Montag, 24. Januar 2011

Beim nächsten Papst wird wirklich alles anders























































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Pressenet
24. Januar 2011
von Reimar Oltmanns
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Exodus aus Gotteshäusern / Hunderttausende wenden sich von der katholischen Kirche ab / Austritte in Europa auf Rekord-Niveau / Millionen Euro Verluste bei der Kirchensteuer / Rom verweigert sich dem sozialen Wandel / Priester-Mangel / Endzeitstimmung ... ...

Atmosphärisch weich erwärmt die westwärts gehende Sonne hoch geschossenes Kirchen-Gemäuer des welt-ältesten noch bestehenden Zisterzienser-Klosters in Österreich aus dem Jahre 1129. Der Blick genießt die Silhouette der romantischen Untermalung der barocken Basilika, die 15 Kilometer von Graz in einem Seitental der Mur bei Gratwein liegt. Fresken und das unnachahmliche Hochaltarbild signalisieren Exklusivität. Postkartenidylle, die Frühlingsgefühle, religiös angehauchte Touristengefühle aufkommen lassen. Stille. Mithin 17 Mönche widmen sich hier tagein, tagaus ihrem arbeitsamen und entsagungsreichen Lebensentwurf, der da lautet - "Gott zu suchen, Gott zu finden." Schweigen. Schwur auf die Bibel zum Stillschweigen.

Pater K. führt an diesem Nachmittag eine Besucher-Gruppe durch die ehrwürdige Abtgalerie. Lange verweilt der Mönch vor dem Porträt des legendären, lebenslustigen Kloster-Vorstehers Franz Rappold (1973-1986). "Bruder Paulus", wie er sich nannte, war ein "Urvieh von Mensch", den Zeitläufen in seinen Renaissance-Manieren, seiner Gestaltungskraft um mehrere Jahrzehnte voraus. Er liebte in seiner Jagdhütte fortwährend Frauen; Zölibat ade. Hemdsärmelig rekonstruierte und renovierte er baufälliges Klostergemäuer - bis es in der sorgsam bemalten Barockfassade zu Rein als Schmuckkästchen erstrahlte. Gelder ade. Mithin: Eine unverkennbare seltene Figur war dieser vitale Abt von Rein - jener selbst- und sendungsbewusste Bruder Paulus; will heißen: in der Bevölkerung beliebt, Kirchen voll, Kassen voll. Bis zu seinem Tode im Jahre 2000 verkörperte er - trotz aller Anfeindungen, Klagen und Anklagen das geschätzte Glanzstück einer modern gewordenen Kirche - fröhlich, volksnah, hilfsbereit.

Keine zehn Jahre später hingegen ist das Kloster Rein - somit gleichsam die katholische Kirche in Österreich und vielerorts in Europa - in ihre gefährlichste Identitätskrise geschliddert. Pater K. verweist auf den Schwur in der Bibel zum Stillschweigen. Traurig blickt er drein. Ein Leben lang kümmerte sich der Mönch selbstlos um gebrechliche Menschen in Krankenhäusern. Und nun? Auch er unter Generalverdacht? Auch er ein Sexbesessener? Leise sinniert er: "Die Bevölkerung kann mich mit Gelächter und Demütigungen doch nicht in Sippenhaft nehmen. Nur die Menschen wollen wissen, wie es überhaupt zu derlei vielen sexuellen Missbräuchen, Vergewaltigungen, Homosexualität, Brachialgewalt an Kindern, auch unter Priestern, kommen konnte." Achselzucken. Schweigen. Aus Rom nichts Neues.

Noch nie war die katholische Kirche in Europa so zerrissen, derart gelähmt, von Austritten bedroht wie zu Beginn dieses Jahrhunderts. Eine christliche Gemeinschaft verweigert sich der Wirklichkeit. - Nein zur Zärtlichkeit, nein zur Eheschließung, nein zur Empfängnisverhütung, nein zur Abtreibung, nein zur Sterbehilfe, nein zur Gentechnik, nein zur Priesterehe, nein zur Frauenordination.

Jahr für Jahr kehrt in Deutschland die Einwohnerzahl einer mittelgroßen Stadt der katholischen Kirche den Rücken. Waren es im Jahr 1970 fast 70-tausend, so schnellte die Austrittszahl im Jahre 2009 auf über 123.000 nach oben. Im Nachbarland Österreich sorgt der Rekord-Abgang von mehr als 87.000 Gläubigen (ein plus von 64 Prozent gegenüber dem Vorjahr) im Jahre 2010 für ein ungeahntes Finanzdesaster. Immerhin gehen dem Klerus auf diese Weise Steuereinnahmen von knapp 10 Millionen Euro verloren.

Mittlerweile erschüttern massivste Austrittswellen seit dem Zweiten Weltkrieg die Grundfesten des Katholizismus in Europa. In Deutschland hat bereits seit Bekanntwerden der Missbrauchsfälle jeder vierte Katholik seinen Austritt erwogen. Eine Kirchen-interne Umfrage ergab, dass

0 18,3 Prozent der Gläubigen in Europa die Kirche nicht mehr modern genug ist,

0 21,6 Prozent in Deutschland und Österreich die Kirchenbeiträge zu hoch sind,

0 23,2 Prozent nahmen Anstoß, und

0 26,6 Prozent der katholischen Bevölkerung störten sich an den falschen Vorgaben aus Rom.

In Frankreich werden durchschnittlich drei Kirchen von einem Priester betreut. Fühlten sich vor 50 Jahren jährlich etwa 1.400 Männer zum Seelsorger berufen, so waren es im Jahre 2010 gerade eben noch 100 Theologen an der Zahl. "Die romantisch verklärten Gemeindepastoren", verdeutlicht der 63jährige Martin Froquet aus dem französischen Dorf Villié-Morgon in der Rhône-Alpes-Region, "sind verschwunden. Wir kämpfen ums Überleben. " Allein in jüngster Vergangenheit haben an die 10.000 Priester ihrer Kirche sang- und klanglos adieu gesagt.

