Donnerstag, 10. August 1972

Niedergang des SPD-Imperiums



















































































In der bundesdeutschen Nachkriegs-Gesellschaft Ende der sechziger /Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wollte Bundeskanzler Willy Brandt (1969-1974) "mehr Demokratie" wagen. Pressefreiheit - innere wie äußere - zählte zum Identitätskern einer rebellierenden APO-Jugend, vornehmlich gegen den Springer-Konzern mit seinem Massenblatt "Bild". Nur im sozialdemokratischen Parteiapparat nahm man vom sogenannten "Demokratie-Protest" draußen auf der Straße kaum Notiz. Dort herrschte Kadavergehorsam, Zensur, Parteilinie samt Friedhofsruhe, wenn es um die SPD-eigenen Zeitungen ging. Wer nicht spurte, flog oder mit dem Rausschmiss wurde sogleich die ganze Zeitung dichtgemacht - wegen Misserfolgs, Hauptsache das Partei-Profil stimmt.

Der Mann, der Zeitungen sterben ließ, und einen Teil der westdeutschen Pressekonzentration zu verantworten hatte, hieß Alfred Nau (*21. 11. 19o6+18. 5. 1983). Er war Schatzmeister oder auch Kassenführer einer Partei, die insgeheim mit Boulevard- Macharten von Springers "Bild"-Zeitung liebäugelte und ihre Manager inständig hofierte. Versteckte Rollenspiele, verzerrte Lebensprofile
- Rückblicke. Zeitgeschichte


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Frankfurter Rundschau
02. November 1971
stern, Hamburg
10. August 1972
von Reimar Oltmanns
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Er kleidet seine Pförtner in grün-weiße Trikots und formuliert höchst persönlich Werbetexte fürs eigene SPD-Blatt: etwa "Der Mief ist weg". In den Rotationshallen der "Neuen Hannoverschen Presse" (Auflage 91.000 ) reichte Zeitungsmacher Peter Krohn werbewirksam einbestellten Rentnern Kaffee wie Kuchen. Im Hochzeitstaxi ließ er Jungvermählte zur Kirche chauffieren - posierte mit Pärchen und Pastoren vorm Kirchenportal. Er kaufte erlesene Möbel fürs Haus, lässt seine Zeitung des Nachts wie die traditionelle Marktkirche illuminieren. Keine Frage, ob Feuerwerk-Spektakel, Beatveranstaltungen, Leserparlamenten und einem in den Traditionsfarben von Hannover 96 getünchten Verlagshaus - das sind die kernigen "Marketing-Elemente", mit denen ein frühere Manager im Axel-Springer-Verlag "den Geruch des Parteiblattes" vertreiben, Parteibuch-Journalisten den Garaus machen will. Die einst biedere SPD-Zeitung rutscht von einem Extrem ins andere - nunmehr ohne Gesinnung, aber mit viel Spektakel oder x-beliebigen Boulevard knüppeldicker Schlagzeilen.
NEUE FAHNEN, NEUE GESINNUNG
Seit einem halben Jahr ist Peter Krohn (Haus-Jargon. "Dr. Peter Kroenisch"; in Anlehnung an den "Bild"-Zeitungs Chefredakteur Peter Boenisch; *1927+2005) dabei, von einem Extremen in das andere zu rotieren - aus einem biederen SPD-Ja-Sager-Blatt ein verkitschtes, entpolitisierten Familienblatt zu zaubern - unter SPD-Regie. Seit dem neue Fahnen auf dem Dach des Verlagshauses wehen, haben sich Redakteure, Reporter und Fotografen in ihre Schützengräben verkrochen. Angst um Arbeitsplätze treibt sie umher, Courage, gar Demokratie sind Fremdbegriffe aus einer fremden Zeit - und das in Jahren des SPD-Aufbruchs. Das einst hart umkämpfte Redaktionsstatut, das die Unabhängigkeit der Journalisten vor Partei-Direktiven sichern sollte, ist ganz in Vergessenheit geraten. Gefragt sind nicht etwa Pressefreiheit, Meinungsvielfalt, Informationsdichte, sondern ausschließlich ein betriebswirtschaftlich ausgetüfteltes "Gesamtmarketing-Konzept". Eben ein Plan, mit dem sich über Anzeigen, Werbung samt Vertrieb Geld verdienen lässt; viel Geld. Da werden halt Artikel im redaktionellen Teil für solvente Kunden geschrieben. - PR-Freiheit in einer schönen SPD-Welt, die sich noch Zeitung nennen darf - noch.
