Mittwoch, 22. Juni 1977

Lettland: Unter roten Zaren von einst - Millionen Häftlinge in Tausenden von Lagern verbannt






















stern, Hamburg
vom 22. Juni 1977
von Erich Follath und
Reimar Oltmanns

Die Szene hätte sich an der Klagemauer in Jerusalem abspielen können: Juden, die im Dritten Reich von Nazis verfolgt wurden, singen alte hebräische Lieder und tanzen im Halbkreis. Ein Rabbi, um den sich eine Menschentraube gebildet hat, fordert an Ort und Stelle ein Mahnmal, das an die Gräueltaten der Nazis erinnern soll.

Doch diese Juden , die sich hier versammelt haben, leben nicht in Jerusalem, ihre Zwangsheimat ist die lettische Hauptstadt Riga, und in Riga ist eine De-monstration nationaler Minderheiten verboten. Polizisten sprengen die friedliche Veranstaltung. Offiziere des sowjetischen Geheimdienstes KGB foto-grafieren die Teilnehmer. Einer von ihnen ist der 55jährige Jacob Raskin. Als der Ingenieur versucht, Polizisten von der Verhaftung des Rabbi abzuhalten, ruft ihm ein Mann zu: "Das werden Sie noch bereuen!"

VERBOTENE DEVISEN

Am nächsten Tag trifft Raskin zufällig einen lang-jährigen Freund in der Kaleju-Straße. Der bittet ihn, da er in Eile sei, doch ein paar Bücher, die er bei sich habe, in die Staatsbibliothek zu bringen. Kaum hat Raskin die Büchertasche in der Hand, treten zwei Männer auf ihn zu. Sie weisen sich als Offi-ziere des "Komitees für Staatssicherheit" aus. In der Tasche, die durchsucht wird, befinden sich 3.000 US-Dollar - in der Sowjet-union verbotene Devisen. Das Urteil für den arglosen Raskin: drei Jahre Arbeitslager ohne Bewährung.

UMERZIEHUNG

Das Arbeitslager OZ 78/7, in dem Raskin interniert wird, liegt zwölf Kilometer östlich von Riga. Es ist eines von rund 1.000 KZs, die sich die Sowjetführung leistet, um ihre Häftlinge "umzuerziehen" - so heißt das offiziell. Im Lager OZ 78/7 trifft Raskin auf den 44jährigen Olafs Bruvers. Der Taxifahrer hatte es gewagt, mit seinen Fahrgästen über Glaubensfreiheit und Menschenrechte zu diskutieren. Das Urteil gegen ihn: sechs Monate ohne Bewährung.

GEFANGENEN-FRIEDHOF

Raskin und Bruvers leben heute im Westen. Ihren Freund Wassilij Ediger ließen sie zurück; auf dem Gefangenen-Friedhof von Riga. Das einzige, das heute an ihn er- innert, ist eine quadratische Grabtafel aus Holz, auf der seine Häftlingsnummer 1214/13 eingeritzt worden ist. Er starb im Herbst 1975 an "Herzversagen". So jedenfalls teilte es die Lagerleitung der Familie mit.

UNTER-ERNÄHRUNG


Tatsächlich litt Ediger an chronischer Unterernährung. Die Steineschlepperei in der Baubrigade hatte er nicht mehr durchgehalten. Ausreichendes Essen gab es nicht, ein Arzt war nicht zur Stelle, als der Ausgemergelte zusammenbrach. Wenige Stunden später war er tot.

Drei Schicksal von 1,2 Millionen. So viele Häftlinge sind in der Sowjetunion unter unwürdigen Bedingungen eingekerkert. Nach Berichten der amerikanischen Regierung , die mit den Recherchen der Gefangenen-Hilfsorganisation amnesty international überein-stimmen, sind davon mehr als 10.000 politische Häftlinge. Ihr einziges "Verbrechen": Sie glauben und denken anders, als es die Partei befiehlt.

ENTSPANNUNGS-FEINDE

Politische Gefangene, die nach ihrer Haft in den Westen ausreisen durften und ihre Augenzeugen-Berichte veröffentlichten, werden in der Sowjetunion als "Lügner und Entspannungsfeinde" diffamiert. Die sowjetische Führung - ob früher Nikita Chruschtschow (1894-1971) oder später Leonid Breschnew (1906-1982) behauptet aber: "In der Sowjetunion gibt es keine politischen Gefangenen."

Auch als im Dezember 1975 ein unter größten Gefahren gedrehter Amateurfilm vom Arbeitslager OZ 78/7 bei Riga im französischen Fernsehen ORTF gesendet wurde und der stern (Nr. 1/1976) die Bilddokumente ver-öffentlichte, erklärte die Sowjetführung: "Der Film ist eine Fälschung." Dieses Dementi nahmen den Moskauer Kommunisten damals nicht einmal ihre französischen Parteigenossen ab. KPF-Chef Georges Marschais (1920-1997) ging bewusst auf Kollisionskurs mit Moskau, als er feststellte: "Diese Tatsachen können dem Sozialismus Schaden zu fügen."

NEUE FILMDOKUMENTE

Wie recht Georg Marschais hat, beweisen neue Film-dokumente, die der stern als erste westliche Zeitschrift veröffentlicht. Sie zeigen das Lager von Riga ein Jahr danach. Wieder gelang es unbekannten Amateur-filmern, sich unter Lebensgefahr an das Lager OZ 78/7 heranzuschleichen und den Alltag der Gefangenen im Bild festzu-halten. Der 16-mm-Streifen wurde von Freunden in den Westen ge-schmuggelt. Der Film beweist: OZ 78/7 ist in den letzten zwölf Monaten zu einem perfekten Konzentrationslager ausgebaut worden.

RHETORIK

Und das in jener Zeit, in der sich die sowjetische Re-gierung auf dem internationalen Parkett mit Ent-spannungs-Rhetorik zu profilieren sucht. Rechtzeitig zur zweiten "Konferenz für Sicherheit und Zusammen-arbeit in Europa (KSZE)", die am 15. Juni 1977 in Belgrad begonnen hat, präsentierte die KPdSU-Spitze der Weltöffentlichkeit eine neue, "liberale" Verfassung, Sie garantiert dem 225-Millionen-Volk - auf dem Papier - die klassischen Bürgerrechte: Recht auf freie Meinungsäußerung, Demonstrationsfreiheit, Glaubensfreiheit und "Unantastbarkeit im Briefverkehr und bei Telefongesprächen".

AUFGUSS DER STALIN-VERFASSUNG

In Wirklichkeit sind die als Jahrhundertwerk gefeierte Gesetzestexte ein Aufguss der Stalin-Verfassung von 1936, die ebenfalls Freiheiten versprach. Doch auch heute wie damals, gilt: "Die Ausübung dieser Rechte und Freiheiten durch die Bürger darf die Interessen der Gesellschaft und des Staates ... nicht verletzten." Und nur die Partei bestimmt, wer "die Interessen der Gesellschaft" verletzt. Und das Strafrecht ermächtigt den Staatsapparat, politische und religiöse Dissidenten zu verhaften und abzuurteilen.

Die sowjetische Verfassungswirklichkeit, die Regime-Gegner in den Untergrund zwingt und Dissidenten an der Ausreise hindert, widerspricht eindeutig der Schluss-akte der ersten KSZE-Tagung in Helsinki. Bei der Unterzeichnung im August 1975 hatte Parteichef Leonid Breschnew (1964-1982) zugesagt, den "freien Austausch von Gedanken in Informationen und Meinungen" zwischen der UdSSR und den westlichen Staaten zu verwirklichen. Amerikanische Kritik, Moskau sei "weit unter den Abmachungen von Helsinki geblieben" und wende die Menschenrechte "willkürlich" an, wies der KP-Chef stets entrüstet und mit der Begründung von sich, in der Sowjetunion gebe es keine Straflager, sondern nur "Erziehungskolonien".

"ERZIEHUNGSKOLONIEN"

Der Tag der 1.500 Häftlinge in der "Erziehungskolonie" Riga OZ 78/7 beginnt, so bekunden ehemalige Insassen, um 5.30 Uhr. Die Strafgefangenen müssen zum Zähl-Appell aus ihren Baracke heraustreten. An den Türen gibt es jeden Morgen ein Gedränge. Die Unterkünfte sind hoffnungslos überbelegt. Mehr als 50 Mann hausen jeweils in einem Schlafraum, der für zwölf bestimmt ist.

Auch im Essens-Saal ist der Platz knapp. Die zwei Tassen wässriger Hafersuppe schlürfen die meisten im Stehen hastig herunter. Die Wachposten , die Maschinenpistolen über der Schulter, treiben zur Eile. Die Armee-Lastwagen warten. Es ist sieben Uhr. Der Menschentransport beginnt.

ABGERICHTETE HUNDE

Langsam schieben sich die Laster, auf denen jeweils 50 Gefangene zusammengepfercht hocken, bewacht von abgerichteten Hunden, durch den Haupteingang des Lagers. Vorbei an Militärposten mit Maschinenpistolen im Anschlag, vorbei an Stacheldrahtverhauen und den neuen hohen Holzzäunen. Durch Stadtbezirke Rigas geht es über die "Krustpils lela", zu deutsch "Kreuzburg-straße", hinaus nach "Incukalna", einem Fabrikgelände mit Sägewerk und Holzlager.

Ob im heißen Sommer oder im bitterkalten Winter, für die Verbannten von Riga gibt es keinen Unterschied. Sie müssen neun Stunden pro Tag im Freien schuften - dazwischen liegen knappe 15 Minuten Pause. Die Sträflinge haben nur ein Ziel: die hohen Arbeitsnormen einzuhalten. Darüber wacht ein Soldat mit Stoppuhr und Notizbuch.

KNOCHENARBEIT

Für die Knochenarbeit bekommen die Gefangenen 50 Kopeken pro Tag. Das sind nicht einmal zwei Mark. Von diesen zwei Mark werden 1,60 Mark für das Essen abgezogen.

Moskaus Parteifunktionäre planen die Arbeit der Gefangenen in ihren Wirtschaftsprogrammen fest ein. Gäbe es sie nicht, würden in Riga die supermo-derne "Popow-Elektrofabrik", das neue Brotkombinat und die Wasserversorgungsanlage nicht stehen. Die sowjetische Zeitung "Kasachstanskaja Prawda": "Die von Gefangenen verrichtete Arbeit ist Schwerarbeit, und die Produktionsnormen sind maximal. Eine Arbeits-kolonne ist kein Erholungsheim. Hier muss gearbeitet werden. Im Schweiße des Angesichts."

