Donnerstag, 26. September 1974

Bundeswehr im Gleichschritt Marsch - Bargeld, Ehre und Karriere











































































Auf dem Truppenübungsplatz Münsingen lässt ein Schäfer seine Herde
weiden. Doch die friedliche Idylle täuscht. Denn im Manöver wird hier scharf geschossen und hart gedrillt. Die Bundeswehr, vor Jahren noch als lascher Haufen, hat sich zur schlagkräftigen Truppe entwickelt. Nach Ansicht des Wehrbeauftragten des Bundestages ist dabei allerdings die Innere Führung unter die Räder geraten. Dabei sollte die Bundeswehr eine demokratische Armee werden. Doch zum zum Vorbild wird immer die alte deutsche Wehrmacht. Nur eine Sorge ist er los: Die Armee ist keine Hammelherde mehr. In Wirklichkeit bildet sie eine Elite aus

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stern, Hamburg
26. September 1974
von Reimar Oltmanns
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Sie sind Anfang zwanzig und etwa 1.80 Meter groß. Die Haare sind kurz geschoren, Schulbildung: Abitur. Die Gefreiten der Luftwaffen-Offiziersschule in Neubiberg bei München rechnen mit einer steilen Berufskarriere - in Uniform.
KADERSCHMIEDE
In der 'Kaderschmiede' der Luftwaffe werden sie geschult, gedrillt, geschliffen. Die lasche Gangart früherer Jahre ist vergessen. Elektronische Kameras verfolgen die Kadetten beim theoretischen Unterricht. Über der Wandtafel ist eine automatisch gesteuerte, im Klassenraum sind zwei handbetriebene Kameras installiert. Im Nebenzimmer beobachten die Ausbilder, zumeist Obristen, ihre Zöglinge auf vier Monitoren. Auf Bewertungsbögen werden in jeweils elf Rubriken Pluspunkte verteilt, zum Beispiel nach "sprachlichem und nicht sprachlichem Verhalten, nach Fragestellungen, Denkanstößen und der Wirkung auf die Adressatengruppe".
EIN OFFIZIER MUSS ... ...
Die totale Kontrolle der Luftwaffenschüler rechtfertigt Oberstleutnant Gantzer: "Ein Offizier muss sich jederzeit beherrschen können. Ein Offizier muss deutlich sprechen. Ein Offizier muss spontan auf andere Menschen eingehen können. Ein Offizier muss sich ständig konzentrieren können." - Die eingehenden Offiziere der westdeutschen Armee müssen nicht nur die Theorie (zum Beispiel: Wechselbeziehung zwischen Wirtschaft und Streitkräften) beherrschen, sondern auch im Nahkampf ihren Mann stehen. Deshalb werden sie als Einzelkämpfer in einer harten "Überlebensausbildung" bis an die Grenzen der körperlichen Belastbarkeit getrimmt.
RANGER-PROGRAMME
Im Rahmen dieses Ranger-Programms müssen Offiziersanwärter über dem Mittelmeer aus Hubschraubern springen. Und im Bayerischen Wald üben sie das blitzschnelle Anseilen von 15 Meter hohen Bäumen. Nachts steht ein 35 Kilometer langer Orientierungsmarsch in kleinen Gruppen auf dem Programm. Zwei Tage müssen 20 Mann mit zwei Broten und selbstgeschlachteten Hähnchen auskommen.
