Donnerstag, 25. März 1976

Die Bürgerkriegsarmee oder ein General im Notstand - inneren Notstand























































Als Bundespolizei proben die Grenzer den inneren Notstand, jagen Rauschgiftkartelle, Terroristen und besch
ützten Politiker. Als paramilitärische Truppe halten die einstigen BGS-Elite-Soldaten mit dem alten Wehrmacht-Stahlhelm den Kommissgeist von gestern hoch - seit mehr als sechs Jahrzehnten. Daran mögen kriminal- polizeiliche Ermittlungskompetenzen - Laptops und Handys wenig ändern. Im Juli 2005 wurde der BGS in Bundespolizei umbenannt.
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stern, Hamburg
6. Mai 1975
von Reimar Oltmanns
und Cornelius Meffert (Fotos)
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V o r b e m e r k u n g :
EIN GENERAL IM NOTSTAND
Wie Brigadegeneral a. D. Paul Kühne besetze Häuser und Straßenbahnschienen durch BGS-Truppen räumen lassen würde:
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"Ein widerrechtlich besetztes Haus in Hannover sollte früh morgens geräumt werden. Ich habe nicht darüber nachzudenken, ob die lieber hätten drin wohnen bleiben sollen, weil sie keine Wohnung haben. Das ist ja für uns alles völlig uninteressant. Es kriegt da einer den Befehl: Dieses Haus ist dann und dann zu räumen. Aus! Schluss! Nicht ? Klar? ...
Die Polizei, die das machen sollte, das war keine Truppe, Die wurde also um x Uhr auf einen Platz bestellt. Da kam nun der eine aus der Gartenstraße, der eine aus der Bismarckstraße. der eine aus der Marktstraße mit Privat-Pkw wie sonst auch zum Dienstantritt ... ...
Und die Leute, die da gelüftet werden sollten. die guckten sich das von oben an. Eine Grenzschutzhundertschaft hätte das anders gemacht. Sie wäre zu dem geheimgehaltenen Zeitpunkt mit etwas Gemacht und Motorenlärm überraschend in der Straße erschienen und hätte zumindest den Überraschungseffekt gehabt ... ...
Anderes Beispiel: Straßenbahndemonstration in Hannover. Wäre was gewesen für uns. Ich hab' dann je nach Wetterlage Mantel angezogen, Hut auf, in Zivil natürlich, und mich dazwischengestellt und mir das angeguckt, wie sich die gesamte Polizeireiterei mühsam bemüht hat, Schienen freizuhalten. Wie eine Phalanx von wieviel hundert hochbezahlten Meistern, gemischt mit 'ner Hundertschaft Bereitschaftspolizei - dieser irrsinnige Aufwand.
Da muss man den Mut haben, mit wenigen Kräften vielleicht ein wenig härter vorzugehen ... Ich habe mir immer eingebildet, wenn der Bundesgrenzschutz als nächstes Mittel kommt nach der Polizei, dann muss das ein etwas härteres Mittel sein. Wenn Grenzjäger die Beurteilung der Lage schriftlich machen muss und seine sämtlichen Paragraphen nachblättern muss, dann kommt er nicht mehr zu einem effektiven Einsatz ...".
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Der Panzerwagen stoppt mit einem Ruck. Aus der Luke klettert ein junger Grenzjäger, springt auf die Straße, nimmt zackig Haltung an. "Herr Oberleutnant, melde mich zurück, Auftrag ausgeführt. Hier ist der Schraubverschluss für die Waschmaschine ihrer Frau." Harald Hirsemenzel , Abteilungskommandeur des Bundesgrenzschutzes (BGS) im niedersächsischen Uelzen, lächelt und steckt den Schraubverschluss in die Tasche. Dann lässt er den Grenzjäger abtreten. "Disziplinlosigkeit", sagt Hirsemenzel stolz, "gibt es bei uns nicht.