IMMER NUR LÄCHELN
Etwa ein Dutzend Redakteure hat sich inzwischen nach einem anderen Arbeitsplatz umsehen müssen. Der zweite Schub von Entlassungen soll in absehbarer Zeit möglichst unauffällig folgen. Jedenfalls ist der Anfang schon gemacht - eingebettet in die Krohn'sche Philosophie - immer nur lächeln, "wenn ich hinlange"... Ganz klar für Peter Krohn, den die Sozialdemokratie mit diesem Posten betraute, gilt nicht Quantität, sondern ausschließlich die Qualität, die sich in breit angelegten Boulevard-Geschichten niederzuschlagen hat. "Wir müssen aus der Redaktion die Luft herauslassen", ist die Meinung des Verlagsleiters zu den plötzlichen Rausschmissen.
RAUSSCHMISSE
Redakteure, Redakteurinnen hingingen sind arg verunsichert, weil keiner so recht weiß, wer und wann als nächster auf der Straße steht. Seltsam, sie schweigen und ängstigen sich bei einer Zeitung, die der SPD gehört. "Von Mitbestimmung kann hier keine Rede mehr sein", wagt sich Redaktionsvolontär Dirk Busche aus der Deckung.

Ein halbes Dutzend Berufsjournalisten wollte nicht mit dem allgegenwärtigen Krohn'schen Damokles-Schwert etwaige Rausschmisse leben und kündigte. "Das kommt davon, wenn man Journalisten wie den letzten Dreck behandelt", erregt sich der Landesvorsitzende der Deutschen Journalisten-Union Peter Leger (*1924+1991 ). Der Karikaturist, seit 22 Jahren für das SPD-Blatt tätig, wechselte mit Jahresbeginn zur gutbürgerlichen "Hannoverschen Allgemeinen" (Auflage: 227.000).
PROZESSE, ARBEITSGERICHTE
Ein weiterer, der stellvertretende Chefredakteur Konradjoachim Schaub, im Alter von 62 Jahren, soll als nächster gefeuert werden. Schaub selbst bestreitet aus Angst vor Repressalien seine Kündigung. Doch für den Journalistenverband (DJV) sehen die Fakten anders aus. Sein Vorsitzender, Hans-Günther Metzger, erhärtet: "Seit einigen Tagen liegt uns eine Kopie des Kündigungsschreibens der 'Neuen Hannoverschen Presse' an Herrn Schaub vor. Er hat uns beauftragt, dagegen juristisch vorzugehen.
UNBEHAGEN IN DER SPD
Auch in der Sozialdemokratie ist mittlerweile das Unbehagen an dieser "Politik der Rausschmisse" gewachsen. In der Landeshauptstadt wird die Kritik am deutlichsten artikuliert. Ganz nach dem Motto, "was sollen wir mit diesem auf Harmonie getrimmten Familien-Boulevard. Wir bestellen dann lieber die eher konservative 'Hannoversche Allgemeine'." Sie böte uns mehr Informationen als unsere abgewirtschaftete Partei-Presse. Der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Günter Wichert ( 1969-1974) zeigte sich weniger erschüttert: "Ich habe die Entwicklung kommen sehen und die zuständigen Parteigremien deutlich gewarnt. Leider ohne Erfolg."
NEUE LEUTE VON "BILD"
Insgesamt fünf Redakteure, darunter ein Ressortleiter, haben mittlerweile von sich aus Konsequenzen gezogen. Sie werden sich in naher Zukunft für Konkurrenzblätter engagieren. Doch an Nachfolgern wird es beim "Krohn"-Blatt kaum mangeln. Hermann Ahrens, zuvor Redaktionsleiter der "Bild"-Zeitung in Bremen, hat just zu diesem Zeitpunkt seinen Job in der einst traditionsreichen Zeitung der Sozialdemokratie angetreten.
