Mittwoch, 14. August 1974

Axel Springer: Nun adé, du schöne Welt - die fetten Jahre sind vorbei






































Axel Cäsar Springer (*2. Mai 1912 in Hamburg-Altona;+ 22. September 1985 in Berlin) ist die umstrittenste, angefeindeteste und auch verehrteste Verleger-Persönlichkeit der deutschen Nachkriegsgeschichte

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stern, Hamburg
14. August 1974,
27. Februar 1975
11. März 2009
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von Reimar Oltmanns
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Ende der sechziger Jahre forderten revoltierende Studenten der Außerparlamentarischen Opposition (APO): "Enteignet Springer". Auslöser war die Erschießung des Berliner Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967. Dieser Tod galt als Höhepunkt einer einseitigen, verhetzenden Berichterstattung der Springer-Presse, vornehmlich dem Boulevard-Blatt BILD, gegen eine vorwiegend linksgerichtete Studentenschaft. (BILD -Zeitung hat in Deutschland eine Reichweite von täglich 11,49 Millionen Leser am Tag, 2007). Dem Verleger Axel Cäsar Springer verstand sich als Speerspitze gegen sozialistische Ideen aus dem Osten und als Bollwerk gegen die studentische APO unter Rudi Dutschke (*1940+1979 ). Feindbilder.
SPRINGER "FREIWILLIG ENTEIGNEN"
Sechs Jahre später - nach den APO-Springer-Krawallen - will sich Deutschlands umstrittenster Großverleger Axel Cäsar Springer freiwillig entgegen - gegen bar. Einen Käufer freilich hat er bislang noch nicht gefunden. Deshalb macht sich Springer jetzt daran, sein Pressehaus zu renovieren: Die preisdrückenden Verlustobjekte, in erster Linie Springers ideologische Parade-Zeitung "Die Welt" sollen ausgeforstet werden. Auflagen-Verluste, Verluste-Geschäfte begleiteten das bürgerlich-konservative Weltbild dieses Blattes seit seiner Gründung im Jahre 1946.
HELMUT HORTEN'S KAUFHÄUSER
Seit Wochen bemüht sich der Hamburger Multi-Millionär, mindestens ein Viertel seines Imperiums an zahlungskräftige Banken zu verkaufen. Auch für den Springer Verlag (Bild-Zeitung, Die Welt, Hör Zu, Hamburger Abendblatt, Berliner Morgenpost etc. usf.) sind die einträglich fetten Jahre in der Zeitungsbranche vorbei. Der Gesamtwert des einstigen Milliarden-Unternehmens rutscht auf dem freien Markt zunehmend tiefer in den Keller. Schon erkannte die München erscheinende Süddeutsche Zeitung einen neuen heimatlosen Rechten: "Ein Teil der Beobachter meint, Axel Springer wolle wie vordem Helmut Horten schlicht Kasse machen und von einem ausländischen Domizil aus am Drücken bleiben." - Bekanntlich hatte Helmut Horten (*1909+1987 ) in den Jahren 1969 auf 1970 seinen Kaufhaus-Konzern in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. So konnte er seinen Anteil verkaufen, sich aus dem Warenhaus-Geschäft im seinem Bar-Vermögen ganz in die Schweiz zurückziehen.
KAUFPREIS SACKT IN DEN KELLER
Aber bisher waren weder die Bayerische Landesbank noch die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank bereit, für einen 25prozentigen Anteil am Hamburger Konzern 200 Millionen Mark auf den Tisch zu legen. Sie boten lediglich 175 Millionen. Ein prominenter Bankier, der natürlich nicht genannt werden will, mutmaßte: "Wenn Herr Springer nicht schnell macht, sackt der Preis noch weiter ab." - Atemnot, Zugzwang.
"DIE WELT" MUSS DRAN GLAUBEN
Deshalb will Axel Springer jetzt sein Objekt für Finanzmärkte wieder attraktiver machen. Beizeiten gab er die Devise aus: "Wenn schon verkauft wird, muss der Laden von innen her in Ordnung sein. Denn wer kauft schon Verluste." Springer-Verluste auch aus geschlagenen Schlachten gegen die APO-Generation vergangener Jahre. Und verlustreich ist vor allem Springers durch Krisen und reaktionären Durchhalteparolen der Ausgrenzung wie Stigmatisierung Andersdenkender - eben sein Flaggschiff "Die Welt". Sie ist schon das Springers Herzstück, verschlingt aber zugleich Unsummen an Zuschüssen; allein im Jahre 1973 über 26 Millionen Mark. Eine überregionale Tageszeitung, die noch ein weiteres Viertelhundert Jahr für Jahr Millionenverluste einfahren sollte - erst im Jahr 2007 so genannte "schwarze Zahlen" notierte.