BIS AUF DIE KNOCHEN MOTIVIERT
Die Jungs, die zu uns kommen, sind bis auf die Knochen motiviert" - selbst wenn es um private Einkaufsfahrten für die Offiziersfamilien geht. Ob im Einsatz oder in der Kaserne - wenn Oberstleutnant Hirselmenzel vom Leder zieht, nicken seine Untergebenen sofort beflissen mit dem Kopf. Nachdenklichkeit - gar Widerspruch ist verpönt. Auch in der Hundertschaft , in der die Grenzjäger Krause, Gerich und Hartmann Dienst tun. In der grünen Truppe sind die jüngsten Kameraden gerade 16 Jahre alt, die ältesten keine 19. Fast alle wollen zwischen vier und zwölf Jahre Gewehr bei Fuß stehen. Für sie, die gerade die Realschule hinter sich haben, ist der Grenzschutz ein männlicher Erlebnisberuf mit Fahrten durch reizvolle deutschen Landschaften - Streifendienst vermittelt Naturverbundenheit - , ein Quell seelischer Ausgeglichenheit" (so ein Werbetext für den Bundesgrenzschutz )in diesen Jahren.
KARRIERE MACHEN
Die Erwartungen des Grenzjägers Krause sind höher gesteckt. Er möchte Karriere als Bundespolizist machen ("Im ganzen Bundesgebiet, manchmal in Europa im Einsatz, Tag wie Nacht"). Kollege Gerlach denkt vor allem an die sichere Existenz in Jahren der Arbeitslosigkeit:" Hier verdiene ich schon jetzt über 700 Mark netto, bald werden es über 1.000 sein, und ohne Job werden wir beim Staat bestimmt nicht sein, ganz gewiss nicht." Kamerad Hartmann gefällt es zudem beim Grenzschutz, dass er spritziger und schlagkräftiger als die Bundeswehr zu sein scheint: "Wir kommen einfach schneller zum Zuge."
WELTKRIEG-II-STAHLHELM
In den Spinden der drei Grenzjäger liegen zwei Helme griffbereit - je nach Feindlage. Der Weltkrieg-II-Stahlhelm aus den Millionen-Restbeständen des Tausendjährigen Reiches für den äußeren Feind an der damaligen DDR-Grenze. Ein Helm als Symbol für die Truppe - auch nach der Uniform-Reform von 1976 immer wieder neugespritzt, so dass wenigstens sie ein hohes "Einsatzalter von nahezu 50 Jahren" erreichen konnten ; und für den inneren Feind hingegen der Polizeihelm mit klappbarem Visier für Randale und inneren Notstand im Land.
NATONALE VOLKSARMEE
Zur Erinnerung: Der äußere Feind, die Nationale Volksarmee der DDR, (NVA) patrouillierte täglich hinter Stacheldrahtverhauen, Selbstschussanlagen Typ SM 70 und neuen Metallgitterzäunen - für die Grenzschützer kaum sichtbar und weit vom Schuss. Jedenfalls war die NVA bis zum 10. November 1989 - dem Tag des Mauerfall in Berlin und der DDR-Grenzöffnung zum Westen - an der so genannten Staatsgrenze bis auf die Zähne schwer wie scharf bewaffnet. Bis zu jener Zwei-Staaten-Wende sollten Schaufensterpuppen in NVA-Uniform und mit dem Schnellfeuergewehr "Kalaschnikow" im Anschlag den 18jährigen Grenzern das richtige Feindgefühl vermitteln; als Demonstrationsobjekte sozusagen. BGS-Hauptmann Severin: "Die psychologische Wirkung, die unsere Pappkameraden auf die Truppe ausüben, sollte niemand unterschätzen."
