Freitag, 21. Oktober 1977

Ostblock: Wo das Leben damals schwer und das Sterben leicht war















































































Alexander Dubcek (*27.11.1921+7.11.1992) Leitfigur des "Prager Frühlings" mit Vaclav Havel (*1936+2011) Präsident der CSSR 1989-1992 - Präsident der Tschechischen Republik 1993-2003 - auf einer Podiumsdiskussion im Jahre 1968


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Panzer der Warschauer Pakt-Staaten zerschlugen 1968 den Prager Frühling. - Doch die Forderung nach Menschenrechten ist nicht tot zu kriegen. In der CSSR unterschrieben über 600 Bürger die Freiheitsdeklaration "Charta '77". Das Regime weiß nur eine Antwort: Verhaftung, Dauerverhöre, Studien- und Berufsverbote. In Polen geht die Polizei immer brutaler gegen Abweichler und Bürgerrechtler vor. Arbeiter wurden gefoltert, Studenten fanden auf mysteriöse Weise den Tod. In Rumänien sind die Behörden dem Beispiel der Sowjetunion gefolgt. Regimekritiker werden in vier psychiatrischen Kliniken eingeliefert.

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stern-Buch, Hamburg
"Die Würde des Menschen"
21. Oktober 1977
von Reimar Oltmanns
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Sie profitieren davon, dass es die Sowjetunion gibt und deren Vasallenstaat DDR. Wer an Jugoslawien oder Rumänien, an die Tschechoslowakei oder Polen die gleichen Maßstäbe legt wie an die DDR oder die Sowjetunion, wird die Zustände in diesen kommunistischen Randstaaten vergleichsweise erträglich finden. Und sie profitieren noch von einem anderen Bonus: Das "blockfreie" Jugoslawien, das 1948 mit Moskau brach und im letzten Jahrzehnt zum Traumziel von Millionen bundesdeutscher Touristen wurde, hat es verstanden, sich nach außen den Anstrich westlicher Lebensart zu geben. Rumäniens Staatspräsident Nicolae Ceausescu (1967-1989 - *1918+1989) täuscht über seine innenpolitische Unterdrückung mit Gesten außenpolitischer Elastizität hinweg, etwa indem er 1968 den Einmarsch der Sowjetunion in die CSSR verurteilte.

ERINNERUNG AN PRAGER FRÜHLING
Die Erinnerung an den Prager Frühling wiederum, das Wissen um die Existenz vieler prominenter, wenn auch entmachteter tschechoslowakischer Reformkommunisten trübt vielerorts den Blick für die heute herrschenden Missstände in der CSSR. Polen schließlich, dessen Unbotmäßigkeit gegenüber Russland geschichts-notorisch ist, entzog sich einer klaren Beurteilung seiner innenpolitischen Repression durch eine Wechselbad-Politik - auf die brutale Unterdrückung der Arbeitsunruhen in Radom, Plock und Ursus im Sommer 1976 folgte die stillschweigende Entlassung fast aller zum Teil zu langjährigen Haftstrafen verurteilten Demonstranten.

ROTE RELATIVITÄTS-THEORIE

Der Grad der Unterdrückung in diesen Randstaaten ist verschieden. Milovan Djilas (*1911+1995), nach dem Krieg als Vizepräsident in Jugoslawien engster Mitarbeiter von Marschall Josip Broz Tito (*1892+1980), inzwischen als Jugoslawiens bedeutender Oppositioneller, aus der Partei ausgestoßen und selbst für neun Jahre wegen seiner politischen Überzeugung eingekerkert, urteilt: "In Jugoslawien ist es schlechter als in Polen, es ist besser als in der Tschechoslowakei. Und noch ist es besser als in der Sowjetunion - aber nicht viel besser."- Rote Relativitäts-Theorie.

TITOS GEFANGENE
Milovan Djilas beziffert die Zahlen der in jugoslawischen Gefängnissen eingesperrten politischen Häftlingen mit "rund 600". Die Zahl ist umstritten. Belgrad selbst hat offiziell 500 politische Häftlinge zugegeben. Die Gefangenen-Hilfsorganisation amnesty international schätzt, dass 1000 bis 1500 politische Gefangene inhaftiert seien. Zwei jugoslawische Intellektuelle, die selbst einsaßen, Mirko Vidovic (*1940) und Bruno Busic (*1939+1978) - beide sind Kroaten - wissen von sogar 3000 politischen Gefangenen.

