Dienstag, 22. Februar 2011

Nachgelesen - neubewertet: Der Intrigant . Die Wandlungen von Heiner Geißler und seine Bonner Operetten-Republik. Vom Saulus zum Paulus























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Pressenet
22.Februar 2011
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Erinnerungen an die Bonner Republik - Parallelen zu Berlin? Erinnerungen an Politiker der siebziger und achtziger Jahre, die unnachahmlich dem Bonner Staat ihren Stempel aufdrückten. Der mittlerweile 80jährige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler (1982-1998) ein Meister für Totschlag-Dialoge. Seine Standards fügen sich kontinuierlich aus "Lügner, Umfaller, Falschspieler, Verbrecher, Täuschungsmanöver, Vernichtungsfeldzug, Racheakt, Anschlag auf die Verfassung, Rufmordkampagnen, Moskau-Fraktion und Staatsbankrott" zusammen.

Unter Geißlers Regie entstand im Jahre 1977 eine Broschüre, in der er viele linke und liberale Intellektuelle in Deutschland als "Sympathisanten des Terrors" beschuldigte. Als es im Jahre 1983 um die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Europa ging, machte Geißler in der Sozialdemokratie gar die "Fünfte Kolonne der anderen Seite" aus, womit der Warschauer Pakt gemeint war. - Brunnenvergiftungen.

Über ein halbes Jahr hatte der Autor Reimar Oltmanns Seit' an Seit' im Büro des CDU-Generalsekretärs Heiner Geißler im Bonner Konrad-Adenauer-Haus sein Arbeitszimmer. Langzeitbeobachtung des früheren rheinland-pfälzischen CDU-Sozialministers an den Schalthebeln der Bonner Macht. Geißler war ehedem als Hoffnungsträger ausgezogen. Am Rhein hingegen sozialisierten Fernseh-Mattscheiben diesen Mann zu einem Zeitgenossen des eingefrorenen Dauerlächelns, der sich flugs in der Rolle eines unnahbaren Scharfmachers wiederfand. Politik-Verdruss, Vertrauens-Verlust, Politik-Empörung kannten einen Namen: Heiner Geißler.

In jener Zeit fragte sich der frühere Bonner Korrespondent Reimar Oltmanns zusehends nachhaltiger, suchte nach Ursachen und Gründen, welcher Sinneswandel, welche Kopfwäsche im Bonner Treibhaus da mit Heiner Geißler stattgefunden haben mag. Wie konnte es passieren, dass aus einem Idealisten "seit Goebbels (*1897+1945) der schlimmste Hetzer in diesem Land" (laut SPD-Chef Willy Brandt, *1913+1992) wurde?

Für den Autor glich das Treibhaus Bonn - anders als Berlin - einer dunstigen Käseglocke, unter der gewachsene Bindungen verkümmerten und ungezwungene Mitmenschlichkeit austrocknete. Die Politiker-Szene war und ist geprägt vom Überlebenskampf jedes einzelnen. Ein Überleben mit Aktenzeichen im Fraktionszwang, mit Intrigen in Affären, mit Staatskarossen und Helikoptern, in Parteizentralen und Lobbyburgen, behütet von Sicherheitsbeamten und Schützenpanzerwagen, zwischen Stacheldrahtverhauen und Videokameras. - Freiheit in Deutschland.

Nichts kennzeichnet den Verlust an Wirklichkeit, die Deformation der eigenen Person, die Verschiebung politischer Wahrnehmungsebenen deutlicher als das Politiker-Beispiel Heiner Geißler. Ein Mann, der von sich sagte, in Bonn sei er schmerzfrei geworden. Ein Jesuitenschüler, der ohne knallharte Konfrontation nicht mehr leben konnte. Diagnose: Suchtkrank. Ursache: Politik in Bonn. Jedenfalls bis zu jenem Tag, an dem die Parteizentrale - das "Konrad-Adenauer-Haus" - im Dezember 2003 gesprengt wurde. Spätestens zu diesem Zeitpunkt schien auch die Ära Geißler Vergangenheit.

Heiner Geißlers Räumlichkeiten lagen damals exakt unter den knalligen CDU-Leuchtbuchstaben. Sie geben Aufschluss für ein absonderliches Getto-Dasein. Das U steht fürs Büro, zugleich auch sein Wohnzimmer mit Video, Fernseher, CD-Spieler. Unter dem D sind Sekretariat und Abstellraum. Unter dem C verbirgt sich sein winziges Schlafverlies. Ein schmales, kärgliches Zimmer, eine Pritsche als Bett, Tisch und Stuhl, ein Spind als Schrank, eingebautes Klo, Dusche. Schnörkellose, triste Lebensumstände, diktiert von der gängigen Vorstellung von Funktionalität und Effizienz. - Bonner Jahre. Junggesellen-Jahre.

Praktisch hatte Heiner Geißler, offiziell wohnhaft damals in Mainz mit Frau und drei Söhnen, kein Zuhause mehr. Freunde konnte er auch keine benennen. Allesamt waren sie ihm entrückt. Schemenhaft blieben ein paar Namen in Erinnerung. Und heute? "Das lässt der Job nicht zu!, murrte er knapp. Die politischen Lebensumstände des Heiner G. sind vom Stoff, aus dem Romane entstehen, nur mit dem Unterschied, dass es hier die Wirklichkeit ist. Reimar Oltmanns zeichnet am Beispiel Heiner Geißler die Entwicklung von Charakteren im Machtgetto, die Außen- und Innenabläufe, die wohlpräparierten Rollenspiele und versteckten Hoffnungen - wohlfeile Verstellungstriebe in der Politik.

Erst ohne Ministeramt (Bundesfamilienminister 1982-1985), Parteifunktion (1989) und Parlamentsmandat (2002) leistete sich Heiner Geißler den "Luxus", zu den eigentlichen Wurzeln seiner politischen Identität zurückzufinden. Sehr oft war er mit öffentlichen Äußerungen auf Seiten von Minderheiten zu finden. Er trat der globalisierungskritischen Organisation Attac bei, weil Geißler das "Wirtschaftssystem für nicht konsensfähig und zutiefst undemokratisch" einstufte. Und er tat sich im November 2010 nach den gewalttätigen Straßenschlachten als Vermittler des Bahnprojekts Stuttgart 21 hervor. Ausgerechnet die Grünen hatten Dr. Heiner Geißler als umsichtigen Moderator ins Gespräch gebracht.

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