STUDENTEN-UNRUHEN
Für den Einsatz bei Unruhen, sit-ins, Straßenblockaden werden die Grenzschützer seit den Studentendemonstrationen der Jahre 1967/68 gedrillt; als überall schnell einsetzbare Bundespolizei. Die Initialzündung lieferte die Verabschiedung der Notstandsgesetze, auch der Bundeswehr im Inneren des Landes einen Marschbefehl erteilen zu können. Die erste Operation war jedoch keine Straßenschlacht, sondern ein Misserfolg. Der BGS konnte nicht verhindern, dass der Überfall der palästinensische Terror-Organisation "Schwarzer September" auf die israelische Olympia-Mannschaft am 5. September 1972 in München im Massaker von Fürstenfeldbruck endete. Damals nahmen die Terroristen elf Athleten der israelischen Mannschaft als Geiseln. Zwei wurden sofort direkt erschossen; bei den anderen scheiterte ein unzulänglicher BGS-Befreiungsversuch. Insgesamt kamen auf dem Flugplatz zu Fürstenfeldbruck 17 Menschen ums Leben. Seither gehört jedenfalls die Terroristenbekämpfung zu den wichtigsten, eigentlich zentralen Ausbildungszielen der 21.000 Mann starken Elite-Truppe des Bundes.
TODESSCHÜTZEN, KARATEKÄMPFER
Todesschützen, Karatekämpfer, Rallyefahrer, "junge Menschen, die überhaupt kein Risiko scheuen, die aus 30 Meter Höhe aus dem Hubschrauber gehen" (FDP-Innenminister Werner Maihofer (1974-1978), "sind unsere absolute Elite" (Brigadegeneral Fritz-Erhard Herrmann). Wer einmal den Durchbruch nach oben schaffen will, "muss sich schon als 16jähriger daran gewöhnen, dass ihm der Polizeischutzschild unterm Bett näher ist als die eigene Zahnbürste im Waschraum", tönt Brigadegeneral Paul Kühne, der bei dem großen verheerenden niedersächsischen Waldbrand im Sommer 1975 Schlagzeilen machte: "Viele an der Spritze, keiner an der Spitze."
TRUPPEN-FORMATIONEN
Um für den Einsatz bei Unruhen wie Terroranschlägen, Streiks, Protestdemonstrationen, Blockaden gerüstet zu sein - sind jugendliche Massenaufläufe stets Ernstfälle. Alarmsignal. Sirenen heulten bei den militanten Krawallen um die Startbahn 18 West des Frankfurter Flughafens 1982. Sirenen heulen alljährlich immer wieder , wenn Kernkraftgegner mit Barrieren, Barrikaden den Stopp hoch radioaktiver Atommülltransporte abgebrannter Brenn-Elemente aus Frankreich zu erreichen suchen. Gesinnungs-Widerstand. Dort, wo die Politik konzeptlos dahindümpelt, keinen inneren Frieden ermöglicht - sind die Stunden der Gewalt nah, in Gorleben bei jener Halsstarre unausweichlich. Es sind junge BGS-Bundespolizisten, die den zivilen Widerstand zu brechen haben; zehntausend Uniformierte - im Jahre 2008: Schlagstöcke, Tränengas , Wasserwerfer . Beizeiten haben die jungen BGSler während ihrer Ausbildung zu lernen, "wie sie gegen tollwütige Menschen, die beißen, kratzen, spucken, schlagen und mit Steinen schmeißen" (Hauptmann Heinen), wie "gegen solche Pöbel in Truppen-Formation aufgeräumt wird". Kamerad Hauptmann Schwärzel: "Das wird geübt, bis es sitzt. Dann bricht keiner mehr aus der Kette". Tag für Tag trainieren sie das "Auf- und Absitzen" vom Mannschaftswagen - immer mit denselben Kameraden, immer dieselben Handgriffe, immer wieder dieselbe Knüppel, Wagentür auf, Wagentür zu, Formation stillgestanden. Visier runter, Marsch. Schnelligkeit ist Trumpf.
MASCHINEN-PISTOLEN IM ANSCHLAG
Bei der Schießausbildung im Übungsgelände Uelzen-Hainberg liegen die jungen Soldaten oft bis zu drei Stunden mit der Maschinenpistole im Anschlag. Keine Bewegung, kein Schuss fällt. Dann, in der 184. Minute, passiert endlich etwas. Ein Tor springt auf, eine Puppe gerät ins Schussfeld. Schon die erste Kugel muss für den Gegner tödlich sein. "Konzentration ist alles", bemerkt Hauptmann Severin, "Scharfschützenmedaillen, die unsere Jungs sich an die Brust heften können, würden sie noch beflügeln."
