Donnerstag, 20. November 1975

Nazi-Vergangenheit ist Gegenwart: Graue Eminenz mit Schmissen an den Hebeln der Macht









































Das obere Bild zeigt Dr. Schmidt-Rux alias Schmidt-Römer zwischen Adolf Hitler und dem Parteisekretär Martin Bormann - den mächtigsten Mann neben Hitler

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Diese Artikel sind der lückenlose Beleg, wie ein NS-Reichsleiter nach dem Krieg seinen Namen wechselte und dann als Berater eines Zeitungskonzern Karriere machte
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Der Frankfurter Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich (*1908+1982) charakterisierte in seinem Buch "Die Unfähigkeit zu trauern", das 1963 erschien, den bundesdeutschen Verdrängungs-Zustand und die Spurenverwischung alter Nazis im Deutschland des "Neubeginns" am markantesten: "Statt einer politischen Durcharbeitung der Vergangenheit als dem geringsten Versuch der Wiedergutmachung, vollzog sich eine explosive Entwicklung der deutschen Industrie. Wertigkeit und Erfolg verdeckten bald die Wunden, die aus der Vergangenheit geblieben waren. Wo aufgebaut und ausgebaut wurde, geschah es fast buchstäblich auf den Fundamenten. . . .".

Rechtsanwalt Josef Augstein (*1909+1984) drohte massiv. Am 11. April 1975 schrieb er dem stern: "Ich habe erfahren, dass Sie sich mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Schmidt-Rux, den ich vertrete, in einem Artikel befassen wollen. Das ist Ihr gutes Recht, soweit Sie sich dabei an die Wahrheit halten. Sollten Sie aber Unwahres veröffentlichen, werde ich für meinen Mandanten alles möglichen Schritte in die Wege leiten."Der Hannoversche Anwalt und Bruder des 'Spiegel'-Herausgebers unterstellte dem stern sogar, dass er eine kriminelle Handlung begehen könne: "Nehmen Sie bitte heute schon zur Kenntnis: Mein Mandat kann nicht erpresst werden."Der stern auch nicht.
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stern, Hamburg
30. April 1975 /
20. November 1975
von Reimar Oltmanns
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EIN NAZI BLEIBT SELTEN ALLEIN - (TEIL 1)
Der SPD-Schatzmeister Alfred Nau (*1906+1983) ließ Champagner Marke Dom Pérignon (Flasche 120 Mark) auffahren. Mit der konservativen Verlegerin Luise Madsack (*1910+2001) und ihrem Rechtsanwalt Karl Schmidt-Rux,70, feierte der Totengräber von 36 sozialdemokratischen Zeitungen den "historischen Augenblick". In letzter Minute war es den Sozialdemokraten gelungen, sich mit 23 Millionen Mark bei der notleidenden CDU-nahen "Hannoversche Allgemeine Zeitung (Auflage 180.000) einzukaufen.
GESCHÄFTE VOM "LIEBEN GOTT"
SPD-Präsidiumsmitglied Wilhelm Dröscher (*1920+1977) euphorisch: "Dass nicht Axel Springer oder der Heinrich Bauer Verlag, sondern wir das Geschäft mit Frau Madsack gemacht haben, kommt geradezu vom lieben Gott." - Was für Dröscher der liebe Gott, ist für Großverlegerin Luise Madsack ihr Intimus Karl Schmidt-Rux, der seit über 20 Jahren die Zeitungsdame berät. Allein im Jahre 1974 bei vier großen Transaktionen:
0 Als die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" im vergangenen Jahr durch den 115-Millionen-Neubau eines Druck- und Verlagsgebäudes in Konkursgefahr geriet, verhandelte Karl Schmidt-Rux mit der Westdeutschen Landesbank sowie den Verlegern Springer, Holtzbrinck und Bauer über Finanzspritzen.
0 Als die "Stuttgarter Zeitung" (Auflage: 185.000) und die "Stuttgarter Nachrichten" (Auflage: 155.000) einen Kooperationsvertrag schlossen, vertrag Anwalt Karl Schmidt-Rux die Interessen der Pressezarin. Denn Luise Madsack ist mit 29.06 Prozent an der "Stuttgarter Zeitung" beteiligt.
