Donnerstag, 2. Juni 1977

Israel: Sippenhaft im Land der Bibel



















































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stern, Hamburg
2. Juni 1977
von Peter Koch
und Reimar Oltmanns
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Rückblicke auf Jahrzehnte, in denen Frieden, V
ölkerverständigung eine Utopie blieb - Retrospektiven auf Ursachen von Krieg, Terror, Folter und immer wieder Mord, Hass - Vergeltung, Unterdrückung, Ausgrenzung, Entwürdigung. Auge um Auge, Zahn um Zahn - Anschlag auf Anschlag. Ob nun der 29. oder gar der 60. Jahrestag zur Gründung des Staates Israel - aus dem Nahen Osten nichts Neues.

Der Unabhängigkeitstag begann für viele im Gefängnis. Während sich Folklore-gruppen und Kampfgeschwader im Staates Israel für die große Feier des 29. Geburtstages am 21. April 1977 rüsteten, sorgten Militär und Polizei für Ruhe. Im Großeinsatz schwärmten die Sicherheitskräfte am Vorabend des "Independence Day" aus und setzten ihnen verdächtige Personen hinter Gittern. Die Rechtsbasis für Massenverhaftungen waren Notstandsbestimmungen, die noch aus Zeiten der britischen Mandatsverwaltung vor der Gründung des Staates Israel stammten - damals gegen jüdische Terroristen angewendet wurden.

Jetzt waren die Festgenommenen fast ausnahmslos Araber. Allein im arabischen Teil Jerusalems verschwanden bei der Blitzaktion 200 Verdächtige in Präventivhaft. In der "Jerusalem Post" forderte der Polizeikommandant der Südregion Nitzav Iztzab, die Bürger dazu auf, "nach verdächtigen Objekten Ausschau zu halten".
TAUSENDE POLITISCHER GEFANGENER
Die Häftlinge in den in den Stadtgefängnissen von Ramla, Nablus, Ramallah und Asqualon mussten noch enger zusammenrücken. Israels oberster Gefängnischef General Halm Levi räumte in einem Gespräch mit den Autoren ein, dass 3.200 politische Gefangene in insgesamt 13 Anstalten interniert seien - allerdings erhebt der General Einspruch gegen die Bezeichnung "politische Gefangene", er spricht von "Security Prisoners", Sicherheitsgefangenen. Die PLO, die Palästinensische Befreiungsorganisation, beziffert die Zahl der politischen Gefangenen auf mindestens 6.000.

Wie auch immer, es ist qualvoll eng in den israelischen Gefängnissen. Selbst in der Vorzeige-Haftanstalt von Ramla (wo auch Adolf Eichmann saß) müssen sich 80 Mann einen Zellenraum teilen, der für 30 Gefangene gebaut worden ist. Hinzu kommt, dass die Inhaftierten trotz des stickig heißen Klimas in den meisten Anstalten gezwungen sind, 23 Stunden am Tag in diesen Löchern zu leben. Vergebens haben das Rote Kreuz und die Vereinten Nationen dagegen protestiert, dass die Gefangenen auf durchschnittlich eineinhalb Quadratmeter Lebensraum zusammengepfercht sind.
GRAUSAME VERHÖRE
Mit seinen willkürlichen Verhaftungen und menschenunwürdigen Zuständen in den Gefängnissen, mit oft grausamen Verhörpraktiken und drakonischen Strafzumessungen ist das heutige Israel, das gegründet wurde, um den verfolgten Juden in aller Welt eine Heimstatt zu geben, ins Zwielicht geraten - fortwährend. Nur seine äußere Bedrohung und die eingegerbte Erinnerungen an die millionenfachen Juden-Morde während der NAZI-Zeit haben die öffentliche Kritik, die Empörung über das Land bisher gedämpft.

