Donnerstag, 23. September 1976

Lobbyismus - den Staat ausnehmen, abmelken, abzocken - Parteien schmieren






























Wahlkampf für Wahlkampf - die Metastasen der Demokratie: der deutsche Lobbyismus. Die CDU/CSU wirft den Gewerkschaften Verfilzung mit der SPD vor, streicht aber selbst Millionen von der Industrie ein. - Fürsorgliche Belagerung politischer Entscheidungsträger zu Berlin und vor den Länder-Parlamenten. Das, was vor mehr als drei Jahrzehnten bei Arbeitgeber und Gewerkschaften seinen Ausgangspunkt nahm, hat mittlerweile eine ganze Armada von etwa 2.000 Interessenvertreter in Berlin mobilisiert. Einflussnahme, Gehaltszahlungen, lukrative Einladungen, Urlaubsreisen, Bestechungen in Grauzonen - sanfter Druck, Informationsbeschaffung. Lobbyisten sind stets dabei, wirken , schreiben Gesetze eigennützig für ihre Konzerne mit - Kesseltreiben. Was waren das noch für "harmlose" Zeiten, als Helmut Schmidt (1974-1982) mit dem Arbeitgeber-Präsident Hanns-Martin Schleyer (1972-1977), DGB-Chef Heinz-Oskar Vetter (1969-1982) und dem Industriellen Kurt A. Körber (*1909+1992) die Millionen an Wahlkampfspenden verteilten; übersichtlich, kalkulierbar. Rückgriff.


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stern, Hamburg
23. September 1976
von Reimar Oltmanns
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Die beiden Kontrahenten blieben unversöhnlich. Obwohl DGB-Chef Heinz-Oskar Vetter (*1917+1990) dem CDU-Kanzlerkandidaten Helmut Kohl unter vier Augen parteipolitische Neutralität im Bundestagswahlkampf 1976 anbot (Vetter: "Ich halte die Einheitsgewerkschaft nicht für legitimiert, für eine einzige Partei zu plädieren"), ließ der Christdemokrat den SPD-Genossen abblitzen. Vetters Gegenforderung, die Unionsparteien sollten den Wahlslogan "Freiheit oder /statt Sozialismus" aus dem Verkehr ziehen, wollte der Mainzer Politiker Kohl (Ministerpräsident 1969-1976) nicht akzeptieren.
KRIEGSBEIL
Seither ist das Kriegsbeil zwischen CDU/CSU und Gewerkschaften wieder ausgegraben. Denn gerade der DGB fühlt sich durch die anmaßende Alternative "Freiheit oder Sozialismus" verunglimpft. Waren es doch vor allem sozialdemokratisch orientierte Gewerkschafter, die sich in den letzten 50 Jahren als stramme Anti-Kommunisten profiliert hatten.
ZEHN PRÜFSTEINEN
Die DGB-Reaktion auf Kohls Abfuhr kam sofort. In den "zehn Prüfsteinen", die der DGB seinen siebeneinhalb Millionen Mitgliedern (2007: 6,4 Millionen) zur Bundestagswahl an die Hand gab, fordern die Funktionäre indirekt auf, für die SPD zu votieren: "Hinzuweisen ist auf die Haltung konservativer Kräfte. Sie ist gekennzeichnet durch den Versuch, Reformen zu Gunsten der Arbeitnehmer zu erschweren."
FILZOKRATIE
Als dann CDU-Generalsekretär Kurt Biedenkopf (1973-1977) Gewerkschaften und Sozialdemokraten Filzokratie vorwarf, konterte die IG Bergbau und Energie mit drei einstweiligen Verfügungen, die dem CDU-Spitzenkandidaten verbieten, seine Behauptungen weiter zu verbreiten. Der Versuch Kurt Biedenkopfs, den Spruch des Gerichts revidieren zu lassen, scheiterte. Als Beweis für das enge Zusammenspiel zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokraten hatte Biedenkopf in seiner Dokumentation angeführt, das Betriebsratsmitglied Wolfgang Neuhaus habe am 20. August 1976 auf dem Zechengelände der Schachtanlage Hugo in Gelsenkirchen-Buer unter Missachtung des Betriebsverfassungsgesetzes SPD-Flugblätter verteilt. Doch Neuhaus war an diesem Tag gar nicht auf dem Zechengelände. Er machte Urlaub im Sauerland. DGB-Chef Heinz Oskar Vetter ging zum Gegenangriff über. Er warf Kohls Union vor, den Wahlkampf mit "Angstparolen und Panikmache" zu führen, mit denen "Volk und Gewerkschaft in politische Feindschaft getrieben werden könne.
