Sonntag, 1. März 1981

Puma und Adidas - eine deutsche Provinz-Posse - Krieg der Tröpfe


































Hinter seiner putzigen Fassade durchlebt Herzogenaurach seit Jahrzehnten seine eigene Gesetzmäßigkeit, die Hass, Rivalität und Leibeigenschaft bedeutet. Die beiden Sportartikel-Großfirmen adidas und puma haben das fränkische Nest in zwei unversöhnliche Lager gespalten
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Titanic, Frankfurt
März 1981
von Reimar Oltmanns


Hinter Butzenscheiben und Fachwerkfassaden, der altdeutschen Heimeligkeit, verstecken sich manche Misthaufen, die so niemand lüften mag. Zumindest im fränkischen Herzogenaurach, Kreis Erlangen-Höchststadt, nageln heute wie ehedem Landleute tote Eulen an ihre Scheunentore, intoniert Gitarrist Günter Grube in der mit fünfzehn Alpenveilchen und fünf Flamingoblumen dekorierten Gaststätte im Turnerheim die altbekannte Volksweise "Es war im Böhmerwald, wo meine Wiege stand", beklagt sich Alfred Wachs vom Gartenbauverein über "die von Herzogenaurach kaum noch abwendbare Apokalypse, da wir bald sterben - allen voran die jüngere Generation, weil sie sich in Kellerbars unbehelligt totsäuft."

DEUTSCHE GEMÜTLICHKEIT

Herzogenaurach im Fränkischen hat dichtgemacht, vom Innenleben der Kleinstadt dringt nur spärlich etwas nach draußen. In sich gekehrt schlummern die Menschen vor sich hin. Nichts, so will es scheinen, kann die wohlerträumte Ordnung arg erschüttern. Alles hat hier seine Akkuratesse. Die eng verschlungenen Gassen glänzen wie blankgewienert, eingelassene Springbrunnen mit Gartenzwergen zieren den Rasen um die Einfamilienhäuser, von den beiden Kirchentürmen bimmelt's all' Viertelstund'. Zink und Messing sind allgegenwärtig. So mancher Tränensack triefte an diesem Ort schon vor Wohlbefinden - deutscher Gemütlichkeit.

Trotzdem ist Herzogenaurach mit keiner anderen gefühlsverklärten Provinz vergleichbar. Denn unter der beschaulichen Oberfläche durchlebt das Nest seit drei Jahrzehnten seine eigene Gesetzmäßigkeit, die Hass, Rivalität und Leibeigenschaft bedeutet. Zwei unversöhnliche Lager stehen einander gegenüber. Der Aurachfluss, der die Kleinstadt spaltet, gilt als ihre "Demarkationslinie". Eine Provinzburleske, könnte man meinen, hießen die Erbfeinde nicht adidas und puma, eben jene internationalen Sportkonzerne, die sich in ihrem Heimatdorf einen Religionskrieg leisten - Streifen um Streifen, Stolle um Stolle. Diesseits des Aurachflusses produziert adidas mit 770 Mitarbeitern seinen Drei-Streifen-Sportschuhe, der Wasser, Licht und Wind symbolisieren soll; immerhin 40.000 Paare pro Tag. Jenseits ist puma zu Hause, der aggressive, unverwüstliche, um dessen federweiche Tatzen 550 Beschäftigte kümmern (5.000 täglich).

ADIDAS-FAHRER MIT PUMA-PACKERIN

Das Hüben und Drüben der Aurach hat über all die Jahre die eine Familiensippe von der anderen feinsäuberlich sortiert. In diesem 16.300 Einwohner zählenden Städtchen wäre es verpönt, wenn der Vater etwa bei puma am Reißbrett stünde und die Mutter bei adidas Schnürsenkel einzöge. Und es ist noch keine drei Jahre her, da machte eine Liebesgeschichte zwischen Pumanern und Adidaner in den Kneipen die Runde. Dem adidas-Verkaufsfahrer Reinhart Schäfer war das absonderliche Ansinnen gekommen, die puma-Packerin Anita Bechthold zu ehelichen. Die beiden Familien liefen Amok vor Angst um Ansehen und Arbeitsplatz, die Firmen drohten für den Fall der Heirat unverhohlen den Rausschmiss an. adidas-Reinhart und seine puma-Anita wanderten aus, wie man in Herzogenaurach zu berichten weiß.