SPD- BLÄTTER STERBEN MUNTER WEITER
Aber es sind immer neue Gerüchte, die fortwährend unvermutet Nahrung suchen. Der Branchendienst "text intern" prophezeit gar die Einstellung weiterer SPD-Zeitungen - trotz aller hastig vorgetragenen Dementis: der "Neuen Hannoverschen" und der in Dortmund erscheinenden "Westfälischen Rundschau". Natürlich widersprechen die SPD-Verlage. Was bleibt ihnen auch anderes übrig? Nur die Kritik an SPD-Schatzmeister Alfred Nau wächst. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Heinz Kühn (*1912+1992) über Nau: "Er denkt immer an das Wohl der Partei. Die SPD wäre mit ihrer Pressepolitik besser gefahren, wenn Nau einmal an etwas anderes gedacht hätte."
DER PARTEI-KASSIERER
Nau nennt sich bescheiden "Partei-Kassierer". Doch Eingeweihten gilt er als der mächtigste Mann in der SPD. Seit 26 Jahren verwaltet Alfred Nau in der Bonner "Baracke" unangefochten die Millionen, die in die Parteikasse fließen. Er ist die Symbolfigur des treuen Funktionärs, ein Mann der ersten Stunde nach 1945, der sich "für die Partei in Stücke reißen lassen" würde, wie Willy Brandt schrieb.
VIERT-GRÖSSTE PRESSE-KONZERN
Manager Nau steuert das viertgrößte Presseunternehmen in der Bundesrepublik, die "Konzentrations GmbH" mit einem Jahreumsatz von zuletzt 509 Millionen Mark. Er kontrolliert Zeitungsverlage, die täglich nahezu 700.000 Exemplare auf den Markt bringen. Er ist für 10.000 Arbeitsplätze verantwortlich. - Der Schatzmeister, Manager und Verleger ist außerhalb der Parteizentrale kaum bekannt. Nau tritt nicht ins Rampenlicht, Ministerämter haben ihn nie gereizt. Er ist die "graue Eminenz" in der Bonner Baracke, wortkarg, zurückhaltend, sich aber immer seiner Schlüsselposition bewusst.
MACHTMONOPOL IM APPARAT
Alfred Nau, 65, seit 50 Jahren SPD-Mann, verteidigt entschlossen sein Machtmonopol im Parteiapparat. Er vereitelte, dass der frühere Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Wischnewski (*1922+2005) einen eigenen Verfügungsetat erhielt und so selbständig Mitarbeiter hätte engagieren können. Als "Ben Wisch" daraufhin 1971 seine direkte Wahl durch den Bundesparteitag anstrebte, um seine Position zu stärken, brachte Nau genügend Stimmen dagegen zusammen. Der Antrag erhielt nicht die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit. Resigniert nahm "Ben Wisch" seinen Hut.
TREUHÄNDER VON HUNDERTTAUSENDEN
Zu Naus 65. Geburtstag schrieb Parteichef Willy Brandt (1964-1987): "Er genoss und genießt das Vertrauen, Treuhändler von Hunderttausenden zu sein. Gerade dies begründet auch seine besondere Stellung im Parteivorstand und im Präsidium." - Ein dreiviertel Jahr später aber ist der "Treuhänder von Hunderttausenden" mit seiner Pressepolitik ins Zwielicht geraten. Immer mehr sozialdemokratische Zeitungen sind zum Sterben verurteilt. Kaum waren die Berliner Tageszeitungen "Telegraf" (1946-1972) und "Nachtdepesche" eingestellt und 230 Mitarbeiter gekündigt, meldet der Branchendienst "text intern" Gerüchte über das bevorstehende Ende der "Neuen Hannoverschen" und der in Dortmund erscheinenden "Westfälischen Rundschau". Ende September 1972 muss die parteieigene "Kieler Druckerei" schließen. SPD-Druckereien in Köln und Hannover können sich nur über Wasser halten, indem sie über ihre Rotationen Springers Bild-Zeitung laufen lassen.
SPD LÄSST PORNOS DRUCKEN
Der SPD-eigene "Auerdruck" in Hamburg druckt einen Großteil der bundesdeutschen Porno- und Regenbogenpresse. Die SPD-eigene Wochen- zeitschrift "Die Zwei" (Startauflage: 650.000) mit Schnulzen über Romy Schneider, Farah Diba und Soraya fand zu wenig Leser und musste drei Monate nach ihrem Erscheinen eingestellt werden. Die Berliner Zeitungseinstellungen hatten peinliche Begleiterscheinungen. Zur selben Zeit, als die Springer-Presse die SPD zum Prügelknaben der Nation machte, verhandelte der sozialdemokratische Schatzmeister mit dem Springer-Verlag wegen der "Nachtdepesche". Als die Angelegenheit publik wurde, wollte Alfred Nau die Verhandlungen als "unverbindliche Gespräche" abtun. Darauf Springer: "Es ist unzutreffend, dass lediglich unverbindliche Gespräche über eine Übernahme der 'Nachtdepesche' durch den Axel-Springer-Verlag stattgefunden haben. Es handelte sich vielmehr um ... konkrete Verhandlungen."