ZANKAPFEL: GEWERKSCHAFTEN
Dabei hatte noch wenige Tage zuvor DGB-Vorstandsmitglied Karl Schwab (*1920+2003) feierlich versprochen: "Ganz gleich wie hoch die Wellen schlagen, wir werden parteipolitisch neutral bleiben." Damals ließ Heinz Oskar Vetter die SPD-Genossen wissen, "angesichts der derzeitigen Situation in der Einzelgewerkschaft" sei es - im Unterschied zu 1972 ("Willy wählen") nicht ratsam, dass er auf SPD-Wahlveranstaltungen spräche. Das war nur die halbe Wahrheit. Denn nur mit Mühe können die Gewerkschaften ihre Resignation, ihre Enttäuschung über die sozial-liberale Koalition (1969-1982) verbergen. Unter der Regentschaft von Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher haben sie "zwar die Möglichkeiten ausgeschöpft, aber deutlich die Grenze gespürt" (Vetter).
HOHE WELLEN
Albrecht Hasinger (*1935+1994), Geschäftsführer der CDU-Sozialausschüsse, frohlockte deshalb: "Mindestens an der DGB-Spitze habe es "eine recht erfreuliche Einhaltung des Gebots der parteipolitischen Neutralität gegeben." Und der CDU-Bundestagsabgeordnete Adolf Müller (Remscheid *1916+2005) widersprach sogar Biedenkopfs "Filzokratie-Dokumentation": "Die neutrale Haltung des DGB ist doch den SPD-Parteistrategen ein Dorn im Auge."
GARANTIE-ERKLÄRUNG FÜR DGB
Der durchsichtige Versuch der CDU, einen Keil zwischen Gewerkschaften und SPD zu treiben, schlug fehl. Die Genossen gaben als erste Partei zu den "Prüfsteinen" eine Garantieerklärung ab: "Die Gewerkschaften können sich darauf verlassen, dass die SPD die Koalitionsfreiheit, Tarifautonomie und überhaupt die Notwendigkeit freier und starker Gewerkschaften gegen jeden Angriff verteidigt." Und Kanzler Helmut Schmidt erinnerte die DGB-Bosse daran, "dass in der von mir geführten Bundesregierung gestandene Gewerkschafter in besonders großer Zahl ihren Mann stehen".
"AUS LIEBE ZU DEUTSCHLAND"
Schmidts Appell war überflüssig. Seitdem die CDU/CSU "Aus Liebe zu Deutschland" in Fernseh-Wahlspots dem Bürger weismachen möchten, in den Schulen würden die Kinder unter dem DDR-Emblem "Hammer und Zirkel" erzogen, üben Gewerkschaftsmitglieder und Betriebsräte verstärkten Druck auf die Spitzenfunktionäre aus, sich eindeutig vor die diffamierten Sozialdemokraten zu stellen.
MOBILMACHUNG
Die Mobilmachung an der Basis kann der SPD entscheidende Stimmenprozente bringen. Denn in den meisten Großstädten sind die hauptamtlichen Gewerkschafter zugleich aktive Sozialdemokraten. So gehören in Hamburg 89 Prozent der Gewerkschaftssekretäre der SPD an. Und 55 Prozent von ihnen sind in der hanseatischen SPD in Amt und Würden. Nordrhein-Westfalens SPD-Sozialminister Friedhelm Farthmann (1975-1985) ist sicher, dass der mittlere DGB-Führungskader "einen enormen Einfluss auf die Wähler an den Werkbänken und auf den Baugerüsten" hat. "Dieser Wähler", sagt Farthmann, "liest kein Mitbestimmungsheft und kein Betriebsverfassungsgesetz, sondern hört darauf, was ihm seine Betriebsräte sagen." - Lobbyarbeit.