MARX UND LENIN-TEXTE AUSWENDIG

Um 17 Uhr sollen die Laster zurück ins Lager. Schon eine halbe Stunde später beginnt der politische Unterricht. Unteroffiziere lesen aus den Werken von Marx und Lenin, lassen Texte aufsagen und klopfen immer wieder die politische Gesinnung ab. Kommt die Rede auf die Menschenrechte, dann fallen Sprüche, wie sie der Bewacher Ljubajew vor Häftlingen äußerte: "Menschenrechte? Das ist etwas für Neger!"

Wer sich nicht parteifromm verhält, muss mit harten Strafen rechnen. Familienbesuche, ohnehin nur alle sechs Monate erlaubt, werden gestrichen. Die Essensrationen, durchschnittlich 1.800, manchmal sogar nur 1.300 Kalorien pro Tag, werden um die Hälfte gekürzt - zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig. Nach allgemeingültiger Ansicht benötigt ein körperlich schwer arbeitender Mensch weit über 3.000 Kalorien.

ZU SAUL IN DIE SPEZIALKLINIK

Wer im Lager aufmuckt, kommt zu Saul in die "Spezial-klinik". Schon sein Name sorgt im Lager für Angst und Schrecken. Denn "Saul mit den Sechs-Unzen-Boxhand-schuhen", wie er wegen seiner Lieblings-Werkzeuge Lager-intern genannt wird, kann die Geschundenen körperlich so quälen, dass keine sichtbaren Spuren zurück-bleiben. Bei der Umerziehung "ist jede beliebige Maßnahme und Methode der pädagogischen Einfluss-nahme einzusetzen" - so steht es in de 1972 verfassten Erläuterungen der sowjetischen Gesetzgebung.

SCHWERE ARBEITSUNFÄLLE

Das Arbeitslager OZ 87/7 ist berühmt für seine "Feldscher". So werden in der Sowjetunion jene Hilfskräfte genannt, die ohne jede medizinische Ausbildung an kranken Gefangenen herumdoktern. Oft sind die "Feldscher" selbst Gefangene, die, weil es kein geschultes ärztliches Personal gibt, Sprechstunden abhalten. Dabei wäre gerade in Riga Mediziner dringend nötig, denn fast täglich passieren im Sägewerk "Incukalna" schwere Arbeitsunfälle. Die Männer arbeiten ohne den geringsten Sicherheitsschutz: keine Helme, keine Handschuhe, keine Schutzbrillen.

Die Einwohner von Riga wissen von alldem gar nichts. Kontakte zwischen der lettischen Bevölkerung und den Lagerinsassen weiß der Staatsapparat zu verhindern. Er setzt als Wärter nämlich Angehörige sowjetischer Nationalitäten ein, die nicht Lettisch sprechen können und oft auch nicht Russisch. Die Auswahl des Wach-personals hat Methode: In Riga tun Mongolen ind Tscherkessen Dienst. Dafür dient Wachpersonal aus Riga im sibirischen Wladiwostok.

JAHRE DANACH - ALBTRÄUME

Nur Offiziere des KGB können mit den Gefangenen sprechen. KGB-Chef in Riga ist Oberstleutnant Berzins, ein 48jähriger Mann mit stahlblauen Augen und einem pausbäckigen Gesicht. Er beschäftigt sich mit besonders gravierenden "politischen Fällen". Eine Zutat seiner Verhör-Methodik: "Reden Sie, solange wir Ihnen dazu noch Gelegenheit geben! Sonst werden Sie eines Tages froh sein, überhaupt noch sprechen zu können." Manche Häftlinge aus Riga haben noch Jahre nach ihrer Entlassung Albträume an Oberstleutnant Berzins.

Der sowjetische Fortschritt zu höherem "Ruhm und Ehre der Arbeiterklasse" ist nicht aufzuhalten - auch nicht im Arbeitslager OZ 78/7 von Riga. Zierten letztes Jahr noch Bäume und Sträucher den Weg zum Lager, so haben heute Bulldozer die Sicht freigeräumt. Damit haben die Wachen die Lagerumgebung unter totaler Kontrolle. Die Lastwagen sind neuerdings mit zwölf Millimeter dicken Stahlplatten abgedichtet, um den Menschentransport vor den Augen Neugieriger zu verheimlichen.

VARIANTE DES "FORTSCHRITTS"

Letzte Variante des technischen Fortschritts - eine haushohe stabile Holzwand, zugleich Barrikade, versperrt den Gefangenen jeden Blick in die Außenwelt. Riga im Sommer des Jahres 1977. OZ 78/7 ist eines der fünf Arbeitslager der Stadt - und es ist trotz allem noch das humanste. Die Gefangenen in den anderen Lagern müssen noch härter arbeiten, dürfen noch weniger schlafen, bekommen nur eine Schachtel Zigaretten pro Woche. Besuch dürfen sie nie empfangen. Und da es sich um "Lager der verschärften Kategorie" handelt, ist an Entlassung nicht zu denken.






































































Mittwoch, 8. Juni 1977

Folter in dieser Welt - Jeder kann der nächste sein











































































Brasiliens Chef-Folterer Sergio Fleury von der II. Armee als Kapitän verkleidet
auf dem Karneval in Sao Paulo; sein Torture-"Kollege" namens Ackerknecht aus Chile. Ob Polizisten China oder US-Soldaten im Irak im Jahr Zweitausend - allemal gilt ... ...

"Wer gefoltert wurde, kann in dieser Welt nicht mehr heimisch
werden"
Jean Améry, österreichischer Schriftsteller (*1912+1978)

stern, Hamburg
8. Juni 1977
von Reimar Oltmanns

Folter ist für den österreichischen Schriftsteller Jean Améry "das fürchterlichste Ereignis, das im Gedächtnis eines Menschen zurückbleibt", für den französischen Philosophen Jean-Paul Sartre (*1905+1980 ) "der Striptease des Humanismus". Und für den deutschen Bundesminister Hans Matthöfer ( 1974-1982, *1925+2009 ) sind "die Machthaber, die Menschen foltern lassen, ehrlose Lumpen, schmutzig bis in den letzten Winkel ihrer verrotteten und verlausten Seelen."

FOLTER ALS STRAFVOLLZUG

Wäre Matthöfers Ansicht für die praktische Politik der sozial-liberalen Koalition in Bonn (1969-1982) maßgeb-lich, müsste die Bundesregierung zu mindestens 60 Staaten ihre diplomatischen Beziehungen abbrechen. Fakten der UNO-Menschenrechtskommission und der weltweiten Gefangenen-Hilfsorgsanisation amnesty international belegen, dass in 60 Ländern der Welt die Folter zum Strafvollzug gehört.

Nicht nur in Polizeistationen, Kasernen, Kranken-häusern und Gefängnissen auch in Prunkvillen einiger Staatspräsidenten überbieten sich Verhörer und Folterer gegenseitig, wehrlose Opfer Schmerzen zuzufügen. So in der Residenz des Diktators von Nicaragua, General Anastasio Somoza Debayle (1925-1980).

Noch nie mussten so viele Menschen Torturen ertragen wie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Noch nie wurde die Folter zur Durchsetzung tagespolitischer Interessen der jeweiligen Machthaber so brutal eingesetzt wie in unserer Zeit.


ANLEITUNG ZUR MENSCHENHATZ

Folter bleibt keinem Zufall überlassen, sie hat System. Die Schreckensvision, man könnte der Nächste sein, ist ein innenpolitischer Ordnungsmechanismus, der in diktatorischen Ländern die rechtlose Bevölkerung nach Belieben willfährig macht und jedwede öffentliche Kritik - sei es nur an sozialen Missständen - im Keim erstickt. Die Anleitung zur Menschenhatz lieferte der französische Militärhistoriker Roger Trinquier ( 1908-1986) schon im Jahre 1961, als er die Folter in das System der modernen Kriegsführung einbezog: "Der Terrorist muss begreifen, dass er, wenn er gefangengenommen wird, nicht wie ein gewöhnlicher Verbrecher behandelt werden kann, noch wie ein Gefangener auf dem Schlachtfeld ..."

SUBKULTUR DES TERRORS

Folter hat sich zu einer weltweiten "Subkultur des Terrors" entwickelt, wie das amerikanische Nach-richtenmagazin "Time" schreibt, mit eigener Sprache, mit eigenen Ritualen, mit eigenen spiritistischen Sitzungen. So müssen die Geschundenen im persischen "Komitee-Gefängnis" genau wie im Verhör-zentrum der II. brasilianischen in Sao Paulo und in Chiles berüchtigter "Villa Grimaldi", die im Zentrum der Hauptstadt Santiago liegt, ihre Peiniger mit dem Titel "Doktor" ansprechen. Aus Hauptmann Orlando Manso Duràn (Chile), genannt "Paleface" (Bleichgesicht), wird Dr. Duràn. Aus dem Kriminalrat Sergio Fleury, Verbindungsmann zwischen dem brasiliani-schen Geheimdienst und den illegalen Todesschwadronen, die Oppositionelle verschleppen und töten, wird Dottore Fleury. Selbst die größte Zeitung des Landes, der "Estado Sao Paulo", tituliert ihn so vorsichtshalber voller Res-pekt. In den Folterräumen der II. brasilia-nischen Armee in Sao Paulo versucht man, Regime-kritiker unter Todesqualen den "subversiven Geist" auszutreiben - eine Art "geistiger Selbstreinigung", die den Teufelsaustreibungen religiöser Fanatiker ähnelt.

NEUNTE SYMPHONIE VON BEETHOVEN

Der Folterer suggeriert seinem Opfer, er, der Folterer sei eine "magische Gestalt" mit übernatürlichen Kräften. Nach stundenlangen Verhören mit Peitschenhieben und Elektroschocks unterbrochen, wird der Gedemütigte auf eine Eisenpritsche gelegt und gefesselt. Der Raum wird abgedunkelt. Jetzt beginnt der zweite Teil, Hypnose. Aus Lautsprechern, die im Verhörzimmer dafür instal-liert worden sind, ertönt in Intervallen rhythmische Soulmusik oder expressive Passagen aus der Fünften und der Neunte Symphonie von Beethoven. Im Stil eines Exorzisten macht sich der Scherge an die Arbeit. Er versetzt sein Gegenüber in einen Trancezustand. Darin soll das Opfer seine Schuld bekennen, mit Kommunisten und anderen Oppositionellen zusammenzuarbeiten und Namen sowie Adressen sogenannter Staatsfeinde verraten. Wenn diese Methode nichts hilft, werden wieder 120-Volt-Stromstöße durch den Körper gejagt, und nach einer Pause beginnt die Hypnose von vorn.