MILLONEN HINEINGEPUMPT
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Alfred Nau exakt 40 Millionen in "Nachtdepesche" und "Telegraf" hineingepumpt. Außerdem steuerte der Berliner Senat 1971 ein zinsloses Darlehen von 2,5 Millionen Mark bei. Dabei war die Lage dieser Blätter schon hoffnungslos, als 1962 Herausgeber und Chefredakteur Arno Scholz (*1904+1971) die SPD ab beiden Zeitungen beteiligte. Der ehemalige Geschäftsführer der SPD-Konzentrations GmbH und Nau-Intimus Fritz Heine (*19o4+2002) schrieb kürzlich an Fritz Sänger (*1901+1984), den früheren Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur, über diese Transaktion: "Damals war im Grunde genommen die wirtschaftliche Entwicklung schon so weit vorangeschritten, dass es keine Möglichkeit mehr gab, das Unternehmen erfolgreich weiterzuführen."
PRALL GEFÜLLTE BANK-KONTEN
In jener Zeit allerdings war für die SPD, die von den Millionen Wiedergutmachungszahlungen für während der Nazi-Zeit geraubtes Eigentum zehrte, Geld noch kein Problem. Zum Pressekonzern zählten in seiner Hochblüte über 26 Zeitungen und 30 Druckereien mit 15.000 Beschäftigten, die Gesamtauflage betrug 1,4 Millionen Exemplare. Alfred Nau verkündete noch 1964 stolz: "Fünf Millionen deutsche Bürger lesen SPD-nahe Zeitungen - doppelt so viele wie 1933."
BLUMEN AUF DIE GRÄBER
Derselbe Alfred Nau hat aber seit 1949 Blumen auf die Gräber von über 20 SPD-nahen Zeitungen lesen müssen, davon auf sieben allein in den letzten anderthalb Jahren. Um den Restbestand zu retten, die bisher innerhalb der "Konzentration" unwirtschaftlich und führungslos für sich arbeitenden SPD-Unternehmen zu rationalisieren und konkurrenzfähiger zu machen, gab der Parteivorstand Ende Dezember 1971 grünes Licht für eine Zusammenfassung aller SPD-Zeitungen und Druckereien unter einem zentralen Management: der "Deutschen Druck- und Verlags GmbH". Die Partei schuf damit einen straffen Konzern - zur gleichen Zeit, als Parteilinke und Jungsozialisten die Entflechtung der Pressekonzerne forderten.
DUMME UND SPD-FUNKTIONÄRE
Während diese SPD-Presse-Holding prüft, welche Zeitungen noch zu retten sind, mehren sich in der Partei die Stimmen, die Alfred Nau die große Pleite anlasten. Holdung-Geschäftsführer Alois Hüser: "Der liebe Gott schuf Kluge, Dumme, ganz Dumme und SPD-Funktionäre, die für die Presse verantwortlich sind." SPD-MdB Professor Günter Slotta (*1924+1974): "50.000 Jungsozialisten können in einem Jahr nicht so viel Quatsch produzieren, wie Alfred Nau an einem Tag." SPD-Vize Herbert Wehner (*1906+1990): "Wenn wir selbstkritisch die Entwicklung unserer sozialdemokratischen Presse betrachten, so fehlen unternehmerischer Geist und unternehmerische Fähigkeiten, um in der Konkurrenz mit anderen sich durchzusetzen."
REDAKTIONELLE FREIHEIT
Und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Heinz Kühn (1966-1978): "Nau ist ein guter Parteikassierer, aber von Pressepolitik hat er keine Ahnung. Es gibt nur noch einen Weg: readaktionelle Unabhängigkeit von der Partei, Schluss mit der Bevormundung und gute Journalisten in die SPD-Redaktionsstuben. Allzuoft war bei der Besetzung von Führungspositionen die Gesinnung ein Alibi für Leistung und Qualifikation."
