Donnerstag, 1. Juli 1976

Verfolgt, verboten, geduldet: Ratlos in der roten Ecke. Aus deutschen Landen der Zeitgeschichte - Kommunisten




















































Aus den Landen westdeutscher Zeitgeschichte: Während die Kommunisten in Italien und Frankreich Mitte der siebziger Jahre unter dem Begriff "Euro-Kommunismus" auf dem Vormarsch waren, führten sie in der Bundesrepublik ein Schatten-Dasein: Die Mitgliederzahl stagnierte , der Wählerstamm bröckelte, nur das Geld aus Ostberlin floss regelmäßig - einstweilen. Die Auflösung der sozialistischen Staatenwelt stürzte die DKP in eine tiefe Existenzkrise. Von den einst 57.000 Parteimitgliedern hielten nach 1989 nur wenige Tausend der Partei die Treue. Die Lenin-Statue geriet auf den Wochenend-Freizeiten - wie hier in Essen - immer mehr zum Maskottchen

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stern, Hamburg
01. Juli 1976
von Reimar Oltmanns
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Als der Kartoffelpreis in der Bundesrepublik Mitte der siebziger Jahre auf 3,50 pro Kilo kletterte, hielt es den DKP-Chef Rhein-Ruhr, Manfred Kapluck , nicht mehr ruhig am Schreibtisch. Getreu seinem Leitspruch "Wer die Welt verändern will, muss sie erkennen" kurbelte der 47jährige in der DDR geschulte Funktionär einen halben Nachmittag, um Günter Mittag (*1926+1994), den stellvertretenden DDR-Ministerpräsidenten, in Ostberlin ans Telefon zu bekommen. Als er ihn schließlich am Draht hatte, machte Kapluck dem DDR-Genossen klar, es müsse jetzt mit Hilfe einer "Agitation aus dem Kühlschrank bei den Werktätigen das Bewusstsein für die DKP-Preisstopp-Politik geweckt werden". Mit billigen Kartoffeln, Eiern und Hähnchen aus der DDR könnte sich die Partei beliebt machen - eben Beachtung verschaffen.
"HÄHNCHEN FRISCH AUS DER DDR"
Kaplucks Bittruf wurde erhört. Schließlich hatte er im Jahre 1951 und 1952 als Mitglied der damals illegal gewordenen KPD in einem westdeutschen Gefängnis eingesessen Mittag, Genosse aus alten Zeiten, ließ 100.000 Eiern, 1.000 Zentner Kartoffeln und 4.000 Hähnchen "frisch aus der DDR" transportieren (Verkaufsslogan auf eigenen Wochenmärkten zwischen Bottrop und Essen: "DKP bietet an: Das Ei des Columbus" - pro Stück für einen Groschen). Die SED-Führung schickte nicht nur Lebensmittel in den Westen. Sie unterstützte nach Erkenntnissen der Unabhängigen Kommission Parteivermögen (UKPV) ihre DKP im Zeitraum 1981 bis 1989 mit Zahlungen von 269.097.518 Euro.
AUFWIND ALTER KADER
Die wieder aus der Illegalität aufgetauchten Funktionäre von einst sahen sich jetzt erst recht in ihrer Rolle als Interessenvertreter der kleinen Leute in Gewerkschaften, Betriebsräten bestätigt. - Aufwind für alte Kommunisten, die wie Manfred Kapluck und Co. ihre Zeit im westdeutschen Untergrund durchgestanden haben. Früher in der Illegalität bestand seine Aufgabe darin, die verbotene FDJ im Untergrund am Leben zu erhalten und vornehmlich den Kontakt zur akademischen Jugend zu suchen; konspirativ versteht sich. Manfred Kapluck war seinerzeit unter dem Vorwurf zum "Hochverrat" in mehrmonatige Untersuchungshaft gesteckt worden - verschwand danach für zwölf Jahre in der Illegalität.