Für Armin Dassler, den puma-Chef, "ist dieses verfluchte Familiensplittung in den Fabriken" so etwas wie Rassenschande. Keiner seiner Mitarbeiter würde es - gar in seiner gewichtigen Gegenwart - wagen, den Namen adidas auszusprechen. Im puma-Werk verständigte sich selbst der Betriebsrat darauf, von "denen da drüben" oder kurz von"Dingda" zu reden.

Als mich der 50jährige Dassler im Gasthof Schuh in Dondörflein zum Steinhäger-trinken einlud, konnte ich im Rahmen einer journalistischen Befragung natürlich nicht ausschließlich auf puma herumreiten. Mindestens drei Mal war es unvermeidlich, adidas auch akustisch wahrnehmbar zu benennen. Schließlich wechselte der Ex-Gladbacher Berti Vogts nicht von puma zu "Dingda". Auch ist Rainer Bonhof beim 1. FC Köln nicht der einzige puma-Spieler in einer bei "Dingda" unter Vertrag stehenden Mannschaft. Ferner trug ja selbst puma-Pressesprecher als aktiver Spieler von Schalke 04, Bayern München sowie in der Nationalelf keine "Dingda-Kicker", sondern die Konkurrenz-Schlappen.

VERSLEIN VOM SCHÄFERHUND

Der puma-Chef sitzt breit auf der Bank, mit seiner puma-Nadel am Revers. Neben ihm seine Public-Relations-Mitarbeiter. Der eine im puma-Schiedsrichterhemd, der andere in puma-Tenniskluft. Hinter der Theke zapft Bauer Schuh, ein Hobby-Gastronom, im puma-Trainingsanzug und puma-Turnschuhen, Bier, Mama Schuh, im weißen Küchenkittel und puma-Tretern, brät in der Küche für die Gäste Scheufele. Und Fräulein Schuh, die unverheiratete Tochter des Hauses, ist dafür abgestellt, dem puma-Chef in puma-T-Shirt, puma-Strümpfen und puma-Joggingschuhen regelmäßig den Steinhäger nachzukippen. Da versteht es sich dann von selbst, dass Mama Schuh den puma-Chef irgendwann nach Mitternacht mit einem vom Schäferhund abgewandelten Verslein liebevoll verabschiedet. "Werde auch du Mitglied im puma-Verein, denn in der Liebe zu puma erkennt man die Seele des Menschen."

Die Leute in dieser verstohlenen Gegend dulden keine Zwischentöne. Sie betrachten es als ihre ureigenste Verpflichtung, auch unaufgefordert Front zu beziehen. Zu bitter war einst die Armut, zu rasant der wirtschaftliche Aufstieg mit adidas und puma. Eine verquere Mischung aus untertänigem Bekenntnisdrang und dienstbeflissener Uniformiertheit sind die Spätfolgen.

Tatsächlich gleicht Herzogenaurach einem Olympiadorf im Fachwerklook. Schon morgens um 4 Uhr, wenn die Müllabfuhr die Straßen durchkämmt, tragen die Männer mit den weiß getreiften adidas-Blaumann. Gegen 7.30 Uhr strömen Kinderscharen zur Carl-Platz-Schule. Ganze Fußballmannschaften versammeln sich da im Vorhof. Statt Ranzen oder Jeansbeutel schultern die meisten ihre adidas- oder puma-Familientasche. Gemüsehändler Viktor Tourinaire von der hinteren Gasse öffnet um 8 Uhr seinen Laden - als puma-Trainer verkleidet. Um 9.30 Uhr fährt Lokalredakteur Ekkehardt Kubec in sein Blättchen. Sein Wagenaufkleber: "Puma macht's mit Qualität". Bereits um zehn Uhr treffen sich die ersten Arbeitslosen im Café Römer am Markt - ausnahmslos im Dress der elf Besten. Vis-à-vis liegt die Buchhandlung Jung. Schaufensterlang präsentiert der einzige Bücherladen am Ort Fußball-Fotobände von Welt- und Europameisterschaften. Nur Polizei und Feuer-wehr blieb das Elastik-Allerei bislang versagt - noch.

