieben hat. Immer wieder habe ich mir die Frage gestellt, warum Leute das alles mitmachen. In meinen Augen sind dies in den meisten Fällen gebrochene Persönlichkeiten, die ihre ganze Kraft darauf verschwenden, dieser Fassadenkultur nachzulaufen ... ...

feder: Menschen, die erst im Bonner Polit-Alltag gebrochen werden?

Oltmanns: Ich finde schon. Die Affinität zur Macht, die sich dort von den Politikern auf die Journalisten überträgt, ist eine spezielle Bonner Gangart. Um von diesem Bonn überhaupt noch einigermaßen fasziniert zu sein, muss der entsprechende Journalist schon eine Affinität haben, Herrn Bundeskanzler im "Otto Lilienthal" interviewen zu dürfen oder in einem der Geprächskreise mit der Polit-Prominenz zu plaudern. Sinn dieser Übungen: Die Journalisten sollen einfach das Gefühl vermittelt bekommen, sie seien auch mächtig. Und dabei fängt die Korrumpierbarkeit an. Mir ist immer wieder aufgefallen, dass sich nur noch ganz wenige Kollegen selbstkritisch fragen, was eigentlich beim Leser, für den sie ja da sind, rüberkommt von ihrer Bonn-Berichterstattung. Das ist schon erschreckend, wenn Sie sehen, dass in den meisten Fällen nur das wiedergekäut wird, was von den Politikern an Sprachregelungen vorgegeben wird. Es ist ja nicht so, dass in diesen vertraulichen Gesprächszirkeln erklärt wird: "Darüber dürfen Sie nicht schreiben." Da wird ja auch ganz klar gesagt: Die und die Sprachregelung ist wichtig. Und dann sind eben alle Journalisten von den Parteien politisch klar ein- und zugeordnet. Ich habe bei meinen Recherchen über CDU-Generalsekretär Geißler ja die Journalisten-Liste gesehen, die da im Pressereferat auf dem Schreibtisch lag. Da stand drauf, wie die einzelnen Journalisten einzuschätzen sind, da waren spezielle Zeichen vermerkt, wie mit denen umzugehen ist.

feder: Ein Einzelfall?

Oltmanns: Nein, so etwas gibt es nach meiner Überzeugung in allen Bonner Parteizentralen.

feder: In Ihrem Geißler-Report "Der Intrigant" behaupten Sie, die Bonner CDU-Zentrale habe parteifromme Journalisten sogar in einem Computer auf ihre mögliche Verwendungsfähigkeit bei der Vergabe von lukrativen Stellen im Rundfunk abgespeichert.

Oltmanns: Dies habe ich am Beispiel des Kollegen Werner P. D'hein festgestellt, mit dem ich damals im Bonner stern-Büro zusammengearbeitet hatte. D'hein bekam seinerzeit permanent Angebote von der Union aus dem Bonner Konrad-Adenauer-Haus, wo ich die Sache dann auch recherchiert habe. Er wurde mehrfach gefragt, ob er nicht den und den Job annehmen wolle: er sei doch dafür bestens geeignet, und die Parteizentrale könne dies managen, sie habe schließlich Einfluss darauf, weil Stellen im rechtlich-öffentlichen Rundfunk nach dem Parteiproporz besetzt würden. Ich meine, wir haben hier zweierlei festzustellen: Das eine ist der Versuch der Parteizentralen, auch im privatwirtschaftlichen Bereich, die Journalisten in Bonn wohlfeil zu intrumentalisieren und ihnen zugleich eine Hoffähigkeit zu attestieren, sie also mit einer gewissen Bonität auszustatten. Auf der anderen sitzen da lammfromme Kommuniqué-Journalisten, die das schreiben, was ihnen von Parteien und amtlichen Stellen vorgegeben wird.

feder: Was steckt denn da für ein Selbstverständnis bei den einzelnen Bonn-Korrespondenten dahinter, wenn man ihnen diese Sachverhalte im kollegialen Gespräch erörtert?