WUNSCHWELT DER PEINIGER

Folterer leben in einer Wunschwelt, in der sie negative Reizwörter, die sie an Brutalität und Sadismus erinnern müssten, zu positiven Begriffen ummünzen. Die "Villa Grimaldi" heißt für die chilenischen Menschenquä-ler "Villa des Gelächters" (Palacio de la Risa). Und in Persien, wo an die 100.000 politische Gefangene die Haftanstalten füllen, werden blutverschmierte Folter-kammern "Marschierer-Zimmer" genannt. Denn nach den Tortouren müssen die Geschundenen in der Zelle auf und ab gehen. Die Gefängnisärzte befürchten, ihre total erschöpften "Patienten" könnten an einem Kreislaufkollaps sterben, wenn sie sich nicht bewegen.
SPITZNAMEN DER SCHERGEN
Spitznamen sollen die wahre Identität der Folterknechte verbergen, die die meisten von ihnen nicht preisgeben wollen. "Der Lange" oder "Der Schnauzbart" spielen auf ihr Äußeres, "El Aleman" (Der Deutsche), "Cara de Culebra" (Schlangengesicht) oder "El Carnicero" (Der Schlächter) auf Brutalität und Sadismus an.
Folter waren für Briten Anthony Storr (1920-2001), einst renommierter Professor für klinische Psychiatrie in Oxford, Menschen, "die nicht primär boshaft und sadistisch sind". Doch ihr jahrzehntelanges Kasernen-leben - mit Drill, Gehorsam und eingebläuter Ideologie - haben aus einem durchschnittlichen Welt- ein gefähr-liches Feindbild entstehen lassen, bei den meisten ein Schwarz-Weiß-Muster, das nur Gut und Böse zulässt. Nur deshalb konnte sich der griechische Ex-General Stylianos Pattakos zu der Behauptung hinreißen lassen: "Kommunisten sind Bestien. Wir machen keinen Unterschied zwischen Menschen und Menschen, nur zwischen Menschen und Bestien." Der Schauspielerin Melina Mercouri (1920-1994), die sich seinerzeit im Jahre 1967 entschieden gegen die folternde griechische Militärjunta stellte, entzog Pattakos in seiner Eigenschaft als Innenminister die griechische Staatsbürger-schaft. Melina Mercouri entgegnete: " Ich wurde als Griechin geboren und werde als Griechin sterben. Herr Pattakos wurde als Faschist geboren und wird als Faschist sterben."
QUALITÄT DES SCHRECKLICHEN
In den meisten Armee rangiert der Folterer am untersten Ende der Rangskala. Für den Verhörer ist er ein Lakai, der Informationen herauszuquälen hat. Das vorherrschende Leistungsprinzip. "welcher meiner Jungs foltert am besten", soll die Qualität des Schreck-lichen garantieren. Das ist ihre Umwelt - ihr Milieu -, in der junge Unteroffiziere die grausame Absurdität, Andersdenkenden Schmerzen und Demütigungen zuzufügen, als alltägliche Banalität empfinden. Anthony Storr: "Folterer sind hierarchisch denkende Menschen, die Befehle suchen und akzeptieren. Sie gehor-chen, ohne zu fragen." Ihr "Handwerk" ist ein Routine-Job, der harmlosere Berufe geradezu parodiert" ("Time"). Der amerikanische Missionar Fred Morris ist 17 Tage in der brasilianischen Hafenstadt Recife ge-foltert worden. Er berichtet: "Diese Leute kamen um neun Uhr morgens und gingen nachmittags um fünf. Der einzige Unterschied war, dass sie mit Folter ihr Geld verdienten. Ein gewisser Major Maja sagte vor der Tor-tur stets zu mir: "Ich bin ein Christ, der jeden Morgen in die Messe geht."
Eine Studie der Gefangenen-Hilfsorganisation amnesty international charakterisiert den Folter-Typ der sieb-ziger Jahre als jemanden, "der seine eigenen Konflikte und Fantasien durch die Vernichtung anderer auslebt." So hat die institutionelle Grausamkeit ihre unkontrol-lierbare Eigengesetzlichkeit, die Sadismus heißt.
MACHT ÜBER MENSCHEN
Der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker und Philosoph Erich Fromm (1900-1980) sieht im Sadis-mus "die Leidenschaft, absolute Macht über Menschen zu gewinnen." Sein amerikanischer Kollege Philipp P. Hallie: "Grausamkeit ist der Prozess der Zerstörung jener Verhaltensmuster, die für gewöhnlich die Lebens-form des Opfers bestimmen." Und Jean-Paul Sartre schreibt: "Man will den, der unter Folter nachgibt, nicht zum Sprechen zwingen, man drückt ihm einen Stempel auf: den des Unmenschen."
"Das darf nie wieder passieren", sagten im Jahre 1948 - nach Hitlers Konzentrationslagern - die 51 Unter-zeichner-Staaten der Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen: "Niemand darf der Folterung, unmenschlichen oder erniedrigenden Strafen unter-worfen werden." Heute haben fast alle Staaten diese Erklärung unterschrieben.
FEIERLICHE LIPPEN-BEKENNTNISSE
Doch die feierlichen Lippenbekenntnisse sind so viel wert wie die voreilige Fest-stellung des französischen Romanciers Victor Hugo (1802-1885), der 1874 in Paris glaubte: "Die Folter hat immer aufgehört zu existieren." Hugos Optimismus entsprach dem Zeitgeist des 19. Jahrhunderts, der durch Aufklärung, Vernunft und menschlichen Fortschritt geprägt war. Liberale und humanitäre Ideen des aufsteigenden Bürgertums gewannen auf die Gesetzgebung ihres Länder großen Einfluss.
SEIT 1740 SIND TORTUREN VERBOTEN
In Frankreich waren schon während der Revolution von 1789 die Menschenrechte und die Abschaffung der Fol-ter für immer proklamiert worden. Das französische Strafgesetz reihte den Folter in dieselbe Kategorie wie den Mörder, in dem es die Folter als Kapitalverbrechen qualifizierte. Und in Preußen gab Friedrich II. (1712-1786) dem Drängen deutscher Juristen nach: Bereits 1740 wurde Folter verboten. Dies galt jedoch nicht bei Mord, Hochverrat und Majestätsbeleidigung.
RÜCKBLICK AUF FOLTER-GESCHICHTE
Folter ist in der Geschichte der Völker des Westens all-gemein üblich gewesen; vor allem in Kriegszeiten und in Phasen sozialer Spannungen. Zwar untersagten die alten Griechen und Römer die Folter vor Bürgern, doch in Athen galt die Zeugenaussage eines Sklaven vor Ge-richt als nicht vertrauenswürdig, wenn sie nicht heraus-gefoltert worden war. Und im republikanischen Rom gerieten immer mehr freie Bürger in die Daumen- und Beinschrauben eines tyrannischen Willkür-Regimes. Die Folterung der frühen Christen wurde angewandt, um die Gläubigen zum Widerruf ihres Glaubens zu zwingen. Nachdem das Christentum über die Tempelkaiser obsiegt hatte (313 nach Christus), widersetzte sich die Kirche weitgehend der Folterpraxis.
Doch Ende des 11. Jahrhunderts erlebte die Folter ihre Renaissance. Die vergessen geglaubten römischen Gesetze de quaestionibus (Befragungen) wurden aus der Schublade geholt. Im 13. Jahrhundert stand die Folter im Ruf, den "Beweis aller Beweise" hervorzu-bringen. Die "Befragung" war in verschiedenen Stufen klassifiziert: den gewöhnlichen, außergewöhnlichen, vorbereitenden und einleitenden Grad. Justizbeamte, die auch als öffentliche Henker fungierten, verhörten ihre Opfer in speziellen Kammern. Sie saßen mitten unter den zahlreichen Foltergeräten, notierten sorgfältig die Zeitdauer, Gewichte und Maße der Torturen. Zum Schluss fertigten die Staatsdiener peinlich genau ein Protokoll des Geständnisses an.
KATHOLISCHE KIRCHE - EIN PATE DER GEWALT
Abweichende Lehrmeinungen (Häresie) vom Dogma der Römisch-Katholischen Kirche riefen auch den Klerus auf den Plan, sich an den grausamen Folterpraktiken zu beteiligen. Die Kirche argumentierte damit: Wenn schon der Staat seine gewöhn-lichen Verbrecher foltere, warum sollte dann das viel schwerere Vergehen der Häresie nur mit einer geistigen Strafe (Buße) belegt werden, wie es der Heilige Augustinus ( 354-430) ge-fordert hatte. Mit ihrem machtvollen Untersuchungs-instrument "Inquisitio" begann die berüchtigte Men-schenjagd im Mittelalter.
Papst Gregor IX. erklärte 1231 die Inquisition zu einer "päpstlichen Einrichtung" und bestellte Franzis-kaner- sowie Dominikaner-Mönche zu seinen Schergen. Sie folter-ten die sogenannten "Leugner" der römisch-katholischen Lehrmeinung, warfen die Verfolgten in Kerker oder schicken sie in den Feuertod. In Deutsch-land wurde die Inquisition 1484 auch auf das "Hexenwesen" ausgedehnt.
Folter galt im Alten Rom wie auch im 20. Jahrhundert als "legitime Verteidigung der souveränen Macht" gegen seine Widersacher, Folter sei nichts anderes als die direk-teste Form der Herrschaft eines Menschen über den anderen, die das eigentliche Wesen der Politik aus-mache.
WELTWEITES KARTELL - EFFEKTIV UND BRUTAL
Heute arbeitet das weltweite Folterkartell effektiver und brutaler denn je. Um in ihren Diktaturen Macht und Privilegien zu verteidigen, schieben Staaten wie Chile, Brasilien, Südafrika und der Iran das zweifelhafte philosophische Argument des "geringeren Übels zum höheren Wohl" vor, für das sich jüngst sogar Nieder-sachsens CDU-Ministerpräsident Ernst Albrecht (1976-1990) erwärmen konnte.
In seinem Buch "Der Staat - Idee und Wirklichkeit" hatte Albrecht dem Staat unter Umständen das Recht zugestanden, gegen das Verbot grausamer, unmensch-licher Behandlung und insbesondere der Folter zu ver-stoßen. Beispielsweise könne es sogar "sittlich ge-boten" sein, eine Information "durch Folter zu er-zwingen", sofern dies wirklich die einzige Möglichkeit wäre, ein namenloses Verbrechen zu ver-hindern". Nach heftiger Kritik von dem Schriftsteller Heinrich Böll (1917-1985) nahm Christdemokrat Albrecht seine Buchpassage zurück. Er wollte nicht mit den Folter-Ländern in einem Atemzug genannt werden.