"KOMMUNISTEN AUCH MENSCHEN"
Die Partei, vor 57 Jahren - 1919 - von Rosa Luxemburg (*1871+1919 ) und Karl Liebknecht (*1871+1919 ) gegründet, will den Bundesbürger nicht länger mit Klassenkampf-Parolen verschrecken, sondern beweisen, "dass wir Kommunisten auch Menschen sind" (DKP-Chef Herbert Mies). Und wenn es um die Menschen geht, ist der DKP nichts zu teuer. So organisiert die DKP-Nachwuchsriege, die Sozialistische Arbeiterjugend (SDAJ), jedes Jahr zu Pfingsten Zeltlager für Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren - beispielsweise in Gelsenkirchen. Zum Freizeit-Angebot gehören "Getränke und Speisen zu Lehrlingspreisen". Dortmunder Fallschirmspringer, die für 700 Mark kunstvolle Absprünge zeigen, und Beat-Gruppen, die für fast 6.000 Mark internationale Hits spielen.
FDJ-PROMINENZ IM WESTEN
Unter den Gästen machen FDJler aus Ostberlin, Rostock, Dresden und Magdeburg in ihren Blauhemden am meisten von sich reden. Ihre "Fest"-Beiträge ("Warum der Kommunismus den Kapitalismus besiegt") werden live in die Nachbarzelte ausgestrahlt. Im Hauptzelt "Flöz Sonnenschein" gibt's Schmalzbrot und Korn für 'ne Mark - extra "für die DKP hergestellt". Jugendliche mit Fedajin-Tuch und Baskenmütze - die rebellische Ausgeh-Uniform dieser Jahre - reißen sich um Castro und Marx-Poster - eine Mark pro Stück. Das überlebensgroße Konterfei des legendären Latino Ernesto Che Guevara (*1928+1967) war schon noch 20 Minuten ausverkauft. Die 26jährige Lehrerin Hilde aus Nordhorn schwärmt von ihren Urlaubsplänen: "Noch 38 Tage, dann bin ich endlich mit meinen Genossen auf Kuba." - Ein bisschen Romantik, ein bisschen Revolution, viel Schwärmereien, viel Gänsehaut zwischen Bacardi-Rum, Bretterbuden und Betonbananen im Kohlenpott. Ihre Freundin Christiane ist schon drei Jahre DKP-Mitglied. "Wir sind eine Gruppe, die zusammenhält und in der sich jeder um den anderen kümmert" , sagt sie stolz. Nicht alles am Sozialismus sei ihr ganz geheuer, etwa die Arbeitslager in der Sowjetunion, "aber mir fehlen wohl noch einige Parteischulungen", bekannt die 22jährige.
VERTRAUEN - WÄHLERSTIMMEN
Altkommunist Clemens Kraienhorst (*1905+1989) , nachdem in Bottrop eine Straße benannt wurde, glaubt gar an eine zeitgeschichtliche Epoche, in der der DKP lang erhofft endlich der Durchbruch naht. Bergmann war er, immer der KPD treu geblieben, auch dann, als die Nazis in ins KZ Esterwegen internierten. Euphorisch schwärmt er: "Mit dieser Jugend und ihrem Engagement wird es für die Partei in der Bundesrepublik die große Wende geben." Clemens Kraienhorst rückblickend: "Ich bin Kommunist geworden, weil ich den Leuten helfen wollte." Er weiß, wie Wählerstimmen für die Kommunisten gewonnen werden können. Bei der letzten Kommualwahl in der Bergarbeiterstadt Bottrop brachte er es in seinem Wahlkreis auf 33 Prozent. Die DKP zog mit 7,2 Prozent ins Stadtparlament ein. Einmalig war diese Kraienhorst-Resultat. Bei den Bundestagswahlen zwischen 1972 und 1983 konnte die DKP allenfalls 0,3 Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Seitdem nahm sie nicht mehr teil. Lediglich in Bremen bei der Bürgerschaftwahl 1971 brachte sie es mit 3,1 Prozent auf ein für sie ungewöhnliches Ergebnis.
BOTTROPS ERFOLGREICHE KOMMUNISTEN
Das gute Kraienhorst-Ergebnis ist der Erfolg einer zähen täglichen Kleinarbeit, auch Sozialarbeit oder Schuldnerberatung genannt. Wenn eine Familie mit der Ratenzahlung für den Farbfernseher ins Hintertreffen gerät, wenn Mieterhöhungen drohen, Schwierigkeiten beim Lohnsteuerjahresausgleich auftreten oder Arbeitslosigkeit zu einem Dauerzustand werden zu droht, wenn es zu Familienstreitigkeiten kommt - Bottrops Kommunisten haben stets ein offenes Ohr - Mitgefühl. Damit die Kinder in den Schulferien nicht auf der Straße herumlungern müssen, organisiert Fraktionschef Heinz Czymek jährlich für 800 Jugendliche eine Kinder-Land-Verschickung in den "Modellstaat DDR". Und sein Kollege Franz Meichsner baute für die Kinder aus einem alten Karstadt-Lieferwagen einen fahrbaren Spielplatz mit Bauklötzen und Tischtennisplatte.