Die Frage ist wohl, wen man alles unter der Rubrik "politischer Gefangene" einordnet, ob dazu auch all jene zu kurzfristigen Haftstrafen Verurteilten gehören, denen "Verbreitung von beunruhigenden und unwahren Informationen" oder "Beleidigung von staatlichen Institutionen" zur Last gelegt wird. Und insbesondere; ob dazu im Viel-Völkerstaat Jugoslawien (1918/1929-2003/2006) auch jene zählen, deren Opposition gegen Tito nicht ideologischen Motiven entspringt, sondern nationalistische Wurzeln hat. Die Grenzen sind da fließend. Zudem sind viele politische Urteile als Kriminalurteile kaschiert.

TRENNLINIE: SPRACHE, RELIGION
Nach wie vor sieht Belgrad die Trennlinien der einzelnen Bundesstaaten, Sprachen und Religionen als die möglichen Bruchstellen, wenn es einmal die Denkmalsfigur des jetzt 85jährigen Josip Broz Tito nicht mehr gibt. Das gegenwärtige Jugoslawien umfasst die einstigen Untertanen der Habsburger Doppelmonarchie, Slowenen und Kroaten, die von Österreichern seit dem russisch-türkischen Krieg 1877/78 besetzt gehaltenen Gebiete Bosnien und Herzegowina, das einstige Königreich Serbien, Montenegro und schließlich das stets umkämpfte Mazedonien. Insbesondere Kroaten und Serben - die einen katholisch, die anderen Anhänger der orthodoxen Ostkirche - haben sich gegenseitig das Leben schwer - und das Sterben leicht gemacht. Die selbstbewussten Kroaten, die sich für Österreich-Ungarn über Jahrhunderte als Soldaten auf allen Schlachtfeldern Europas schlugen und in ihrem Selbstverständnis so etwas wie ein Vorposten des Abendlandes waren, konnten es 1918, beim Zerfall der Donau-Monarchie und der Gründung Jugoslawiens nicht verwinden im neuen Staat den groß-serbischen Zentralisten in Belgrad, die bis ins 19. Jahrhundert Untertanen des osmanischen Reiches waren, das Regieren überlassen zu müssen. Und sie lehnten sich dagegen auf.

TERROR-AKTE, MORDANSCHLÄGE
Die noch heute wegen verschiedener Terrorakte, Mordanschläge oder Flugzeugentführungen berühmt-berüchtigte kroatische Ustascha-Bewegung (1929-1945), eine extrem nationalistische, faschistische Verschwörer-Organisation, entstand schon zehn Jahre nach der Staatsgründung. Sie wurde 1929 ins Leben gerufen. - Ein Jahr vorher war der Begründer der gemäßigten "Kroatischen Bauernpartei" Stjepan Radic (*1871+1928) im Belgrader Parlament von einem montegrinischen Abgeordneten mit der Pistole erschossen worden.

STUNDE DER RACHE
Die Stunde der Rache kam für die Ustascha 1941, als Hitler und Mussolini Jugoslawien besetzten und die Macht in Kroatien dieser Terror-Organisation übertrugen. Die mit den Nazis verbündeten Ustascha verübten an den Serben ein bestialisches Massaker.

Als 1945 mit dem Sieg von Titos Partisanen ein neues, kommunistisches Jugoslawien entstand, ging das Schlachten und Foltern weiter. Diesmal waren die Kroaten die Opfer. Die Engländer lieferten den jugoslawischen Kommunisten rund 300.000 Kroaten aus - Soldaten und Zivilisten, die sich ihnen ergeben hatten. 200.000 von ihnen wurden ermordet. So war der Zweite Weltkrieg in Kroatien zugleich ein Bürgerkrieg zwischen Kommunisten und Ustascha, zwischen serbischen und kroatischen Nationalisten. Wobei der Kommunistenführer Tito selbst gebürtiger Kroate ist.