Ein Prototyp der Trainingsanzugskultur ist Heiner Kaltenhäuser, der langjährige Hausmeister vom Rathaus. Für den stets glattfrisierten Heiner bestehen keinerlei Zweifel, dass die adidas-Klamotten die schönsten, praktischsten und saubersten sind, die sich unsereins so vorstellen kann". Der Hausmeister Heiner beurteilt dies nicht zuletzt aus intimer Sicht seiner Mitbürger. Herzogenaurach sei nämlich die Stadt der versenkten Blicke. "Jeder achtet hier darauf, was für'n Schuhwerk du trägst." Immerhin habe ihm seine Mutter "als Baby adidas über die Muttermilch eingetrichtert".

SCHUHMARKE - EINE GESINNUNGSFRAGE

Für Kaltenhäuser und seine Freunde ist ihre adidas-Muttermilch auch eine politische Gesinnungsfrage. Denn hinter den drei Streifen gruppieren sich die Roten, hinter puma verstecken sich die Schwarzen der Stadt, die seit zehn Jahren den CSU-Bürgermeister Ort auf ihrer Seite wissen. Keine Kneipe, kein Geschäft, kein Hotel, das sich nicht in dieses selbst gestrickte Raster fügen ließe. Kaltenhäuser und Co. ("Wir sind die Sozis") verkehren nun mal nicht im puma-bevorzugten Auracher Hof oder in der "schwarzen" Krone. Tabus, die schon seit Jahrzehnten existieren und bisher niemand zu lockern trachtete. Statt dessen hocken die roten Adidianer wochentags in der "Kastanie", dreschen Schafskopf und lassen das Bier durchlaufen. Die Kastanie ähnelt einer fränkischen Wohnstube, die nur Stammkundschaft kennt. Wenn sich doch mal ein Auswärtiger über die Hemmschwelle wagt, wird es in der Kastanie schrecklich still.

Ganz anders am Wochenende. Dann heißt es high noon in Herzogenaurach. Der Stellvertreterkrieg zwischen puma und adidas, zwischen Roten und Schwarzen, erlebt Sonntag für Sonntag facettenreiche Varianten. Wie verwandelt marschieren Kaltenhäuser und Frauan den Stadtrand. Selbstverständlich in der obligaten Sonntagsausgeh-Uniform; schließlich hat jeder noch ein zweites Paar gute Turn-schuhe im Schrank. Mit viel Reißbrett-Geschick haben es die Stadtplaner verstanden, die Fußballplätze der beiden todverfeindeten Vereine keine 100 Meter Luftlinie auseinanderzulegen. Oben auf dem kleinen Hügel residiert der FC Herzogenaurach, der von puma gesponsorte Club, derzeit Kellerkind in der Bayernliga, der höchsten Amateurspielklasse. Unter quasi im Souterrain ist der Arbeitersportverein (ASV) zu Hause, von adidas gepäppelt und im oberen Drittel der Landesliga platziert.

RODEO AUF FUSSBALL-PLÄTZEN

Kein Sonntag vergeht in diesem Frankenstädtchen ohne Zwischenfälle, mal mehr, mal weniger spektakulär. Das letzte Spiel zwischen FC und ASV - damals kickten beide noch in derselben Klasse - war folgenschwer, puma säbelte adidas wiederum kappte in die Waden, puma seinerseits landete versteckte Nierenschläge. Bier- und Colaflaschen folgen übers Spielfeld, Sanitäter, Bahre, Krankenwagen.

Dessen ungeachtet machten sich puma-Kinder derweilen auf des Gegners Platz an der adidas-Familienloge, einer alten Gartenbank, zu schaffen. Prompt hauten adidas-Ordner puma-Kinder, puma-Väter gerieten in Rage und prügelten los - Rodeo in Herzogenaurach.

EIN "FÜHRER" IM VEREINSHAUS

Als an diesem Sonntag der Schlusspfiff die Anspannung abblies und das Spiel alle Beteiligten geschafft hatte, zog sich ein jeder in sein Vereinshaus zurück. Bei den Pumanern, den knappen Siegern, ließ der Konzern den Sekt auffahren. Im adidas-Haus traute sich kein Spieler zu den Fans. Vorn an der Theke allerdings keimte der Trotz. Eine abgedroschene Gestalt im Lodenkult, die so gar nicht zu den Roten passen will, gab da plötzlich den Takt an. Zahn heißt sie und wohnt in der Ansbacher Straße 2. Aber in Herzogenaurach kennt ihn jeder nur als "den Führer", weil sich der wirre Rentner für den Rest seines Lebens entschlossen hat, als Hitler-Imitator Ver- und Bewunderung zu erregen.