0 Als in München die "Süddeutsche Zeitung" (Auflage: 314.300) und der "Münchner Merkur" (Auflage: 192.500) eine Vertriebsgemeinschaft eingingen, rückte Schmidt-Rux für die Anteilseignerin Luise Madsack in den Aufsichtsrat des "Münchner Merkur" ein.
0 Als das "Göttinger Tageblatt" (Auflage: 53.000) kurz vor dem Zusammenbruch stand, kaufte Schmidt-Rux die Provinzzeitung für seine Verlegerin.
0 Und als Alfred Nau (*1906+1983) die SPD-eigene "Neue Hannoversche Presse" als selbständiges Blatt eingehen ließ, verschaffte Schmidt-Rux den Sozialdemokraten 30 Prozent Anteile am Madsack-Konzern und damit maßgeblichen Einfluss in der viertgrößten Regionalzeitung der Bundesrepublik.
HOCHVERRÄTER MIT NSDAP-KNECHT
Seitdem sitzen für die SPD Dietrich Oppenberg (*1907+2000), Herausgeber der "Neuen Ruhr-Zeitung" in Essen (Auflage: 281.000), und für Frau Luise Madsack ihr Vertrauter Karl Schmidt-Rux (Branchen-Spitzname: "Die graue Eminenz mit Schmissen") an einem Verhandlungstisch zusammen. Vor rund 30 Jahren saßen sie in völlig getrennten Lagern: Sozialdemokrat Dietrich Oppenberg als Hochverräter und Staatsfeind der Nazis im Zuchthaus - und Karl Schmidt-Rux als Reichsamtsleiter in der Partei-Kanzler der allmächtigen NSDAP. Jurist Schmidt-R., der sich damals allerdings nach dem Mädchennamen seiner Frau Schmidt-Römer nannte, war bei Parteisekretär Martin Bormann (*1900+1945) "Berater für staatsrechtliche Fragen."
VERSIERTER MANN
Bormanns Adjutant Heinrich Heim erinnert sich: "Schmidt-Römer war ein wendiger und versierter Mann, der das Herz auf dem rechten Fleck hatte. Sonst wäre er nie Berater des Reichsleiters geworden." Bormanns Staatssekretär Gerhard Klopfer erklärt: "Zuletzt war Schmidt-Römer genauso wie ich fast täglich bei Bormann."
PERSONALIE
Als der 'Spiegel' kürzlich in einer Personalie zahm auf die braune Vergangenheit des einflussreichen Pressejuristen hinwies, dementierte dessen Anwalt Josef Augstein in einem Leserbrief: "Herr Dr. Schmidt-Rux blieb bis zum Kriegsende Oberregierungsrat der Finanzverwaltung und bekleidete nie ein Amt in der Parteihierachie. Er war einfacher PG." Schmidt-R. war tatsächlich Oberregierungsrat in der Finanzverwaltung seiner Heimatstadt Danzig, aber alles andere als ein einfacher PD. Anwalt Augstein verschweigt, was die erhaltenen Partei-Akten über die NS-Karriere seines Mandanten aussahen.
PARTEI-AKTEN
Karl Schmidt-R., Parteumitglied seit dem 1. April 1933 (Mitglieds-Nummer: 1821616) war bereits in Danzig Sachbearbeiter für Finanzangelegenheiten in der Gauamtsleitung der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt und seit 21.2. 1942 als Reichsamtsleiter in die Parteikanzlei abkommandiert. In der braunen Parteiarmee, der SA, brachte er es bis zum Obersturmführer "zur besonderen Verfügung des OSAF" (Obersten SA-Führers).
BORMANNS NOTIZBUCH
Wie eng Reichsamtsleiter Schmidt-R. mit dem mächtigsten Mann im Hitler-Reich zusammenarbeitetem beweist das persönliche Notizbuch des Reichsleiters Martin Bormann, in dem allen auf den wenigen erhaltenen Seiten vom 18. Februar bis 12. April 1945 fünfmal verzeichnet ist: "Besprechung mit Schmidt-Römer ... ... Dr. Schmidt-Römer wegen Nachrichtenwesen ... ... Rücksprache mit Schmidt-R. ...".