"ZAGREBER FRÜHLING"
Mit der Parole "Brüderlichkeit und Einheit" versuchte Marschall Tito nach 1945 einen Neubeginn im föderalistisch gegliederten Jugoslawien. Das ging bis Mitte der sechziger Jahre gut. Als dann in Jugoslawien ein Liberalisierungsprozess auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet einsetzte - so wurde der verhasste Geheimdienstchef Aleksandar Rankovic (*1909+1983) entlassen, der selbst Tito abhören liess - tauchten die alten Konflikte in neuem Gewand auf. Die kroatische KP-Führung in Zagreb forderte größere regionale Rechte und klagte den Belgrader Zentralismus an. In den Jahren 1970 und 1971 erreichten Versuche, sich von Belgrad zu lösen, ihren Höhepunkt. Kroatische Studenten forderten eine eigene kroatische Armee, eine eigene kroatische Vertretung in den Vereinten Nationen. Der "Zagreber Frühling" war jedoch rasch zu Ende. Tito setzte kurzerhand die Zagreber KP-Führung wegen "kroatischen Nationalismus" ab. Ihre exponierten Anhänger wanderten in Haftanstalten. Sie machen noch heute eine Vielzahl der politischen Gefangenen in Jugoslawien aus.

STAATSFEINDE
Zu jenen "Unruhestiftern" gesellen sich tatsächliche oder auch vermeintliche Staatsfeinde: pro-sowjetische Untergrundkämpfer und Alt-Stalinisten (die so genannten "Konformisten"), albanische Separatisten, Utascha-Terroristen, Priester, Professoren, unbequeme Literaten und schließlich der prominenteste jugoslawische politische Internierte, Mihajlo Mihajlov ( *1934+2010), Professor an der Philosophischen Fakultät in Zadar. Mihajlov gilt als ein unbestechlicher Analytiker, als Einzelgänger und Unbeugsamer zugleich. Dieser Schriftsteller, ein Jugoslawe russischer Abstammung, ist weitgehend ein Opfer des komplizierten russisch-jugoslawischen Verhältnisses geworden. Er sitzt über Jahre in dem von der Sowjetunion abgefallenen Jugoslawien im Zuchthaus, weil er in der ausländischen Presse Kritik an der inneren Verfassung - ausgerechnet der Sowjetunion übte.

GEHEIMPOLIZEI UdBa
Es gehört zu den jugoslawischen Besonderheiten, dass der Rechtsweg gegen politisch motiviertes Unrecht nicht immer aussichtslos ist, ungeachtet jener Maßregel, die Marschall Tito am 24. Dezember 1971 erliess: "Die Richter dürfen sich nicht wie der Blinde an seinem Stock an die Gesetze halten, sondern sie müssen das Problem auch politisch sehen." Dieser jugoslawischen Eigenart ist zu verdanken, dass in den Akten des Kreisgerichts von Zagreb festgehalten ist, wie die Geheimpolizei UdBa mit ihren Opfern umspringt. Der Jurist Vice Vukojvic (*1936) , 39 Jahre alt, schon als Schüler wegen "kroatischen Nationalismus" ausgeschlossen, als Student wegen Teilnahme an Demonstrationen verhaftet, reichte 1967 eine Klageschrift "Gegen die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawiens - Sozialistische Republik Kroatien" ein. Darin forderte er einen Schadenersatz von 67.000 neuen Dinar wegen Misshandlungen durch jugoslawische Geheimpolizisten. Seine einzelnen Behauptungen, mit deren er die Klage begründete, wurden in der Beweisaufnahme bestätigt. Vukojevic gewann den Prozess (als das Urteil 1972 gefällt wurde, saß er allerdings schon wieder im Gefängnis, diesmal - nach der Zerschlagung des "Kroatischen Frühlings" - wegen "feindlicher Propaganda").
VERHAFTET - GEKIDNAPPT

In seiner Klageschrift schildert Vukojevic zunächst seine Festnahme: Wie er auf dem Heimweg einer Kinoveranstaltung von drei Männern in einen Pkw gezerrt wurde; wie man ihn auf den Boden des Wagens warf und mit einer Decke zudeckte; wie auf seinen Protest gegen diese Verhaftung ihm offen geantwortet wurde, er sei nicht verhaftet, sondern "gekidnappt" worden. Später, in einem Gefängnis, sei er gefesselt und geschlagen worden, weil er seinen Peinigern nicht das gewünschte Geständnis über seine Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation liefern konnte. Dann, einige Tage später, kam es zur nächsten Stufe der Behandlung: "Mir wurden die Arme am Rücken gefesselt und ich wurde an der Decke aufgehängt. Ich hing so mehrere Stunden lang, während man mich mit einem nassen Handtuch würgte, am ganzen Körper schlug, an meinen Haaren zerrte."