AUFLAGEN-EINBRÜCHE
Damals, in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, rangierte die rechts-konservative Zeitung noch an dritter Stelle unter den größten deutschen Tageszeitungen. Sie ist mittlerweile mit 231.153 verkauften Exemplaren (1973) auf Platz zwölf abgefallen. Seit jenem Einbruch haben sich die Gesinnungsschreiber aus der rechten Ecke nicht mehr merklich erholen können; verzeichnete die Auflage nach 24 Jahren einen geringfügige Plus nahezu 49.000 Zeitungen.
KOMMEN UND GEHEN
Verständlich, dass die innere Beschaffenheit dieses Blattes bei relativ kleiner Auflage mit überaus hohem Sendungs-Bewusstsein, keinem der Chefredakteure Atem ließ, aus der Kontinuität heraus Erneuerung, Aufgeschlossenheit zu entwickeln - Tabu-Zonen zu kippen. Bei Springers Welt galt nun einmal die Losung - alle drei Jahre wieder steht ein neuer Chefredakteur im Vorzimmer. Fünfzehn Männer gaben sich seit Kriegsende im Durchschnitt nach 36 Monaten abermals die Klinke in die Hand; von einigen Ausnahmen einmal abgesehen. Springer Welt - ein Taubenschlag. Aber auch das unentwegte Auswechseln, Einwechseln der Chefredakteure - des ultrarechten Gesundbeters Herbert Kremp bis hin zum aalglatt auftretenden Pragmatiker Wolf Schneider ( "Wörter machen Leute", 1986) - konnte das "ramponierte Ansehen" der Welt ("Süddeutsche Zeitung") kaum verbessern. Im Vergleich zum zweiten Quartal 1973 gewann das Springer-Blatt in diesem Jahr nur 1.084 Leser hinzu, während beispielsweise die Frankfurter Allgemeine Zeitung immerhin 10.531 neue Abonnenten fand. Springers Allein-Vorstand Peter Tamm (1968-1991) gesteht: "Die Welt ist eines unserer Hauptthemen. Sie könnte besser sein." Und Springers Büro-Chef Claus-Dieter Nagel räumt ein, dass Die Welt und Welt am Sonntag auf der für Anzeigenkunden wichtigen offiziellen Auflagen-Skala der IVW-Liste, "schwache Kunden" sind. Dazu plagen den Großverleger Gewinneinbußen der kapitalkräftigen Fernsehzeitschrift "HörZu" von zehn Millionen Mark im vergangenen Jahr 1973.
EINBLICKE INS EINGEMACHTE
Wenn einer derlei Einblicke ins Eingemachte hatte, dann war es eben Claus-Dieter Nagel. Fünfzehn Jahre hatte Springer Adlatus gemeinsam mit dem seinem Herrn aus seinem Verlagshaus auf Stacheldraht wie Todesstreifen der Berliner Mauer geschaut. Fünfzehn Jahre lang verband ihn eine tief empfundene Religiosität und der Glaube an die deutsche Einheit mit Axel Cäsar Springer; beteten gelegentlich miteinander. Und schließlich fünfzehn Jahre waren beide zutiefst davon überzeugt, dass immer noch "Männer Geschichte machen, Geschichte schreiben" - ihre lädierte Tageszeitung Die Welt auch nur von einer starken Männer-Hand aus der Misere geführt werden könne.
NEUE MÄNNER BRAUCHT DIE "WELT"
Folglich steht wieder ein möglicher neuer Schriftleiter für Springers Führungscrew schon in Reserve. Der von der Wirtschaftswoche abgesprungene Chefredakteur Claus Jacobi ( Spiegel, Welt am Sonntag, Wirtschaftswoche, Bild-Zeitung) unterschrieb einen Fünf-Jahres-Vertrag. Wie auf dem üppigen Transfert-Markt für Bundesliga-Fußballer hatte der Hanseat Jacobi seine "Ablösesumme" in die Höhe getrieben, einen Chefposten in München abgelehnt. An der Isar sollte er die mit abgebildeten Frauenbrüsten in die Jahre gekommene Illustrierte Quick (1948-1992) mit frischen Sex-Geschichten ("Lass jucken Kumpel") liften. - Personen-Geschachere, Postillen-Rochaden im Namen der Pressefreiheit.
TICKEN EINER ZEITBOMBE
Dessen ungeachtet tickt im Hause des Großverlegers eine ganz andere Zeitbombe. Für dem explosiven Zündstoff sorgte der Konzernherr diesmal persönlich. Im Sommer 1974 kam der Pressezar mit einem Herrn Specht in Verbindung, der sich andiente, eine Millionenbeteiligung des Schahs von Persien (Mohammad Reza Schah Pahlavi *1919+1980) am Springer-Verlag zu vermitteln. Mit derBeziehung Springers zu Dr. Alfred Specht muss sich jetzt eine Kammer für Handelssachen beim Berliner Landgericht (Aktenzeichen: 90.0.18/75) beschäftigen. Der Grund: Der Kaufmann und Antiquitätenhändler Alfred Specht,44, fordert für seine Vermittlungsbemühungen rund 600.000 Mark.