POLIZEI-KAMERAS ÜBERALL
Keine Geiselnahme oder Straßenschlacht, die ein BGS-Kamerateam auslässt. Wirklichkeitsnahes Anschauungsmaterial ist bei den Einheiten sehr gefragt. Die Einsatzreserve des Bundes probt in zahllosen Manövern den Ernstfall. So im niedersächsischen Bodenteich (BGS-Spruch: "Im ganzen lieben Deutschen Reich gibt es nur ein Bodenteich"), wo sich zwei Hundertschaften feindlich gegenüberstehen. Die eine soll mit Hubschraubern, Wasserwerfern, Panzerwagen, Nebelkerzen und Schlagstöcken die "innere Sicherheit" Deutschlands garantieren. Die andere will mit Farbbeuteln, langen Latten, Steinen und faulen Eiern eine Straßenschlacht anzetteln.
KORPSGEIST BIS INS KRANKENHAUS
Am Ende solcher Manöver finden sich Grenzjäger oft zur ambulanten Behandlung im Krankenhaus wieder. "Korpsgeist, das Gefühl zu einer Truppe zu gehören, ein und dieselbe Sprache zu sprechen, garantieren die Schlagkraft", versichert Oberstleutnant Hartmann Schubarth-Engelschall (Spitz- name: "Donnerknall"). Und Kollege Hirsemenzel beschwört die Kameradschaft: "Wir trinken auch mal kräftig ein Bier. Und wenn's dabei lauter zugeht, dann hört das niemand. Das wirkt sich positiv auf die Einsatzbereitschaft in den Städten aus, eben Ballungsgebiete, in denen es oft drunter und drüber geht."
LETZTE EINSATZ-RESERVE
Schon längst ist die Bundesrepublik von Großoperationen des Grenzschutzes nicht mehr verschont geblieben. Das "jederzeit abrufbare Sicherheits-Potenzial" (Innenminister Hans-Dietrich Genscher 1969-1974) soll aber immer erst dann zuschlagen, wenn die Polizeikräfte der Länder der Lage nicht mehr Herr werden. Mit dieser Machtfülle war die BGS-Truppe nicht ausgestattet, als sie im Jahre 1951 aufgestellt wurde. Damals fristeten die unliebsamen Krieger ein gesellschaftliches Schattendasein - von keinem gewollt, von niemanden geliebt.
FRONTSOLDATEN
Als Hort hochdekorierter Wehrmachtkämpfer war die grüne Truppe bis zur Gründung der Bundeswehr 1956 die einzige militärische Organisation, in der braune Frontsoldaten, die im Zivilleben nicht zurechtkamen, eine neue "Heimat" fanden. Beim Grenzschutz lebten militärische Tugenden, überkommene Männer-Rituale bald wieder auf; ein Hauch Reichswehr ( Berufsheer 1921-1935, Demokratie ferner "Staat im Staate") wehte durch die BGS-Kasernen. Die Grenzer hatten den Rußlandfeldzug (1941-1945) noch in Erinnerung, der Feind im Osten war noch immer im Visier. Drill und absoluter Gehorsam waren selbstverständlich. Mit dem Begriff vom Staatsbürger in Uniform konnten die BGS-Truppen nichts anfangen - Bedeutungen aus einer fremden - unerschlossenen Welt.
ANREDE IN DRITTER PERSON
Die junge Bundesrepublik leistete sich damals eine Elite-Truppe, deren Geist selbst Adenauers konservativem Innenminister Robert Lehr, CDU, (1950-1953; *1883+1956) verdächtig war. In einem Erlass warnte er Mannschaften und Offiziere: "Wie ich festgestellt habe, beginnt sich im Bundesgrenzschutz die Anrede in der dritten Person wieder einzubürgern. Ich ersuche, diese Anredeform in und außer Dienst nicht mehr zu benutzen." Und erst nach langen Widerständen setzte sich bei der Truppe die Anrede "Herr" statt der bloßen Namensnennung durch - allerdings nur im "dienstlichen Schriftverkehr". Für Brüllereien auf dem Kasernengelände schien ein "Herr Gefreiter" ferner denn je von dem, was sich im Bundesgrenzschutz Stallgeruch nennen darf.