Diese Art Behandlung wurde an mehreren Tagen fortgeführt. Mit gefühllosen Armen und eiternden Wunden an den Handgelenken, hervorgerufen durch die Fesseln, blieb Vukojevic schließlich am Boden liegen. Er formulierte später in seiner Klageschrift: "Meine Peiniger wiederholten damals, dass sie mich 'legalisieren' würden, falls ich ein Protokoll mit einem Geständnis unterschriebe. Wenn nicht, sollte ich liquidiert werden." Legalisiert werden bedeutete, in der Sprache der Geheimdienstler, dass ihr Opfer dann gesetzlich verhaftet und in eine geordnete Untersuchungshaft kommen würde. Für Vukojevic war es erst nach 30 Tagen soweit. Zeit-Brüche, Umbrüche alter, überlebter Gesellschafts-Ordnungen: Im Jahre 1999 avancierte Vice Vukojevic zum Richter des kroatischen Verfassungsgerichts.

ALBTRAUM: RUMÄNIEN
Die Aussagen des Juristen Vukojevic sind kein Einzelfall. Gleichwohl ist in Jugoslawien vor seinem Zerfall (2003/2006) die Folter nicht wie in vielen anderen Ländern ein systematisch angewandtes Mittel zur physischen oder psychischen Vernichtung politischer Gegner. In einem Report über die Situation in dem Tito-Staat kam der amerikanische Senat zu dem Schluss: "Es gibt dennoch Berichte, dass politische Häftlinge von der Polizei geschlagen werden. Insbesondere wird in dieser Senats-Expertise moniert, dass die jugoslawische Regierung bei politischen Prozessen auf die Rechtssprechung Einfluss nimmt.

Nicht immer müssen volle Gefängnisse der Maßstab für den Grad der Unterdrückung sein. Im Rumänien des siebziger Jahrzehnts im vergangenen Jahrhundert gabt es, so schätzten es westliche Diplomaten in Bukarest, höchstens rund 500 politische Gefangene. Als der amerikanische Senat gleichzeitig mit seinem Bericht über Jugoslawien auch an den Zuständen in Rumänien Kritik übte, erliess der rumänische Staatsrat eine Amnestie. Viele inhaftierte Politische bekamen ihre Freiheit zurück, unter ihnen der rumänische Schriftsteller Paul Goma (*1935), der führende Kopf einer rumänischen Bürgerrechts-Bewegung. Öffentlich hatte er die Bukarester Behörden beschuldigt, Oppositionelle nach dem Beispiel der Sowjetunion in psychiatrische Kliniken zu sperren. Paul Goma sagte, im Land gäbe es vier derartige Hospitäler, darunter in der Hauptstadt die Krankenhäuser Balancea und Coula. Um die Glaubwürdigkeit seiner Angaben zu unterstreichen, nannte Goma mehrere Namen von Oppositionellen, die als "Patienten" in diesen psychiatrischen Kliniken festgehalten würden.

"KÖNIGSPALAST": CEAUSESCU
Ehe Goma dann selber interniert wurde, hatte er noch in einem offenen Brief an den rumänischen Staatspräsidenten Nicolae Ceausescu (1967-1989 - *1918+1989) geschrieben, Rumanien respektiere weder die eigene Verfassung, noch die durch internationale Abkommen eingegangenen Verpflichtungen über die Gewährung der grundlegenden Menschenrechte. Wörtlich hieß es in dem an Cheausescu - als Adresse war "Königspalast" angegeben: "In diesem Land gibt es nur zwei Menschen, die die Geheimpolizei nicht fürchten: Sie und ich."

Noch schärfer wurde Goma in einem Brief an den tschechoslowakischen Schriftsteller Pavel Kohout (*1928), einem der markanten Wortführer des Prager Frühlings, der im Jahre 1979 ausgebügert wurde und seit 1980 österreichischer Staatsbürger ist. Goma erklärte sich beizeiten solidarisch mit den Unterzeichnern der Prager Menschenrechts-Deklaration Charta 77. In diesem Brief schrieb Goma, in Rumänien gäbe es "20 Millionen politische Gefangene in Zivil", er sprach von der "rumänischen Besetzung Rumänien" und schloss seine Soldaritätsadresse: "Wir leben alle unter dem gleichen Druck. Der gleiche Verlust der elementaren Rechte, die gleiche Missachtung des Menschen, die gleichen Lügen. Überall Armut, wirtschaftliches Chaos, Demagogie, Unsicherheit, Terror."