US-VORBILD: COLORADO SPRINGS
Nach der Rückkehr von den Übungen wird ihnen in der Kaserne ein Film über die brutale Kadettenausbildung der amerikanischen Luftwaffe in Colorado Springs vorgeführt. Die Wirkung dieser Show ist perfekt. Gefreiter Gerd Grunewald: "Da geht es bei uns ja noch ziemlich liberal zu." Der schulische Leistungsdruck und die Kasernen-Isolation machen die jüngeren Soldaten anfällig für den schon totgesagten militärischen Korpsgeist. Für die Offiziersanwärter gehört der Walzertanz in Uniform ebenso zur Etikette wie der "Messer-und-Gabellehrgang" im Kasino.
PHANTOM-PILOT
Zu den Vorbildern der Luftwaffe gehören Soldaten wie der Phantom-Pilot Gerd John. Mit 36 Jahren war er der jüngste Oberst der Luftwaffe. In Leck bei Flensburg ist er Commodore des Aufklärungsgeschwaders 52. Der elitebewusste John hat 2500 Jet-Flugstunden auf dem Buckel Major Bodo Bernadi ist sicher: "Unser Chef wird bestimmt noch General."
INDUSTRIE WARTET AUF DIESE LEUTE
Karriere machen wie Oberst John - das ist nicht nur das Ziel der Neubiberger Luftwaffenschüler, sondern aller Zwanzigjährigen, die sich auf zwölf Jahre für den Kasernendienst verpflichten. Denn die Bundeswehr-Abiturienten haben die "linke Masche und die "Sozialismus-Diskussionen" satt. Sie lehnen Streiks und Vorlesungsstörungen an Universitäten ab. Luftwaffen-Oberst Hans Meyer: "Die jungen Leute von heute suchen soziale Sicherheit und eine ordnende Hand." Beides garantiert ihnen das Militär.
ERST OFFIZIER - DANN STUDIUM
Denn nach der Offiziersausbildung studieren die Leutnante an den Bundeswehr-Universitäten in Hamburg und München und kassieren dabei weiterhin ihr Gehalt von monatlich 1300 bis 1800 Mark. Sie beenden das Studium mit einem staatlich anerkannten Diplom (Ingenieure, Volks- und Betriebswirte) und werden außerdem automatisch zum Oberleutnant befördert. Nach zwölf Jahren Kaserne kann der akademisch geschulte Bundeswehr-Nachwuchs den Dienst quittieren. Wer ausscheidet, erhält als Abschiedsgeschenk etwa 100.000 Mark. Oberstleutnant Twrsnick von der Luftwaffenschule in Neubiberg ist sicher, dass die Elite-Soldaten sofort einen lukrativen Arbeitsplatz finden. Twrsnick: "Die Industrie wartet doch nur auf unsere Leute."
PRIVILEGIEN - SOLDATEN-ROCK
Mit Hilfe ihres großzügigen Bildungsangebots und sozialer Vergünstigungen ist die Bundeswehr innerhalb eines Jahres wieder für Abiturienten attraktiv geworden. Von Personalmangel ist nicht mehr die Rede. Denn die Zahl der Jugendlichen, die den Soldatenrock anziehen wollen, steigt steil an:

0 Von 1972 bis 1973 registrierte das Verteidigungsministerium bei Berufs- und Zeitoffizieren, die sich mindestens auf 12 Jahre verpflichteten, einen Abiturientenzuwachs von 543 auf 1062 (95 Prozent).

0 1968 gingen von den 43.048 Abiturienten lediglich 37 Prozent zur Bundeswehr. Im Jahre 1974 werden es von den 54.000 Abiturienten 43.000 sein (Zuwachs: 81 Prozent).

0 Auch die Zahl der Freiwilligen ohne Abitur steigt: Im Jahre 1969 stellte die Bundeswehr 16.000 Jugendliche ein. Drei Jahre später waren es bereits 30.000 (Zuwachs: 87, 5 Prozent)

PAZIFISTEN - KEINE GEFAHR
Unter dem Eindruck dieses starken Zulaufs ist jetzt sogar Verteidigungsminister Georg Leber (1972-1978; SPD-MdB 1957-1983) überzeugt, dass selbst Pazifisten die Armee nicht schwächen können. Seinen linken Fraktionskollegen deutete der konservative Alt-Genosse bereits an, dass er sich der Abschaffung des Prüfungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer nicht widersetzen wolle. Leber zum Autor: "Ich würde mich nicht sperren. Ich bin gegen keine Regelung, die vernünftiger ist. Ich suche nach Wegen, dass das jetzige Anerkennungsverfahren überflüssig und entbehrlich wird."
ÜBERALL - SYMPATHIEGEWINNE
Doch nicht nur bei der Jugend verzeichnet die Bundeswehr Sympathiegewinne. Auch bei der älteren Bevölkerung stehen die Soldaten wieder hoch im Kurs. Nach einer vertraulichen Studie des Bielefelder Meinungsforschungsinstituts Emnid hatten 58 Prozent der Bundesbürger die Streitkräfte für "wichtig" oder "sehr wichtig". 1973 waren nur 50 Prozent dieser Ansicht. Lediglich 23 Prozent sind der Ansicht, die Armee sei "nicht so wichtig" (1973: ebenfalls 23 Prozent. Und nur zehn Prozent (1973: 14 Prozent) halten die Bundeswehr für "unwichtig und überflüssig".
ELITE-AUSBILDUNG
Mit dem gewachsenen Ansehen der Streitkräfte in der Öffentlichkeit ist auch das konservative Selbstbewusstsein der Offiziere gestiegen. Der demokratische Führungsstil ist in der Truppe weithin verpönt. Oberstleutnant Kammermayr: "Wir sprechen zwar offiziell von Innerer Führung, aber in Wirklichkeit bilden wir eine Elite aus." Achtzehn Jahre nach ihrer Gründung ist die westdeutsche Streitmacht dem selbstgesteckten Ziel , eine Bürgerarmee für den Frieden zu sein, kaum einen Schritt näher gekommen. Damals hatte Generalleutnant Wolf Graf Baudissin (*1907+1993), seines Zeichens Militärtheoretiker und Friedensforscher, versucht, in dem Modell der Inneren Führung militärische und demokratische Prinzipien zu versöhnen. Baudissin über sein Konzept: "Die organische Integration der Armee in den demokratischen Staat; die Verpflichtung ihrer Führungsspitze auf diesen Staat und seine Verfassung: gleiche Werte für die Armee und den zivilen Bereich des Staates."
DEUTSCHE WEHRMACHT
Der Versuch, die Bundeswehr vor den unheilvollen Traditionen der ehemaligen Deutschen Wehrmacht zu bewahren, droht zu scheitern. Noch immer gehören schwerwiegende Verletzungen der Soldaten-Grundrechte zum Bundeswehr-Alltag. In seinen Jahresberichten hat der Wehrbeauftragte des Bundestages, Fritz-Rudolf Schultz (1970-1975; *1917+2002), drei besonders schwere Fälle aufgezählt.

So befahl der Kompaniechef Hillner dem Oberfeldwebel Stein, den Soldaten Hinze strafexerzieren zu lassen. Der Rekrut war bei seinen Vorgesetzten in Ungnade gefallen, weil er sich einen Tag zuvor einen "Irokesen-Haarschnitt" (dabei wird der Kopf bis auf einen schmalen Haarstreifen in der Mitte kahlgeschoren) hatte schneiden lassen. Stein ließ Hintze mehrere Male durch Pfützen und Wassergräben robben und mit einer ABC-Schutzmaske in Stellung gehen. Obwohl ein Sanitäter den Spieß gewarnt hatte, die Schleifermethoden könnten bei dem Rekruten zu schweren Gesundheitsschäden führen, blieb Stein uneinsichtig. Erst nachdem der Soldat völlig erschöpft zusammengebrochen war, hörte der Unteroffizier mit den Schikanen auf.
HOLZ-GEWEHR, SCHLEIF-AKTONEN
Einige Tage später hatte Stein eine neue Schikanen-Idee. Er ließ ein Holzgewehr anfertigen und verschmierte es mit einem nichttrocknenden Anstrich. Dann befahl er Hintze, mit dem Holzgewehr Haltung anzunehmen und herumzulaufen. Mit einer völlig verschmutzten Uniform machte Hintze sich zum Gespött der Kameraden. Kompaniechef Hillner war zufrieden und drohte seiner Einheit weitere Schleifaktionen an, falls sie sich nicht diszipliniert verhalte.