TAUCHSTATION
Nach dem Zusammenbruch des NS-Reiches und dem Tod seines Chefs ging der "Oberregierungsrat" erst mal auf Tauchstation. Als Handlanger mit dem unauffälligen Namen Karl Schmidt arbeitete er in einem niedersächsischen Steinbruch. Im Jahre 1950 legte er such mit behördlicher Genehmigung (Namensänderungsurkunde des Regierungspräsidenten Hannover vom 29. 4. 1950) einen neuen Namen zu. Schmidt hatte sich inzwischen scheiden lassen, nannte sich jetzt nach dem Geburtsnamen seiner Großmutter Schmidt-Rux und begann eine neue Karriere als Helfer in Steuersachen.
CHEF-UNTERHÄNDLER
Einer seiner Kunden war die "Wunstorfer Zeitung", ein hannoversches Provinzblättchen. Dort lernte ihn die junge Verlegerin Luise Madsack kennen. Nach dem Tod ihres Mannes (1953) machte sie ihren Freund zum Chefjuristen und Unterhändler. So auch für die Verhandlungen mit den Sozialdemokraten, die erst durch die stern-Recherchen von der braunen Vergangenheit ihres Gesprächspartners erfahren haben wollen. SPD-Schatzmeister Wilhelm Dröscher: "Als ich dem Alfred Nau das alles erzählt habe, ist der fast um Stuhl gefallen." - Und nicht nur er.
EIN NAZIS BLEIBT SELTEN ALLEIN - (TEIL 2)
Karl Schmidt-Römer alias Schmidt-Rux und die Folgen. Sechs Monate danach. Wie niedersächsische Rechtsanwälte einem NS-Reichsamtsleiter bei der Bewältigung seiner Vergangenheit helfen
Ein Reichsamtsleiter aus Hitlers Parteikanzlei ist würdig, im demokratischen Rechtsstaat das Recht zu wahren. Das befand anno 1975 , dreißig Jahre nach Hitler, die Rechtsanwaltskammer im niedersächsischen Celle. Und wenn ein Anwaltskollege gar dagegen aufmuckt, droht ihm gleich ein Ehrengerichtsverfahren. So geschah es dem Kammermitglied Werner Holtfort (*1920+1992).
NAZI-POSITIONEN VERSCHWIEGEN
Ankläger ist Rechtsanwalt Dr. Karl Schmidt-Rux,70, der es in Hitlers Parteiarmee, der SA, auf "Persönliche Verfügung des OSAF" (Obersten SA-Führers) bis zum Obersturmführer gebracht hatte; der von 1940 bis zum Zusammenbruch 1945 in der obersten Parteiführung unter Martin Bormann gearbeitet hatte, dem mächtigsten Mann im Hitler-Reich, der nach dem Krieg seinen Namen Schmidt-Römer in Schmidt-Rux verwandelt und beim Antrag auf Zulassung als Rechtsanwalt diese Position im Nazi-Staat verschwiegen hatte.
VOR GERICHTEN VERLOREN
Im Frühjahr enthüllte der stern die braune Vergangenheit des einflussreichen hannoverschen Pressejuristen Karl Schmidt-Rux alias Schmidt-Römer. Nachdem Landgericht und Oberlandesgericht in Hamburg (Aktenzeichen: 3 W 74/75-74 0 230/75) dessen Anträge gegen den stern als "irreführende und unrichtige Tatsachenbehautungen abgelehnt hatten, wollte das Anwaltskammermitglied Holtfort durch die Standesorganisation klären lassen, ob sein Kollege Schmidt-Rux sich nicht unter "falschen Voraussetzungen" die Anwaltszulassung erschlichen habe.