Immer häufiger wird die Frage gestellt, ob die von Israel verfolgten Palästinenser nicht einen Anspruch auf politische Selbstentfaltung haben. Selbst der Terror gegen die unschuldige Zivilbevölkerung wird immer häufiger als eine nicht mehr ausreichende Legitimation für staatlichen israelischen Gegenterror anerkannt.
KRITIK AN ISRAEL
Die Kritik an Israel wird lauter, und das nicht nur in den Vereinten Nationen, in denen sich nach israelischer Ansicht Kommunisten, Islamisten und Pro-Palästinenser zu einer Mehrheitsfront gegen den Judenstaat zusammengeschlossen haben. Schon hat auch der amerikanische Präsident Stellung bezogen. Jimmy Carter (1977 - 1981) forderte zwar einerseits Garantien für die Sicherheit Israels, andererseits aber bezeichnete er es als unvermeidbar, die derzeitigen Grenzen zu korrigieren, denn auch die Palästinenser hätten einen Anspruch auf ein Heimatland.
HEIMATLAND DER PALÄSTINENSER
Aber selbst solche gemäßigten Mahnungen rufen in Israel einen Sturm der Entrüstung hervor. Aus einem Gemisch alttestamentarischen Gebietsanspruch und zionistischer Staatsphilosophie, aus Notstandsrecht und apodiktischer Selbstgerechtigkeit haben sich die israelischen Juden eine perfekte Rechtfertigungs-Ideologie für die Unterdrückung der arabischen Minderheiten zurecht gezimmert.

Unter Berufung auf die biblischen Königreiche Israels und Judäa erhoben europäische Juden Ende des vorigen Jahrhunderts Anspruch auf die Gründung eines eigenen Staates in Palästina und machten gegenüber den dort siedelnden Arabern eine Art Erstgeburtsrecht geltend. Bis zur endgültigen Gründung des Staates Israel war es ein langer, verwinkelter Weg. Seine wichtigsten Stationen:

HISTORISCHER AUFRISS

Am 2. November 1917 bekundet die britische Regierung ihr Wohlwollen für die Gründung einer "nationalen Heimstatt für das jüdische Volk in Palästina". Diese so genannte Balfour-Deklaration, die ein Bestandteil britischer Machtsicherungspolitik im Nahen Osten war, wurde in jenen Text aufgenommen, mit dem der Völkerbund nach dem Ersten Weltkrieg Großbritannien das Mandat über Palästina übergab.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Schrecken der Judenverfolgung in Deutschland, teilten die Vereinten Nationen das britische Mandatsgebiet. In einem westlichen Streifen sollte der Staat Israel entstehen. Der andere Halbteil sollte ein arabischer Staat Palästina werden. Der Teilungsbeschluss führt schon im Gründungsjahr Israels zu einen israelisch-arabischen Waffengang. Er endet mit israelischen Gebietsannektionen und den Anschluss des restlichen arabischen Palästinas an Jordanien. Aus der Theorie des Zionismus, der Schaffung eines jüdischen Staates auf palästinensischen Boden, der "so jüdisch sein soll wie England englisch ist" (Israels erster Präsident Chaim Weizmann - 1874 - 1952), entwickelt der neue Staat Israel die Praxis einer Unterdrückung, Verdrängung der in seinen Landesgrenzen noch wohnenden palästinensischen Arabern.

SCHLIMMSTE REPRESSIONEN

Das Unterdrückungsinstrumentarium der israelischen Juden ist reich bestückt:

Die Israelis schufen sich Gesetze, die ihnen die Beschlagnahme der Ländereien von "Abwesenden" erlauben. Solche "Abwesenheit" von Arabern wird im Einzelfall hergestellt, indem das Familienoberhaupt außer Landes gewiesen wird. Für pauschale Landübernahmen schalten die Israelis den Notstandsartikel 125 dazwischen: Eine Region wird zum militärischen Sperrgebiet erklärt, die Dörfer zwangsevakuiert und die Einwohner an der Rückkehr gehindert. Nach Ablauf einer gewissen Frist werden dann die Äcker und Wiesen des Dorfes als Eigentum "Abwesender" beschlagnahmt.

Die Israelis gründeten Städte, in denen es Arabern verboten ist, zu leben oder ein Geschäft zu eröffnen. So wurde zum Beispiel in der 1965 gegründeten Stadt Carmiel nahe Haifa Arabern die Genehmigung für eine Geschäftseröffnung versagt, und die hebräische Zeitung "Ha'aretz" schrieb am 18. Februar 1972 in einem Kommentar: "Wenn die Behörden hier die Anwesenheit von Arabern zuließen, würden sie das Ziel zerstören, weswegen Carmiel gegründet wurde: die Judaisierung von Galiläa."

Sie suchten schon in den dreißiger Jahren arabische Arbeit und Waren durch Wertbegriffe wie "Jüdische Arbeit", "Jüdische Waren" vom gemeinsamen Markt auszusondern. Heute heißt in Anlehnung an die Farben der Nationalflagge die Parole: ""Kauf Blau-Weiß!"