STAATSTRAGEND STATT REVOLUTIONÄR
Auch in Bottrops Nachbarstadt Gladbeck sind die Kommunisten hochgeachtet. Hier arbeitet die DKP mehr "staatstragend" und "auffallend weniger revolutionär" an den Problemen dieser Stadt. - Hier geht es um Weichenstellungen, die der gravierende Strukturwandel in der Region, etwa durch die Neuansiedlung von Industrie oder auch Schaffung neuer Arbeitsplätzen, mit sich bringt. "Diesen Neuerung", sagt SPD-Oberbürgermeister Kurt Schmitz , "widersetzt sich die DKP nicht". Ganz im Gegenteil, sie leiste "sehr viel Kleinarbeit", konzediert der Oberbürgermeister, auch wenn sie sich laufend ungefragt als "Anwalt der kleinen Mannes" geriere. Zuweilen fühle er sich "genervt", weil sie "kleine Problemchen" über Gebühr groß aufs Trapez hochziehe.
STAMMKNEIPE MIT DKP-WIMPEL
Ob auf dem Spielplatz, in der Nachmittagsschule oder in ihrer Stammkneipe, wo der DKP-Wimpel neben den Fußball- und Skat-Ehrenurkunden hängt - Westdeutschlands Kommunisten wollen raus aus dem Schattendasein der Hinterhöfe. Um endlich salonfähig zu werden und keinen Anlass für ein neues Verbot zu liefern, geben sie sich betont bürgerlich. DKP-Chef Herbert Mies (1973-1990): "Früher gratulierten wir zuerst den DDR-Sportlern zu ihren Siegen. Heute schicken wir unserem National-Bomber Gerd Müller (68 Tore, 62 Länderspiele) Glückwunsch-Telegramme."
SCHÖNHEITS-OPERATIONEN
Doch die Schönheits-Operationen hat der Partei noch nichts eingebracht. Die DKP steckt allen Beteuerungen zum Trotz ("Wir sind eine nationale Kraft") in einer Krise. Der in Moskau geschulte Diplom-Volkswirt Herbert Mies (Kapluck: "Mies war dort drei Jahre, ich nur eines") musste vor dem Parteivorstand einräumen, dass die "sympathische Kraft" DKP weder Wahlen gewinnen noch neue Mitglieder werben konnte. Der DKP-Experte, Professor Hermann Weber (Ordinarius Politische Wissenschaften an der Universität Mannheim 1975-1993) , resümiert: "Dieser Führungsgruppe fehlt Gespür und analytische Fähigkeit, politische Zusammenhänge überhaupt noch nach zu vollziehen." Sie habe ihre politische Sozialisation in der Illegalität der West-KPD von 1951 bis 1968 in der DDR erhalten. Von den 1.500 deutschen Kommunisten, die während der Hitler-Diktatur in die Sowjetunion flüchteten, kehrten lediglich 700 mit der Gruppe Ulbricht zurück. - Von den anderen fehlt jede Spur, vermutlich in der Sowjetunion umgebracht worden. Vielerorts herrschte Nachwuchsmangel für Führungsaufgaben bei den Kommunisten. Aderlass. Etwaige Führungskader, wie der Essener-Bezirksgenosse Manfred Kapluck, wurden mit dem Argument denunziert, sie seien "Alkoholiker". - Ende der Durchsage.
MEHR KPD-MITGLIEDER ALS NS-TÄTER VOR GERICHT
Dabei hatte die westdeutsche Justiz Kommunisten weitaus konsequenter, härter und unnachgiebiger verfolgt als ehemalige eingefleischte Nationalsozialisten. Jedenfalls lagen die rechtskräftigen Urteile gegenüber Marx- und Lenin-Anhängern siebenmal so hoch wie die gegen NS-Tätern - und das eingedenk der Tatsache, dass die Nazis Millionen Menschen ermordet hatten. Den Kommunisten hingegen konnte man allenfalls Landesverrat vorwerfen. Nach dem KPD-Verbot ermittelten Staatsanwaltschaften gegen 125.000 Personen wegen angeblich "politischer Delikte". NS-Verfahren richteten sich bis dato allenfalls gegen 106.000 Verdächtige. Deutsche Geschichts-Aufarbeitung, deutsches Recht.
