Freitag, 17. Juli 1987

Der Intrigant - vom Hofe der Bonner Operetten-Republik - Buchkritik


Karriere: Heiner Geißler ist Mitglied der CDU. Von 1977 bis 1989 war er der CDU-Generalsekretär. Er wurde nicht wieder für dieses Spitzenamt vorgeschlagen, nachdem es zwischen ihm und Parteichef Helmut Kohl erhebliche Differenzen über den CDU-Kurs gegeben hatte. Ende November 1999 räumte Heiner Geißler im Verlauf der CDU-Spendenaffäre ein, dass die Partei in der Ära Kohl ( 1982-1998) "schwarze Konten" geführt habe. Von 1994 bis 2002 war Heiner Geißler Mitglied im CDU-Bundesvorstand.
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Reimar Oltmanns
Der Intrigant
Eichborn Verlag, Frankfurt a/M
Ulrich Karger
17. Juli 1987
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Diagnose: Suchtkrank. Ursache Politik - da bekommt mensch richtig Mitleid, was nur folgerichtig ist, denn wir, liebe Mitbürger/innen sind die Droge und reichen die Spritzen, die nach Gebrauch ausgeschwitzt und weggeworfen werden. Der "Fall" H.G. (der Name Heiner Geißler ist uns allen bekannt) gehört nach Reimar Oltmanns zu einer der Spitzen des seelisch-moralischen Eisgebirges auf dem Bonner Hochplateau. Dafür benennt der Autor Zeugen, u.a. Walter Jens: "Seine Doktorarbeit (H.G.'s) würde heute jeder Friedensbibliothek zur Ehre gereichen - und zugleich verdeutlichen, wie ein Mensch moralisch und intellektuell auf den Hund kommen kann".
PAZIFISMUS NACH AUSCHWITZ
Wer so argumentiert, dem geht es nicht um billige Kohlauer - bei diesem Thema allerdings selbst für nahezu neutrale Zitierer unvermeidlich - es geht um schlimmeres. H. G. war nicht immer 'Der Intrigant', der mal so nebenbei PR-schwanger von sich gibt, dass der Pazifismus nach Auschwitz geführt habe. Als Hinterbänkler plante er allen Ernstes ganz selbstlos die 'Daseinsfürsorge für alle'. Noch 1977 "eilte ihm selbst beim politischen Gegner eine respektable Reputation voraus. (...) Mehr als einmal fragte sich Willy Brandt bei der Lektüre Geißler'scher Reden, ob seine gesellschaftspolitischen Analysen, etwa über die Umwelt und Wachstum, nicht auch von Erhard Eppler (1968-1974 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit) hätten stammen können."
DEFORMATION UND TRAUER
Obwohl der Autor vermutlich nicht die CDU wählt, ist Trauer zu spüren. Trauer darüber, dass der Machtmechanismus in Bonn und anderswo so perfekt funktioniert und einen Mann wie Geißler in relativ kurzer Zeit so deformieren kann. Vielleicht hätte es noch deutlicher herausgearbeitet werden müssen, dass es sich bei dem ausführlich belegten Intrigenspiel innerhalb der CDU um ein - wenn auch markantes und plakatives Beispiel handelt, das nicht als exotisches Blümchen in Raum und Zeit steht. Da zitiert Oltmanns aus dem Vortrag 'Der Beruf zur Politik' von Max Weber (*1864+1920) im Jahre 1919 (!): Der Politiker ist 'stets in Gefahr, sowohl zum Schauspieler zu werden, wie die Folgen seines Tuns leichtzunehmen und nur nach dem 'Eindruck' zu fragen, den er macht.'
LESENSWERT
Allein schon deshalb ist das Buch lesenswert, weil uns Reimar Oltmanns mit der Beschreibung der banalen Wirklichkeit eines Politikers klarmacht, dass es für schwarzen Humor genügend Anlass gibt. Aber schwarzer Humor ist auch nur eine Form der Verdrängung.