SPRENGUNG VON HÄUSERN

Zum israelischen Repressions-Arsenal gehören kollektive Strafen - etwas das Sprengen von Häusern, in denen Araber wohnten, die als Terroristen verdächtig sind. Auf die Frage eines Abgeordneten: "Handelt das Verteidigungsministerium in solchen Fällen nach dem Grundsatz der kollektiven Verantwortlichkeit der ganzen Familie für eines ihrer Mitglieder?" antwortete der frühere Verteidigungsminister Mosche Dajan (*1915+1981) vor dem Parlament kurz und bündig mit "Ja". - Sippenhaft in Israel.

Das bei der Staatsgründung von der britischen Mandatsmacht übernommene und seither ununterbrochen angewandte Notstandsrecht - die "defense emergency regulations" - erlauben den Behörden willkürliche Verhaftungen ohne zeitliche Begrenzung, ohne Anklage, ohne Prozess. Heute sind nach offiziellen Angaben von den insgesamt 3.200 politischen Gefangenen über 1.000 Personen aus den besetzten Gebieten ohne Anklage inhaftiert. Der Staat Israel, der sich noch immer um die weltweit verstreuten Juden bemüht, hat bisher auf eine Verfassung verzichtet, so dass es in diesem Land auch keine grundgesetzlich garantierten Bürgerrechte gibt.

GEBURTENQUOTE SENKEN - ARABER

Mit bürokratischen Rassismus verfasste im Herbst 1976 der Gouverneur des Norddistrikts, Israel König, ein Gutachten für die Zurückdämmung des arabischen Bevölkerungsanteils: Er empfahl unter anderem, arabischen Jugendlichen zum Studium im Ausland zu ermuntern, ihre Rückkehr jedoch dann zu verbieten. Firmen sollte untersagt werden, mehr als 20 Prozent Araber zu beschäftigen. Den nachwuchsfreudigen Arabern sollte das Kindergeld gekürzt werden, um so die Geburtenziffer zu senken und so die bedrohte Mehrheit der Juden zu sichern. Um die gegenwärtige arabische im Lande abzulösen, sollte parallel zur regierenden israelischen Arbeiterpartei eine "Araber-Partei" besetzt mit "loyalen" Spitzenleuten ins Leben gerufen werden. Die unbotmäßigen kommunistischen Araber wollte König durch eine Dreckkampagne politisch fertigmachen. "Es ist eine Sonderkommission zu ernennen, die die persönlichen Verhaltensweisen dieser Führer und anderer als negativ zu bezeichnenden Persönlichkeiten erforschen soll, um dann die Ergebnisse dieser Recherchen der Öffentlichkeit und den Wählern mitzuteilen." Generell empfahl König gegenüber den Arabern eine Erziehung "mit Lohn und Strafe". Originalton des Gouverneurs: "Der arabische Charakter ist levantinisch und oberflächlich, er besitzt keinerlei Tiefe. Seine Fantasie ist größer als das Bemühen, durch rationale Überlegungen zu einem Ergebnis zu kommen."

VATER DES TERRORISMUS

Königs Vorschläge, durch eine Indiskretion bekannt geworden, wurden von der Mehrheit der Juden mit Beifall begrüßt. Als Barometer für die intolerante Stimmung der Mehrheit der israelischen Juden erwiesen sich die letzten Wahlen. Wahlsieger wurde der 64jährige Rechtsnationalist Menachem Begin (* 1913+1992). Der britische "Daily Express" taufte Begin wegen seiner blutigen Vergangenheit "Vater des modernen Terrorismus".

Begin, 1913 in Brest-Litowsk geboren, absolvierte das Jura-Studium und war Anführer einer nationalistischen jüdischen Jugendbewegung, eher er im Jahre 1942 von Polen nach Palästina ging. Er kam als Angehöriger des Freien Polnischen Heeres innerhalb der alliierten Streitkräfte, die gegen Hitler kämpften. Doch in Palästina sprang Begin - wie viele andere Juden ab und ging in den Untergrund. Sein Kampf galt fortan der englischen Mandatsmacht und den Arabern. Jahrelang war Begin als Kommandant der Terrororganisation "Irgun Zvai Leumi" der meist gesuchte Kopf auf den britischen Steckbriefen. 10.000 Pfund Sterling hatten die Briten auf den Untergrundführer ausgesetzt. Zu den berüchtigten Aktionen von Begin und seiner Irgun gehörte im Jahr 1946 die Sprengung des noblen King David Hotels, in dem das Hauptquartier der britischen Armee untergebracht war. 91 Soldaten fanden den Tod. Noch blutiger hausten Begins Guerillas in dem arabischen Dorf Yassin, das in der Nähe des umkämpftem Jerusalem lag. Am 8. April 1948 metzelten sie die gesamte Dorfbevölkerung nieder, weil es in der Ortschaft Widerstand gegen die jüdische Miliz gegeben hatte. Das Rote Kreuz zählte nach der Bluttat 254 Leichen - Männer, Frauen, Kinder.