EURO-KOMMUNISTEN
Während die Bruderparteien in Italien und Frankreich immer stärker werden, verloren die westdeutschen Kommunisten bei den letzten Landtagswahlen 1975 in Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, im Saarland, in Nordrhein-Westfalen und Bremen 43.262 Wählerstimmen. Bis auf wenige Kommunal-Parlamente, etwa in den Universitätsstädten Göttingen, Tübingen, Marburg, konnte die DKP durchweg nur 0,3 Prozent der Wählervoten als Stimmen-Maximum in deutschen Landen erreichen. Seit 1983 nahm sie an der Bundestagswahl nicht mehr teil. Aber auch der Absturz der einst hoch gelobten Partei-Zeitung "Unsere Zeit" und der DKP-Stadtteilblätter vollzog sich rasant - sank von 1.073.000 um 272.000 Exemplare auf 801.000. Im Jahr 2008 kann die Partei vierzehntägig allenfalls 7.500 UZ-Zeitungen drucken. Zudem stagnierte die Zahl der Mitglieder stagnierte über Jahre - ab 1973 bei rund 42.000. Seitdem Zusammenbruch der DDR 1989 blieben laut Verfassungsschutz-Bericht nur wenige Tausend übrig (etwa 4.500), die an den Idealen der "Diktatur des Proletariats" unbeirrt festhalten. Der hessische DKP-Landesverband rief aus seinem Schatten-Dasein im Jahre 2008 seine noch wenigen Mitglieder auf, für die Landtagswahl die Linkspartei von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi zu wählen. Immerhin gelangten bundesweit etwa zwanzig DKP-Kandidaten über Listenplätze in kommunale Parlamente oder auch Landtage.
KEIN DURCHBRUCH IN BETRIEBEN
Sogar in den Betrieben, wo Kommunisten nach Lenin "zu allen möglichen Kniffen, Listen und illegalen Methoden, zur Verschweigung, zur Verheimlichung bereit sein müssen, um nur in die Gewerkschaften hinzueinkommen, in ihnen zu bleiben und in ihnen um jeden Preis kommunistische Arbeit zu leisten", blieb die DKP trotz "konsequenter Kleinarbeit" (Kapluck) der Durchbruch versagt. Und das bei einer fortwährenden Arbeitslosenzahl, die schon in den siebziger Jahren bei 1,5 Millionen lag und sich in drei Jahrzehnten nahezu verdoppelte. mitunter verdreifachte. Dauerkrise. Von den 200.000 Betriebsräten in der alten Bundesrepublik, die Anfang 1975 gewählt worden sind, stellte die DKP trotz aller wirtschaftlicher Engpässe mit sozialen Härten bei Entlassungen lediglich tausend und blieb damit bei 0,5 Prozent. - Eine verschwindende Minderheit.
PARALYSE AN DEN UNIS
An den 41 Universitäten und Technischen Hochschulen mit Studentenparlamenten blockieren sich die DKP-Kommunisten und die im Kommunistischen Bund Westdeutschlands organisierten Mao-Anhänger gegenseitig. Dort gewinnt die DKP immerhin in begrenzten Umgang an Einfluss auf die "neuen sozialen Bewegungen"; weg von der "Handarbeiterklasse" - hin zur Intelligenz. Der Marxistische Studentenbund (MSB) "Spartakus" (Mitglieder: 4.700) sitzt in 35, die Mao-Linke (Mitglieder: 4.500) in 33 Parlamente. Der Konflikt, wer ein "Sozialfaschist" oder "ein Büttel der Reaktion" sei und die Revolution verraten habe, schwelt unvermindert weiter. Von den 842.000 Studenten haben sich nur ganze 1,4 Prozent hinter den roten Fahnen gesammelt, 1974 waren es immerhin noch 1,8 Prozent. In besagten Universitäts-Städten Göttingen, Hannover, Bremen, Marburg oder auch Tübingen sitzt die DKP in Stadtparlamenten jener Jahre. Der MSB "Spartakus" hat sich im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands im Jahre 1990 von den Hochschulen verabschiedet - wurde still aufgelöst. - Friedhofsruhe.