SCHAH-BETEILIGUNG BEI SPRINGER
Specht, der dem Verleger schon Jugendstil-Antiquitäten im Wert von 80.000 Mark verkauft hatte, behauptet, am 19. August 1974 von Axel Cäsar Springer in dessen Berliner Privathaus , in der Bernadottenstraße 7, beauftragt worden zu sein, "alles zu unternehmen, was er für die Realisierung einer direkten oder indirekten Beteiligung Persiens an der Springer Verlags AG für erforderlich halte". So steht es in Spechts Klageschrift an das Gericht. Und dies: Bei der vertraulichen Besprechung im Kaminzimmer soll Axel Cäsar Springer sogar Verständnis dafür gezeigt haben, dass Specht seinen Verbindungsleuten "Schmiergelder" zahlen müsse, denn er "wisse von Berthold Beitz (Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrates der ThyssenKrupp AG, 1990) was für enorme Beträge dort für solche Zwecke hätten fließen müssen", um die Beteiligung Persiens bei Krupp perfekt zu machen (1974).
EIN SPECHT WOLLTE HOCH HINAUS
Auch Porschefahrer Alfred Specht wollte ganz hoch hinaus. Er kaufte am 23. August 1974 die Genfer Briefkastenfirma "Real-Treuhand-AG" für 59.600 Schweizer Franken. Über dieses Tarn-Unternehmen sollte Persien seine Anteile bei der Axel-Springer AG in Berlin einbringen. Am selben Tag - so die Anklageschrift Spechts - habe er "mit der zwischengeschalteten PR-Interessengemeinschaft, der deutsche, schweizerische und persische Journalisten angehörten und die über entsprechende Verbindungen zum persischen Staat verfügten ... ...die Zahlung einer einmaligen Summe von 500.000 Mark" vereinbart. Für diesen Betrag habe er dem Münchner Journalisten Siegfried Dinser einen Wechsel gegeben.
HOTEL-SUITE 900/901
Nach seinen Angaben flog Antiquitätenhänder Alfred Specht am 27. August 1974 mit Axel Cäsar Springer von Berlin nach Düsseldorf. In der Suite 900/901 des Hotels "Intercontinental" trug Specht nun auch dem früheren Springer-Berater und heutigen Flick-Manager Eberhard von Brauchitsch (1973-1982) seine Persien-Pläne vor. Noch am selben Abend, so versprach Specht, könne Axel Cäsar Springer mit dem Schah in Zürich zusammentreffen. Doch daraus wurde nichts. "Innenpolitische Gründe", so erklärte der Kaufmann dem Presseherrn bedauernd, hielten den Kaiser in seinem Land zurück.
GROSCHEN FIEL PFENNINGWEISE
Da fiel bei Springer endgültig der Groschen, zumal Eberhard von Brauchitsch seinen einstigen Chef vor Specht und dessen Geschäftspartners gewarnt hatte. Dem Manager war aufgefallen, dass Specht dem Iran-Botschafter in Washington als "Schlüsselfigur" bei dem Geschäft bezeichnete, aber noch nicht einmal dessen Namen korrekt wiedergeben konnte. Außerdem fürchtete Brauchisch, Spechts "iranische Freunde" existierten überhaupt nicht.
SPIONAGE-VERDACHT
Obwohl danach "die Angelegenheit für Axel Cäsar Springer erledigt" war, wie es in der Erwiderung auf die Specht-Klage heißt, brach der Pressezar die Kontakt zu dem zwielichtigen Antiquitätenhändler nicht ab. Der inzwischen eingeschaltete Vorstand der Axel Springer AG hatte gegenüber dem Verleger die Befürchtung geäußert, Specht könne "Absichten verfolgen, die hinter dem Eisernen Vorhang beheimatet sind". Springer - wie weiland Willy Brandt mit dem Spion Günter Guillaume (1974) sollte mit Alfred Specht noch eine Zeitlang Kontakt halten, um ihn als möglichen Ost-Agenten zu enttarnen. In seinem Schriftsatz beklagt Springer-Rechtsanwalt Hans-Joachim Rust, dass Specht "dies zum Anlass nahm, hinter seinem Rücken weiter zu operieren".
BOTSCHAFTER IN USA BESTOCHEN
So habe Alfred Specht am 8. Oktober 1974 dem Verleger erklärt, "er habe die iranische Angelegenheit dadurch weiter gefördert, dass er den iranischen Botschafter in Washington mit 500.000 Mark bestochen und diesen Betrag auch schon überwiesen habe. Specht hingegen bestreitet das, bleibt aber dabei, dem Journalisten Dinser einen 500.000 Mark-Wechsel gegeben zu haben. Wie auch immer - Axel Cäsar Springer ist nicht bereit dafür aufzukommen. Nun hofft Specht auf das Gericht, denn das Wasser steht ihm bis zum Hals. "Ich habe kein Geld mehr." - Deutsches Sittengemälde - Springer-Jahre aus den Siebzigern.