NICHT BESETZER, SONDERN "BEFREIER"

Nach dem Wahlsieg zeigte Begin, dass er von unerbittlicher Härte seiner jungen Jahre noch einiges ins Alter gerettet hat. "Ich kenne keine besetzten Gebiete", erklärte er vor Journalisten, "ich kenne nur befreites Land. Was manche Westjordanien nennen, heißt in Wirklichkeit Judäa und Samaria. Das ist, wie Gaza, unser ureigenes Land. Wir haben es nicht besetzt, sondern befreit. Meine Ansichten sind nicht imperialistisch oder chauvinistisch, das ist Zionismus im reinsten und wahrsten Sinne."

KZ BERGEN-BELSEN

Durch die Abstimmungsergebnisse mochte sich Begin am Wahltag bestätigt fühlen. Wer hingegen in Israel zur Vernunft mahnt, wird und wurde ausgepfiffen. Der Universitätsprofessor Israel Shahak, 44, Vorsitzender der israelischen Liga für Menschenrechte und im Dritten Reich Insasse im KZ-Bergen-Belsen, wird nicht müde, seine Landsleute darauf hinzuweisen, dass sie sich nicht nur über die Verfolgungen in der früheren Sowjetunion kümmern müssten. In einem Artikel in der Zeitung "Ha'aretz" empfahl daraufhin der Dekan der juristischen Fakultät der Universität Tel Aviv, Amon Rubinstein, gegen Sharak solle der Artikel 11 des Staatsbürgerschaftsgesetzes angewendet werden: Danach kann Staatsangehörigkeit eines Bürger annulliert werden, wenn dieser "eine illoyale Tat gegen den Staat Israel begangen hat".

ZIONISMUS EINE FORM DES RASSISMUS ?

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen verurteilte diese Zustände mit einer Entschließung, in der es heißt, dass "der Zionismus eine Form von Rassismus und Rassendiskriminierung ist". Und für die Menschenrechtskommission der UN ist es inzwischen zu einer Daueraufgabe geworden, sich mit der Verfolgung der Araber in Israel zu beschäftigen. Allerdings: In der UNO schlossen sich pro-palästinensische Staaten der Dritten Welt und die kommunistischen Länder gegen Israel zusammen, für Israels Chefdelegierten Chaim Hertzog "eine Koalition von Diktatoren und Rassisten".

FÜR ARABER KEIN STREIK, KEINE DEMO

Indem Israel von den Arabern die Beachtung einer Gesetzgebung verlangt, die sie außerhalb der Gesetze stellt, züchtet sich der Juden-Staat seine politischen Gefangenen ständig neu heran. In den besetzen Gebieten sind palästinensische politische Parteien verboten, ebenso Gewerkschaften, kulturelle Vereine und sogar Schülerorganisationen. Den in Israel wohnenden Palästinensern ist untersagt, zu demonstrieren oder zu streiken. Selbst wenn sie aus Protest ihre Läden schließen, handeln sie sich Strafen ein.
ARABISCHE KAMPF-ATTACKEN
Die zwangsläufigen Folgen nennt der jüdische Bürgerrechtler Professor Shahak: "Es ist nur natürlich, dass ein Volk, dessen Existenz verneint wird, dem die elemen-tarsten Menschen- und Familienrechte verweigert werden, und dem jedes Recht, einen politischen Kampf zu führen, untersagt wird, andere Kampfmittel wählt, auch wenn einige Formen strengstens verurteilt werden müssen."

