Sonntag, 2. Juli 1972

Bundeswehr-Universitäten: Extrawurst für Offiziers-Elite






Ein Staat im Staate - der Elite-Nachwuchs mit Privilegien nur für die deutsche Armee . Bundesminister und Universitäts-Rektoren wehrten sich gegen Helmut Schmidts Pläne als Verteidigungsminister nach einer Bundeswehr-Hochschule - erfolglos
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stern, Hamburg
02. Juli 1972 / 19. März 2009
von Reimar Oltmanns
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"Die Schule der Nation ist und blieb die Schule",sagte Bundeskanzler Willy Brandt (1969-1974; *1913+1992) in seiner Regierungserklärung im Jahre 1969 und setzte sich damit von seinem Vorgänger Kurt-Georg Kiesinger (1966-1969; *1904+1988) ab, der die Bundeswehr als Schule der Nation pries.
NORMALE UNIS NICHT GUT GENUG
Mittlerweile sind Willy Brandts Verteidigungsminister Helmut Schmidt (1969-1972) die Hochschulen der Nation für seine Offiziere nicht gut genug. Der Sozialdemokrat Helmut Schmidt fordert für die Ausbildung der Truppenführer Bundeswehr eigene Elite-Universitäten - quasi einen Staat um Staate - und legt sich deshalb mit den bestehenden 391 deutschen Hochschulen und seinen Kabinettskollegen an. Ihm geht es dabei nicht nur im die Offiziersausbildung. Er möchte vielmehr zugleich dem gesellschaftspolitischen Um- wie Aufbruch der Außerparlamentarischen Opposition (APO) Paroli bieten. Der Bundeswehr-Chef will damit auch den "zivilen" Studenten vormachen, was eine Harke ist: "Wenn wir es nicht schaffen, dass wir den aus den Fugen geratenen Universitäten zeigen, wie eine militärische Uni einwandfrei arbeiten kann - wer denn dann?"
DRILL UND STUDIUM
Schon im Oktober 1973 sollen 500 Offiziere an den zu Hochschulen beförderten bisherigen Offiziersschulen in Hamburg und München zu büffeln beginnen. Im Mai 2008 hatten sich bereits an der sich nunmehr "Helmut-Schmidt-Universität" nennende militärischen Bildungsinstitution insgesamt 2.623 Bundeswehr-Studenten und Studentinnen eingeschrieben (insgesamt über 7.000 Studierende). Wie die Soldaten-Uni arbeiten soll, das hatten Generäle in ihrem Referenten-Entwurf des Verteidigungsministeriums beizeiten zementiert: "Militärische Ausbildung und Studium gehören zusammen. Das Studium übernimmt Teil der bisherigen militärischen Ausbildung der erleichtert andere Teile durch die vorbereitende Grundlegung." Immerhin dürfen die Studenten noch selbst darüber entscheiden, ob sie währen des Studiums auf dem Campus Uniform tragen. Die Jahrzehnte alten Hörsäle, etwa an der Soldaten-Uni in Münchens angegrauten Kasernengebäuden sind frisch saniert. Nur die deutsche Flagge am Eingangs-Tor signalisiert, dass auf diesem Gelände militärische Tugenden gefragt sind. Deshalb haben jene Studenten auch ihre eigentliche Bestimmung nicht zu vergessen, müssen regelmäßig Leistungsmärsche und Schießübungen absolvieren. - "Augen gerade aus" usw. usf.
DIPLOME ÜBERALL ANERKANNT
Die Studenten in Uniform dürfen ihr Fachstudium - Betriebswirtschaft, Pädagogik, Informatik, Maschinenbau, Luft- und Raumfahrttechnik, Elektrotechnik und Bauingenierwesen, Verkehrswissenschaft, Umweltkunde - nur auf Sonderuniversitäten absolvieren, die dem Verteidigungsministerium unterstehen. Ihre nach dreijährigem Studium erworbenen Diplome aber sollen auch für zivile Berufe anerkannt werden. Bis zum Examen sind die Studienbedingungen im Vergleich zum Massenandrang an anderen Hochschulen geradezu ideal-typisch. Das bedeutet: auf einen Professor betreut durchschnittlich mal gerade 28 Studenten. Die meisten Jungakademiker leben auf dem Campus in bestens eingerichteten Wohnheimen. Und sie verdienen als Soldaten des Staates Deutschland ein monatliches Salär von 1.500 € netto.
KEINE DEMOKRATIE
Wer heute sich für die Offizierslaufbahn als einen wichtigen Eckpfeiler seines Berufsweges entscheidet, verbringt die ersten 15 Monate seiner mindestens 13 Jahre dauernden Dienstzeit im Soldaten-Rock; will heißen Drill und Schliff bei der Truppe meist unter Flecktarn. Sodann geht es an die Bundeswehr-Universität in Hamburg oder München, wo der studierende Soldaten spätestens nach vier Jahren ein Diplom sein eigen nennen muss. Dann geht's zurück zur Truppe; oft zu Auslands-Einsätzen der deutschen Armee. Die Demokratisierung, die für zivilen Universitäten inzwischen selbstverständlich geworden ist, kann und soll auch künftig für Militärhochschulen nicht gelten: Nach einem vertraulichen Ministeriums-Dokument bekommen weder Studenten noch Assistenten in den entscheidenden Fragen Mitbestimmungs- oder auch nur Mitspracherechte. Über Forschungsaufträge und Hochschullehrerberufung entscheidet ein Professoren-Gremium wie an der längst überholten, längst verstaubten Ordinarien-Universität vergilbter Jahre - und natürlich das Ministerium für Verteidigung.