Bislang war Rentner Zahn "nur" in der nahe gelegenden US-Base als "Führer " aufgetreten. Vornehmlich verhökerte er das auf einem Porzellanteller eingebrannte Konterfei seines vermeintlichen Ebenbildes, las und dozierte aus der amerikanischen Ausgabe von "Mein Kampf" und ließ sich gemeinsam mit US-Soldaten ablichten; als Souvenir für die daheimgebliebenen Familien in Kentucky und Virginia. Zuletzt machte "Hitler-Zahn" von sich reden, als er zum Fasching US-Boys im Spalier antreten ließ und vor ihnen mit Führergruß auf- und abmarschierte.

Nun stand dieser Unhold nach der verlorenen Schlacht im ASV-Sportheim vorn an der Theke und suchte, biertrunkene ASV-Anhänger wieder aufzumuntern. "Aber eins, aber eins, das bleibt bestehen, der ASV wird niemals untergehen", grölte es durch den Saal. "Treu unser Herz, adidas unser Schuhwerk" - ein fränkischer Sonntag im ASV-Sportheim.

Am darauffolgenden Montag verfassten die Jusos eine Resolution, in der sie die bescheidene Frage aufwarfen, "was denn in dieser Stadt noch alles passieren muss, bevor die aufgehetzte Bevölkerung endlich begreift, dass der Konkurrenzkampf zwischen adidas und puma um die Weltmärkte gewiss nicht in Herzogenaurach auf dem Fußballplatz entschieden werde". Und im unverkennbaren Juso-Deutsch forderten die Junggenossen "eine sozialpsychologische Untersuchung dieser grotesken Situation". Nur ein Pauker und ein Pfarrer meldeten sich im kleineren Kreis noch zaghaft zu Wort. Gewerbeoberlehrer Hacker beklagte sich über "den Psychoterror, den er tagtäglich in der Schule verspüre. "Es ist einfach fürchterlich. Hasserfüllte Jugendliche bilden puma- und adidas-Banden und schlagen blindlings aufeinander ein, die Konzerne kassieren die Gelder, und die Erwachsenen hauen sich wie in der Steinzeit die Wurfschleuder um die Ohren." Pfarrer Sterzl indes mahnte umsichtig zur Besonnenheit, damit "der Familienhass nicht von der Bild-Zeitung unnötigerweise ins Rampenlicht des öffentlichen Interesses gerückt wird." Von nun an war's auffallend still in Herzogenaurach.

"LASS JUCKEN KUMPEL"

Ich war auf der Suche nach den Urhebern dieser Diadochenkämpfe und landete zwangsläufig auf dem Friedhof. Unverhofft traf ich auf den beschwichtigenden Pfarrer Sterzl, jenen katholischen Priester, dem Bürger und sogar die Ortsbanken einen eminenten Einfluss nachsagen. So munkelt man beispielsweise in der Stadt, seiner diskreten Intervention sei es zuzuschreiben, dass der Kinofilm "Lass jucken, Kumpel" kurzerhand aus Herzogenaurach verbannt wurde. Ich bat den Pfarrer, mich doch zu den Gräbern der inzwischen legendären Dassler-Brüder zu begleiten.

Rudolf Dasslers Familiengrab (puma) liegt via-à-vis der Friedhofskapelle. Er war der ältere von beiden und starb bereits 1974. "Gottesfürchtige Menschen sind sie beide gewesen". verrät mir der Pfarrer, denn sie kamen aus einer bitterarmen Familie. Ihr Vater verdingte sich als Fabrikarbeiter, die Mutter rubbelte die Wäsche gutsituierter Bürger. Als 15jähriger Bub arbeitete Rudolf bereits in der "Fränkischen Schuhfabrik". Mitte der zwanziger Jahre begannen die beiden Brüder in der Schlappenschusterstadt Herzogenaurach mit der Produktion von Sportschuhen. Der erste Großauftrag kam vom heimatlichen Sportverein. Die beiden Brüder galten als unzertrennlich. Rudolf übernahm Organisation und Verkauf, Adolf bastelte an neuen Schuhkonstruktionen. Bereits 1928 belieferten die Brüder deutsche Olympiateilnehmer in Amsterdam mit Dassler-Produkten. 1936 rannte der vierfache Goldmedaillen-Gewinner Jesse Owens in Dassler-Sprintern.