ANGST VOR BERUFSVERBOT
Im öffentlichen Dienst, den CDU/CDU-Scharfmacher wie Franz-Josef Strauß (*1915+1988) und Alfred Dregger (*1920+2002 ) von Kommunisten unterwandert sahen, sind von 3,4 Millionen Beamten, Angestellten und Arbeitern 1.789 Kommunisten in den siebziger Jahren. Beim Bund arbeiten demnach nur 256, Auf 1900 Angehörige des öffentlichen Dienstes kommt demnach ein Roter. - Schreckgespenster.
BGS UND POLIZEI
Demzufolge gibt es beim Bundesgrenzschutz und bei der Polizei gar keine Kommunisten. Doch das hindert die Behörden nicht, DKP-Anhänger auszuspähen und zu jagen. Parteichef Herbert Mies: "Mit den Berufsverboten will man uns an den Rand der Legalität drängen und die Gurgel zudrücken." Indes: Die DKP hat allerdings wenig getan, um den Argwohn des Staates zu zerstreuen und den geheimnisumwitterten Schleier ihres Getto-Daseins wenigstens etwas zu lüften. Die Fenster der Essener Parteizentrale etwa sind vergittert, Tag und Nacht wird das Haus in der Hoffnungstraße bewacht, Stahlblenden sollen vor Neugierigen schützen. Der Keller hat einen Notausgang, in einem Raum liegen Schutzhelme und Gasmasken. Im ersten Stock des Parteigebäudes ist die "Karl-Liebknecht-Schule" untergebracht. 1.400 DKP-Genossen werden dort jährlich, meist in Wochenlehrgängen, ideologisch getrimmt.
LENIN-SCHÜLER
Den Lenin-Schülern wird erklärt, wiederholt und nochmals verdeutlicht, dass
0 die Theorie von Marx, Engels und Lenin "eine Anleitung zum Handeln ist und die geistige Waffen bietet, mit denen ... ... der Weg zum Sozialismus auch in der Bundesrepublik erkämpft werden kann";
0 "das wichtigste Kriterium für eine wirkliche revolutionäre und internationalistische Gesinnung die Haltung zur Sowjetunion ist ...";
0 "die Verwirklichung des Sozialismus eine Revolution und damit mehr als eine Reform oder Summe von Reformen ist";
0 die DKP für eine sozialistische Ordnung kämpft, "deren Grundmodell in den Ländern der sozialistischen Staatengemeinschaft verwirklicht ist ...";
0 es niemals zuvor in der Geschichte eine Gesellschaft gegeben hat, die "so menschlich, so freiheitlich und so demokratisch war wie die Gesellschaft in den Ländern des realen Sozialismus. Dort hat das arbeitende Volk reale Freiheit und reale Demokratie ... Von der realen Menschlichkeit können die Arbeiter in der Welt des Kapitalismus nur träumen."
AUF NACH MOSKAU
Wer zu den jährlich etwa 220 Auserwählten zählt, die zu Jahres-, Halb- und Vierteljahreslehrgängen an das "Institut für Gesellschaftswissenschaften beim Zentralkomitee der KPdSU" nach Moskau geschickt werden, oder wer das "Franz-Mehring-Institut" der SED in Ostberlin (Parteischule für westdeutschen DKP-Funktionäre) besuchen darf, "der muss auch etwas in der Praxis geleistet haben," sagt Manfred Kapluck.
VOR WESTAGENTEN SCHÜTZEN
Die Auswahl der priviligierten Kader trifft der engste Zirkel um Parteichef Herbert Mies. Bottrops DKP-Fraktionsvorsitzender Heinz Czymek: "Wir müssen uns doch vor Westagenten schützen." Wie schon zu KPD-Zeiten ist der Mies-Zirkel (das sogenannte Sekretariat des Vorstandes) "die operative politische und organisatorische Führung der Partei". Beim Entscheidungsprozess ziehen die Mies-Genossen streng geheime Fragebögen zu Rate, die Auskunft über die Intimsphäre der Kandidaten, über ihren beruflichen Werdegang und über ihre Charaktereigenschaften geben.
PARTEIKARRIEREN ... ...
