Donnerstag, 18. September 1975

Sittengemälde: Professoren bitten zur Kasse - was sich nebenbei noch alles so verdienen lässt



















Aus deutschen Landen der Zeitgeschichte - die öffentlichen Haushalte bluten aus, verschulden sich Jahr für Jahr. Nur Institutsdirektoren und Klinikchefs in der Bundesrepublik verdienen mal so ganz nebenbei Unsummen dazu - und das mit Hilfe ihrer Mitarbeiter und mit Hilfe des Staates
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stern, Hamburg
20. September 1975
von Reimar Oltmanns
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Die Sparkommissare von Bund und Ländern kratzen Geld in den letzten Ecken zusammen, damit die Kasse stimmt. Aber eine Ecke lassen sie dabei aus: die Direktoren der Universitätsinstitute. Sie beziehen als Beamte mit Pensionsanspruch Monatsgehälter bis zu 7.400 Mark und scheffeln gleichzeitig mit Hilfe des Staates oft ein Vielfaches davon als "Nebeneinkünfte".
GELDSEGEN AUF STAATSKOSTEN
Beispiel eins: Professor Friedhelm Wilhelm Brauss , Chef des Heidelberger Hygiene-Instituts, kassierte 1974 mit privaten Rechnungen 581.000 Mark. Die offiziellen Einnahmen des Instituts hingegen beliefen sich im ganzen Jahr nur auf 663.000 Mark.
Beispiel zwei: Professor Richard Haas, Direktor des Hygiene-Instituts an der Freiburger Universität, das letzte Jahr (1973) 1.988.000 Mark einnahm, konnte auf seinem Konto Privatvermögen 645.000 Mark als "Nebeneinkünfte" verbuchen.
Beispiel drei: Professor Adalbert Bohle, Direktor des Pathologischen Instituts der Tübinger Universität, liquidierte 1974 privat 804.000 Mark, fast das Fünffache der Institutseinkünfte (168.000 Mark).
MILLIONÄRE AN DEN UNIS
Bauss, Haas und Bohle sind - so der baden-württembergische SPD-Landtagsabgeordnete Kurt Bantle, der im Stuttgarter Untersuchungsausschuss den "Geldsegen auf Staatskosten" aufdeckte - keine Einzelfälle. Bantle konstatiert: "Keine Frage, ob Bildungsnotstand, Zulassungsbeschränkungen oder nicht, Einkommens-Millionäre gibt es an jeder Universität in der Bundesrepublik." Diese Zustände bestätigte auch der Stuttgarter Kultusstaatssekretär Gerhard Weng (*1916+1988). Der Christdemokrat sagte vor dem Untersuchungsausschuss aus, die Einnahmen deutscher Klinikdirektoren hätten sich "zwischen 600.000 Mark und 1,2 Millionen Mark bewegt. Es sei auch möglich, dass im Ausnahmefall auch einmal 1,8 Millionen Mark erreicht worden sei".
STAATLICHE AUSSTATTUNG:FÜR PRIVAT
Die Professoren haben es verstanden, "die vom Staat gestellte und finanzierte personelle und apparative Ausstattung der Institute zu einem erheblichen, vereinzelt sogar weit überwiegenden Teil zur Erzielung privater Nebeneinnahmen der Institutsleiter einzusetzen", so der vertrauliche Abschlussbericht. - Der Spitzenverdiener Brauss beschäftigte von seinen 60 Institutsmitarbeiter rund 15 ständig mit Privataufträgen. Nach der geltenden Regelung muss er von seinen "Nebeneinnahmen" (581.000 Mark) nur 18 Prozent abführen. Aber damit kann der Staat gerade die Jahresgehälter von vier Angestellten bezahlen, von denen noch dazu einer, István Stefko, während der Dienstzeit dem Professor beim Bau seines Reitstalls helfen und dessen Reitpferde versorgen musste.
IN ABWESENHEIT KASSIERT
Millionär Haas kassierte sogar in Abwesenheit. Er hatte sich beispielsweise vom 1. Oktober 1973 bis zum 30. September 1974 offiziell "ohne Bezüge" beurlauben lassen. Trotzdem nahm er in der gleichen Zeit für "Privatliquidationen 521.000 Mark ein. Die Arbeit machten seine Mitarbeiter im Institut.