BEWÄHRTE GENOSSEN: "Herr Konsul"
"Bewährte Genossen aus der Weimarer Zeit", die keine Ahnung vom Zeitungsmachen hatten, waren mit der Führung von Zeitungsverlagen beauftragt worden. Ein typisches Beispiel: Gustav Schmidt-Küster (*1902+1988), vor dem Zweiten Weltkrieg kleiner Buchhändler in Magdeburg, übernahm das Management der Hannoverschen Druck und Verlagsgesellschaft mbH, in der die "Hannoversche Presse" erschien. Einige Jahre später wurde Gustav Schmidt-Küster Honorarkonsul von Malta, Am Verlagshaus wurde das Konsulatsschild angeschraubt, und die Redakteure mussten ihren Chef mit "Herr Konsul" anreden.
PARTEI-ZENSUR
Die Herausgeber, Bundesminister Egon Franke (*1913+1995) und der frühere hannoversche Bezirksgeschäftsführer Hans Striefler (*1907+1998) kümmerten sich in ihrer Eigenschaft als "Zensoren" nur darum, dass die Redakteure und Redakteurinnen in ihrer Berichterstattung auch stets SPD-freundlich waren. Selbstbewusste Journalisten, etwa der einstige "Panorama"-Chef des Norddeutschen Rundfunks, Peter Merseburger musterten ab, weil sie sich nicht ständig von zeitungsfremden Parteileuten vorschreiben lassen wollten, wen sie zu kritisieren hatten und wie sie eine Zeitung gestalten müssten. - Schere im Kopf.
PANIK PUR IN DER BARACKE
Obwohl die "Hannoversche Presse" (1949 mit 260.000 Auflage noch eine der führenden deutschen Tageszeitungen) schon anno 1965 tief in den roten Zahlen steckte, griff Alfred Nau nicht ein. Er handelte erst, als Gustav Schmidt-Küster in den Ruhestand trat und das Blatt heruntergewirtschaftet war. Nun fiel Nau in der andere Extrem; Panik pur in der Baracke. Er engagierte als Blattmacher den ehemaligen Springer-Manager Dr. Peter Krohn. Dessen erste Amtshandlungen: Er entließ mehr als 30 Redakteure, stellte ein Dutzend Bezirksausgaben ein, setzte den Chefredakteur ab und machte sich selbst zum Redaktionsleiter, kündigte die Mitbestimmungsrechte der Redaktion (Redaktionsstatut) und änderte den Titel der Zeitung zweimal innerhalb kürzester Zeit. Erfolg: 1972 hat die "Neue Hannoversche" nur noch eine Auflage von rund 92.000.
PARTEI-KREDIT - OFFENBARUNGSEID
Zudem: Ein zinsloser Parteikredit von zwei Millionen Mark für die Zeitungsrenovierung ist schon verbraucht. Neu-Manager Krohn: "Wir brauchen einen finanziell potenten Partner." Der ist noch nicht in Sicht. Krohn gesteht freimütig: "Meine kaufmännische Lieblingslösung heißt Springer." Dieses Wort eines SPD-Managers kommt einem Offenbarungseid gleich. Jahrelang hat Alfred Nau aus den SPD-Verlagen Gelder herausgepumpt, anstatt sie sinnvoll zu investieren. Verleger und Konsul Schmidt-Küster musste sechs Prozent seines Rohgewinns abführen. Der ehemalige Geschäftsführer der in Dortmund erscheinenden "Westfälischen Rundschau", Paul Sattler, schätzte den Betrag, den er in den Jahren 1947 bis 1953 der Parteizentrale überwies, auf rund zwei Millionen Mark. 1953 stellten die SPD-Zeitungen zusätzlich eine Million Mark für den Wahlkampf zur Verfügung.
KEINE QUALIFIZIERTEN LEUTE
Der Bochumer Zeitungswissenschaftler Professor Kurt Koszyk sieht für die noch vegetierenden SPD-Zeitungen keine Überlebenschance. "In der SPD-Parteizentrale gibt es für diese schwierige Aufgabe keine qualifizierten Leute. Alfred Nau und seine Mitarbeiter haben es versäumt, zur rechten Zeit eine Zukunftsperspektive für ihre Zeitungen zu entwickeln. Sie haben weder eine Meinungs- noch eine Marktforschung betrieben, was bei den anderen Verlagen selbstverständlich ist. Die SPD-Zeitungen haben den Kontakt zum Leser verloren, ohne dass sie es merkten. Das Kind ist nun im Brunnen."