Wer in der Partei Karriere machen will, muss auch in Ostberlin wohlgelitten sein. Denn die Westabteilung beim Zentralkomitee der SED unter Leitung von Professor Herbert Häber (1973-1985) trifft, so der DKP-Experte Hermann Weber an der Universität Mannheim, "sämtliche Vorentscheidungen , mit welchen Leuten die westdeutsche Parteihierarchie besetzt wird." (Am 11. Mai 2004 wurde Häber vom Landgericht Berlin wegen der Anstiftung zum dreifachen Mord schuldig gesprochen; mitverantwortlich für den Tod von drei an der früheren "Staatsgrenze" erschossener Menschen). Bis 1989 war Herbert Häber Mitarbeiter bei der Akademie für Gsellschaftswissenschaften beim Politbüro des ZK der SED.
MIT DECKNAMEN IM WESTEN
Oft fahren SED- und Gewerkschaftsfunktionäre aus den sogenannten Patenbezirken der DDR uner Decknamen in die Bundesrepublik, um den DKP-Genossen bei der Verwirklichung des "realen Sozialismus" zu helfen. 1975 gingen etwa 1.400 Parteibürokraten auf West-Reise. Für Herbert Mies ist es freilich undenkbar, dass sich die DKP irgendwann von der Vormundschaft der SED befreit, um nach dem Vorbild der italienischen und französischen Genossen mit einem unabhängigen Kurs Wählerstimmen zu gewinnen. Mies: "Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass die Deutsche Kommunistische Partei für den Lophn bürgerlicher Salonfähigkeit auch nur ein Fußbreit abweicht von der Lehre von Marx, Engels und Lenin, von der große Idee des proletarischen Internationalismus." Vor dem italienischen Weg wird scharf gewarnt: "Derartige Nachgiebigkeit und Prinzipienlosigkeit duldet unsere Partei in ihren Reihen nicht."
30-MILLIONEN-PARTEI-SPRITZE
Die Nibelungen-Treue zu Ostberlin hat auch finanzielle Hintergründe. Jährlich greift die SED den westdeutschen Gesinnungsfreunden mindestens mit einer 30-Millionen-Mark-Spritze unter die Arme - so der Verfassungsschutzbericht für 1975. Mit der Summe, die über 20 kommunistische Handelsunternehmen im westlichen Ausland in die Bundesrepublik geschleust wird, werden die hauptamtlichen Parteiangestellten gelöhnt. Von den 91 Mitgliedern im DKP-Vorstand verdient gut die Hälfte zwischen 1.700 und 2.500 Mark brutto. Kapluck: "Wir haben genügend Funktionäre für eine Millionen-Partei. Nur es fehlen uns die Millionen."
SEKTE OHNE WAHL-CHANCE
Die DDR-Treue (Kapluck: "Honecker und Mies sind schon über 30 Jahre befreundet") ist für den DKP-Experten Professor Hermann Weber der Hauptgrund, "dass die DKP neben der KP Luxemburg eine Sekte ohne reelle Wahlchancen bleibt". Nur Herbert Mies verbreitet von Wahl zu Wahl Zweckoptimismus. 1972 erklärte er: "Es wird die Zeit kommen, da werden auch Kommunisten in den Parlamenten sitzen. Wir haben einen langen Atem." Vier Jahre später tröstet er seine Anhänger: "Die DKP wird bei der nächsten Bundestagswahl keinen starken Sprung nach vorn machen bei den Wählerstimmen (1972: 0,3 Prozent) machen." Aber 1980 sei es dann soweit. Doch manchmal scheint selbst Herbert Mies zu resignieren: "Bisweilen ist es schon trostlos. Da beißt sich einfach die Katze in den Schwanz". - Seither war die DKP auf Wahllisten für Bundestagswahlen nicht mehr gesehen.
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POSTSCRIPTUM . - Herbert Mies trat im Jahre 1990 als DKP-Chef zurück, arbeitete bis 1997 als Vorsitzender des Mannheimer Gesprächskreises Geschichte und Politik. Seit 1995 verdient er seinen Lebensunterhalt bei der Arbeiterwohlfahrt in Mannheim-Schönau. Nachfolger wurde der Diplom-Ingenieur Heinz Stehr aus Elmshorn (Schleswig-Holstein). Er wurde auf dem 13. Parteitag im Februar 1996 in Dortmund gewählt. Er war zuvor langjähriger Funktionär der Sozialistischen Arbeiterjugend (SDAJ). Bei der Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2004 trat Heinz Stehr als Spitzenkandidat an. Er erreichte bundesweit 0,1 Prozent (37.231 Stimmen).