LEHRE - FORSCHUNG VERNACHLÄSSIGT
Viele Professoren (es gibt in der Bundesrepublik über 500 Institutsdirektoren), die Staatseinrichtungen für Privatgewinn nutzen, vernachlässigen dabei auch ihren eigentlichen Auftrag in Lehre und Forschung. Der Untersuchungsbericht: "Die Nebentätigkeit der Klinikdirektoren kann einen negativen Einfluss auf die Erfüllung der eigentlichen Funktion der Kliniken nehmen." Der Ausschussbericht nennt Beispiele:
0 In einer Heidelberger Universitätsklinik wurden im Jahr 1972 Patienten der 1. Klasse durchschnittlich 23,5 Tage, die der zweiten 22,3 und die der dritten nur 16,7 Tage stationär behandelt.
0 Krankenzimmer der allgemeinen Pflegeklasse wurden mit Privatpatienten der Chefärzte belegt. Die Folge: Kassenpatienten mussten "unerträglich lange" auf freie Betten warten.
0 Für Medizinstudenten ist die so erweiterte gewinnträchtige Privatstation des "Chefs" in den meisten Fällen tabu. Die Folge: In den Krankenhäusern werden weniger Studenten ausgebildet, als möglich wäre.
KRANKENHÄUSER IMMER TEURER
Das Gewinnstreben der Institutsdirektoren trug auch dazu bei, dass die Krankenhäuser immer teurer, die Kassenbeiträge immer höher und die Ausbildungsplätze nicht entsprechend mehr wurden. An den Universitätskliniken Erlangen-Nürnberg, so ermittelte der bayerische Rechnungshof, stiegen in den letzten acht Jahren die Sachausgaben um 140 Prozent, und das Personal - vor allem die Wissenschaftler - nahm um 32 Prozent zu, doch die Zahl der Studienplätze ging um 50 Prozent zurück. Im Universitäts-Krankenhaus Hamburg-Eppendorf erhöhte sich die Zahl der Ärzte seit 1970 von 510 auf 800, aber nach den Feststellungen des hanseatischen Rechnungshofes wurden 1974 zwanzig Prozent weniger Studenten ausgebildet als möglich.
"UNRECHT" MIT GROSS-VERDIENERN
Die Einrichtung eines medizinischen Instituts kostet den Steuerzahler zwischen 10 und 20 Millionen Mark. Und die Angestellten-Gehälter plus Sachausgaben verschlingen jährlich durchschnittlich weitere zwei Millionen Mark. - Dennoch empfinden es die meisten Direktoren als ungerecht, dass sie für ihre Privateinkünfte in den Kliniken ein "bescheidenes Nutzungsentgelt" zahlen müssen. Je Betten-Tag (Brutto-Gesamteinnahme für den Chefarzt 160 bis 180 Mark pro Patient) sollen sie in
0 Nordrhein-Westfalen: 18.46 Mark
0 Baden-Württemberg: 11 bis 12 Mark,
0 Bayern: 5 bis 9 Mark,
0 Hessen: 4 Mark
0 Berlin 2,2o bis 2,75 Mark
abführen. Aber auch diese Betten-Pauschale , vor zehn Jahren von den Professoren selbst vorgeschlagen, um die Offenlegung der tatsächlichen Einkünfte zu umgehen, wird dem Fiskus größtenteils entzogen. Die Hamburger Kliniken haben 1974 immerhin rund 15 Millionen Mark abgeliefert. Aber in Berlin mahnt der Rechnungshof die Abgaben seit 1963 an. Und in Baden-Württemberg weigern sich 60 Chefärzte, die fälligen 6,5 Millionen Mark "Bettengeld" zu bezahlen. Der Tübinger Internist Professor Kurt Kochsiek gibt als Begründung an: "Wir arbeiten 70 bis 80 Stunden in der Woche und haben jahrelang nicht mehr als zweitausend Mark verdient. Dann steht uns das Geld jetzt wohl auch zu."