WILLEN SCHNELL BRECHEN
Neue Technologien mit raffinierten Apparaten versetzen die Folterer heute in die Lage, den Willen eines Men-schen in wenigen Stunden zu brechen. Führend in der Entwicklung neuer Foltermethoden ist Brasilien. Export-schlager seines Landes ist die mörderische Papa-geienschaukel, mit der es in allen faschistischen Län-dern Furore machte. Nachdem vornehmlich in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts fast der ganze südamerikanische Kontinent die brasilianischen Methoden kopiert hat, will auch der Iran seine mittel-alterliche Foltermethode - Flaschen in den After schieben, Gewichte an den Hoden hängen - abschaffen und statt dessen die Papageienschaukel einführen.
EUROPA MACHT TORTUREN SALONFÄHIG
Es waren die Europäer, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Folter wieder salonfähig machten. Die Portugiesen in ihrem damaligen Kolonialgebiet Angola, die Fran-zosen im algerischen Befreiungskrieg. Der französische Oberbefehlshaber General Jacques Massu (1908-2002) tönte damals: "Dosierte Elektroschocks degradieren keineswegs die Persönlichkeit." Die Amerikaner be-gannen in den fünfziger und sechziger Jahren ihre Foltererfahrungen aus den Korea- und Vietnamkriegen wissenschaftlich zu analysieren. Sie hatten zum Beispiel in Vietnam Gefangene monatelang, manchmal jahre-lang in sogenannte Tigerkäfige eingesperrt. Häftlinge wurden in Verliese gesperrt, in denen sie weder stehen noch sich bewegen konnten. Die Ergebnisse dieser Folteranalysen werden heute im kalifornischen Trainingslager Warner Springs für die eigenen Eliteeinheiten und im US-Ausbildungscamp "Fort Gullick" (bis 1984) in der damaligen Panama-Zone für die süd-amerikanischen Staaten ausgewertet. Nach Panama schickte Südamerika seinen Offiziersnach-wuchs. Chiles Diktator Augusto Pinochet (1973-1990 ) und Argen-tiniens Junta-Chef Jorge Videla (1976-1981) zählen zu den besten Schülern des US-Drills.
Aber auch vor Ort waren die US-Spezialisten noch vor einem Jahr aktiv. Sie fuhren zum Beispiel nach Rio de Janeiro, wo sie brasilianischen Armee-Offizieren Folter-ratschläge erteilten. Vietnam-Soldaten berichteten über Verhör- und Foltertech-niken, Filme und Diapositive illustrierten Quälpraktiken.
DDD-SCHEMA
Die Perfektionierung tiefen-psychologischer Folter ist heute schon eine eigenständige Wissenschaft. Das klassische Manipulationsschema "DDD" - Dependency, Debility, Dread (Abhängigkeit, Erschöpfung und Schrecken) - ist die gängigste Gebrauchsformel, nach der der Folterer seine Opfer unter Kontrolle bekommt.
DEM PEINIGER DANKBAR
Zunächst werden den Gefangenen Nahrungsmittel, Schlaf und jeder menschliche Kontakt entzogen. Die Folge: Der Peiniger wird in diesem anomalen Milieu zur einzigen Kontaktperson. Der Geschundene verliert jeden sozialen Bezug und seine Widerstandsfähigkeit. Für gelegentliche Ruhepausen, in denen der Folterer für kurze Zeit zum mitfühlenden Zuhörer wird, ist der Gefangene seinem Peiniger bald dankbar und fühlt sich ihm sogar verpflichtet. Gefälligkeiten ("Ich werde für dich tun, was ich kann") oder scheinbare Vergünsti-gungen (Zigaretten) bewirken schließlich die totale Abhängigkeit vom Folterer.
VERGEWALTIGER - SEXUALPATHOLOGE
Iranische Augenzeugen, die anonym bleiben wollen, schilderten amnesty inter-national eine Szene aus dem Ewin-Folterzentrum in Teheran. Ein jähriges Mädchen. das verhaftet worden war, weil zwei ihrer älteren Brüder, Studenten an der Teheraner Universität, am Schah-Regime Kritik geäußert hatten, sah ihre Eltern nach einem halben Jahr zum ersten Mal wieder. Die Tochter war einkassiert worden, um mehr Informa-tionen über ihre Eltern herauszubekommen. Als die Eltern im Besucher-raum im Ewin-Gefängnis ihre Jüngste in Begleitung iranischer Soldaten erblickten, der nicht von ihrer Seite wich, stellte die 13jährige ihn mit den Worten vor: "Das ist mein Vergewaltiger." Für die Wissenschaft ist es inzwischen unstreitig, dass sich viele Schergen während ihrer "Laufbahn" zu Sexual-Pathologen entwickeln.
TAUSEND ÄNGSTE
Zur Abhängigkeit vom Folterer kommen tausend Ängste dazu - Angst vorm Tod, Angst vor Schmerzen, Angst, nicht wieder herauszukommen, Angst vor Verkrüp-pelung und auch Angst vor der eigenen Unfähigkeit, den Verhöranforderungen nicht weiter gewachsen zu sein. Nach dem Motto: "Lass uns an die Arbeit gehen" (Folterer zum Opfer) sind Elektroschocks, Ausreißen der Fingernägel oder Vergewaltigungen nur noch bei-läufige "Ergänzungen" dieser DDD-Methode.
ELEKTROSCHOCKS
Elektroschocks, die auch durchs Gehirn geleitet werden können, schwächen nicht nur das Gedächtnis, sie führen zu so starken Hirnschädigungen, dass das Opfer wahn-sinnig wird und die Kontrolle über sich selbst verliert. Der Geschundene glaubt, dass man ihm die Arme ausreißt, dass sein Kopf platzt, dass er seine eigene Zunge verschluckt. In diesem Moment wäre dem Ge-fangenen jede andere Folterart, zum Beispiel Prügel, lieber. Dann könnte er seine Aufmerksamkeit auf eine Körperstelle konzentrieren , sich und den Boden be-rühren. Beim Elektroschock hat er nichts mehr im Griff.
PHARMAKOLOGISCHE FOLTER
Die pharmakologische Folter, die vor allem in der Sowjetunion angewandt wird, ist ebenso verheerend. Die Folterer erpressen dabei von den Gefangenen nicht nur Geständnisse, sondern sie richten ihre Opfer mit Hilfe von Medikamenten so ab, dass sie für alle Zeit unzurechnungsfähig bleiben können. Der ameri-kanische Soziologe Herbert Marcuse ( 1898-1979): "Dies ist eine neue Form der Aggression, Men-schen zu zerstören, ohne dass man sich die Hände schmutzig macht." So stellt sich auch der Schah von Persien in der Weltöffentlichkeit als "Saubermann" dar: "Wir müssen die Leute nicht mehr foltern, wir benutzen vielmehr die gleichen Methoden wie einige hoch entwickelte Länder.
NICHT MEHR HEIMISCH WERDEN
Die Folterer des brasilianischen Paters Tito de Alencar, der sich für enteignete Kleinsiedler eingesetzt hatte und verhaftet worden war, prophezeiten dem Priester: "Falls du überhaupt lebend hier rauskommst, wirst du keine körperlichen Spuren vorzeigen können. Doch innerlich wirst du zerbrochen sein." Nach seiner Freilassung ging der 28jährige Tito de Alencar ins Exil nach Frankreich. Das war Ende 1974. Im August 1975 nahm er sich das Leben. Jean Améry: "Wer der Folter erlag, kann in dieser Welt nicht mehr heimisch werden."
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DIE GÄNGISTEN FOLTER-METHODEN
Papageienschaukel : Dem nackten Gefang1enen werden jeweils Hände und Füße zusammengebunden. Dann muss er sich auf den Boden setzen, die Knie an-winkeln und mit den gefesselten Händen umklammern. Daraufhin wird - senkrecht zur Körperachse - zwischen Knie und angwinkelten Ellenbogen eine Eisen-stange geschoben, deren Ende auf die Gestelle gelegt werden, so dass der Gefangene in der Luft hängt. Diese Position bewirkt immer stärker werdende Schmerzen am ganzen Körper, besonders in den Armen und Beinen, im Rücken und im Nacken: hinzu kommt eine Unter-brechung der Blutzirkulation in den Gliedmaßen. Die Anwendung der "Papageienschaukel" wird regelmäßig begleitet von Elektroschocks. - Maßnahmen, die zu einem langsamen Tod durch Ersticken oder Ertrinken führen können. Außerdem bearbeiten die Folterer ihre Opfer mit Verbrennungen durch Zigaretten und Schlä-gen. Wer nur eine Stunde auf der Wippe gefoltert worden ist, kann sich nicht mehr bewegen.
Elektroschocks : Dem Gefangenen werden an verschiedenen Körperteilen elektrische Stromstöße verabreicht. Dies geschieht mit Vorliebe an den empfind-lichsten Stellen, wie zum Beispiel dem Penis, an dem ein Pol befestigt wird, und dem After, in den der andere Pol eingeführt wird: oder aber ein Pol wird an den Hoden befestigt, der andere am Ohr, an den Zehen und Fingern oder der Zunge. Die Stromstöße werden durch verschiedene Apparate erzeugt, so durch Elektromag-naten, Feldtelefone, Fernsehgeräte oder dem soge-nannten "PIANOLA" - ein Apparat, der verschiedene Tasten besitzt, so dass der Folterer mit der jeweils anderen Tastatur die Voltzahl des Stroms beliebig ändern kann. Die Stromstöße führen zu einer Ver-brennung der empfindlichen Körperteile, wobei der Gefolterte in starke Krampfzustände verfällt. Die Wissenschaft hat inzwischen nachgewiesen, dass Elektroschocks, die durch den Körper gejagt werden, zu Hirnblutungen führen, dadurch die Hirnmasse zerstören und das Nervenpotenzial des Gehirn ver-mindern.
Drachenstuhl : Der nackte Gefangene wird auf einen Stuhl gesetzt, die Handgelenke werden an den Arm-lehnen festgebunden und die Beine nach unten hinter eínen Querbalken geschlagen, der sie zurück-hält. Die Wirkung der Stromstöße wird verstärkt: durch Über-gießen des Opfers mit Wasser, durch zwangsweises Füttern des Gefangenen mit Salz.
Prügelstock : Mit einem flachen, an einen Tischtennisschläger erinnernden Stück Holz, in dessen "Schlägerfläche" mehrere daumendicke Löcher gesägt worden sind, schlagen die Schergen mit Vorliebe auf Schulterblätter, Fußsohlen, Hand-flächen und Gesäß. Die Folge: Blutergüsse, Schwellungen, Blut-gefäße platzen auf, so dass das Opfer weder gehen noch etwas festhalten kann.