ZULASSUNG ALS ANWALT ENTZIEHEN
Paragraph 14 der Bundesrechtsanwaltsordnung sieht vor, dass die Zulassung zurückgenommen werden muss, wenn zur Zeit ihrer Erteilung "nicht bekannt war, dass Umstände vorlagen, aus denen sie hätte versagt werden müssen." So wurde noch 1950 einem Juristen die Zulassung zum Rechtsanwalt entzogen Band II. der Ehrengerichtsentscheidungen, S. 67), weil er seinen Rang als SS-Untersturmführer verschwiegen hatte. Begründung: Im öffentlichen Leben sollten nicht wieder "diejenigen bestimmend werden, die zum Nachteil des deutschen Volkes der unheilvollen Innen- und Außenpolitik des Nationalsozialismus das Gepräge gegeben ... haben".
DEN SPIESS UMGEDREHT
Doch vor der ehrwürdigen Anwaltskammer am für Hannover zuständigen Oberlandesgericht Celle geriet nicht der Ex-Nazi Karl Schmitt-Rux in Schwierigkeiten, sondern dessen Kollege Werner Holtfort, 55, der in Hannover mehrfach erfolgreich junge Lehrer in Berufsverfahren vertreten hatte. Holtfort resümiert: "Von der Vergangenheit des Kollegen Schmidt-Rux wollte niemand etwas wissen. Statt dessen versuchten sie gleich eine Affäre Holtfort daraus zu machen." So wurde Holtfort vom Lüneburger Anwalt Hansdieter Steindel attackiert: "Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang. Sie haben keine Achtung vor dem anderen." Anwalt Graf von Hardenberg: "Das ist doch Profilierungssuchtg." Und von seinem Kollegen Herbert Behrens. "Sie wollen doch nur Trouble hervorrufen."
EHREN-GERICHTSVERFAHREN
Immerhin gab es bei der Endabstimmung, ob gegen Schmidt-Rux ein Ehrengerichtsverfahren eingeleitet werden soll, mit acht zu acht Stimmen ein Patt. Das half Werner Holtfort wenig, weil bei Stimmengleichheit das Votum des Vorsitzenden entscheidet. Und der, Anwalt Herbert Behrens, stand auf der Seite von Schmidt-Rux. Zu Hitlers Zeiten war der Advokat Behrens NSDAP-Ortsgruppenleiter in Celle. - Unterdessen hatte sich der Angeklagte Schmidt-Rux schon selbst zum Kläger gemacht und seinerseits gegen Holtfort wegen dessen Fragen nach der politischen Vergangenheit ein Ehrengerichtsverfahren beantragt. Das Verfahren läuft. Mögliche Folgen: Verweis, hohe Geldstrafe oder Berufsverbot.
EINE HAND WÄSCHT DIE ANDERE
Der Sozialdemokrat Werner Holtfort, Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen im Bezirk Hannover, findet keine Unterstützung bei seinen Genossen. Justizminister Hans Schäfer (*1913+1989), verantwortlich für die Rechtsaufsicht, kneift: "Ich will mich dazu nicht äußern." Die Zurückhaltung der niedersächsischen Sozialdemokraten ist verständlich. Sie können keinen Streit mit dem einflussreichen Justitiar des Hannoverschen Großverlages Madsack & Co. gebrauchen, in dem die "Hannoversche Allgemeine Zeitung" (Auflage: 180.000 Auflage erscheint. Denn erst im vorigen Jahr (1974) verschaffte Schmidt-Rux ihnen eine 23-Millionen-Beteiligung an dem Bürgerblatt - so wie er anderen Klienten bei der SPD-Landesregierung die Spielbank-Lizenz in Bad Pyrmont, Hannover und Hittfeld besorgte. - Eine Hand wäscht eben die andere. Da mag man sich bei derlei Millionengeschäften durch penetrante Winkeladvokaten aus der "Berufsverbots-Ecke" nicht stören lassen.
SCHWEIGEN - NUR IM AUSLAND BERICHTE
Die "Hannoversche Allgemeine", mit ihren Kopfblättern die fünftgrößte Tageszeitung der Bundesrepublik schweigt über Vergangenheit und Gegenwart des Karl-Schmidt-Rux alias Römer. Darüber ausführlich zu berichten überläßt sie ausländischen Blättern wie der Pariser "Le Monde" und der Londoner "Daily Mail". Das britische Blatt: "Der Skandal ist charakeristisch für einen Berufsstand, der in Westdeutschland noch immer mit alten Nazis durchsetzt ist." - Deutsche Verhältnisse.

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