Donnerstag, 8. August 1974

Bonner Polit-Affären: "Nur Weiber im Kopf"
























Sie hatten ein stillschweigendes Abkommen, der SPD-Politiker Ludwig Fellermaier (*1930+1996) und der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Leo Wagner (*1919+2006). Sie wollten sich wegen ihrer Zecherlebnissen und unendlichen Weiber-Affären nicht gegenseitig anschwärzen. Einvernehmliches Stillschweigen. Männer-Bünde. Bayern in Bonn. Warum die Staatsanwaltschaft dennoch wegen einer Bettgeschichte gegen den Genossen Fellermaier ermittelte, und sein CSU-Kollege Leo Wagner wegen "Verschwendungssucht" in Bars und Bordellen rechtskräftig verurteilt wurde. Jagdszenen aus den siebziger Jahren. Einmal muss es ins Auge gehen.


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stern, Hamburg
08. August 1974
von Reimar Oltmanns
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Einst machte sich der Genosse Ludwig Fellermaier in der bayerischen Unterwelt als Rausschmeißer und Geschäftsführer der Neu-Ulmer "Insel-Bar" einen Namen. Dann verschreckte er die Bürger als Gebrauchtwagenhändler. Jetzt ist der SPD-Bundestagsabgeordnete (1965-1980) und Chef der Sozialistischen Fraktion im Europa-Parlament (1975-1979) in eine pikante Scheidungsaffäre verstrickt.
"AMÜSANTES BETTERLEBNIS"
Seit zwei Monaten ist die Bonner Staatsanwaltschaft Fellermaier auf der Spur. Ein Ermittlungsverfahren (Aktenzeichen 8 Js 288/74) ist inzwischen eingeleitet worden: Bundestagspräsidentin Annemarie Renger (1972-1976: *1919+2008) wurde informiert. Der Grund für die Strafverfolgung: Weil Fellermaiers Intimfreund, der Münchner SPD-Landtagsabgeordnete Edi Hartmann (1970-1986) seine Frau Uta loswerden wollte, aber keinen Scheidungsgrund hatte, behauptete der Europa-Politiker Fellermaier vor dem Bonner Amtsgericht, mit Uta Hartmann in seiner Bonner Abgeordneten-Absteige am Rhein ein amüsantes Betterlebnis gehabt zu haben. Fellermaier: "Vor einer Fahrt nach Luxemburg fand zwischen mir und Uta Hartmann einmal Geschlechtsverkehr statt." - Gezeichnet Ludwig Fellermaier, Abgeordneter des Deutschen Bundestages.
SEX UND WÜNSCHE
Die Mutter von zwei Kindern ließ diese Unterstellung nicht auf sich sitzen: "Das sind die Wunschvorstellungen von Herrn Fellermaier." Und ihr Rechtsanwalt Heinrich Borst beschuldigt den rechten Sozialdemokraten der Falschaussage, üblen Nachrede und der Beihilfe zum Prozessbetrug. Der erboste Advokat, früher einmal Staatsanwalt, gibt sich zuversichtlich: "Ich stelle nur Strafanträge, die Erfolg haben."
FRAUEN-PRANGER
Der Rechtsbeistand glaubt belegen zu können, dass Fellermaiers Aussagen vor Gericht dem Steuerbevollmächtigten Edi Hartmann aus der Patsche helfen sollte. Männer-Solidarität. Denn Fellermaier (Spitzname in der Partei: der schwitzende Lu) trat in dem Scheidungsprozess erst als Zeuge auf, nachdem sich die Gerichtsverhandlungen schon über 18 Monate hingeschleppt hatten und zwölf Zeugen vernommen warten. Anwalt Borst: "Alle Zeugen konnten keinen Beweis für Uta Hartmanns Untreue liefern." Die attraktive 29jährige über Fellermaiers Aussage: "Mein Mann hat in sicherlich unter Druck gesetzt." An Druckmitteln ist kein Mangel, bis hin zu Fellermaiers Familienleben.