FRONTEN GEWECHSELT
Als die Bundesrepublik wieder aufrüstete und Kader für die Verbände der neuen Bundeswehr gesucht wurden, wechselten 58 Prozent der damals 16.614 BGS-Beamten sofort die Fronten. Der Seegrenzschutz des BGS in Nord- und Ostsee wurde sogar ganz von der jungen Bundeswehr übernommen und bildete die Grundausstattung beim Aufbau der neuen Bundesmarine. Was vom "alten" BGS übrigblieb, wachte weiter an der Zonengrenze an den Mahnschildern "Drei geteilt - niemals". Und das - obwohl diese Aufgabe eigentlich der Bereitschaftspolizei der Länder übertragen werden sollte. Es war gar die SPD, die die Auflöung des BGS-Rumpfes verlangt hatte, um die freigesetzten Grenzer dann als "Autobahn-Polizei" einsetzen zu können.
SUCHE NACH ANERKENNUNG
Eingekeilt zwischen der zahlenmäßig überlegenen Bundeswehr und den Polizeikräften der Länder, bereitete sich in der kleinen BGS-Truppe ein Leistungszwang aus, der die Anerkennung beim Bürger garantieren sollte. Er prägt noch heute die Truppe, wie das seither gültige Leitmoto der erst 1972 gegründeten Anti-Terror-Gruppe GSG 9 beweist: "Schneller, härter, bissiger." Präzisionsschützen, Kampfschwimmer, Fallschirmspringer, Einsatztaucher, Sprengstoff- experten, IT-Techniker - Sturmgewehre, Scharfschützengewehre, Maschinengewehre - und eine monatliche Erschwerniszulage von etwa 400 Euro (2008). Da versteht es sich von selbst, dass alle Dienstpläne der Anti-Terror-Gruppe "Verschlusssachen" sind - geht es letztendlich doch um die offene Gesellschaft der Meinungsvielfalt - Freiheit in diesem Land.
GEFÄHRLICHER ALS BUNDESWEHR
Der Bundeswehr waren die BGS-Grenzer bald zu zackig, der Bereitschaftspolizei in den Ländern zu soldatisch. Der Mainzer CDU-Innenminister Heinz Schwarz (1971-1976): "Die können ja fast nichts außer schießen." Und der SPD-Bundestagsabgeordnete, Mitglied des Verteidigungsausschusses, Karl-Heinz Hansen (1969-1982) warnte eindringlich: "Der Bundesgrenzschutz ist gefährlicher als die Bundeswehr. Er hat die Leute aufgenommen, die beim Aufbau der Armee wegen mangelhafter demokratischer Qualifikation durch- gefallen sind."
HOFIERT UND GEHÄTSCHELT
Hofiert und gehätschelt wurden die BGS-Grünjacken stets von ihren Ziehvätern, den Bundesinnenministern. Ihre Lobeshymnen durchziehen geradezu atemlos die noch junge Geschichte Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Eine Kontinuität der Stärke. Einst tönte der CDU-Innenminister Gerhard Schröder (1953-1961; *1910+1989): "Die Beliebtheit des Bundesgrenzschutz schafft gerade an der oft brenzligen Zonengrenze Vertrauen." Hermann Hörcherl, CSU ,( 1961-1965; *1912+1989) schwärmte: "Die Arbeit ist phantastisch. Mir müssen eine allgemeine Dienstpflicht für den BGS einführen." Paul Lücke , CDU, (1965-1968; *1914+1976): "Wenn hier der Notstand ausbricht, alles drunter und rüber geht, dann ist BGS da und in seiner Kraft nicht zu unterschätzen." Ernst Benda, CDU ,(1968-1969): "Der BGs ist das unerlässliche Bindeglied zwischen polizeilichem und militärischen Einsatz." Hans-Dietrich Genscher, FDP, (1969-1974): "Der Bundesgrenzschutz ist ein Garant der freiheitlich-demokratischen Grundordnung." Gerhard Baum, FDP, (1978-1982): "Der Bundesgrenzschutz ist eine bestens ausgerüstete Bundespolizei." Wolfgang Schäuble, CDU, (2005-2009): "Ohne das Engagement und den mobilen Einsatz des BGS wäre der Kampf gegen den internationalen Terrorismus nahezu aussichtslos. Hut ab."