Doch die Araber betreiben Opposition nicht nur mit Schüssen aus dem Hinterhalt oder Sprengstoffanschlägen. Im Askelon-Gefängnis sitzen zwar Dutzende palästinensischer Terroristen. Aber verhaftet wird auch, wer eine palästinensische Fahne hisst, Parolen gegen Israel auf eine Mauer pinselt, ein palästinensiches Lied singt oder den Familien politischer Gefangenen hilft. So jedenfalls fand es der Sonderausschuss der Vereinten Nationen heraus, der die Verletzung der Menschenrechte in den besetzten Gebieten durch die Israelis untersuchte.
KEINE VORZEITIGE HAFTENTLASSUNG
Die Strafen sind hart. Allein die Mitgliedschaft in einer der verbotenen Organisationen kann zehn Jahre Knast einbringen, und in Israel gibt es keine vorzeitige Haftentlassung, Einzige Ausnahme. Arabische Jugendliche, die während der jetzt fast täglich abrollenden Demonstrationen in den besetzten Gebieten fest-genommen wurden, können von den Eltern freigekauft werden - pro Jungmann 3.000 israelische Pfund, etwa tausend Mark.

Die UNO-Menschenrechtskommission sammelte zahlreiche Zeugnisse über Folterungen, mit denen vor Prozessbeginn Aussagen erpresst werden.

Die jüdische Anwältin Felicia Langer sagte vor der Kommission aus, ihr Mandant Mohamed Atwan sei im Verhörzentrum Moscoviha so heftig geschlagen worden, dass er schwere Blutergüsse auch am Hodensack davongetragen habe.
SCHWERSTE VERBRENNUNGEN
Die Gefangenen Suleiman Elk-Najab, Ghassan El Harb und Jamal Freteh aus der Anstalt Jallameh bei Hafia trugen laut UN-Bericht schwere Verbrennungen davon, nachdem eine ätzende Flüssigkeit auf ihre Körper gesprüht worden war. Mit diesem Säurespray wurde auch der ehemalige Gewerkschaftsführer Khalie Hijazi,42. gequält. Hijazi lebte in West-Jordanien, wurde aus Israel deportiert und verdient heute seinen Lebensunterhalt als Bauarbeiter für die PLO im Libanon. Die Israelis hatten ihn verdächtigt, Waffen verborgen zu haben. Doch Beweise fanden sie nicht. Sie sperrten Hijazi auf der Verhörstation Miscoviha mit Kriminellen ein, die dem Araber brennendes Papier zwischen die Fußzehen klemmten, ohne dass die Wärter dagegen einschritten.
GEHEIMDIENSTLER
Weitaus grausamer behandeln die Juden jene Araber, denen sie tatsächlich aktiven Widerstand nachweisen können. Eines der Opfer, der 31jährige Ahmad el Hadhod, lebt heute in Beirut. Er wurde in Hafia geboren, doch seine Familie flüchtete 1948 bei der Gründung Israels ins nördlich gelegene Nablus, das bis zum Sechs-Tage-Krieg zu Jordanien gehörte. Der Vater eröffnete in der Altstadt von Nablus einen Süßigkeiten-laden. Als die Israelis 1967 Nablus besetzten, trat der junge Ahmad el Hadhod der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) bei, einer marxistisch-leninistischen Splittergruppe der PLO - damals. Ihr politisches Ziel war die Vernichtung des israelischen Staates. Ahmad erzählt: "Am 16. September 1968 wurde unser Laden umstellt, zwischen 10 und 11 Uhr stürmten israelische Geheimdienstler in das Gebäude. Ich kam die Treppe aus dem ersten Stock herunter, und die stürmenden Israelis fragten mich, wer Ahmad el Hadbod sei. Ich sagte: "Der ist draußen, ich hole ihn rein', rannte raus und flüchtete zu meinen Kameraden. Die wollte, dass ich mich stelle, damit sie nicht auch aufflogen."