BRUCH ODER KABALE UND HIEBE

Zwei Jahre nach Kriegsende kam es zum unwiderruflichen Bruch. Nach einem heftigen Streit stürmte Rudolf Dassler aus dem gemeinsamen Büro und gründete auf der anderen Seite der Aurach seine puma-Fabrik. Bruder Adolf nannte fortan seine Produkte adidas. Mit ihrer Trennung spaltete sich auch die Arbeiterschaft. Ein Großteil blieb bei adidas, der Rest zog zu puma.

Als Motive, die zum Zerwürfnis führten, mussten bislang die beiden Frauen der Dassler-Brüder herhalten, streitbare Hyänen angeblich, die prestigesüchtig ihre Männer zur Weißglut kitzelten. Von Kabele bis Hiebe - eine Story, die so intim und noch dazu schlüssig erscheint, vergräbt sie doch elegant jene unrühmlichen Tage, als in Deutschland noch Fußballschuhe aus braunem Leder geleimt wurden. Adolf Dassler produzierte Frontstiefel, Rudolf war Soldat. Sein Pech dürfte es gewesen sein, dass er für sich den Krieg schon früher als beendet erklärt hatte, sich nach Herzogen-aurach durchschlug und dort den Nazis in die Hände fiel. Er war bereits im Güter-waggon auf dem Weg ins KZ Dachau, als die Amerikaner ihn befreiten, aber ihrerseits den ihnen undurchsichtig erscheinenden Dassler ein Jahr im Internierungslager Hammelburg festhielten.

Zu jener Zeit dürfte sich Adolf Dassler wohl kaum um die Rehabilitierung seines Bruders gekümmert haben. Ein Foto zeigt Rudolf Dassler in den "schlimmsten Tagen meines Lebens" mit einer Büste unterm Arm. Er nannte es "mit dem Kopf unterm Arm und trotzdem ungebrochen".

Die beiden Brüder wechselten nie mehr ein Wort miteinander. Als Rudolf starb, ließ sein Bruder im Kommuniqué-Stil lediglich verlauten: "Aus Gründen der Pietät möchte die Familie Adolf Dassler zum Tod des Rudolf Dassler keinen Kommentar abgeben."

Mittlerweile bin ich mit Pfarrer Sterzl auf der anderen Seite des Friedhofs angelangt und stehen vor zwei Gruften breiten Adi-Dassler-Grab, dem größten in Herzogen-aurach. Er hat sich 1978 ins Jenseits verabschiedet. Geschäftlich konnte sich der adidas-Chef weitaus besser durchsetzen als sein puma-Bruder; nicht zuletzt aufgrund seiner engen Freundschaft zum früheren Bundestrainer Sepp Herberger, die ihm beim Deutschen Fußballbund eine Monopolstellung einbrachte. Schon seit Jahren ist adidas weltweit der Branchenführer. In Zahlen: Über 12.000 Beschäftigte, davon 2.500 in der Bundesrepublik, produzieren heute in 18 Ländern der Welt täglich über 200.000 Paar Sportschuhe. Hinzu kommen Spielbälle, Trikots, Trainingsanzüge, Badehosen. Der Umsatz beläuft sich auf weit über eine Milliarde Mark.

"ZEHNKÄMPFER GOTTES"

So mancher Fußballstar, plaudert der Pfarrer, habe er schon an das Dassler-Grab geführt, Beckenbauer, Overrath und Uwe Seeler. Bei Uwe Seeler fällt ihm sogleich ein Zitat des evangelischen Theologie-Professors Helmut Thielicke ein. Als "Uns Uwe" im Jahre 1961 für 1,5 Millionen Mark nach Italien wechseln wollte, habe dieser ja einen offenen Brief an Seeler gerichtet: "Wenn Sie dieser Versuchung widerstehen, dann wäre das ein leuchtendes Fanal, die Menschen zur Besinnung zu rufen." Pfarrer Sterzl, der wohl manchmal ein Witzchen macht und dabei ganz unschuldig lacht, sagt dies natürlich nicht ohne Hintergrund. Auch er wolle in Herzogenaurach über Jahre ein Fanal setzen und die beiden Dassler-Brüder miteinander versöhnen. Oft sei er sich vorgekommen wie "ein Zehnkämpfer Gottes". ("Aber zitieren Sie das bitte nicht!") Ich verabschiede mich von Pfarrer Sterzl an der Friedhofstreppe, die abwärts zur Straße führt. Als ich unten angekommen bin und mich noch einmal nach oben zu ihm umdrehe, entdecke ich, dass Pfarrer Sterzl tatsächlich ein Zehnkämpfer Gottes ist - er trägt puma-Turnschuhe.