HICKHACK IM FÖDERALEN DICKICHT
Trotz der Lobeshymnen seiner Befehlshaber blieb der BGS eine Truppe ohne klaren Auftrag - folglich mit fragiler Identität. Von der "Auflösungsdebatte" geschockt, vom Personalmangel geplagt, versuchen die Grünjacken jahrzehntelang, ihre Existenzberechtigung als Puffer an der einstigen DDR-Grenze zu beweisen; suche nach Anerkennung. Doch das hehre Ziel "Zwischen Ost und West nur BGS" wurde nicht erreicht. Denn außer den Grenzern patrouillieren noch Beamte des Zolls und der Bayerischen Grenzpolizei sowie Engländer und Amerikaner am Zonenrand früherer Jahre. Seitdem die DDR-Grenze seinerzeit noch engmaschiger geworden ist, durchsetzten Eifersüchteleien, Statusrivalitäten - Animositäten den eigentlichen Überwachungs- und Schutzauftrag.
SCHARMÜTZEL AUS ABGEHAKTEN EPOCHEN
Wenn zum Beispiel ein westdeutscher Schlauchbootfahrer auf der Elbe von DDR-Grenzern aufgebracht wird, liefern sich Zoll und BGS ein Wettrennen: Wer ist schneller am Tatort. Sieger bleibt meistens der Zoll, weil er auf der Elbe eigene Schnellboote einsetzen kann. Der BGS rudert im Schlauchboot hinterher oder muss erst einen Hubschrauber in Gifhorn startklar machen. General Kühne kann nicht verwinden, dass der Zoll dem Grenzschutz in der Tagesschau oft die Schau stiehlt. "Es ist blödsinnig mit diesem Verein. An der Grenze ist doch alles dicht, da gibt es gar nichts zu verzollen. Was wollen die da eigentlich?" Zollamtmann Westermann aus Hitzacker kontert: "Der BGS soll mal auf dem Teppich bleiben. Wir sind mit unseren Booten auf der Elbe und mit 200 Mann ständig im Einzeldienst an der Grenze. Der BGS ist weit vom Schuss, nämlich in den Kasernen." - Scharmützel aus einer abgehakten Epoche.
SELBER INS GEREDE GEBRACHT
Einen Erfolg allerdings kann der BGS für sich allein verbuchen. 1975 war er 68.500 Neugierigen ein hilfsbereiter Grenzführer. Ins Gerede gebracht haben den BGS fast ausschließlich die eigenen Affären. So musste 1973 der damalige Innenminister Hans-Dietrich Genscher zugeben, dass BGS-Beamte neun Jahre zuvor an einer Übung der US-Armee zur "Bandenbekämpfung" teilgenommen hatten und für einen Härtetest 24 bis 37 Stunden in "Gefangenschaft" gegangen waren. Was sie dabei erlebten, sah laut Genscher-Bericht so aus - Vorläufer der späteren internationalen Terrorismus-Bekämpfung ab Jahr 2.000 aufwärts.
0 "Einsperren in stark überheizten Zellen, Stehen in der Zelle, in "Achtungstellung" mit über dem Kopf verschränkten Armen. Wachhalten in der Zelle;
0 Liegestütze, Beinhüpfen, 'Häschenhüpfen', starke Geräuschbelästigung durch Trommel mit Stöken und Blechstreifen an der Zellentür, Einspielen schriller Töne in die Zellen-Lautsprecher, zeitweiliges Einsperren in Stahlblechschränke;
0 mit kaltem Wasser besprühen, Beschränkung des Trinkwassers und der Nahrung, in Furcht versetzen durch angsteinflössendes Hundegebell, Ablecken des Gesichts;
0 Beschimpfungen, dann Versprechungen von Geld, Speise, sofortiges Freilassen bei Verrat von bevorstehenden 'Bandensprenungen'."