KAPITAL-KOMMANDO
Ein klares Kommando gab auch Arbeitgeber-Präsident Hanns-Martin Schleyer (*1915+1977) für die Bundestagswahl 1976: "Aus unserem Bereich müssen viel mehr in den unmittelbaren politischen Raum gehen." Mit anderen Worten: Lobbyisten in die Politik. Anders als 1972 verzichten die Arbeitgeber diesmal auf schrille Töne (BDI-Präsident Hans-Günther Sohl -*1906+1989 - tönte damals: "Wenn eine Partei dazu neigt, die Stellung der Institution 'Unternehmen' zu schwächen, muss sie mit unserem Widerstand rechnen."). Macht und Drohung der Industrie-Lobby.
1.o00 VERBANDSVERTRETER
Dabei fehlt es den Arbeitgeber-Funktionären an Argumenten, um öffentlich gegen das Gespann Schmidt/Genscher Stimmung machen zu können. Immerhin hat der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) nahezu 80 Prozent seiner Anregungen und Stellungnahmen in den vergangenen Jahren an die sozial-liberalen Ministerialen geschickt, statt etwa an den von der CDU beherrschten Bundesrat. Von 100 Kontakten (Eingaben, Verbandswünsche etc.), die an das Wirtschaftsministerium herangetragen wurden, kamen 96 von den Arbeitgebern. Im Finanzressort und bei Arbeit und Soziales waren es 84 Prozent, im Verteidigungs- 64 Prozent, Innen- 48 Prozent und im Justizministerium 40 Prozent. Und in den 276 Experten-Gremien, die von der Regierung bei der Gesetzgebung konsultiert werden, sitzen 1.000 Verbandsvertreter aus Industrie und Wirtschaft, die zu jedem Schritt des Kabinetts Stellung nehmen können; mitunter selbst bei den Entwürfen Hand anlegen - Formulierungshilfen geben. Hoch-Zeiten der Lobbyisten.
DIREKTEN ZUGANG FÜR BANKIERS
Bankiers und Manager hatten stets direkten Zugang zur Regierungsbank. Wichtigste Gesprächspartner der Industrie: FDP-Wirtschaftsminister Hans Friedrichs (1972-1977). Seine Nähe zur Industrie und Finanzwelt dokumentierte der Liberale, in dem er von der Regierungsbank unversehens auf den Sprecher-Posten der Dresdner Bank (1978-1985) wechselte. Wegen Steuerhinterziehung wurde Friedrichs gar rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 61.500 Mark verurteilt. Die Kontinutät in Sachen Lobbyismus, Einflussnahme, Drehen an Stellen und schreiben von Gesetzesentwurfen - all diese feine "Kleinarbeit" war allerdings Staatssekretär Martin Grüner (1972-1987) gewährleistet - eben Kontinutität in Sachen Lobbyismus. Schließlich hatte die Martin Grüner Jahre zuvor als Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Deutschen Uhrenindustrie (1968-1972) einen hinlänglichen Überblick verschaffen können. Zu guter Letzt durfte die SPD-FDP-Regierung noch auf ihren einstigen Finanzstaatssekretär Karl Otto Pöhl verweisen. Einem ehemaligen Wirtschaftsredakteur der "Hannverschen Presse", der sich von 1968 bis 1970 mit dem Zusatz als "Mitglied der Geschäftsführung des Bundesverbandes der Banken" zu schmücken verstand. Pöhl galt einst als lichtscheuer SPD-Drahtzieher im Hintergrund. Erst in den Jahren 1980-1991 wagte er sich so ganz in der Öffentlichkeit, tanzte in seiner Eigenschaft als Präsident der Deutschen Bundesbank vornehmlich in erlesenen Festsälen von Opern- und Pressebällen der Bundesrepublik; der Smoking als Arbeitsanzug. Dienstvilla Taunus-Vorort Kronberg - reich und schön das weitläufige Milieu, Gärtner, Butler, Einfluss und Protektion. Verständlich, dass Karl Otto Pöhl im Jahre 2005 aus der SPD wegen "Linksabweichung" austrat.