MINDERHEIT: BANATER SCHWABEN
Zu denen, die am meisten unter den von Goma geschilderten Zustände zu leiden haben, zählt die 400.000 Personen umfassende deutsche Minderheit. Die Banater Schwaben und Siebenbürger Sachsen, die aus dem Gebiet zwischen Mosel, Maas und Niederrhein stammen und vor rund 800 Jahren das Land urbar gemacht und besiedelt haben, wollen in immer größerer Zahl dem innenpolitischen Repressionsklima den Rücken kehren. Erst recht, seit die Integrationspolitik der rumänischen Kommunistischen Partei bewusst eine Rumänisierung der "mitwohnenden" Deutschen und damit eine schleichende Demontage deutscher Einrichtungen in Rumänien betrieb, nehmen die Anträge auf Ausreise allmählich das Format einer Massenauswanderung an. 50.000 Deutschstämmige haben das Land bereits seit der kommunistischen Machtübernahme 1948 verlassen. Jetzt hat Ceausescu die Genehmigung zur Auswanderung zurückgeschraubt. Erhielten 1974 noch 8.400 Rumänen-Deutsche die Erlaubnis zum Umzug in die Bundesrepublik, so waren es 1975 nur noch 5.000, 1976 nur noch 3.500. "Conducator" (Führer) Ceaucescu begründete das lapidar: "In einem Jahr fliesst im Fluss weniger Wasser, im anderen Jahr wieder etwas mehr."

VERLUST DES ABREITSPLATZES
Mit der Drohung des Verlustes des Arbeitsplatzes werden die auswanderungswilligen Rumänien-Deutschen eingeschüchtert. So verloren Ende 1976 zum Beispiel mehr als 150 Lehrer und Lehrerinnen deutschsprachiger Schulen ihre Stellung, als sie einen Antrag auf Ausreise gestellt hatten. Die rumänischen Behörden begründeten die Entlassung damit, die Pädagogen hätten sich mit diesem Ausreiseantrag ideologisch für die Erziehung der Jugend diskreditiert.

Derartige Repressalien gehören auch zum Repertoire der kommunistischen Machthaber in der Tschechoslowakei. Oppositionelle werden mit Berufsverbot belegt, ihre Kinder werden daran gehindert, Gymnasien oder Hochschulen zu besuchen. Das war so nach der Zerschlagung des Prager Frühlings 1968, als das von den Sowjets eingesetzte Husak-Regime die Kommunistische Partei von den Reform-Kommunisten "säuberte". (Gustav Husak [*1913+1991] war von 1975 bis 1998 Staatspräsident der Tschechoslowakei). Derlei Einschüchterungen griffen gleichsam 1977, als die Unterzeichner der Menschenrechts-"Charta 77" von den Prager Machthabern wegen "volksfeindlicher Handlungen" verfolgt wurden. Eine Zahl verdeutlicht das Ausmass dieser Drangsalierung. Das Mitglied im Präsidium der Kommunistischen Partei der CSSR, Vasil Bilak (*1917), gab in einem Interview bekannt, dass bei der Parteieinigung nach 1968 insgesamt 165.00o Männer und Frauen von ihrem Arbeitsplatz entfernt wurden.

WISSENSCHAFTLER ALS HILFSARBEITER
Einst weltbekannte Politiker oder international renommierte Wissenschaftler mussten als Hilfsarbeiter ihren Unterhalt verdienen oder sie fanden überhaupt keine Beschäftigung. Der ehemalige Parteichef Alexander Dubcek (*1921+1992) ist heute Gärtner in Bratislava. Der Historiker Dr. Jan Tesar fand noch nicht einmal eine Beschäftigung als Nachtwächter. Der bekannte Philosoph Mila Machovec, früher Ordinarius an der Karls-Universität zu Prag, brachte sich mit Nachhilfestunden und Orgelspiel in einer evangelischen Gemeinde durch. Und nur ein Beispiel zur Sippenhaft, das stellvertretend für Hunderte steht: Der Historiker und ehemalige Rektor der Parteihochschule in Prag, Dr. Milan Hübl (*1927+1989) , er wurde zu sechseinhalb Jahren Gefängnis verurteit, beklagte in einem Brief an österreichische Freunde, dass seine Kinder weder das Gymnasium noch die Hochschule besuchen dürfen. (Inzwischen ist Hübl nach Österreich emigriert.) Gerade diese Methoden waren es auch, die in der Charta 77 angeprangert wurden. Darin hieß es:

o "Zehntausende von Bürgern werde es "nur deshalb unmöglich gemacht in ihrem Fach zu arbeiten, weil sie Ansichten vertreten, die sich von den offiziellen Ansichten unterscheiden";

o das "Recht", Informationen und Gedanken aller Art ohne Rücksicht auf Grenzen zu ermitteln, anzunehmen und zu verbreiten", werde nicht nur außergerichtlich, sondern auch gerichtlich verfolgt, häufig unter dem Deckmantel krimineller Beschuldigungen;