U-Boot : Der Kopf des nach unten aufgehängten Opfers, zum Beispiel bei der "Papageienschaukel" wird in einen Bottich mit Wasser, Petroleum, Ammoniak oder einer anderen Flüssigkeit eingetaucht. Eine andere Methode besteht darin, dem Gefangenen die Nasen-löcher zu verstopfen und einen Schlauch in den Mund einzuführen, durch den Wasser geleitet wird. Eine weitere Folterart ist das sogenannte "Fischen". Der Geschundene wird mit einer langen Leine an den Händen gefesselt, in einen Brunnen, Fluss oder See gestoßen, wobei dann von Zeit zu Zeit die Leine locker gelassen oder angezogen wird.
Telefon: Dem Opfer wird mit den Händen gleichzeitig auf beide Ohrmuscheln geschlagen. Die Trommel-felle platzen auf, was zu einer dauernden Taubheit oder u einer Entzündung des Innenohrs führen kann.
Polnischer Korridor: Der Gefangene steht in einem von Folterern gebildeten Kreis. Auf Kommando wird er hin- und hergeworfen und bekommt dabei Faust-schläge und Fußtritte. Häufig verwenden die Folterer auch Knüppel, Holzlatten, Schlagstöcke, Gummischläuche, Rinderpeitschen.
Balancieren: Das Opfer muss versuchen, mit nackten Füßen auf dem scharfen Rand zweier geöffneter Konservendosen das Gleichgewicht zu halten. Nach dieser Tortur ist der Gefangene meist für immer gehbehindert. Die messerscharfen Dosenränder haben Muskeln und Sehnen der Füße zerschnitten.
Ätherkompressen: Dem Gefangenen werden mit Äther durchtränkte Watte-bäusche auf empfindliche Körperteile wie Mund, Nase, Ohren, Vagina oder Penis gepresst. Wird diese Folter über einen längeren Zeitraum angewandt, führt sie zu schweren Verbrennungen.
Ersticken: Dem Geschundenen werden Mund und Nase mit Stoff oder Watte zugestopft. wobei der Be-troffene zu ersticken droht und nicht schreien kann.
Erhängen: Mit einem Strick oder Stoffstreifen, der am Hals zugeschnürt wird, soll der Gefangene Erstickungs-anfälle bekommen und in Ohnmacht fallen.
Ölbohrung: Bei dieser Methode wird der Gefolterte gezwungen, mit einer Finger-spitze den Fußboden zu berühren und dann, ohne den Finger zu bewegen, im Kreis herumzulaufen. Schon nach kurzer Zeit wird das Opfer vor Erschöpfung bewusstlos.
Eisschrank: Der Gefangene wird in eine Zelle gesperrt, die etwa 1,50 mal 1,50 Meter misst und so niedrig ist, dass er gar nicht aufrecht stehen kann. Die Tür ist aus Metall und die Wände sind mit Isolierplatten verkleidet. Es gibt keine Öffnung, durch die Licht oder irgendein Laut hereindringen könnte. Kühl- und Heizsysteme sorgen abwechselnd für sehr niedrige oder sehr hohe Temperaturen. Die Zelle ist immer dunkel. Von Zeit zu Zeit flackern jedoch an der Decke in schnellem und unterbrochenem Rhythmus kleine bunte Lampen auf, während gleichzeitig aus einem innerhalb der Zelle angebrachten Lautsprecher Schreie, Hupen und andere Geräusche in vollster Lautstärke ertönen. Das Opfer, das zuvor entkleidet wurde, bleibt häufig Stunden, manchmal auch Tage in dieser Zelle, ohne Nahrung zu bekommen.
Zupfen: Mit einer Zange werden dem Gefangenen Finger- und Fußnägel oder auch Kopf- und Scham-haare herausgerissen.
Krone Christi: Ein Stahlband wird um den Kopf des Opfers gelegt und mit einem Schraubmechanismus immer enger gezogen. Häufig wird durch das Band der Schädel eingedrückt, die Augäpfel werden aus ihren Höhlen gequetscht.
Kastration: Ein Nylonfaden wird mit einem Ende am Hoden, mit dem anderen Ende am großen Zeh des leicht gebeugten Knien stehenden Gefangenen befestigt. Dann zwingen die Folterer das Opfer mit großen Schritten zu marschieren.
Aufrollen: Der Häftling wird in eine nasse Leinwand so eng eingerollt, dass ihm das Atmen schwerfällt. Wenn der Stoff trocknet, schnür er automatisch das Opfer immer enger ein, bis es fast erstickt. Die auf der Brust angewinkelten Arme drücken dabei häufig den Brustkorb ein.
Sodisches Pentotal: Dem auf einer Bahre gefesselten Opfer wird das Medikament sodisches Pentotal in Überdosen durch einen Tropf injiziert. Der Zustand des Gefangenen schwankt zwischen empfindungslosem Dahinbrüten und totaler Be-wusstlosigkeit. Nach längerer Anwendung dieser Pharma-Folter leidet das Opfer unter unheilbaren Bewusstseinsstörungen.
Sullfazin: Die Injektion dieser Lösung führt zu starken Schmerzen und lässt die Körpertemperaturen des Opfers bis zu vierzig Grad hochschnellen, Fieber- und Schwächeanfälle fesseln den Gefangenen tagelang ans Bett.
Aminozyn: Nach der Injektion dieser Lösung fühlt sich das Opfer hin- und hergerissen zwischen tiefer Müdig-keit und Schlappheit und dem Drang, sich dauernd zu bewegen. Dieses Hin und Her führt zu Nerven-zusammenbrüchen und liefert den Folterern den "Beweis", dass das Opfer sich zu Recht in Behandlung befindet.
Fenstersturz: Aus einem Stockwerk halten die Folterknechte ihr Opfer an den Füßen aus dem Fenster. Sie lassen abwechselnd und in verschiedenen zeitlichen Abständen jeweils einen Fuß los.
Kopfhörer: Über den Kopf des Gefolterten wird ein Helm gestülpt, in dem seine Schreie beim Foltern - elektronisch zigfach verstärkt - aus eingebauten Lautsprechern in seine Ohren dröhnen.
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POSTSCRIPTUM. - Keine Bewusstseinskorrekturen, kein Bewusstseinswandel im Sinne der Menschenrechte. Folter wurde im Laufe der Jahrzehnte nicht einge-dämmt oder gar abgeschafft; Lippenbekenntnisse vielerorts, ja gewiss. Im Gegenteil: Folter hat sich - unter den Augen einer kritischen Öffentlichkeit - zu einer Subkultur des Terrors und des Gegenterrors weiter entwickeln - verfeinern können. Im Hinblick auf internationalen Anschläge aus der Islamischen Welt, den kriegerischen Intervention im Vorderen Orient, sind bestialische Torturen nahezu "gesellschaftsfähig" geworden; allen voran in und durch die Vereinigten Staaten von Amerika und der weltweit agierenden islamischen "Al Kaida Terror-Organisation".
Einst waren die USA ein Eckpfeifer für Freiheit, De-mokratie wie Unverletzbarkeit des Individuums. In der Ära unter Regie ihres Präsidenten Georg Bush junior, dem 43. Präsidenten (2000-2009), begannen die USA nach Bombenanschlägen in New York vom 11. September 2001 ihre Feldzüge - "Kriege gegen den Terroris-mus" gegen Afghanistan (2001) und gegen den Irak (2003).
USA zum 21. Jahrhundert - Menschen werden wie Tiere in Käfigen gehalten, gequält, geschlagen, zu medizinischen Versuchen missbraucht, über Jahre in Lagern isoliert, ermordet - in den Selbstmord getrieben. Laut dem amerikanischen Historiker Alfred W. McCoy fanden im Rahmen des "Krieges gegen den Terror" von 2001 bis 2004 folgende Menschenrechts-verletzungen durch US-Behörden und das Militär statt.
o Etwa 14.000 irakische "Sicherheitshäftlinge" wurden harten Verhören und häufig auch Folterungen ausgesetzt.
o 1.100 "hochkarätige" Gefangene wurden in Guantánamo und Bagram unter systematischen Folterungen verhört.
o 150 Terrorverdächtige wurden rechtswidrig durch außerordentliche Überstellung in Staaten verbracht, die für die Brutalität berüchtigt sind.
0 68 Häftlinge starben unter fragwürdigen Umständen.
0 Etwa 36 führende Al-Kaida-Mitglieder blieben jahrelang im Gewahrsam der CIA und wurden systematisch und anhaltend gefoltert.
o 26 Häftlinge wurden bei Verhören ermordet, davon mindestens vier von der CIA.
In seinem Buch "Foltern und Foltern lassen" (Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2005) belegt der Wissenschafler aus Wisconsin in Madison die Behaup-tung, dass Folter für die CIA kein "letztes Mittel", son-dern ein systematisch eingesetztes Werkzeug ist. In diesem Kompendium spannt McMoy einen präsizen Bogen zu den Menschenversuchen in geheimen For-schungsprogrammen MKULTRA über die Unter-stützung der südamerikanischen Militärdikta-turen der 70er und 80er Jahre bis hin zu den Übergriffen ameri-kanischer Soldaten im irakischen Abu-Ghraib-Gefängnis.
Die "New York Times" veröffentlichte am Oktober 2oo7 geheime Memoranden des US-Justizministeriums, die bereits im Jahre 2005 verfasst worden waren. In diesen Dokumenten gelten folgende "Verhör-Methoden" des CIA als legal:
- Schläge auf den Kopf
- über mehrere Stunden nackter Aufenthalt in kalten Gefängniszellen
- Schlafentzug über mehrere Tage und Nächte durch Beschallung mit lauter Rockmusik
- Fesseln des Häftlings in unangenehmen Positionen über mehrere Stunden
- Waterboarding: der Häftling wird auf ein Brett gefesselt, ein feuchtes Tuch auf seinen Kopf gelegt und mit Wasser übergossen. Durch den aufkommenden Würgereflex entsteht für ihn der Eindruck, er müsse ertrinken.
Am 30. Mai 2007 wurde auf Guantánamo der 34jährige Saudiaraber Abduk Rahman Maath Thafir ak-Amri tot in seiner Zelle aufgefunden. Er war im November 2001 in den Bergen von Tora Bora gefangen genommen worden, seit Februar 2002 in Guantanámo inhaftiert. - Einer von 41 Selbstmord-versuchen, die die Lagerleitung erst mit einer 18monatigen Verzögerung bekannt zu geben pflegt.
In einem Brief des 33jährigen Juma Al Dossary aus dem Bahrein schreibt er nach dem zehnten Selbstmord-versuch. "Ich will dieser psychischen und physischen Folter ein Ende setzen. Ich suche nach einem Ende für mein Leben."

















