Soldat Heinrichs verlor bei einer Übung ein winziges Geräteteil im Wert von 1,50 Mark. Zur Strafe schickte ihn Unteroffizier Richartz mitten in der Nacht vom Standort zum zwanzig Kilometer entfernt gelegenen Truppenübungsplatz zurück - per Fahrrad. Die Suche nach dem Materialteilchen verlief in dem hügeligen Gelände ergebnislos. Und der Oberfeldwebel Schirner war über das schlechte Ergebnis eines Übungsschießens seiner Fallschirmjägereinheit (Motto: Der erste Schuss muss tödlich sein) verärgert. Deshalb befahl er den Soldaten Liegestützen über offene Klappmessern zu üben.
TYRANNEI, MACHT-MISSBRAUCH, SCHIKANE
In seinen Unterlagen hat der Wehrbeauftragte noch weitere Beweise für die Missachtung der Inneren Führung gesammelt. Der Träger des Eichenlaubes zum Ritterkreuz und Oberst a. D. Fritz-Rudolf Schultz wirft den Militärs vor, dass sie im Umgang mit ihren Soldaten ständig "alte Fehler" wiederholen. Immerhin rügen zwanzig Prozent aller Beschwerden, die Schultz erreichen, Tyrannei. Macht-Missbrauch und Schikanen der Dienstvorgesetzten.
SCHARFMACHER TOLERIEREN
Die Ursachen für die groben Übergriffe liegen nach Ansicht des Wehrbeauftragten im Verteidigungsministerium auf der Bonner Hardthöhe. Schultz meint, dass die Verteidigungsbürokraten "Scharfmacher" in der Truppe tolerieren. Wehrexperte Schultz: "Die Personalentscheidungen haben mit der Inneren Führung nichts mehr zu tun. Da kann ich nur Bauklötze staunen. Wie sollen denn die Leute in den Kasernen Innere Führung richtig praktizieren, wenn sie die Ministerialbeamten selbst nicht verstanden haben?" Und resigniert fügt er hinzu: "Weil ich Missstände offen ausspreche, bin ich in Verschiss geraten." Deshalb will der Freidemokrat im nächsten Jahr (1975) den Hut nehmen und sich ins Privatleben zurückziehen.
KONTROLLE - OHNE WIRKUNG
Fritz-Rudolf Schultz ist der vierte Wehrbeauftragte, dem Unterstützung durch Parlament und Ministerium versagt blieb. Wie seine Vorgänger blieb auch er als Kontrollinstanz gegenüber der Bundeswehr glücklos. Der erste Wehrbeauftragte Generalleutnant a. D. Helmuth von Grolmann (*1898+1977) wurde vom damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (1956-1962; *1915+1988) ins Abseits manövriert. Strauß hatte mit von Grolmann, der in privaten Affären (Homosexualität) verstrickt war, leichtes Spiel. Auch der Vize-Admiral a. D. Helmuth Heye (1961-1964; *1895+1970) scheiterte. Weil ihm nicht erlaubt war, den Jahresbericht im Bundestag persönlich vorzutragen, trat Heye die Flucht in die Öffentlichkeit an. In Interviews kritisierte er die Reformfeindlichkeit der Armeeführung und die Gefahr einer sozialen und politischen Isolation der Truppe.
WIE BEIM PREUSSENKÖNIG
Ministerium und Parteien reagierten verärgert auf die Heye-Plaudereien und ließen den Wehrbeauftragten fallen. Heye musste seinen Sessel für den CDU-Abgeordneten Matthias Hoogen (1964-1970; *1904+1985) räumen. Der Christdemokrat wusste über die Bundeswehr nur Nettes zu erzählen. Seine Berichte wurden deshalb im Bundestag erst mit jahrelanger Verspätung und nur oberflächlich beraten. Über die Rüstungsskandale (Schmiergeld-Zahlungen) um den Schützenpanzer HS 30 (1967) und den Starfighter F-104 (zwischen 1960 bis 1991 verunglückten 116 Bundeswehr-Piloten tödlich ) hatte Hoogen so gar nichts notiert.
ÜBERMÄCHTIGE MILITÄRS
Sein Nachfolger, der liberale Fritz-Rudolf Schultz, unterschied sich zwar durch umfassende Sachkenntnisse deutlich von seinen Vorgänger, konnte sich aber trotzdem nicht gegen das übermächtige Ministerium durchsetzen. Und als er mehr Kompetenzen forderte (Zuständigkeit auch für Reservisten und Wehrpflichtige vor der Einberufung), pfiffen ihn sogar die Bundestagsfraktionen zurück, die ihn im Jahre 1970 gewählt hatten. Der enttäuschte Schultz: "Das Parlament nutzt die Kontrollinstanz nicht so, wie es notwendig wäre. Die Politiker befürchten nämlich, ich konnte ihnen die Butter vom Brot nehmen und die Schau stehlen."