Immerhin keimt im Reich der Katholiken ein Fünkchen Hoffnung. Der Vatikan will nicht mehr automatisch exkommunizieren lassen, wie das bisher routinegeübt üblich war. Jeder Einzelfall soll nunmehr persönlich überprüft werden. Mit dieser quantitativen schriftlichen Auflistung jener Beweggründe werden Bischöfe bis weit ins nächste Jahrtausend beschäftigt sein. Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Dies wissen Kirchenvertraute ohnehin. "Die Skandale haben nichts mit dem Glauben zu tun, sondern mit dem Personal." Ganz nach dem Leitspruch vieler Jugendlicher auf dem Kirchentag zu Osnabrück: "Beim nächsten Papst wird alles anders."



Freitag, 7. Januar 2011

Die stille Revolution der Frauen in Frankreich - so nah und doch so fern
























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Pressenet
07. Januar 2011
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Manch eine Zeitgenössin oder auch kampferprobte Feministin wird es vielleicht noch als Provokation empfinden. Der Autor des Buches "Vive la française - Die stille Revolution der Frauen in Frankreich" ist ein Mann, ein deutscher Journalist. Über zwei Jahre reiste Reimar Oltmanns durch die französische Republik - war dem Leben der französischen Frau ihrer Stimmungslage, ihren Anforderungsprofilen, ihren Ansichten, aber auch ihren Ängsten und Diskriminierungen auf der Spur. Milieustudien, Mentalitäten, Hintergrund-Recherchen. Das Leben der Frauen in Frankreich - so nah und doch so fern.

Reimar Oltmanns beobachtete bei den Fischerinnen ihren aussichtslosen Existenzkampf gegen die Fangquoten samt Brüsseler EU-Bürokratie. Er verfolgte Soldatinnen bei den Vorbereitungen ihrer Militäreinsätze für den Balkan, sprach mit Ingenieurinnen in Kernkraftwerken über Ängste und potenziellen Gefahren eines Super-Gaus. Er hörte verzagten Bäuerinnen im Alpenvorland zu, die über Hofverluste wie Selbstwertverluste Klage führten - ein Landleben an der Armutsschwelle.

Oltmanns begleitete Pilotinnen der Air France auf ihren Kontinentalflügen. Frauen, die sich über Macho-Gebaren ihrer Kollegen kaum beruhigen konnten. Er notierte vehementen Missmut der einstigen première Dame der Republik im Élysée-Palast zu Paris über Frauenfeindlichkeit im französischen Politik-Milieu. Unterschiedlich sind die beschriebenen Lebenskreise, Ambiente, Atmosphäre, Alltagsbedingungen, Charaktere, Lebensschicksale.

Sicherlich - so genannte dramatische Frauengefechte, etwa wie in Deutschland, hat es im Land der Franzosen kaum gegeben. Ohne "Geschlechterkampf" erreichten es Französinnen eher leise, eher unauffällig, dass gesellschaftliche Rahmenbedingungen verstärkt auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten wurden. Bewusstseins-Wandel.

Französinnen verzichten weder auf Kinder noch auf Karriere. Während sich in Deutschland Geburtenraten (mit 1,37 Kinder pro Frau im Jahre 2010) nur marginal verbesserten, bleiben sie in Frankreich(durchschnittlich zwei Kinder pro Frau) als europäischer Spitzenreiter konstant hoch. Folglich wollen nach aktuellen Umfragen 28 Prozent der deutschen Akademikerinnen überhaupt keine Kinder bekommen. Der Fortschritt kennt einen Namen: Kinderlos. In Frankreich hingegen verzichten "Les femmes (qui) marchent au super" weder auf Kinder noch auf Karriere. Sie wollen beides. Insgesamt verfügt die französische Republik über ein Frauenpotenzial von immerhin 27.000 Ingenieurinnen.

Während Deutschland noch immer auf flächendeckende Gesamtschulen wartet, wird in Frankreich alsbald ein Jubiläum zu feiern sein: So werden Ganztagsschulen mit ihren vorgeschalteten Kindergärten schon 100 Jahre alt - Mittagessen inbegriffen. Indes: In Frankreich können Frauen getrost ihrem Beruf nachgehen, Kinder bekommen und niemand macht ihnen ein schlechtes Gewissen.

Wohl keine Frau war wie die Französin in der Geschichte - Jahrhunderte lang bis hinein in die Gegenwart - Opfer so vieler Reminiszenzen, geistreicher Aphorismen, himmlischer Elogen. Wohl keiner Frau wurden in der Literatur oder auch Operette so übermenschliche Huldigungen, eine derartige Vergötterung zuteil - wie eben der Französin. Künstlerische Männer-Fantasien überdauerten auch die zerrissensten Epochen, und sie leben auch zu Beginn eines neuen Jahrtausends in all ihren Facetten in allen sozialen Schichten vehement fort. Männer-Vorurteile. Männer-Klischees.

Gleichwohl: In den letzten fünf Jahren haben Französinnen mehr in ihrem Land verändert als in den 25 Jahre zuvor. Sie rollen ihr Land von unten - von der Basis - auf. Längst diktiert eine erkennbar feminine Atmosphäre Umgang und Geschehen. Wie sagte noch die frühere SPD-Familienministerin Renate Schmidt (2002-2005): "Frankreich ist gegenüber Deutschland mit seiner Frauen- und Familienpolitik uns mindestens um 30 Jahre voraus."