ERBEN - NEUREICH UND KALT

Herzogenaurach in diesen Tagen. Die neureichen Erben der erdverwachsenen Schlapppenschuster von einst residieren heute im verborgenen. Hermetisch von der Außenwelt abgeschirmt und für Fremde "off limits", grenzt ein groß flächtiger Park mit englischen Rasen an das adidas-Fabrikgelände. Dort reiht sich eine Villa an die andere. Der Familien-Clan hält auf Distanz zum Dorfpöbel, duldet der Weltruf doch nur den internationalen Zuschnitt. Da stattet der Präsident von Togo in Begleitung einer 52jährigen Delegation adidas einen Besuch ab. Ihm folgt der katholische Bischof von Peru. Franz Beckenbauer fliegt aus New York ein, auf einem adidas-Symposium diskutieren Sepp Maier und Cassius Clay die Frage, ob "die Spaßvögel im Sport aussterben" - natürlich live über Monitor. Maier in Herzogenaurach. Mohammad Ali in New York.

Wohl kein bei adidas unter Vertrag stehender Spitzensportler, der in Herzogen-aurach noch nicht vorgeführt wurde. Ob Uwe Seeler, Willi Holdorf, Werner von Moltke, Wolfgang Overrath, Fritz Walter, Jürgen Grabowski, Franz Beckenbauer, Michel Jazy, Mark Spitz oder Ilie Nastase - sie alle handelten im spanisch-rustikal gestylten adidas-Sporthotel (Baukosten: vier Millionen Mark) ihre Exklusiv-Werbe-Verträge aus. Beckenbauer jedenfalls kann nach seinem letzten Herzogenaurach-Trip mehr als zufrieden sein. Garantiert adidas doch nunmehr eine lebenslange Pauschale von jährlich 150.000 Mark.

EIN SCHULHEFT FÜR MEMOIREN

Da mag puma selbstverständlich nicht hintanstehen. John Aki Bua, Olympiasieger von 1972 im 400-Meter-Hürdenlauf, beglückt Herzogenaurach seit zwei Jahren. puma-Dassler ließ ihn aus Uganda einfliegen, "um der optischen Übermacht der Konkurrenz im Dorf etwas entgegenzusetzen". So gibt der verschüchterte "Vorzeige-Neger im Frankenland" brav seine Autogrammstunden. Sonst hockt er in der PR-Abteilung der Firma und schreibt mit dem Beistift in ein Leitz-Schulheft seine Memoiren.

Überhaupt nimmt puma-Dassler jede Milchkanne mit, wenn es darum geht, sich fett gedruckt in der Lokalpresse wiederzufinden. Mal besingt ihn Udo Jürgens zum Geburtstag, mal tanzt er mit "Frau Minister Ertl" Walzer. Dann steckt er sich "für sein Mäzenatentum die Goldene Ehrennadel seines mit 300.000 Mark verschuldeten Fußball-Klubs an. Und schließlich informiert sich der puma-Chef mit 25 Landwirten über die Schweinezucht in seiner Region. Die Schlagzeile am darauffolgenden Tag in den Nordbayerischen Nachrichten ist ihm gewiss: "puma-Dassler war vom kapitalen Zuchteber beeindruckt."

So erlebt die alte Fehde der verstorbenen Brüder heutzutage in der Lokalpresse eine verfeinerte Neuauflage. Alljährlich zur Faschingszeit äußern die Narren von Herzogenaurach "ihren Traum", der die beiden Firmen und damit die Stadt wiedervereinigen soll. "Endlich haben sich die Genossen für immer zusammen-geschlossen. Ja ihr Leut, das war nicht dumm, die Firma heißt jetzt adi-pum." Doch darauf sollte die Bevölkerung nicht erst warten. Ein Flug nach Taiwan könnte jedem den "Seelenfrieden" verschaffen. In den Hallen B und C der dortigen Sportartikel-fabriken produzieren adidas und puma gemeisam. Dort kostet eine Lohnminute nämlich nur 5 Pfennig.