WOHLVERHALTEN, IMAGE-PFLEGE
Der Dozent an der Hamburger Heeresoffiziersschule II, Wolfgang R. Vogt, wird noch deutlicher. Vogt über die Ohnmacht der Wehrbeauftragten: "Tendenziell erwartet die politische und militärische Führung vom Wehrbeauftragten, dass dieser den Streitkräften im jährlichen Gesamtbericht jeweils allgemeines Wohlverhalten offiziell bescheinigt und einen Beitrag zur Image-Pflege der Bundeswehr leistet."
MORALISCH GEFESTIGTE SOLDATEN
Doch wie notwendig ein kritischer Wehrbeauftragter ist, zeigen Erfahrungen mit der Truppe. Ob in der Unterwasserwaffen-Schule der Marine in Eckernförde, bei der Panzerbrigade 10 auf dem Truppenübungsplatz in Münsingen oder bei dem Aufklärungsgeschwader 52 in Leck bei Flensburg - die Innere Führung wird bei jeder Einheit anders verstanden. Luftwaffen-Oberst Gerd John : "Nach 15 Jahren Bundeswehr habe ich immer noch nicht begriffen, was das sein soll. Das verwirrt die Soldaten nur." Oberstleutnant Günter Noseck von den Panzerjägern: "Damit kann meine Truppe wenig anfangen. Die Jäger hier sind bodenständig, kommen aus der Landwirtschaft und gehen sonntags in die Kirche. Ich bin froh, dass die Soldaten moralisch noch so gefestigt sind."
VON REICHSWEHR BIS BUNDESWEHR
Und der Kapitän zur See Egon Kruse versteht die Innere Führung so: "Bei uns ist das wie beim Preußenkönig. Erst wenn der letzte Soldat sein Strohlager gefunden hat, geht der Offizier schlafen. Ein Offizier muss mal autoritär führen können und auch mal wie ein Vater zu den Jungs sein. Das war schon immer so: bei der Reichswehr, bei der Wehrmacht. Innere Führung ist nur eine neue Umschreibung für alte Soldatenpflichten." Da der Marineoffizier seine Ansichten gern mit Beispielen erläutert, erzählt er von einem Matrosen: "Seine Freundin bekam ein Kind. Für den Kerl war natürlich guter Rat teuer. Ich habe mir das Mädchen an Bord kommen lassen und ihr tief in die Pupille geschaut. Anschließend nahm ich mir den Jungen noch mal vor. Junge, sagte ich, die kannste heiraten. Heute leben die immer noch glücklich zusammen."
HEIRATSORDNUNG - KORPSGEIST
Diese Offiziersweisheiten zeigen, dass das alte eingegerbte konservative Weltbild der Soldaten in emsiger Kleinarbeit wiederbelebt worden ist. Militärische Traditionen und Korpsgeist prägen immer stärker den Kasernen-Alltag - von einer kritischen Öffentlichkeit nahezu unbemerkt. Meinungsumfragen bestätigen diesen Trend. Besonders deutlich wird das beim Für und Wider einer Heiratsordnung für Offiziere, Insgesamt 38 Prozent der Kommandeure sind überzeugt, die Erteilung einer Heiratsgenehmigung müsse vom Ruf der Braut und ihrer Familie abhängig gemacht werden. Ganze 66 Prozent der Truppenführer fordern, es müsse vor einer Heirat der Nachweis geführt werden, dass die materiellen Voraussetzungen für eine Eheschließung gegeben seien. Nur 14 Prozent der Führungsoffiziere lehnen Beschränkungen und Auflagen bei Eheschließungen von Offizieren ab - eine kleine Minderheit.
BÜRGER IN UNIFORM
Das "Bürger-in-Uniform-Modell" des Grafen Baudissin war von den meisten Bundeswehr-Offizieren nie akzeptiert worden. Der Reformer Baudissin war bald krasser Außenseiter. Das große Wort führten die Traditionalisten. Ihre Phrasen fesselten die Offiziere bei Kasinogesprächen.
VORMÄRZ-SCHWÄMEREIEN
Der ultra-rechte Publizist Hans-Georg von Studnitz (*1907+1993), der das Buch "Rettet die Bundeswehr" schrieb, spottete über Baudissins Reform-Ideen: "Wer sich der Philologie des Grafen anvertraut, gerät in den Vormärz (biedermeierische Lebensform vor der März-Revolution 1948), der den Scherenschnitt liebte und Schokolade im Schatten von Barrikaden genoß."
TRADITIONS-VERBÄNDE