Oltmanns: Dahinter steckt das unverständliche und zum Teil schon absurde Selbstverständnis, dieses parteitaktische Rankünen-Geschwätz unbedingt nach draußen tragen zu müssen. Da werden dann dauernd irgendwelche hypothetische Fragen zu parteiinternen Vorgängen und Machtgeplänkeln aufgeworfen, die draußen überhaupt niemanden interessieren. Sie wollen sich unentwegt an diesem Bonner Machtmonopoly beteiligen, weichen zugleich aber den wirklich wichtigen Fragestellungen aus. Schauen Sie doch mal, was für den Leser oder die Bevölkerung letztlich bei dieser Bonn-Berichterstattung herauskommt. Das ist Hofbericht-erstattung reinsten Wassers. Ich habe da in all den Jahren eine ganz interessante Beobachtung gemacht: Der kritische Journalismus, der in den Medien über Bonn - und die dortigen Gesetzesvorhaben beispielsweise - ja durchaus stattfindet, ist jeweils immer von den Zentralredaktion ausgegangen. Da kamen die Anstöße aus Hamburg, München oder Düsseldorf, aber nie aus Bonn selbst. Am Hofe des Palais Schaumburg geliebt zu werden und dort gut zu überleben, ist allemal wichtiger, als kritische und unbequeme Berichterstattung zu machen. Die Leute sehen sich ja schließlich Tag für Tag in diesem Bundes-Dorf wieder; auch das verbindet, schafft Abhängigkeiten.

feder: Welche Lock- oder Druckmittel haben Sie denn persönlich kennen gelernt, die etwa Politiker in Bonn anwenden, um sich Journalisten gefügig zu machen?

Oltmanns: Die Mittel sind da sehr subtil. Das Vertrauens- und Abhängigkeitsver-hältnis zwischen Politikern und Journalisten beruht in der Regel auf Gegenseitigkeit, es ist nahezu kameradschaftlich geprägt. Die Abgängigkeit besteht beispielsweise auch darin, dass Politiker oftmals sehr exakt und sehr gut Bescheid wissen, was in einzelnen Redaktionen abläuft und wie der Stellenwert eines bestimmten Themas oder Problems einzuschätzen ist. Der Journalist erzählt natürlich auch dem Politiker, qua Freundschaft, wie er bestimmte Vorgänge, oder beispielsweise auch Kollegen zu bewerten und einzuordnen hat. Das ist ein Geben und Nehmen auf beiden Seiten. Mein Eindruck ist, dass die Journalisten in Bonn im Prinzip bestens informiert sind und über sehr, sehr viele Details genauestens Bescheid wissen, aber kaum etwas davon transportieren.

feder: Ihr Bonn-Report über die "Möllemänner" ist zugleich eine respektlose Abrechnung mit der Bonner Medien-Szene. Ist Ihnen die am Ende nicht doch viel zu pauschal und arg ungerecht geraten?

Oltmanns: Es handelt sich hier um eine Zustandsbeschreibung eines Journalismus, dem jede Courage und jedes politische Engagement abgeht. Ich habe hier versucht, einen dramatischen Funktionsverlust der Presse zu beschreiben, nämlich Politik transparent zu machen und couragiert einen politischen Standpunkt zu beziehen. Dies alles findet in Bonn kaum noch statt. Pauschal ist meine Darstellung über die Bonner Journaille insofern, als ich zwei Drittel dieser Kollegen tatsächlich als Hofberichterstatter einschätze, die an den vorgegebenen Sprachregelungen der Parteien entlangschreiben. Und sie ist auch deshalb pauschal, weil ich versucht habe, ganz generell die Bonner Verhältnisse zu beschreiben, und nicht etwa konkret den Kollegen XYZ vorzuführen und damit zu stigmatisieren.

feder: Wenn wir all Ihre Thesen folgen, dann dient der gesamte Bonner Informationsapparat am Ende doch in erster Linie der Befriedigung der persönlichen Eitelkeit und des Voyeurismus der einzelnen Journalisten, nicht der Transparenz und der Aufklärung der Öffentlichkeit.

Oltmanns: Zum Teil ist das so, ja. Das ist diese Korrumpierbarkeit, indem man Herrschaftswissen mitteilt und sich auf diese Art und Weise Medien einkauft.

feder: Kollege Oltmanns, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.