Donnerstag, 2. Juni 1977

Israel: Sippenhaft im Land der Bibel



















































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stern, Hamburg
2. Juni 1977
von Peter Koch
und Reimar Oltmanns
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Rückblicke auf Jahrzehnte, in denen Frieden, V
ölkerverständigung eine Utopie blieb - Retrospektiven auf Ursachen von Krieg, Terror, Folter und immer wieder Mord, Hass - Vergeltung, Unterdrückung, Ausgrenzung, Entwürdigung. Auge um Auge, Zahn um Zahn - Anschlag auf Anschlag. Ob nun der 29. oder gar der 60. Jahrestag zur Gründung des Staates Israel - aus dem Nahen Osten nichts Neues.

Der Unabhängigkeitstag begann für viele im Gefängnis. Während sich Folklore-gruppen und Kampfgeschwader im Staates Israel für die große Feier des 29. Geburtstages am 21. April 1977 rüsteten, sorgten Militär und Polizei für Ruhe. Im Großeinsatz schwärmten die Sicherheitskräfte am Vorabend des "Independence Day" aus und setzten ihnen verdächtige Personen hinter Gittern. Die Rechtsbasis für Massenverhaftungen waren Notstandsbestimmungen, die noch aus Zeiten der britischen Mandatsverwaltung vor der Gründung des Staates Israel stammten - damals gegen jüdische Terroristen angewendet wurden.

Jetzt waren die Festgenommenen fast ausnahmslos Araber. Allein im arabischen Teil Jerusalems verschwanden bei der Blitzaktion 200 Verdächtige in Präventivhaft. In der "Jerusalem Post" forderte der Polizeikommandant der Südregion Nitzav Iztzab, die Bürger dazu auf, "nach verdächtigen Objekten Ausschau zu halten".
TAUSENDE POLITISCHER GEFANGENER
Die Häftlinge in den in den Stadtgefängnissen von Ramla, Nablus, Ramallah und Asqualon mussten noch enger zusammenrücken. Israels oberster Gefängnischef General Halm Levi räumte in einem Gespräch mit den Autoren ein, dass 3.200 politische Gefangene in insgesamt 13 Anstalten interniert seien - allerdings erhebt der General Einspruch gegen die Bezeichnung "politische Gefangene", er spricht von "Security Prisoners", Sicherheitsgefangenen. Die PLO, die Palästinensische Befreiungsorganisation, beziffert die Zahl der politischen Gefangenen auf mindestens 6.000.

Wie auch immer, es ist qualvoll eng in den israelischen Gefängnissen. Selbst in der Vorzeige-Haftanstalt von Ramla (wo auch Adolf Eichmann saß) müssen sich 80 Mann einen Zellenraum teilen, der für 30 Gefangene gebaut worden ist. Hinzu kommt, dass die Inhaftierten trotz des stickig heißen Klimas in den meisten Anstalten gezwungen sind, 23 Stunden am Tag in diesen Löchern zu leben. Vergebens haben das Rote Kreuz und die Vereinten Nationen dagegen protestiert, dass die Gefangenen auf durchschnittlich eineinhalb Quadratmeter Lebensraum zusammengepfercht sind.
GRAUSAME VERHÖRE
Mit seinen willkürlichen Verhaftungen und menschenunwürdigen Zuständen in den Gefängnissen, mit oft grausamen Verhörpraktiken und drakonischen Strafzumessungen ist das heutige Israel, das gegründet wurde, um den verfolgten Juden in aller Welt eine Heimstatt zu geben, ins Zwielicht geraten - fortwährend. Nur seine äußere Bedrohung und die eingegerbte Erinnerungen an die millionenfachen Juden-Morde während der NAZI-Zeit haben die öffentliche Kritik, die Empörung über das Land bisher gedämpft.

Immer häufiger wird die Frage gestellt, ob die von Israel verfolgten Palästinenser nicht einen Anspruch auf politische Selbstentfaltung haben. Selbst der Terror gegen die unschuldige Zivilbevölkerung wird immer häufiger als eine nicht mehr ausreichende Legitimation für staatlichen israelischen Gegenterror anerkannt.
KRITIK AN ISRAEL
Die Kritik an Israel wird lauter, und das nicht nur in den Vereinten Nationen, in denen sich nach israelischer Ansicht Kommunisten, Islamisten und Pro-Palästinenser zu einer Mehrheitsfront gegen den Judenstaat zusammengeschlossen haben. Schon hat auch der amerikanische Präsident Stellung bezogen. Jimmy Carter (1977 - 1981) forderte zwar einerseits Garantien für die Sicherheit Israels, andererseits aber bezeichnete er es als unvermeidbar, die derzeitigen Grenzen zu korrigieren, denn auch die Palästinenser hätten einen Anspruch auf ein Heimatland.
HEIMATLAND DER PALÄSTINENSER
Aber selbst solche gemäßigten Mahnungen rufen in Israel einen Sturm der Entrüstung hervor. Aus einem Gemisch alttestamentarischen Gebietsanspruch und zionistischer Staatsphilosophie, aus Notstandsrecht und apodiktischer Selbstgerechtigkeit haben sich die israelischen Juden eine perfekte Rechtfertigungs-Ideologie für die Unterdrückung der arabischen Minderheiten zurecht gezimmert.

Unter Berufung auf die biblischen Königreiche Israels und Judäa erhoben europäische Juden Ende des vorigen Jahrhunderts Anspruch auf die Gründung eines eigenen Staates in Palästina und machten gegenüber den dort siedelnden Arabern eine Art Erstgeburtsrecht geltend. Bis zur endgültigen Gründung des Staates Israel war es ein langer, verwinkelter Weg. Seine wichtigsten Stationen:

HISTORISCHER AUFRISS

Am 2. November 1917 bekundet die britische Regierung ihr Wohlwollen für die Gründung einer "nationalen Heimstatt für das jüdische Volk in Palästina". Diese so genannte Balfour-Deklaration, die ein Bestandteil britischer Machtsicherungspolitik im Nahen Osten war, wurde in jenen Text aufgenommen, mit dem der Völkerbund nach dem Ersten Weltkrieg Großbritannien das Mandat über Palästina übergab.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Schrecken der Judenverfolgung in Deutschland, teilten die Vereinten Nationen das britische Mandatsgebiet. In einem westlichen Streifen sollte der Staat Israel entstehen. Der andere Halbteil sollte ein arabischer Staat Palästina werden. Der Teilungsbeschluss führt schon im Gründungsjahr Israels zu einen israelisch-arabischen Waffengang. Er endet mit israelischen Gebietsannektionen und den Anschluss des restlichen arabischen Palästinas an Jordanien. Aus der Theorie des Zionismus, der Schaffung eines jüdischen Staates auf palästinensischen Boden, der "so jüdisch sein soll wie England englisch ist" (Israels erster Präsident Chaim Weizmann - 1874 - 1952), entwickelt der neue Staat Israel die Praxis einer Unterdrückung, Verdrängung der in seinen Landesgrenzen noch wohnenden palästinensischen Arabern.

SCHLIMMSTE REPRESSIONEN

Das Unterdrückungsinstrumentarium der israelischen Juden ist reich bestückt:

Die Israelis schufen sich Gesetze, die ihnen die Beschlagnahme der Ländereien von "Abwesenden" erlauben. Solche "Abwesenheit" von Arabern wird im Einzelfall hergestellt, indem das Familienoberhaupt außer Landes gewiesen wird. Für pauschale Landübernahmen schalten die Israelis den Notstandsartikel 125 dazwischen: Eine Region wird zum militärischen Sperrgebiet erklärt, die Dörfer zwangsevakuiert und die Einwohner an der Rückkehr gehindert. Nach Ablauf einer gewissen Frist werden dann die Äcker und Wiesen des Dorfes als Eigentum "Abwesender" beschlagnahmt.

Die Israelis gründeten Städte, in denen es Arabern verboten ist, zu leben oder ein Geschäft zu eröffnen. So wurde zum Beispiel in der 1965 gegründeten Stadt Carmiel nahe Haifa Arabern die Genehmigung für eine Geschäftseröffnung versagt, und die hebräische Zeitung "Ha'aretz" schrieb am 18. Februar 1972 in einem Kommentar: "Wenn die Behörden hier die Anwesenheit von Arabern zuließen, würden sie das Ziel zerstören, weswegen Carmiel gegründet wurde: die Judaisierung von Galiläa."

Sie suchten schon in den dreißiger Jahren arabische Arbeit und Waren durch Wertbegriffe wie "Jüdische Arbeit", "Jüdische Waren" vom gemeinsamen Markt auszusondern. Heute heißt in Anlehnung an die Farben der Nationalflagge die Parole: ""Kauf Blau-Weiß!"

SPRENGUNG VON HÄUSERN

Zum israelischen Repressions-Arsenal gehören kollektive Strafen - etwas das Sprengen von Häusern, in denen Araber wohnten, die als Terroristen verdächtig sind. Auf die Frage eines Abgeordneten: "Handelt das Verteidigungsministerium in solchen Fällen nach dem Grundsatz der kollektiven Verantwortlichkeit der ganzen Familie für eines ihrer Mitglieder?" antwortete der frühere Verteidigungsminister Mosche Dajan (*1915+1981) vor dem Parlament kurz und bündig mit "Ja". - Sippenhaft in Israel.