0 das Innenministerium kontrolliere die Bürger "durch Abhören von Telefonen und Wohnunge, durch Kontrolle der Post, durch persönliche Überwachung, durch Hausdurchsuchung, durch Aufbau eines Netzes von Informanten aus den Reihen der Bevölkerung";

0 zahllose junge Menschen würden "nur wegen ihrer Ansichten oder sogar wegen der Ansichten ihrer Eltern nicht zum Studium zugelassen".

POLIZEI-SOZIALISMUS

Über 600 Bürger der CSSR haben inzwischen dieses Dokument unterzeichnet. Die Berechtigung dieser Anklagen sollten sie daraufhin am eigenen Leibe erfahren. Schon als einige prominente Tschechen am 6. Januar die Charta 77 als Petition der Prager Nationalversammlung überreichen wollten, wurden sie auf dem Weg dorthin festgenommen, ihr Manuskript konfisziert. Inzwischen füllen sich bereits wieder die Gefängnisse der CSSR mit "Abweichlern", gerade nachdem im Dezember 1976 die letzten promininenten Reformkommunisten der Dubcek-Ära aus der Haft entlassen worden waren.

Der neue Prager Polizei-Sozialismus hat inzwischen auch sein erstes Todesopfer gefunden. Zu den verhafteten Bürgerrechtlern gehörte neben dem Dichter Vaclàv Havel (*1936 - 1993-2003 Präsident der Tschechischen Republik) und dem Journalisten Jéri Lederer (*1922+1983) auch der 69jährige Universitätsprofessor Jan Patocka (*1907+1977). Unmittelbar vor seiner Festnahme im März 1977 war der bedeutende Philosoph noch vom holländischen Außenminister Max van der Stoel , der sich in Prag aufhielt, empfangen worden. Jan Patocka überlebte die Haft nicht. Nach einem zehnstündigen Dauerverhör musste der 69jährige mit Blaulicht in ein Krankenhaus gefahren werden. Dort starb er an den Folgen einer Gehirnblutung.

ZIELSCHEIBE WELTWEITER PROTESTE
Seither ist Partei- und Staatschef Husak Zielscheibe weltweiter Proteste. Das "Internationale Komitee zur Überstützung der Charta 77, dem auch die deutschen Schriftsteller Heinrich Böll (*1917+1985) und Günter Grass (*1927) angehören, bezeichneten den Tod des 69jährigen Philosphie-Professors als "politischen Mord". Patocka sei während der Haft "ständig von der Polizei gequält worden". Im Chor der Stimmen, die das Prager Regime verurteilten - Willy Brandt (*1913+1992)und Österreichs Bundeskanzler Bruno Kreisky (*1911+1990), der Internationale Gewerkschaftsbund, die Außenminister Englands und Italiens - ist insbesondere die Stimme der französischen KP von Gewicht. In ihrer Zeitung Humanité schrieben die französischen Kommunisten: "Wir können keine Praktiken zulassen, zu denen es gehört, dass jede mit dem Sozialismus nicht im Einklang stehende Stimme zum Schweigen oder zur Unterdrückung verurteilt wird."

TERROR GEGEN ARBEITER-UNRUHEN
Immer brutaler und nachhaltiger wird der Polizeiterror gegen Abweichler wie Bürgerrechtler auch in Polen, jenem Land im sozialistischen Lager, das lange Jahre stolz darauf war, innenpolitische Kritiker nicht hinter Gittern mundtot zu machen. Ausgangspunkt der jene Unterdrückungswelle waren die Arbeiterunruhen im Sommer 1976 in Radom, Plock und Ursus. Zunächst nur ein lokal begrenzter Protest gegen neue, vom Parteichef Edward Gierek (*1913+2001) verkündete Preiserhöhungen, bekam der Konflikt bald eine politische Stossrichtung. Aus der Unzufriedenheit über ökonomische Missstände wurde ein Kampf um größere Freiheitsräume des Individuums, bei dem sich erstmals in Polen Arbeiter mit Studenten und Intellektuellen verbündeten. Allesamt trachteten beherzt danach, diese Art von polnischer "Diktatur des Proletariats" abzuschaffen. - Und um so härter schlug das kommunistische Regime zurück.