MITBESTIMMUNG VERLETZT
Damit verletzte der Sozialdemokrat Helmut Schmidt die Mitbestimmungsforderungen der SPD-Bildungspolitiker, die sich gerade wieder im Wissenschaftsausschuss des Bundestages mit der CDU/CSU-Opposition über ein Kernstück der Mitbestimmung bei der Hochschullehrer-Berufung streiten. "Die Professoren", heißt es im SPD-Vorschlag, "sollten nicht von vornherein eine Mehrheit gegenüber den beiden Gruppen haben, auch in kleinen Gremien Assistenten und Studenten wirksamer mitarbeiten können." - Wunschdenken.
RECHTSÜBERHOLER SCHMIDT
In Wirklichkeit überholte Helmut Schmidt - von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt - mit der Uni in Uniform sogar das bayerische Hochschulgesetz des ultra-konservativen Kultusministers Hans Maier (1970-1986) - und zwar von rechts. Hans Maier, der die absolute Mehrheit der Professoren im Berufungsausschuss der Universität fordert, lässt Studenten und Assistenten wenigstens mitreden. Bei der Bundeswehr-Uni darf dagegen der Geheimdienst mitbestimmen: Professoren werden nur dann durch den Verteidigungsminister auf einen Lehrstuhl berufen, wenn der Militärische Abschirmdienst (MAD) seine Genehmigung erteilt hat.
AN BUNDESLÄNDER VORBEI
Damit die Bundeswehr-Universitäten überhaupt gegründet werden können, soll Minister Helmut Schmidt an den originären Rechten der Länder-Parlamenten vorbeiregieren. Hochschulen können eigentlich nur durch Gesetze der Länder gegründet werden, bei denen die "Kultur-Hoheit" liegt. Bildungsexperten des Verteidigungsministeriums haben deshalb ihrem Chef empfohlen, die Länderrechte mit einen "Organisations-Erlass" zu umgehen, weil "ein Bundesgesetz verfassungsrechtlich bedenklich und politisch nicht realisierbar" ist.
NICHTS BEWUSST - ABER BESCHLOSSEN
Von derlei Rochade-Plänen wussten die Hamburger Sozialdemokraten freilich nichts, als Helmut Schmidt mit ihnen über die Anerkennung der Bundeswehr-Diplome durch den Senat verhandelte. Die SPD-Bürgerschafts-Fraktion empfahl dem Senat, "die Einrichtung und die Arbeit der Hamburger Bundeswehr-Hochschule zu fördern". - Punktum.
PROFESSOREN-KRITIKER
Nur die Westdeutsche Rektoren-Konferenz (WRK) ließ sich vom Verteidigungsministerium nicht überzeugen. Schon im Januar 1972 hatten die Universitätschefs angeboten, an neun Hochschulen zusätzliche Studienplätze für Offiziere einzurichten. Sie konnte darauf verweisen, dass seit Gründung der Bundeswehr 1.830 Offiziere während der Dienstzeit an Universitäten Examen abgelegt haben. Zusätzliche Studienplätze würden außerdem viel weniger kosten als Militärhochschulen. Allein die Vorbereitungskosten bis zum Lehrbeginn der Bundeswehr-Universitäten in München und Hamburg werden auf 100 Millionen Mark geschätzt. Als es im Juni 1972 auf Drängen der Rektoren endlich zu einem Gespräch mit dem Minister auf der Bonner Hardthöhe kam, ging Helmut Schmidt auf solche Angebote überhaupt nicht mehr ein. Der Hamburger Uni-Präsident Dr. Peter Fischer-Appelt (1970-1991): "Die Sache war ja schon längst entschieden. Der Schmidt wollte seine eigene Universität."
BAZILLUS-ÜBERGRIFF
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) indes hält ebenfalls nichts von Schmidts Uni-Plänen. Dr. Dieter Wunder, Landesvorsitzender in Hamburg (Bundesvorsitzender 1981-1997): "Es ist doch nicht einzusehen, warum zum Beispiel pädagogische Fragestellungen für Bundeswehr-Angehörige anders dargestellt werden müssen als bei normalen Studenten. Der Schmidt fürchtet nur, dass der so genannte Bazillus an den Universitäten auf die Offiziere übergreift. Vorerst muss Helmut Schmidt viel mehr fürchten, dass ihm seine eigenen Minister-Kollegen das Konzept verderben. Finanzminister Karl Schiller (1971-1972) will kein Geld rausrücken. und Innenminister Hans-Dietrich Genscher (1969-1974) meldet "beamtenrechtliche Bedenken" wegen des Sonderstatus der Uni in Uniform an. Derweil bastelt Helmut Schmidt schon an den ersten Professoren-Listen. Eines steht bereits fest: Präsident der Münchner Bundeswehr-Universität wird ein General.
DISZIPLIN UND KEIN CHAOS
Momentaufnahmen an der Hamburger "Helmut Schmidt Universität" nach mehr als als drei Jahrzehnten. Studentinnen und Soldatinnen wie Gloria Axthelm, 25, sind voll des Lobes. Hier herrsche "Disziplin", sagt sie, "nicht solch ein Chaos während der Semester wie vielerorts an den normalen, zivilen Universitäten". Und ihre Kommilitonin Eva-Maria Kern ergänzt: "Die Studenten sind hier durchgehend pünktlich, fleißig, höflich, gewissenhaft, voll und ganz auf ihr Examen konzentriert." Und das Kommando an beiden Unis in Uniform haben Zivilisten - Professoren, die in ihrem Leben nie in NATO-Oliv steckten und mit dem Leopard eher eine Großkatze als den Panzer assoziieren. - Aber wohin geht's dann mit dem Universitäts-Examen, wo doch "Deutschland mittlerweile im Hindukusch verteidigt" wird ?