RUSSEN ALS VORBILDER
Vorbild war nicht die US-Armee. Sogar bei den Sowjets wollten die Grenzschützer damals lernen. "Wir wissen, dass die Russen sich für den subversiven Kampf und für Guerilla-Aktionen vorbereiten". begründete der frühere Ministerialdirigent Schultheiss aus dem Bonner Innenministerium die BGS-Schulung für den Untergrundkampf. Schon im Herbst 1965 wurde beim BGS der Einsatz gegen Streikende geprobt. Das Stadion Mörfelden bei Frankfurt diente einer halben Grenzschutzabteilung als Aufmarschgebiet. Die Grünröcke waren in der Rolle streikender Arbeiter geschlüpft. Auf Schildern riefen sie zur Arbeitsniederlegung auf. Der andere Truppenteil demonstrierte die Staatsmacht und trieb die "Streikenden" auseinander.
AFFÄRE KNORR
Am stärksten ins Zwielicht geriet der BGS durch die Affäre Knorr, die der frühere Chef der Gewerkschaft Polizei, Werner Kuhlmann ( 1958-1976) aufgedeckt hatte. Kuhlmann (*1921+1992) warf dem Chef der BGS-Fliegerstaffel Bonn-Hangelar, Oberst Erwin Knorr , vor, Untergebene im Dienst körperlich misshandelt, geschunden und gedemütigt zu haben. Vom Vorwurf der Körperverletzung im Amt wurde Knorr zwar freigesprochen, aber nach den Zeugenaussagen vorm Bonner Landgericht steht fest, dass Ausrücke wie "Idiot, Arschloch, vollgeschissener Strumpf" zum alltäglichen Sprachgebrauch des ehemaligen Leutnants der Großdeutschen Luftwaffe gehörten.
DEMÜTIGUNGEN JUNGER MÄNNER
Der Düsseldorfer Hubschrauberpilot Dieter Keimes, 1971/1972 in Hangelar zum Lehrgang, berichtete: "Ich wurde zweimal rausgesetzt, einmal in 80 Kilometer Entfernung vom Landeplatz. Ich wurde beschimpft - Idiot, Blödel - und musste in die 'Grube' Toiletten reinigen." Sein Kollege Helmut Engeln: "Ich wurde als ausgewachsener Obermeister vor vorsammelter Mannschaft zusammengeschissen." Obermeister Jürgen Mönch. "Wenn der Oberarm blau wird und man sich die Flecken mit Kugelschreiber einrahmen kann, dann ist das wohl kein Knuffen mehr." - Dienstliche Gewalt-Attacken beim BGS.
VERDROSSENHEIT
Die Affäre Knorr und wohl viele, sehr viele kleine Gewalt-Exesse, die nie an das Tageslicht durften und auch kamen, war für die sozialliberale Koalition offenkundig der letzte Anstoss, den Grenzschutz zu reformieremn. Das Nebeneinander von Länder-Bereitschaftspolizei (MEK) , die bei Unruhen eingesetzt wird, und von Grenzschutztruppen, die den Einsatz nur proben dürfen - als Trockenübung - musste endlich klar geregelt werden, um die arge Verdrossenheit, den Frust, im BGS abzubauen Brigade-General Kühne: "Eine Straßenräumung oder Hausbesetzung zum Beispiel wäre eine klassische Sache für den BGS; da würden wir ein bisschen härter draufschlagen. Natürlich würden wir da nicht gleich schießen."
BGS-THEATER FÜR LIONS-CLUB
Paul Kühne und sein Pressemajor Werner Rück beließen es nicht nur bei markigen Kasinosprüchen, zu sehr hatte der Kalte Krieg zwischen Ost und West schon ihre Seelen erobert. Um das alte Feindbild vom "häßlichen Volksarmisten" aufzupolieren, gingen die Grenzer auf Tournee, Theater-Tournee; Kühne in der Uniform eines BGS-Brigadegenerals, Rück in der Majorsuníform der Nationalen Volksarmee. Den entgeisterten Herrschaften vom Rotary-Club in Einbek und vom Lions-Club in Hameln spielten die Kalten Krieger einen Ost-West.Einakter vor. - Jahrzehnte des Kalten Krieges.