Den Traditionalisten war das Konzept der Inneren Führung von vornherein suspekt. Statt dessen gaben sie schon in den fünfziger Jahren die Parole aus: "Die Traditionsverbände der Wehrmacht, der Reichswehr und der Armeen des kaiserlichen Deutschlands müssen an die Bundeswehr herangeführt werden." Denn "eine Armee, die von der Leben spendenden Nabelschnur der Tradition getrennt ist, gleicht einer Frau, die verurteilt ist, ein Dasein ohne Liebe zu fristen" (von Studnitz).
DER GEGENSPIELER
Zum großen Gegenspieler Baudissins wurde der damalige Brigadegeneral Heinz Karst von der Panzergrenadierbrigade 32 (1963-1967) im niedersächsischen Schwanewede. Er zeichnete nach seinem Truppendienst im Bonner Verteidigungsministerium sinnigerweise für das Erziehungs- und Bildungswesen des Heeres verantwortlich. Kommisskopf Heinz Karst riet den Soldaten , sich in ihren Lebenstugenden von den Bürgern abzusetzen. "Je mehr sich die Soldaten als Zivilisten geben", verkündete er da, "desto weniger Ansehen genießen sie." Der General forderte seine Soldaten unverhüllt auf, sich als Staat im Staate zu verstehen. Begründung: Hält man Ausblick nach dem, was noch niet- und nagelfest, in unseren öffentlichen Einrichtungen ist - dann ist es das Heer, auf welches das Auge des besseren, nach Kräftigung des Autoritätsprinzips ringenden Teils unserer Volkspsyche in gläubiger Zuversicht schaut."
SPD-GENOSSE GENERAL
Zwar konnte sich Karst mit seinen extremen Forderungen nicht durchsetzen, weil ihn der damalige Verteidigungsminister Helmut Schmidt (1969-1972) ein Jahr nach Bildung der sozialliberalen Koalition in Pension schickte. Doch auf die Truppe hatten die ketzerischen Karst-Thesen Eindruck gemacht. Georg Lebers Pressereferent Oberst Peter Kommer: "Die geistige Wirkung des Herrn Karst war das größte Übel für die Bundeswehr". Und sein Kollege Major Dirk Sommer fügt hinzu: "Im Offizierskorps hat der Karst nach wie vor eine große Anhängerschaft. In Süddeutschland hätte es beinahe einen Aufstand gegeben, weil zum erstenmal ein SPD-Genosse General geworden ist."
WIEDER ORDEN - EHRENABZEICHEN
Karst war nicht der einzige Wortführer einer konservativen Erneuerung der Bundeswehr. So forderte Generalleutnant Albert Schnez (Inspekteur des Heeres 1968-1971; *1911+2007) die Soldaten auf, wieder Orden und Ehrenabzeichen zu tragen, den Gefechtsdrill zu steigern und den "Kontakt" zur Bevölkerung durch demonstrative Feldparaden zu verbessern. Schnez: "Nur eine Reform an Haupt und Gliedern an der Bundeswehr und an der Gesellschaft kann die Kampfkraft des Heeres entscheidend heben."
ARMEE MIT BEDEUTUNG
Verteidigungsminister Georg Leber will sich in den Streit um die Innere Führung nicht einmischen. Er ist damit zufrieden, dass die Streitkräfte wieder an Bedeutung gewonnen haben. Leber: "Wir sollten uns abgewöhnen, die Treue und Loyalität der Soldaten zu diesem Staat in Zweifel zu ziehen. Ich lasse mich auch nicht durch Ungeduld zur Übereile treiben. Das ist ein Prozess, der wachsen muss und den ich verantworte. Die Bundeswegr zählt zu den guten Streitkräften der Welt." Zum Beweis veröffentlichte das Leber-Ministerium eine Statistik über das Abschneiden der Bundeswehr bei NATO-Übungen. Die westdeutschen Soldaten belegten danach

o beim Schießwettkampf um die "Canadian Army Trophy" den ersten Platz;

o beim internationalen Infanteriewettkampf von Afnorth den dritten Platz;

o beim Zactical Weapons Meeting, einem Schieß- und Tiefflugnaviagations- wettbewerb, den ersten, dritten und vierten Platz;

0 beim Royal Flush, dem alljährlichen Aufklärungswettbewerb der NATO, den
zweiten Platz.

Und Luftwaffen-Oberst Gerd John, das große Vorbild vieler Offziersanwärter, siegte mit seinen Phantom-Piloten des Aufklärungsgeschwaders 52 beim siebten NATO-Aufklärerwettbewerb "Big Click 74" über die Bündnispartner.