KNÜPPELHART - WINDELWEICH
"Ich ging also in den Laden zurück. Als ich mich ergab, fesselten mir die Israelis die Hände und Füße und schleppten mich zu einem wartenden Landrover. Im Wagen trampelten die Polizisten auf mir herum, bespuckten mich. Die Fahrt ging zum Gefängnis von Nablus, neben dem auch das Verhörzentrum liegt, das ehemalige Rathaus von Nablus. Dort wurde ich freundlich empfangen,ein Offizier entschuldigte sich sogar für die Tritte im Landrover. Dann wurde ich verhört. Die Polizisten lockten mit dem Angebot, bei einem Geständnis bekäme meine Familie ein größeres Geschäft und ein größeres Haus. Als das nichts nützte, drohten sie, Haus und Laden meiner Eltern in die Luft zu sprengen. Am zweiten Tag nach meiner Verhaftung machten sie ihre Drohung wahr: Sie sprengten vor meinen Augen das Haus meiner Eltern, den Laden am Arjoun-Platz in der Altstadt von Nablus."
OPERATIONSFADEN UM HODENSACK
"Später wurde ich Frauen gegenübergestellt, die mich bezichtigten, ihre Söhne in die PFLP gelockt zu haben. Als man mich zurück ins Verhörzentrum gebracht hatte und ich weiter stumm blieb, begann die richtige Folter. Zuerst knallten die Polizisten mir mit der hohlen Hand auf die Ohren, bis Blut kam und ich nichts mehr hören konnte. Dann zogen sie mich aus und legten mich mit dem Rücken auf einen Tisch. Ein Polizist nahm einen längeren Operationsfaden, wie ihn Chirurgen gebrauchen, und band das eine Ende stramm um meinen Hodensack. Das andere Ende spannte er an einen Nagel, der in das Tischende geschlagen war. Dann fragten die Geheim-polizisten abwechelnd solche Fragen: 'Willst du je noch Kinder kriegen?' oder 'Du brauchst gar nicht mehr zu heiraten, wenn du nichts sagst. Wir schneiden dir die Eier ab.' Dabei zeigte mir ein Geheimpolizist ein Messer. Damit fuchtelte er über meinen Genetalien herum. In dem Moment kam ein anderer Offizier in das Zimmer und flehte ironisch: "Schneidet es ihm nicht ab, ich garantiere euch, dass er aussagen wird.'

FOLTER-GESTÄNDNISSE

Um nicht gefoltert zu werden, nannte ich diesem Offizier einige Namen von Genossen, die schon über den Jordan geflüchtet waren. Außerdem bekannte ich mich zur PFLP. Sie waren nun zufrieden und ließen mich einige Tage in Ruhe."

AM FLASCHENZUG

"Doch mit der Zeit schnappten die Israelis Genossen, die von mir Sprengstoff erhalten hatten. Nicht alle blieben in den Verhören stumm. Ich kann ihnen keinen Vorwurf daraus machen, dass sie mich bezichtigten. Aber für mich begann damit wieder die Folter. Das beliebteste und immer wiederholte Mittel war, dass man mich - nackt mit gefesselten Händen an einen Flaschenzug hoch unter die Decke zog, so dass gerade sich meine Zehenspitzen auf dem Betonfußboden standen. Entweder wurde mir dann mit einem Gummischlauch auf den Rücken geschlagen oder, auch dafür gab es einen Spezialisten, man machte kleine Kratzer und Einschnitte in meine Zehenspitzen. Die bluteten und schwollen an, während ich so an der Decke hing. Um, wie sie sagten, meine Schmerzen zu lindern, ließen sie mich herab und steckten meine Füße in eiskaltes Salzwasser. Es schmerzte bestialisch."

IN EICHMANNS 'SCHWARZER ZELLE'

In diesen Monaten wurde ich häufig in andere Gefängnisse verlegt. Schließlich wurde ich im Ramla eingeliefert. Dort kam ich in die berüchtigte 'schwarze Zelle', in der Adolf Eichmann gesessen hatte und die ferngesteuert geöffnet und geschlossen wird. Und alle drei Tage wurde dann gefoltert. Nach und nach wurden mir die Zähne einzeln ausgerissen ohne Narkose und so, dass oft noch Splitter im Gaumen blieben, der vereiterte."

"Vierzehn Monate nach meiner Verhaftung wurde mein Zustand immer schlimmer, ohne dass ich Medizin bekam. Deshalb trat ich in einen Hungerstreik. Am fünften Tag banden sie mich auf einen Stuhl und fütterten mich zwangsweise, Medizin erhielt ich trotzdem nicht. Ich magerte weiter an und schließlich konnte ich - nach einem Kreislaufkollaps - auch nicht mehr sprechen. Da verlegten mich die Wärter in den Irren-Trakt des Gefängnisses von Ramla. Erst sechs Wochen später kam ich in ein Krankenhaus. Mein rechtes Augen war inzwischen erblindet. Um mein linkes Auge zu retten, wurde ich operiert. Danach konnte ich mit diesem Auge verschwommen etwas sehen. Es erblindete freilich dann auch noch, denn am 15. Juli 1970, genau einen Tag vor der von einem Mitglied des Roten Kreuzes erwirkten Entlassung aus Krankheitsgründen schlug mir ein Polizist mit geballter Faust auf dieses Auge und zischte dabei. "Damit du nie wieder Sprengstoff sehen kannst!"