Das bei der Staatsgründung von der britischen Mandatsmacht übernommene und seither ununterbrochen angewandte Notstandsrecht - die "defense emergency regulations" - erlauben den Behörden willkürliche Verhaftungen ohne zeitliche Begrenzung, ohne Anklage, ohne Prozess. Heute sind nach offiziellen Angaben von den insgesamt 3.200 politischen Gefangenen über 1.000 Personen aus den besetzten Gebieten ohne Anklage inhaftiert. Der Staat Israel, der sich noch immer um die weltweit verstreuten Juden bemüht, hat bisher auf eine Verfassung verzichtet, so dass es in diesem Land auch keine grundgesetzlich garantierten Bürgerrechte gibt.

GEBURTENQUOTE SENKEN - ARABER

Mit bürokratischen Rassismus verfasste im Herbst 1976 der Gouverneur des Norddistrikts, Israel König, ein Gutachten für die Zurückdämmung des arabischen Bevölkerungsanteils: Er empfahl unter anderem, arabischen Jugendlichen zum Studium im Ausland zu ermuntern, ihre Rückkehr jedoch dann zu verbieten. Firmen sollte untersagt werden, mehr als 20 Prozent Araber zu beschäftigen. Den nachwuchsfreudigen Arabern sollte das Kindergeld gekürzt werden, um so die Geburtenziffer zu senken und so die bedrohte Mehrheit der Juden zu sichern. Um die gegenwärtige arabische im Lande abzulösen, sollte parallel zur regierenden israelischen Arbeiterpartei eine "Araber-Partei" besetzt mit "loyalen" Spitzenleuten ins Leben gerufen werden. Die unbotmäßigen kommunistischen Araber wollte König durch eine Dreckkampagne politisch fertigmachen. "Es ist eine Sonderkommission zu ernennen, die die persönlichen Verhaltensweisen dieser Führer und anderer als negativ zu bezeichnenden Persönlichkeiten erforschen soll, um dann die Ergebnisse dieser Recherchen der Öffentlichkeit und den Wählern mitzuteilen." Generell empfahl König gegenüber den Arabern eine Erziehung "mit Lohn und Strafe". Originalton des Gouverneurs: "Der arabische Charakter ist levantinisch und oberflächlich, er besitzt keinerlei Tiefe. Seine Fantasie ist größer als das Bemühen, durch rationale Überlegungen zu einem Ergebnis zu kommen."

VATER DES TERRORISMUS

Königs Vorschläge, durch eine Indiskretion bekannt geworden, wurden von der Mehrheit der Juden mit Beifall begrüßt. Als Barometer für die intolerante Stimmung der Mehrheit der israelischen Juden erwiesen sich die letzten Wahlen. Wahlsieger wurde der 64jährige Rechtsnationalist Menachem Begin (* 1913+1992). Der britische "Daily Express" taufte Begin wegen seiner blutigen Vergangenheit "Vater des modernen Terrorismus".

Begin, 1913 in Brest-Litowsk geboren, absolvierte das Jura-Studium und war Anführer einer nationalistischen jüdischen Jugendbewegung, eher er im Jahre 1942 von Polen nach Palästina ging. Er kam als Angehöriger des Freien Polnischen Heeres innerhalb der alliierten Streitkräfte, die gegen Hitler kämpften. Doch in Palästina sprang Begin - wie viele andere Juden ab und ging in den Untergrund. Sein Kampf galt fortan der englischen Mandatsmacht und den Arabern. Jahrelang war Begin als Kommandant der Terrororganisation "Irgun Zvai Leumi" der meist gesuchte Kopf auf den britischen Steckbriefen. 10.000 Pfund Sterling hatten die Briten auf den Untergrundführer ausgesetzt. Zu den berüchtigten Aktionen von Begin und seiner Irgun gehörte im Jahr 1946 die Sprengung des noblen King David Hotels, in dem das Hauptquartier der britischen Armee untergebracht war. 91 Soldaten fanden den Tod. Noch blutiger hausten Begins Guerillas in dem arabischen Dorf Yassin, das in der Nähe des umkämpftem Jerusalem lag. Am 8. April 1948 metzelten sie die gesamte Dorfbevölkerung nieder, weil es in der Ortschaft Widerstand gegen die jüdische Miliz gegeben hatte. Das Rote Kreuz zählte nach der Bluttat 254 Leichen - Männer, Frauen, Kinder.

NICHT BESETZER, SONDERN "BEFREIER"

Nach dem Wahlsieg zeigte Begin, dass er von unerbittlicher Härte seiner jungen Jahre noch einiges ins Alter gerettet hat. "Ich kenne keine besetzten Gebiete", erklärte er vor Journalisten, "ich kenne nur befreites Land. Was manche Westjordanien nennen, heißt in Wirklichkeit Judäa und Samaria. Das ist, wie Gaza, unser ureigenes Land. Wir haben es nicht besetzt, sondern befreit. Meine Ansichten sind nicht imperialistisch oder chauvinistisch, das ist Zionismus im reinsten und wahrsten Sinne."

KZ BERGEN-BELSEN

Durch die Abstimmungsergebnisse mochte sich Begin am Wahltag bestätigt fühlen. Wer hingegen in Israel zur Vernunft mahnt, wird und wurde ausgepfiffen. Der Universitätsprofessor Israel Shahak, 44, Vorsitzender der israelischen Liga für Menschenrechte und im Dritten Reich Insasse im KZ-Bergen-Belsen, wird nicht müde, seine Landsleute darauf hinzuweisen, dass sie sich nicht nur über die Verfolgungen in der früheren Sowjetunion kümmern müssten. In einem Artikel in der Zeitung "Ha'aretz" empfahl daraufhin der Dekan der juristischen Fakultät der Universität Tel Aviv, Amon Rubinstein, gegen Sharak solle der Artikel 11 des Staatsbürgerschaftsgesetzes angewendet werden: Danach kann Staatsangehörigkeit eines Bürger annulliert werden, wenn dieser "eine illoyale Tat gegen den Staat Israel begangen hat".

ZIONISMUS EINE FORM DES RASSISMUS ?

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen verurteilte diese Zustände mit einer Entschließung, in der es heißt, dass "der Zionismus eine Form von Rassismus und Rassendiskriminierung ist". Und für die Menschenrechtskommission der UN ist es inzwischen zu einer Daueraufgabe geworden, sich mit der Verfolgung der Araber in Israel zu beschäftigen. Allerdings: In der UNO schlossen sich pro-palästinensische Staaten der Dritten Welt und die kommunistischen Länder gegen Israel zusammen, für Israels Chefdelegierten Chaim Hertzog "eine Koalition von Diktatoren und Rassisten".

FÜR ARABER KEIN STREIK, KEINE DEMO

Indem Israel von den Arabern die Beachtung einer Gesetzgebung verlangt, die sie außerhalb der Gesetze stellt, züchtet sich der Juden-Staat seine politischen Gefangenen ständig neu heran. In den besetzen Gebieten sind palästinensische politische Parteien verboten, ebenso Gewerkschaften, kulturelle Vereine und sogar Schülerorganisationen. Den in Israel wohnenden Palästinensern ist untersagt, zu demonstrieren oder zu streiken. Selbst wenn sie aus Protest ihre Läden schließen, handeln sie sich Strafen ein.
ARABISCHE KAMPF-ATTACKEN
Die zwangsläufigen Folgen nennt der jüdische Bürgerrechtler Professor Shahak: "Es ist nur natürlich, dass ein Volk, dessen Existenz verneint wird, dem die elemen-tarsten Menschen- und Familienrechte verweigert werden, und dem jedes Recht, einen politischen Kampf zu führen, untersagt wird, andere Kampfmittel wählt, auch wenn einige Formen strengstens verurteilt werden müssen."

Doch die Araber betreiben Opposition nicht nur mit Schüssen aus dem Hinterhalt oder Sprengstoffanschlägen. Im Askelon-Gefängnis sitzen zwar Dutzende palästinensischer Terroristen. Aber verhaftet wird auch, wer eine palästinensische Fahne hisst, Parolen gegen Israel auf eine Mauer pinselt, ein palästinensiches Lied singt oder den Familien politischer Gefangenen hilft. So jedenfalls fand es der Sonderausschuss der Vereinten Nationen heraus, der die Verletzung der Menschenrechte in den besetzten Gebieten durch die Israelis untersuchte.
KEINE VORZEITIGE HAFTENTLASSUNG
Die Strafen sind hart. Allein die Mitgliedschaft in einer der verbotenen Organisationen kann zehn Jahre Knast einbringen, und in Israel gibt es keine vorzeitige Haftentlassung, Einzige Ausnahme. Arabische Jugendliche, die während der jetzt fast täglich abrollenden Demonstrationen in den besetzten Gebieten fest-genommen wurden, können von den Eltern freigekauft werden - pro Jungmann 3.000 israelische Pfund, etwa tausend Mark.

Die UNO-Menschenrechtskommission sammelte zahlreiche Zeugnisse über Folterungen, mit denen vor Prozessbeginn Aussagen erpresst werden.

Die jüdische Anwältin Felicia Langer sagte vor der Kommission aus, ihr Mandant Mohamed Atwan sei im Verhörzentrum Moscoviha so heftig geschlagen worden, dass er schwere Blutergüsse auch am Hodensack davongetragen habe.
SCHWERSTE VERBRENNUNGEN
Die Gefangenen Suleiman Elk-Najab, Ghassan El Harb und Jamal Freteh aus der Anstalt Jallameh bei Hafia trugen laut UN-Bericht schwere Verbrennungen davon, nachdem eine ätzende Flüssigkeit auf ihre Körper gesprüht worden war. Mit diesem Säurespray wurde auch der ehemalige Gewerkschaftsführer Khalie Hijazi,42. gequält. Hijazi lebte in West-Jordanien, wurde aus Israel deportiert und verdient heute seinen Lebensunterhalt als Bauarbeiter für die PLO im Libanon. Die Israelis hatten ihn verdächtigt, Waffen verborgen zu haben. Doch Beweise fanden sie nicht. Sie sperrten Hijazi auf der Verhörstation Miscoviha mit Kriminellen ein, die dem Araber brennendes Papier zwischen die Fußzehen klemmten, ohne dass die Wärter dagegen einschritten.
GEHEIMDIENSTLER
Weitaus grausamer behandeln die Juden jene Araber, denen sie tatsächlich aktiven Widerstand nachweisen können. Eines der Opfer, der 31jährige Ahmad el Hadhod, lebt heute in Beirut. Er wurde in Hafia geboren, doch seine Familie flüchtete 1948 bei der Gründung Israels ins nördlich gelegene Nablus, das bis zum Sechs-Tage-Krieg zu Jordanien gehörte. Der Vater eröffnete in der Altstadt von Nablus einen Süßigkeiten-laden. Als die Israelis 1967 Nablus besetzten, trat der junge Ahmad el Hadhod der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) bei, einer marxistisch-leninistischen Splittergruppe der PLO - damals. Ihr politisches Ziel war die Vernichtung des israelischen Staates. Ahmad erzählt: "Am 16. September 1968 wurde unser Laden umstellt, zwischen 10 und 11 Uhr stürmten israelische Geheimdienstler in das Gebäude. Ich kam die Treppe aus dem ersten Stock herunter, und die stürmenden Israelis fragten mich, wer Ahmad el Hadbod sei. Ich sagte: "Der ist draußen, ich hole ihn rein', rannte raus und flüchtete zu meinen Kameraden. Die wollte, dass ich mich stelle, damit sie nicht auch aufflogen."