FÜR NEBEN-GELDER KLAGE ERHOBEN
Um die Millionen zu behalten, sind die Professoren sogar vor den baden-württembergischen Staatsgerichtshof gegangen. Dort wollen sie sich in einem Normenkontrollverfahren bescheinigen lassen, das die Bettenpauschale zu hoch ist. Für den Fall einer Niederlage droht der Tübinger Chirurg-Professor Leo Koslowski (Jahres-Nebenverdienst: 600.000 Mark) mit seinen Kollegen das CDU-Musterländle zu verlassen. Koslowski drohend: "In anderen Bundesländern müssen unsere Kollegen weniger abführen. Dann kann man nur die Konsequenzen ziehen und gehen."
BETRÜGEREIEN UM MILLIONEN
Die Chefärzte rechnen aber mit einem günstigen Vergleich, weil sie schon heute wissen, dass der zuständige CDU-Kultusminister Professor Wilhelm Hahn (1964-1978; *1908+1996) harte Schritte scheut. (Hahns Ministerium zahlte noch 54.000 Mark "Unterrichtsgeldabfindung" an den Heidelberger Physiker Heinz Filthuth, als der Professor schon wegen Millionenbetrügereien im Gefängnis saß). Theologie-Professor Hahn glaubt: "Professoren sind doch heute beinahe das, was früher die Juden und in den sechziger Jahren die Studenten waren."
"VERFOLGTE" BEI SCHWARZ-ARBEIT
Der Stuttgarter Untersuchungsausschuss hat für die "verfolgten Professoren" kein Mitleid. Die Politiker von CDU, SPD und FDP kritisierten nämlich nicht nur die Privatgeschäfte der Professoren. Sie deckten auch auf, dass in den Instituten ihres Landes "Schwarzarbeit" bereits selbstverständlich und zur Gewohnheit geworden ist". Diebstähle sich häuften und Finanz-Manipulationen zur Tagesordnung gehörten. Der stellvertretende Ausschussvorsitzende Kurt Bäntle (SPD) vermutet: "Der Kultusminister ist doch nur deshalb nicht eingeschritten, weil er selber bei einem Klinikchef Privatpatient ist." - Klassen-Gesellschaften.
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POSTSCRIPTUM. - Es brauchte 27 Jahre, ehe das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in seiner Rechtssprechung höchstrichterlich urteilte: Der Gesetzgeber - Bundestag und Landtage - darf Nebeneinkünften von Beamten Grenzen setzen. Geklagt hatte ein Professor für Steuerrecht an der Fachhochschule Worms. Er hatte von 1997 an mit Referaten bis zu 45.000 Mark im Jahr dazu verdient. Nun muss er dem Land Rheinland-Pfalz im Jahre 2007 umgerechnet 17.000 Euro erstatten. Denn nach Landesrecht - und das ist hier jeweils für die Bundesländer entscheidend - darf er bei seiner Tätigkeit für öffentlich-rechtliche Stellen höchsten s6.000 Euro im Jahr behalten. Entscheidend für die Richter war das so genannte "Anrechnungsprinzip" im Beamtenrecht. Eine Doppelbesoldung aus öffentlichen Mitteln widerspreche dem Gedanken der "Einheit des öffentlichen Dienstes". Auch das etwaige Argument, das Honorar werde aus der Privatwirtschaft beglichen, wiesen die Verfassungsrichter zurück.
GEWINNSTEIGERUNGEN
Eine parlamentarische Anfrage der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus aus dem Jahre 2007 förderte zu Tage, was gemeinhin nicht mehr für möglich gehalten wurde : allein in Berlin kommen elf Medizin-Professoren auf jährliche Nebeneinkünfte von mehr als einer Millionen Euro. Spitzenverdiener war ein Radiologe mit 2,5 Millionen Euro. Durchschnittlich beträgt das Honorar erwähnter Wissenschaftler pro Tag um die 2.000 Euro. Trotz aller stillschwiegend eingesteckter"Gewinnsteigerungen" - ein Erfahrungswert ist gleich geblieben: Im Schnitt delegieren Professoren laut einer Studie zwei Drittel ihrer Lehrverpflichtung und vier Fünftel ihrer Forschung an ihre aus öffentlichen Mitteln entlohnten Mitarbeiter. "Dabei werden sie vom Staat, also von uns allen dafür bezahlt, dass sie mit ganzer Kraft forschen und lehren." (manager magazin Ausgabe 3/2007).