"ARABISCHE FANTASIE-PRODUKTE"

Nach der Entlassung wurde Ahmad aus Israel abgeschoben. Er ist heute total erblindet. In seinem misshandelte Kiefer trägt er Prothesen. Weitere Spezialitäten israelischer Folter sind Zellen, deren Fußböden und Wände aus derart rauem Zement sind, dass sich die Gefangenen daran die Haut aufreißen. Ferner gibt es Zellen, die mit sinnenverwirrenden Leuchtfarbe gestrichen sind. Manchmal werden von Gefangenen unter Hypnose Aussagen herausgeholt. Der Psychiater Dr. Moritz Kleinhaus hat als Zeuge vor dem Militärgerichtshof in Lod am 7. Februar 1977 zuge-geben, dass er diese Methode im Auftrage der Sicherheitskräfte praktiziert.

Für Israels führende Politiker ist der UN-Report "ohne Substanz" und "wahrheits-widrig", die Aussagen von Palästinensern tun sie als "arabische Fantasieprodukte" ab. Andererseits aber verweigern die Israelis bis dato dem Sonderausschuss der Vereinten Nationen, Untersuchungen an Ort und Stelle vorzunehmen. Die UN-Rechercheure erhalten keine Einreisegenehmigung und müssen sich damit begnügen, die Anwälte von Häftlingen anzuhören oder des Landes verwiesene Palästinenser zu befragen.

GESCHLAFEN WIRD IN SCHICHTEN

Persönlichkeiten in Israel bestätigen die Vorwürfe der UN-Kommission aus eigener Erfahrung. Dr. Antoine Dibsy, Chef der Inneren Medizin am Augusta-Victoria-Hospital in Jerusalem, behandelte arabische Studenten, die im März 1977 bei einer Demonstration von jüdischen Soldaten verhaftet worden waren. Sie hatten Knochen-brüche und zerquetschte Handgelenke: Die Soldaten hatten ihnen ihre Armband-uhren zertreten, die sich noch am Handgelenk befanden. Dr. Dibsy: "Das ist ja schon mehr als schlagen, wenn Knochen gebrochen sind."

Auch der Bürgerrechtler Professor Shahak sieht die Regierung seines eigenen Landes im Unrecht: "Der schlagendste Beweis dafür, dass in Israel Tausende von Menschen gefoltert wurden, liegt doch in der Tatsache, dass weder Gericht noch Regierung eine unabhängige Untersuchung zugelassen haben."

Wer nach Verhörphasen im Gefängnis landet. ob mit oder ohne Folter, ob mit oder ohne Urteil, für den beginnt in jedem Fall ein jahrelanges Martyrium. Manche Gefängnisse, zum Beispiel die Anstalt von Nablus, sind so überbelegt, dass nur schichtweise geschlafen werden kann. In den meisten Haftanstalten fehlen Betten oder Matratzen. Die Gefangenen müssen auf dem Boden schlafen. Forderungen des Roten Kreuzes, für die Gefangenen Bettgestelle bereitzustellen, haben die Israelis bisher mit dem Argument abgelehnt, daraus ließen sich Waffen machen. Die medizinische Versorgung ist schlecht, das Essen miserabel. Aus Sicherheitsgründen werden den arbabischen Gefangenen vitaminreiche Zitronen, ein Hauptbestand ihrer normalen Ernährung, gänzlich vorenthalten: Mit Hilfe von Zitronensaft lassen sich unsichtbare Kassiber schreiben.

Selbst General Haim Levi, der Leiter der zentralen Gefängnisverwaltung in Israel, gibt zu, dass die Zustände in den Anstalten unzumutbar sind. Haim Levi ist ein alter Haudegen, die zwei farbigen Streifen an seiner Uniform weisen ihn als Teilnehmer an zwei israelisch-arabischen Kriegen aus. Er entschuldigt die Zustände in den Gefängnissen: "Wir haben das Problem der Überbelegung, aber das gilt auch für die kriminellen Gefangenen." - Seit Jahrzehnten ein Dauerzustand.