Mittwoch, 1. Dezember 2010

Im Antiquariat entdeckt: Du hast keine Chance, aber nutze sie. Eine Jugend steigt aus.




























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Pressenet
01. Februar 2011
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Seit Jahrzehnten wird in der deutschen Öffentlichkeit ein und dieselbe Frage gestellt: "Was wird aus dieser Jugend? Meist erschöpft sich diese routinegeübte Aufmerksamkeit darin, sich Gedanken zu machen, wie sich "die Jugend" am besten den jeweiligen Wertvorstellungen und -maßstäben älterer Generationen anzupassen hat.

Als der Autor Reimar Oltmanns im Jahre 1980 seinen Bestseller "Du hast keine Chance, aber nutze sie. Eine Jugend steigt aus" schrieb, konnte der Journalist nicht ahnen, dass sein vom Filmregisseur Herbert Achternbusch entlehnter Buchtitel mehr als 30 Jahre nach seiner Veröffentlichung zum festen deutschen Sprachgebrauch mutierte - sein Buch in Schilderungen wie Aussagekraft also nichts eingebüßt hat.

Im Gegenteil: Auch Politiker, wie Ex-Bundespräsident Horst Köhler (2004-2010) oder die einstigen Ministerpräsidenten Ole von Beust (2001-2010) oder Roland Koch (1999-2010), sind mittlerweile zu "Aussteigern" aus der Politik geworden, Und wo Aussteiger weilen sind Auswanderer nicht fern. Allein im Jahre 2009 sagten 145.000 Bundesbürger ihrem Heimatland adieu. Adieu Leistungsdruck. Adieu Jobsuche. Adieu Profitstreben als oberste Lebensmaxine. Adieu Deutschland. Vielen ist es nach demoskopischen Umfragen egal wohin - sie wollen nur raus aus diesem Land. Auch sie sind Aussteiger, mitunter Verweigerer, auf ihre Art.

Vom Ansatz her erinnert Oltmanns Buch an Siegfried Kracauers (*1889+1966) vor fast 90 Jahren entstandene Studie über "Die Angestellten". Auch Kracauer ging es - wie Oltmanns - ums Alltagsleben, auch ihm genügt es nicht, nur Oberflächenerscheinungen des Daseins zu erfassen.

Oltmanns berichtet von Gruppen und Cliquen, die nicht repräsentativ sind, auch gar nicht progressiv, berichtet von einer "harten Szene", die stolz macht und abhärtet, von emotionalen Chaos und von Fehlen des verfluchten Geldes. Fünf Stationen hat er - durch die Republik ziehend - miterlebt. Dabei schaute er weniger danach, was aus der Utopie dieser Leute geworden war, sondern sucht die verstehen, warum sie einen anderen Weg gegangen sind, was sie dort hält und was ihnen den Weg zurück verstellt.

Die Mittel seiner Schilderung sind ebenso ungewöhnlich wie es selten ist, dass einer ein Jahr lang für fünf Storys recherchiert. Reimar Oltmanns fragt Motive nach, das heißt: Gefühle bei Entschlüssen, Konstellationen, Ausweglosigkeiten. "Komm mit, sprach der Esel, etwas Besseres als der Tod werden wir überall finden.", zitiert Oltmanns ein Flugblatt. Daran dürfte sich 30 Jahre später wenig geändert haben.

Junge Leute, die jungen Generationen in Europa schlechthin, sind auf dem EU-Arbeitsmarkt die Krisenverlierer. Viele finden keine Lehrstelle und müssen bezahlte Praktika oder Zeitverträge hinnehmen. "Dieses Buch ist so etwas", schrieb die 'Stuttgarter Zeitung', "wie eine atemberaubende, bestürzende, hoffnungmachende Reisebeschreibung einer Republik mitten in unserer Republik. Eine Republik der Jungen. Das bedeutsamste Buch der letzten Jahre zum Thema Jugend."

Fazit: Reimar Oltmanns Berichte aus dem Jahre 1980 sind aktueller denn je.