FOLTER-METHODEN DER MILIZ
Zahlreiche Zeugenaussagen und Dokumente belegen die Brutalität samt subtiler Foltermethoden der Miliz. In einem Brief an den Innenausschuss des Sejm, des Warschauer Parlaments, schrieb der Arbeiter Ireneusz Majewski aus Ursus, wie er und sein Bruder Marek eine Woche nach der Demonstration von Polizisten plötzlich aus ihrer Wohnung abgeholt wurden: "Wir wurden gefesselt und in Automobile verfrachtet. Als wir in dem Hof des Polizeikommandos in Ursus angelangt waren und das Auto verliessen, wurden uns die Fesseln gelöst. Dann befahl man uns, wir sollten uns in die Hofmitte begeben. Dort war ein Polizeispalier aufgestellt. Jeder Beamte trug einen Knüppel in der Hand. Ich sollte als erster losgehen. Mir war klar, was weiter geschehen würde. Ich wurde von unzähligen Knüppelschlägen getroffen und stolperte halb ohnmächtig in das Innere des Reviers. Meinem Bruder Marek widerfuhr dasselbe." Marek konnte nicht einmal um Gnade bitten. Ihm hatten während der Demonstrationen vor acht Tagen mit Gummiknüppeln bewaffnete "Zivilisten" den Kiefer zerschlagen, der nun in Halterungsschienen ruhte. Ireneusz, der durch die Schläge einen Herzinfarkt erlitt und ins Krankenhaus transportiert werden musste, forderte in seinem Brief an den Sejm - dem polnischen Parlament - die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission. Fehlanzeige.

SPIESSRUTENLAUFEN

Überdies - Menschenrechtsverletzungen hatten in Polen längst System. So schrieb der Arbeiter Stanislaw Adamski an den Generalprokurator der Volksrepublik Polen, dass er von Polizisten mit einem Taschenmesser kahl geschoren worden sei und dann ebenfalls über zwei Stunden auf der Treppe des Polizeigefängnisses von Radom Spießrutenlaufen musste: "Man sagte mir, das sei die 'Gesundheitsstraße', und dass sie mir 'helfen' wollten. Nach zwei Stunden haben sie mich bewusstlos in die Zelle geworfen."

ZU TODE GEPRÜGELT

Eines der erschütterndsten Dokumente dieser Ära ist der Beschwerdebrief, den die Witwe Janina Brozyna aus Radom an den Parlamentspräsidenten in Warschau richtete. Sie schreibt darin, wie ihr Mann, der 28jährige Arbeiter Jan Prozyn bei einer Racheaktion der Polizei zu Tode geprügelt wurde. Jan Prozyn war während der Unruhen nicht einmal in der Stadt gewesen, sondern hatte auswärts einen Urlaub verbracht. Als er von der Miliz abgeholt wurde und nicht mehr zurückkam, machte sich seine Frau auf die Suche. Niemand sagte ihr, was mit ihm geschehen war. Sie fand schließlich in einer Klinik von Radom seine Leiche, mit eingeschlagenem Schädel. Der Leichnam wurde dann in dem Dorf Jedlinsk in der Nähe von Radom begraben. Während der Beisetzung kontrollierte die Polizei von einem Hubschrauber aus die denkwürdige Beerdigungs-Zeremonie. Dann als der Sarg ins Grab gesenkt wurde, landete der Hubschrauber auf dem Friedhof, mehrere Zivilisten sprangen aus der Maschine und fotografierten die Trauergemeinde. Seitdem ist für Ortsfremde der Besuch des Friedhofs von Jedlinsk verboten.

Ihren Beschwerdebrief schliesst Janina Prozyn mit den Sätzen; "Man hat mich mit zwei kleinen Kinder von eineinhalb und fünf Jahren allein gelassen. Man hat meinen Mann auf grausame Weise umgebracht. Das war das Werk der Leute, die verpflichtet wären, sich um die Gerechtigkeit in der Volksrepublik zu kümmern."