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POSTSCRIPTUM. - Mit dem Schengener Abkommen, vom Juni 1990, innerhalb der Europäischen Union auf Grenzkontrollen zu verzichten und der Auflösung der innerdeutschen Grenze vom 3. Oktober 1990 war der Bundesgrenzschutz eine Truppe ohne Aufgaben. Deshalb übernahm mit dem Tag der deutschen Wiedervereinigung der Bundesgrenzschutz in den neuen Bundesländern Funktionen der Bahnpolizei, die im Jahre 1992 ganz in den BGS integriert wurde. Sukzessive wurden dem Bundesgrenzschutz deutschlandweit polizeiliche Kontrollen zur sogenanten Gefahrenabwehr - etwa der Schleyer-Fahndung (1994) übertragen. Seither ist er in Deutschland mit einer Sollstärke von 30.000 - mitunter schwer bewaffneten Beamten präsent. Demzufolge wurde im Juli 2005 aus dem einstigen Bundesgrenzschutz - die Bundespolizei. Zudem sind BGS-Beamte auf allen Bahnhöfen wie Flughafen seit dem 1. August 1998 ermächtigt, ohne Anlass und ohne Grund Menschen aus Zügen oder Flugzeugen zu holen, Identität zu überprüfen, Gepäck zu kontrollieren.
Operationen:
0 Am 27. Juni 1993 versuchten 37 GSG-9-Männer und 60 weitere Beamte die RAF-Terroristen Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld in Bad Kleinen festzunehmen. Beide leisteten Widerstand. Beim Schusswechsel kam der Beamte Michael Newrzella ums Leben. Er war der erste GSG-9-Mann, der im Dienst getötet wurde. Eine Untersuchung stelle zweifelsfrei den Selbstmord von Grams fest.
0 Zwei im Irak stationierte GSG-9-Beamte , Thomas Hqfenecker und Tobias Retter, wurden seit dem 7. April 2004 als Objekt- und Personenschützer an der deutschen Botschaft n Badgad vermisst. Am 1. Mai 2007, mehr als drei Wochen nach dem Überfall, wurde die Leiche eines der beiden vermissten Bundespolizisten, Tobias Retterath, gefunden. Die sterblichen Überreste des zweiten Beamten, Thomas Hafenecker, gelten bis heute als unauffindbar im Irak.
0 Am 4. September 2007 kaperten GSG-9-Beamte eine Ferienwohnung im nordrhein-westfälischen Oberschledorn, in der drei Verdächtige damit begonnen hatten, aus Wasserstoffperoxid Sprengstoff herzustellen - Sprengstoff, der in amerikanischen Gebäuden in Deutschland , aber auch Restaurants, Diskos und dem Frankfurter Flughafen explodieren sollte.
0 Am 30. September 2008 sollte die bisher größte Einsatz der Bundespolizei unter dem Namen Operation "Desert Fox" anlaufen. Es galt fünf Deutsche, fünf Italiener, eine Rumanin und acht ägyptische Sahara-Urlauber aus den Händen ihrer Kidnapper zu befreien. Sie waren in der oberägyptische Wüste entführt und dann ins Grenzgebiet zwischen Ägypten, Sudan, Libyen und dem Tschad verschleppt worden. Für ihre Freilassung forderten die Entführer sechs Millionen Euro Lösegeld.
Innerhalb von 36 Stunden wurden mit drei Sonderflügen der Lufthansa, sechs Transall der Bundeswehr und zwei Antonow-Frachtflugzeugen zirka 150 Einsatzkräfte der GSG-9, dazu 30 Beamte des Führungsstabes der GSG-9 und des Bundespolizeiflugdienstes, 14 Mitarbeiter des Technischen Hilfswerkes sowie drei Bundespolizeihubschrauber, zwölf geländetaugliche Einsatzfahrzeuge, große Mengen Muntion in das südägyptische Shark-el-Uweimat geflogen. Zum Einsatz kam die GSG-9 dann aber doch nicht. Die Entführer hatten ihre Geiseln laufenlassen.