AUSHÄNGESCHILDER
Fellermaier und Hartmann, die man "in ihrer moralischen Wirkung nicht unterschätzen darf", so die Stuttgarter Zeitung ironisch, sind nicht nur die politischen Aushängeschilder der Neu-Ulmer SPD in dieser idealistisch vorgetragenen Reform-Ära. Sie sind daneben auch sehr erfolgreich, wenn es um Geld und Mädchen geht.Jurist Heinrich Borst sarkastisch: "Wenn man all diese Akten so liest, kann man den Eindruck haben , als hätten diese Politiker nur Weiber im Kopf und sonst nicht mehr viel."
GEHEIME ABSTEIGE
Ihr geheimer Treffpunkt war jedenfalls der "Bärringer Hof" im abgelegenen Provinzdorf Ettenbeuren. Ihre Spielwiese ein verstecktes Etablissement in Reutin, einem Stadtteil von Lindau am Bodensee. Altgenosse Herbert Fleischer, Gastwirt im "Bärringer Hof", erinnert sich an die nächtlichen Barbesuche der Neu-Ulmer SPD-Prominenz: "Bei mir waren sie oft mit Weiber. Danach sind sie dann in das Appartement in Reutin gefahren." Der "schwitzende Lu" Fellermaier zu diesen Vorwürfen: "Das ist alles lächerlich."
MIESE TRICKS
Doch Neu-Ulms Justitiar, der FDP Landtagsabgeordnete Hans Willi Syring (1970-1974) lässt dieses Dementi nicht gelten: "Ich bin damals wegen der Machenschaften von Hartmann und Fellermaier aus der SPD ausgetreten." So hatte sich Edi Hartmann 1972 in München einen besonderen miesen Trick einfallen lassen, um seine Frau loszuwerden.
SEITENSPRÜNGE
Auf der Suche nach Beweisen für Seitensprünge seiner Frau alarmierte er unter Hinweis auf sein Abgeordnetenmandat die Polizei, als er Uta Hartmann mit dem Kaufmann und Hausfreund Erich Hupp im "Hotel an der Oper" vermutete.
POLIZEIEINSATZ FÜR EINEN FLIRT
Den Münchner Uniformierten machte Hartmann die Notwendigkeit des Einsatzes mit "staatspolitischen" Argumenten schmackhaft: Seine Frau habe ihm "geheime Notizen über die Ostpapiere (Grundlagen-Vertrag mit der DDR) und 2.000 Mark gestohlen und treffe sich gerade mit dem Ostspion Hupp im besagten "Hotel an der Oper". Hartmanns Plan freilich ging nur teilweise auf. Sechs Polizisten erwischten Frau Uta und Erich Hupp nur bei einem harmlosen Flirt, der als Scheidungsgrund aber nicht ausreichte. Und Geheimpapiere sowie 2.000 Mark fanden die Fahnder auch nicht. Denn Edi Hartmann hatte zu keiner Zeit Zugang zu vertraulichen Ostpapieren. Trotz Strafanzeige und Aufhebung der Immunität des SPD-Genossen durch den Bayerischen Landtag musste sich Politiker Hartmann vor keinem Gericht verantworten. Die Justiz schickte nur einen Strafbefehl.
KRONZEUGEN
Ganz so harmlos wird sein Freund Fellermaier dagegen nicht davonkommen. Er muss befürchten, dass der Bundestag seine Abgeordneten-Immunität schon bald aufheben und die Staatsanwaltschaft dann Anklage wegen falscher Aussage und übler Nachrede erheben wird. Kronzeuge der Anklage ist der Münchner CSU-Bundestagsabgeordnete Günther Müller (*1934+1997; von der SPD zur CSU gewechselter Münchner Bundestagsabgeordneter 1965-1994). Er will unter Eid aussagen, dass Uta Hartmann mit Fellermaier keinen Seitensprung begangen hat, weil sie an dem fraglichen Abend mit dem Sozialdemokraten nicht allein war.