KARDINAL WYSZYNSKI KLAGTE AN

Die Forderung nach einem Untersuchungsausschuss wurde auch in einem Appell aufgegriffen, den 175 Intellektuelle im Januar 1977 an die Warschauer Parlaments-Abgeordneten schickten. In dem Schreiben hieß es, Arbeiter von Radom und Ursus hätten erschreckende Klagen über Schläge und Folterungen durch die Polizei geführt. "Es ist die bürgerliche und moralische Pflicht eines jeden ehrlichen Menschen, diese abscheulichen Praktiken zu brandmarken und ihnen mit allen möglichen Mitteln entgegenzuwirken. Folterung von Verhafteten darf nicht toleriert werden. In der Überzeugung, dass Ihr Handlungsspielraum, der sich aus Ihrer Kompetenz als Abgeordneter ergibt, wesentlich breiter ist, wenden wir uns an Sie mit dem Appell, sich im Sjem der Sache der geschlagenen und gefolterten Arbeiter anzunehmen."

Auch der Primas von Polen, Stefan Kardinal Wyszynski (*1901+1981) beschuldigte in einer Predigt in der Warschauer Kathedrale die Polizei der Brutaltät. Der Altkommunist und ehemalige Erziehungsminister Wladyslaw Bienkowski (+1906+1991) klagte in einem offenen Brief, dass Brutalitäten und Folter der Polizei die öffentliche Ordnung Polens bedroht.

GIEREK-REGIME

Indes: von den etwa 2500 in Radom und Ursus verhafteten Arbeitern sind inzwischen nur noch eine knappe Handvoll im Gefängnis. Parteichef Edward Gierek (1970-1980) hatte durch eine Amnestie die Freilassung der meisten Inhaftierten erwirkt. Nur diese Art von Amnestie war kein Signal eines ersehnten Kurswechsels, sondern lediglich eine kalkulierte Entlastungsaktion des bedrängten Gierek-Regimes. Das zeigt sich bald in neuen Schlägen gegen Oppositionelle. Eine neue Dimension der Gewalt. Nach dem Bekanntwerden der Lynchjustiz in Radom und Ursus hatten prominente Schauspieler, Schriftsteller, Grafiker und Priester ein "Komitee zur Verteidigung der Arbeiter" gegründet, das zunächst nur Geld für die mittellos lebenden Familien der damals inhaftierten Demonstranten organisierte (der im Kampf für Menschenrechte unermüdliche Literaturpreisträger Heinrich Böll spendete einen großen Teil seiner in Polen angelaufenen Tantiemen). Inzwischen ist das Komitee der Kristallisationspunkt einer polnischen Bürgerrechtsbewegung geworden. Mitte Mai 1977 wurden vier Mitglieder dieses Komitees festgenommen und unter Anklage gestellt. Sie wurden beschuldigt, Studenten aufzuwiegeln und "Verbindungen mit einer ausländischen Organisation zu haben, deren Ziel die Verletzung der politischen Interessen der Volksrepublik Polen ist".
VERHAFTUNG VOR DER BEERDIGUNG

Die Angeklagten - sie müssen mit Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren rechnen , wurden festgenommen, als sie gerade von Warschau aus nach Krakau zu einer Beerdigung fahren wollten. In Krakau wurde nämlich der 23jährige Philosophie-Student Stanislaw Pyjas (*1953+1977) zu Grabe getragen. Er hatte an der Krakauer Universität Unterschriften gesammelt, mit der Forderung des "Komitees zur Verteidigung der Arbeiter" nach einer parlamentarischen Untersuchung der Vorgänge von Radom und Ursus. Mitte April 1977 teilte Stanislaw Pyjas dem Krakauer Staatsanwalt mit, er sei in anonymen Briefen mit dem Tod bedroht worden. In einem der Briefe hätte es geheißen: "Die Vertilgung solcher Leute auf jede mögliche Art ist zur Zeit die wichtigste Aufgabe." Achselzucken der Strafverfolger.

Zwei Wochen später war Stanislaw Pyjas tot. In einem Treppenhaus in der Krakauer Altstadt wurde er mit schweren Kopfverletzungen gefunden. Die Parteipresse stellte den plötzlichen Tod des Studenten als Unfall eines Betrunkenen dar: "Der junge Mann hatte 2,6 Promille Alkohol im Blut." Der amtliche Obduktionsbericht wurde zur Geheimsache erklärt. Es gibt Augenzeugen, die den Toten gesehen haben. Er hatte Verletzungen unter den Augen und einen zertrümmerten Kiefer - nach Ansicht von Ärzten typische Merkmale von schwersten Schlägen.