KNÜPPELHART - WINDELWEICH
"Ich ging also in den Laden zurück. Als ich mich ergab, fesselten mir die Israelis die Hände und Füße und schleppten mich zu einem wartenden Landrover. Im Wagen trampelten die Polizisten auf mir herum, bespuckten mich. Die Fahrt ging zum Gefängnis von Nablus, neben dem auch das Verhörzentrum liegt, das ehemalige Rathaus von Nablus. Dort wurde ich freundlich empfangen,ein Offizier entschuldigte sich sogar für die Tritte im Landrover. Dann wurde ich verhört. Die Polizisten lockten mit dem Angebot, bei einem Geständnis bekäme meine Familie ein größeres Geschäft und ein größeres Haus. Als das nichts nützte, drohten sie, Haus und Laden meiner Eltern in die Luft zu sprengen. Am zweiten Tag nach meiner Verhaftung machten sie ihre Drohung wahr: Sie sprengten vor meinen Augen das Haus meiner Eltern, den Laden am Arjoun-Platz in der Altstadt von Nablus."
OPERATIONSFADEN UM HODENSACK
"Später wurde ich Frauen gegenübergestellt, die mich bezichtigten, ihre Söhne in die PFLP gelockt zu haben. Als man mich zurück ins Verhörzentrum gebracht hatte und ich weiter stumm blieb, begann die richtige Folter. Zuerst knallten die Polizisten mir mit der hohlen Hand auf die Ohren, bis Blut kam und ich nichts mehr hören konnte. Dann zogen sie mich aus und legten mich mit dem Rücken auf einen Tisch. Ein Polizist nahm einen längeren Operationsfaden, wie ihn Chirurgen gebrauchen, und band das eine Ende stramm um meinen Hodensack. Das andere Ende spannte er an einen Nagel, der in das Tischende geschlagen war. Dann fragten die Geheim-polizisten abwechelnd solche Fragen: 'Willst du je noch Kinder kriegen?' oder 'Du brauchst gar nicht mehr zu heiraten, wenn du nichts sagst. Wir schneiden dir die Eier ab.' Dabei zeigte mir ein Geheimpolizist ein Messer. Damit fuchtelte er über meinen Genetalien herum. In dem Moment kam ein anderer Offizier in das Zimmer und flehte ironisch: "Schneidet es ihm nicht ab, ich garantiere euch, dass er aussagen wird.'

FOLTER-GESTÄNDNISSE

Um nicht gefoltert zu werden, nannte ich diesem Offizier einige Namen von Genossen, die schon über den Jordan geflüchtet waren. Außerdem bekannte ich mich zur PFLP. Sie waren nun zufrieden und ließen mich einige Tage in Ruhe."

AM FLASCHENZUG

"Doch mit der Zeit schnappten die Israelis Genossen, die von mir Sprengstoff erhalten hatten. Nicht alle blieben in den Verhören stumm. Ich kann ihnen keinen Vorwurf daraus machen, dass sie mich bezichtigten. Aber für mich begann damit wieder die Folter. Das beliebteste und immer wiederholte Mittel war, dass man mich - nackt mit gefesselten Händen an einen Flaschenzug hoch unter die Decke zog, so dass gerade sich meine Zehenspitzen auf dem Betonfußboden standen. Entweder wurde mir dann mit einem Gummischlauch auf den Rücken geschlagen oder, auch dafür gab es einen Spezialisten, man machte kleine Kratzer und Einschnitte in meine Zehenspitzen. Die bluteten und schwollen an, während ich so an der Decke hing. Um, wie sie sagten, meine Schmerzen zu lindern, ließen sie mich herab und steckten meine Füße in eiskaltes Salzwasser. Es schmerzte bestialisch."

IN EICHMANNS 'SCHWARZER ZELLE'

In diesen Monaten wurde ich häufig in andere Gefängnisse verlegt. Schließlich wurde ich im Ramla eingeliefert. Dort kam ich in die berüchtigte 'schwarze Zelle', in der Adolf Eichmann gesessen hatte und die ferngesteuert geöffnet und geschlossen wird. Und alle drei Tage wurde dann gefoltert. Nach und nach wurden mir die Zähne einzeln ausgerissen ohne Narkose und so, dass oft noch Splitter im Gaumen blieben, der vereiterte."

"Vierzehn Monate nach meiner Verhaftung wurde mein Zustand immer schlimmer, ohne dass ich Medizin bekam. Deshalb trat ich in einen Hungerstreik. Am fünften Tag banden sie mich auf einen Stuhl und fütterten mich zwangsweise, Medizin erhielt ich trotzdem nicht. Ich magerte weiter an und schließlich konnte ich - nach einem Kreislaufkollaps - auch nicht mehr sprechen. Da verlegten mich die Wärter in den Irren-Trakt des Gefängnisses von Ramla. Erst sechs Wochen später kam ich in ein Krankenhaus. Mein rechtes Augen war inzwischen erblindet. Um mein linkes Auge zu retten, wurde ich operiert. Danach konnte ich mit diesem Auge verschwommen etwas sehen. Es erblindete freilich dann auch noch, denn am 15. Juli 1970, genau einen Tag vor der von einem Mitglied des Roten Kreuzes erwirkten Entlassung aus Krankheitsgründen schlug mir ein Polizist mit geballter Faust auf dieses Auge und zischte dabei. "Damit du nie wieder Sprengstoff sehen kannst!"

"ARABISCHE FANTASIE-PRODUKTE"

Nach der Entlassung wurde Ahmad aus Israel abgeschoben. Er ist heute total erblindet. In seinem misshandelte Kiefer trägt er Prothesen. Weitere Spezialitäten israelischer Folter sind Zellen, deren Fußböden und Wände aus derart rauem Zement sind, dass sich die Gefangenen daran die Haut aufreißen. Ferner gibt es Zellen, die mit sinnenverwirrenden Leuchtfarbe gestrichen sind. Manchmal werden von Gefangenen unter Hypnose Aussagen herausgeholt. Der Psychiater Dr. Moritz Kleinhaus hat als Zeuge vor dem Militärgerichtshof in Lod am 7. Februar 1977 zuge-geben, dass er diese Methode im Auftrage der Sicherheitskräfte praktiziert.

Für Israels führende Politiker ist der UN-Report "ohne Substanz" und "wahrheits-widrig", die Aussagen von Palästinensern tun sie als "arabische Fantasieprodukte" ab. Andererseits aber verweigern die Israelis bis dato dem Sonderausschuss der Vereinten Nationen, Untersuchungen an Ort und Stelle vorzunehmen. Die UN-Rechercheure erhalten keine Einreisegenehmigung und müssen sich damit begnügen, die Anwälte von Häftlingen anzuhören oder des Landes verwiesene Palästinenser zu befragen.

GESCHLAFEN WIRD IN SCHICHTEN

Persönlichkeiten in Israel bestätigen die Vorwürfe der UN-Kommission aus eigener Erfahrung. Dr. Antoine Dibsy, Chef der Inneren Medizin am Augusta-Victoria-Hospital in Jerusalem, behandelte arabische Studenten, die im März 1977 bei einer Demonstration von jüdischen Soldaten verhaftet worden waren. Sie hatten Knochen-brüche und zerquetschte Handgelenke: Die Soldaten hatten ihnen ihre Armband-uhren zertreten, die sich noch am Handgelenk befanden. Dr. Dibsy: "Das ist ja schon mehr als schlagen, wenn Knochen gebrochen sind."

Auch der Bürgerrechtler Professor Shahak sieht die Regierung seines eigenen Landes im Unrecht: "Der schlagendste Beweis dafür, dass in Israel Tausende von Menschen gefoltert wurden, liegt doch in der Tatsache, dass weder Gericht noch Regierung eine unabhängige Untersuchung zugelassen haben."

Wer nach Verhörphasen im Gefängnis landet. ob mit oder ohne Folter, ob mit oder ohne Urteil, für den beginnt in jedem Fall ein jahrelanges Martyrium. Manche Gefängnisse, zum Beispiel die Anstalt von Nablus, sind so überbelegt, dass nur schichtweise geschlafen werden kann. In den meisten Haftanstalten fehlen Betten oder Matratzen. Die Gefangenen müssen auf dem Boden schlafen. Forderungen des Roten Kreuzes, für die Gefangenen Bettgestelle bereitzustellen, haben die Israelis bisher mit dem Argument abgelehnt, daraus ließen sich Waffen machen. Die medizinische Versorgung ist schlecht, das Essen miserabel. Aus Sicherheitsgründen werden den arbabischen Gefangenen vitaminreiche Zitronen, ein Hauptbestand ihrer normalen Ernährung, gänzlich vorenthalten: Mit Hilfe von Zitronensaft lassen sich unsichtbare Kassiber schreiben.

Selbst General Haim Levi, der Leiter der zentralen Gefängnisverwaltung in Israel, gibt zu, dass die Zustände in den Anstalten unzumutbar sind. Haim Levi ist ein alter Haudegen, die zwei farbigen Streifen an seiner Uniform weisen ihn als Teilnehmer an zwei israelisch-arabischen Kriegen aus. Er entschuldigt die Zustände in den Gefängnissen: "Wir haben das Problem der Überbelegung, aber das gilt auch für die kriminellen Gefangenen." - Seit Jahrzehnten ein Dauerzustand.