KAPITALEIGNER HABEN DAS LETZTE WORT
Immerhin: Arbeitgeber-Losungen wie "Jetzt zahlen die Verbraucher die Zeche" oder "So schnürt man unserer Wirtschaft die Luft ab", sind seit Helmut Schmidts Kanzlerschaft verschwunden. Kein Wunder: Die sozial-liberale Koalition verabschiedete kein Gesetz, das die Unternehmer auf die Barrikaden gezwungen hätte. Lobby-Arbeit. Bei den Themen Mitbestimmung, berufliche Bildung, Bodenrecht und Vermögensbildung behielten die Kapitaleigner stets das letzte Wort.
182 MILLIONEN SPENDEN FÜR DIE CDU
Ausgezahlt hat sich die industriefreundliche Haltung der SPD/FDP-Regierung kaum. Während die Christdemokraten allein zwischen 1969 und 1974 Spenden in Höhe von 182 Millionen Mark kassierten, kam die SPD-FDP-Koalition nicht einmal auf die Hälfte. in den letzten zwei Jahren ist das nicht anders geworden.
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POSTSCRIPTUM . - Mit Beginn der neunziger Jahre des vergangen Jahrhundert erlebte der deutsche, aber auch der europäische Parlamentarismus geradezu einen Belagerungszustand getarnter Lobby-Organisationen. Ob in den jeweiligen Nationalstaaten oder auch auf europäischer Ebene, über 2000 Verbände und deren Vertreter suchen im Jahre 2008 ihre Interessen in den jeweiligen Gesetzesverfahren durchzusetzen. Eine spezielle Form des Lobbyismus geißelte der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim. Er lokalisierte im Bereich des Lobbyismus des Jahres 2006 ein "Dunstkreis der Korruption". Danach arbeiten Personen aus der Privatwirtschaft, aus Verbänden und Interessengruppen, die tatsächlich Angestellte ihrer Arbeitgeber bleiben und von diesem entlohnt werden - zeitweilig als externe Mitarbeiter deutscher Bundesministerien mit. Lobbyismus in Formvollendung.
Eine besondere Berühmtheit erlangte der einflussreiche wie undurchsichtige Frankfurter Lobbyist und public-relations-Berater Moritz Hunzinger. Er jonglierte als sogenannter "Kontaktvermittler" zwischen Interessengruppen, internationalen Politikern und der deutschen Wirtschaft. Bekannt wurde Lobbyist Hunzinger einer breiten Öffentlichkeit durch eine anrüchige Beratertätigkeit für den damaligen Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (1998-2002) und dem Grünen-Politiker Cem Özdemir (Grüne-MdB 1994-2002). Beide Politiker haben entweder auf seiner stattlichen Honorarliste gestanden oder durch Hunzingers Vermittlung einen besonders günstigen Privat-Kredit bekommen, sind von Moritz Hunzinger "eingekauft" worden. Rudolf Scharping musste als Verteidungsminister zurücktreten, Cem Özdemir wurde von den Grünen über Jahre aus dem Verkehr der Bundespolitik gezogen. Zudem beriet Kontaktmacher Moritz Hunzinger auch die Europäische Kommission in Fragen der Zusammenarbeit mit den Ländern Ost- und Mitteleuropas. Er war unter anderem auch Bundesschatzmeister der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) und bis 2004 deren Treuhänder. Am 3. Mai 2006 verurteilte das Amtsgericht Stuttgart wegen uneidlicher Falschaussage vor dem Landtagsuntersuchungsausschuss von Baden-Württemberg Cheflobbyist Moritz Hunzinger zu einer Geldstrafe von 30.000 Euro und einem Freiheitsentszug von 10 Monaten auf Bewährung. In der zweiten Instanz wurde die Strafe auf 25.000 Euro reduziert und ist damit rechtskräftig. Das Verb " v e r h u n z i n g e n " ist mittlerweile ein Synonym für Verrottung des Lobbyismus in Deutschland geworden. Es wurde für das Wort des Jahres auf den 8. Platz 2002 gewählt.


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