"RHEIN-LUST"
Vielmehr habe Uta Hartmann zunächst mit Fellermaier , dem Kaufmann Hupp und ihm im Bonner Prominentenlokal "Maternus" in Bad Godesberg diniert und dann in der "Rheinlust" in Bonn-Kessenich, der ehemaligen Stammkneipe der SPD-Hinterbänkler um Bundesminister Egon Franke (*1913+1995) , den legendären "Kanalarbeitern" gezecht. Nach einem weiteren Lokalwechsel sei sie dann gegen 2 Uhr mit einem Taxi ins Hotel gefahren.
HOFFEN AUF LEO
Fellermaier kann nur noch hoffen, dass der CDU/CSU-Fraktionsgeschäftsführer und Neu-Ulmer Kollege und Direktkandidat Leo Wagner (*1919+2006; CSU-MdB 1961-1976) seinen Parteifreund Müller zurückpfeift. Denn bisher galt zwischen Wagner und seinem sozialdemokratischen Konkurrenten in Neu-Ulm das stillschweigende Abkommen, sich wegen Zecherlebnissen inklusive Weiberaffären nicht anzuschwärzen. Augenzwinkern. Denn meist abends, wenn im Plenarsaal die Liveberichte für " die da draußen im Lande" zu Ende waren, vertauschte gleichsam der staatstragende CSU-Politiker Leo Wagner seine Rolle in die des schlüpfrigen Lebemanns. In kuscheligen Bordellen und grellen Bars um Bonn und Köln gab der bayerische Biedermann pro Abend zwischen zwei- und viertausend Mark für Champagner, Kaviar und Mädchen aus. Gerade deshalb baut der SPD-Genosse darauf, dass sich "Night-Club Leo" wegen dieser Übereinkunft "unter uns Männern" auch verpflichtet fühlt, seine Gesinnungsfreunde von Attacken auf Fellermaiers Lebenswandel abzuhalten. Bislang allerdings hat CSU-Politiker Leo Wagner nichts getan, um die gefährliche Aussage seines Kollegen Günther Müller zu verhindern. Rätselraten.
FINANZDEBAKEL
Verständlich. Leo Wagner plagte eine düstere Vorahnung. Schon wenige Monate nach dem Fellermaier-Sumpf musste er wegen seines eigenen nächtlichen Großmannsgehabe das herausragende Amt eines parlamentarischen Geschäftsführers niederlegen. Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Der Grund war sein Finanzdebakel, Schulden über Schulden. Er wurde fünf Jahre später (1980) von der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn wegen Betrugs zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten mit Bewährung und 168.000 Mark Geldbuße verurteilt. Der frühere Pädagoge Wagner hat, so die Richter, seit Ende der sechziger Jahre über seine Verhältnisse gelebt und sich - bei einem Monatseinkommen von über 11.000 Mark - in "zunehmender Verschwendungssucht" in undurchsichtige Kreditgeschäfte verstrickt. Betrug deshalb, weil er längst verpfändete Bezüge oder auch Bundestagsdiäten hinterhälterisch nochmals als neue Sicherheit für die horrenden Geldforderungen anbot; eben wissentlich abtrat, obwohl längst nichts mehr zu holen war - gar nichts.
VORAHNUNG EINES DESASTERS
Ludwig Fellermaier kannte Wagners Milieus, Puffs, Pornos, Bars und Busen nur zu genau. Er, der Mann aus kleinen Verhältnissen, ahnte beizeiten, dass er der Rolle eines Lebemanns mit erfundenen Bettgeschichten nicht gewachsen war. Sie waren ihm längst entglitten. Kleinlaut gestand er im kleinsten Kreis: "Ich würde heute die Behauptung über Frau Hartmann nicht noch einmal machen. Wenn man aus dem Rathaus kommt, ist man eben klüger." Und seine Frau Martha fügt enttäuscht hinzu: "Ich verstehe überhaupt nicht, warum er sich auf so etwas einläßt. Uns geht es doch gut. Aber wenn es dem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis."