Donnerstag, 24. Mai 1979

Règis Debray: Mit einer "Amour foux " vor vielen, vielen Jahren Revolution gemacht




























Der französische Intellektuelle Régis Debray, Sohn einflussreicher Eltern aus dem Groß- bürgertum, wurde 1967 in Bolivien gemeinsam mit dem Revolutionär Che Guevara im Dschungel von Militärs gefasst. "Che" (*1928+1967) wurde einen Tag später - am 9. Oktober 1967 - ohne Gerichtsverfahren erschossen. Régis Debray hingegen blieb die Hinrichtung erspart, weil er Ausländer war. Ein Militärtribunal verurteilte Debray zu einer 30jährigen Haftstrafe. - Märtyrer-Zeiten.
Nach vorzeitiger Entlassung zählte er zum Beraterkreis des 1973 umgekommenen chilenischen Staatspräsidenten Salvador Allende (*1908+1973). Zurück in Paris vermarktete Debray u. a. persönliche Guerilla-Erlebnisse zu einem Schlüsselroman. - Ein Epos, in dem er seiner Geliebten, der deutschen Partisanin Monika Ertl, (*1937+1973) ein höchst zweifelhaftes litera- risches Denkmal setzte. Romantiker-Jahre. Für dieses Werk "La neige brûle" (Der Schnee brennt) über Mord und Liebe im Guerilla-Milieu erhielt Régis Debray im Jahre 1977 den renommierten Prix Femina Literaturpreis in Frankreich. In den achtziger Jahren fungierte Debray als außenpolitischer Berater des da- maligen französischen Staatspräsidenten François Mitterrand (*1916+1996). - Legenden verflossener Epochen.

ZEITmagazin, Hamburg
vom 24. Mai 1979
von Reimar Oltmanns

Nur ein schmaler, gewundener Dienstbotenaufgang führt auf den Dachboden eines verwinkelten Appartementhauses an der Pariser Place Dauphine. Hinter einer antiken Holztür ohne Namensschild liegt eine schmale Mansarde. Bücher stapeln sich kreuz und quer auf dem Boden, halb leere Rosé-Flaschen zieren verstaubte Regale, Bierdosen stehen mitten im Zimmer, Aschenbecher quellen über. Der winzige Balkon, der aus dem Gipfel ragt, eröffnet dem Hausherrn der Mansardenwohnung ein Weitwinkelpanorama über Alt-Paris, vornehmlich über die großbürgerlichen Häuser im Universitätsviertel Saint Michel, das auf der anderen Seite der Seine liegt.

DER ARISTROKATEN-SOHN

Hausherr Régis Debray trägt einen grell-gelben Schal; zwei Mal um den Hals ge-wickelt, reicht er immer noch bis zu den Knien, darunter en königsblaues Hemd, darüber eine abgewetzte schwarze Samtjacke - und eine Hose aus grauem Flanell.

Er, der Aristokraten-Sohn mit Landsitz in der Normandie, der Elitestudent der Ecole Normale Supérieure, der Jungphilosoph aus dem Dunstkreis Jean-Paul Sartres, der Revolutionär, der mit Che Guevara im Dschungel kämpfte, Chiles Präsident Salvador Allende beriet und noch über Jahrzehnte mit Fidel Castro befreundet war. - Der Theoretiker und Praktiker des Guerillakrieges, der im Jahre 1965 auszog, Südamerika zu revolutionieren und 1973, zurück in Europa, zu den engsten Beratern des damaligen französischen Sozialistenchefs und späteren Staatspräsidenten François Mitterrand (1916 - 1996) avancierte - er kauert bei unserem Gespräch hinter seinem Schreibtisch wie ein gelangweilter Internatsschüler.

CHARISMA LÄNGST VERGILBT

Das Charisma des legendären Che Guevara-Dschungelgefährten ist längst vergilbt; eher unbeholfen und unsicher sitzt er mir gegenüber. Seine Gesichtshaut zwischen schulterlangem brünettem Haar und Schnäuzer ist bläßlich. Seine wiesenflinken blauen Augen halten sich immer wieder an einem Detail seiner Wohnung fest, als ob ihm der an der Wand hängende Sombrero Sicherheit geben könnte.

"Interviews", erklärt Debray, "habe ich schon seit über drei Jahren nicht mehr gegeben. Schließlich hat in Lateinamerika die Konterrevolution gesiegt." Überhaupt will der mittlerweile 38jährige nicht mehr in seine "heldenhaft-revolutionäre Vergangenheit" zurückgeholt werden. In jene Zeit, da er "den Zeigefinger am Abzug hatte und verblüfft war, den Knall aus nächster Nähe zu hören", und wie er sah, "dass zwischen den Bäumen ein Fremder in meiner Visierlinie zusammensackte".

TOTE MARKIEREN SEINEN WEG

Zu viele Tote markieren seinen Weg, "wie kleine schwarze Steine" (Debray). Von seinen alten Companeros aus dem bolivanischen Urwald und den Stadtguerilla-kämpfern in der Hauptstadt La Paz überlebte keiner.

Régis Debray wurde nur deswegen nicht auf der Stelle von der Geheimpolizei exekutiert, weil er Ausländer war. Ein bolivianisches Militärgericht verurteilte ihn zu dreißig Jahren Gefängnis. 1970, nach dreijähriger Haft, erreichten Papst Paul VI. (1897-1978) und Charles de Gaulle (1890-1970) seine Freilassung.

So blieb ihm als einzigem aus dem Che Guevara-Kreis das Privileg, sich vom Revolutionär zum Reformer zu wandeln, die Maschinenpistole mit der Schreib-maschine zu vertauschen und aus den Untergrund-Erlebnissen von einst nun literarisches Kapital zu schlagen.

GRINGO-DASEIN

In seinem ersten Roman "Der Einzelgänger" (deutsch 1976) sann er weinerlich seinem Gringo-Dasein in der lateinamerikanischen Revolutionsbewegung nach. Noch sentimentaler, wenn auch spektakulärer geriet ihm sein Opus zwei, das der Classen-Verlag soeben mit einer Bestseller-Auflage von 20.000 Exemplaren auslieferte.

Sechs Jahre nach Debrays Rückkehr aus Lateinamerika und zu einem Zeitpunkt, da die Militärdiktaturen auf dem Kontinent schon lange - seit Mitte der sechziger bis weit hinein ins siebziger Jahrzehnt - für Friedhofsruhe gesorgt haben, gar die Massengräber im argentinischen Cordoba zubetoniert und die Konzentrationslager in Uruguay überfüllt sind, liest sich das Buch wie ein Schlüsselroman mit unver-wechselbaren autobiografischen Zügen. "Ein Leben für ein Leben" ist Selbstbezichti-gung und Offenbarungseid eines Genossen, der sich 1971 auf Kuba in eine Revolutionärin deutscher Herkunft verliebt und mit ihr gemeinsam einen politischen Mord in Hamburg vorbereitet. Ein Vergessener packt scheinbar Vergessenes aus.

Boris heißt der Mann im Roman, aber er hat zu viele Ähnlichkeiten mit Régis, als dass an der Austauschbarkeit der Namen Zweifel aufkommen könnten. Wie Régis war Boris in Bolivien inhaftiert, wie Régis reiste er nach seiner Freilassung erst nach Chile, dann aber unverzüglich nach Kuba und wie Régis lernte er dort, in Miramar, eine Frau kennen, die ihn aus der Fassung brachte.

GROSSES, BLONDES MÄDCHEN

Boris/Régis, der zaudernde Romantiker, dem seine starke Mutter stets Rationalität gepredigt hatte, war fasziniert von jenem "großen blonden Mädchen", das im Roman Imilla heißt und als Praktikerin "im offenen Visier, ohne Angst besiegt zu werden", charakterisiert wird.

Eifersüchtig beobachtete Boris, wie Imilla nur den damaligen Verteidigungsminister Raúl Castro grüßte, ihn aber links liegen ließ. Trotzdem betete er die Genossin an, weil er glaubte, in ihr das Original gefunden zu haben, "von dem ich nur eine Fälschung war: die leibhaftige Verkörperung all dessen, was mir fehlte: diese Fähigkeit, für sich selbst verantwortlich zu sein, sich dem Zufall auszusetzen und seine eigenen Schwierigkeiten nicht sonderlich ernst zu nehmen".

Eine Göttin der Résistance - ob beim Fälschen von Pässen oder bei Schießübungen. Debray schreibt: "Sie gewann bei den Maschinenpistolen auf fünfzig Meter Entfernung. Ich siegte bei den Pistolen auf 25 Meter, vor allem mit dem Colt 45, der ihr aus der Hand sprang."

Selbst Staatschef Fidel Castro gratulierte seinerzeit Imilla zu ihrer Präzision. Sie errötete vor Stolz. Anschließend wurde Dosenbier auf der Terrasse getrunken. Und Boris erlebte ein Hochgefühl, das er nur als Pennäler zum Beginn der Großen Ferien empfunden hatte.

Doch trotz aller Geschäftigkeit, mit der sich Boris und Imilla auf den neuen Guerillakrieg vorbereiteten, trotz nächtelanger Diskussionen über ihre Vergangenheit, Che-Philosophie und Guerilla-Fakten - von Boris' untertäniger Liebe wollte Imilla nichts wissen. Denn: "Sie mochte keine unentschlossenen Leute, keine Lichter im Nebel, keine undurchschaubare Situation ..." - kurzum keinen Mann mit Minderwertigkeitskomplexen.

MACHT DER MÄNNLICHKEIT

Statt dessen vergnügte sie sich in Kubas Nächten mit "der Macht der Männlichkeit". Je mehr Boris sich ihre flüchtigen Amouren bewusst machte, desto geringer wurde seine Selbstachtung. Sie war "die Hure", die er hasste; er fühlte sich als sexueller Versager, als "zweite Garnitur", ein Mann von "geringer Brauchbarkeit" und "strohdumm".

Als auch noch der Chef eines Kommandos, Carlos der Schakal, wieder auf Kuba auftauchte - er war einige Monate in Europa konspirativ unterwegs gewesen - und Imilla sogleich ein Kind machte, konnte Boris kein Spanisch mehr hören.

Nur einmal raffte er sich auf, spanisch zu sprechen - im Arbeitszimmer des damaligen Staatspräsidenten Salvador Allende (1908-1973). Der Doktor, wie Allende immer respektvoll genannt wurde, saß leger in seiner grünen Joppe an einem rustikalen Schreibtisch. Gemeinsam mit Boris/Régis versuchte Allende , Imilla und Carlos davon zu überzeugen, dass es zweck- und sinnlos war, von Chile aus neuen Guerillakampf nach Bolivien zu tragen. "Sie verstehen uns nicht, Präsident", sagte Imilla zu Allende, "in den Kampf zu ziehen ist ein Eid, den wir halten müssen. Che hätte uns verstanden."

Allende antwortete: "Das sind Kinder. Sie spielen Husar, aber sie haben keine Rüstung."

HEIMWEH ZU DEN SCHLÖSSERN

Der Bruch zwischen Imilla und Boris war perfekt. Boris bekam Heimweh nach seiner alten Bude, seinem "verzauberten Schloss" in Paris. Die Seine-Metropole hatte ihn dann auch bald wieder.

Aber nur für kurze Zeit. Denn es meldete sich Imilla aus London. In einer kleinen Pension an der Tynemouth Road in London N 15 fand er sein "unwiderstehliches Ungeheuer" . Ihr linker Arm war - nach einem Guerilla-Kommando in Bolivien - zusammengeflickt worden, die linke Hand steif, Brandflecken übersäten den ganzen Körper, ihr Kind musste per Kaiserschnitt tot aus dem Unterleib geboren werden.

VERGEWALTIGT, GEFOLTERT - NIEDERGESTRECKT

Systematisch hatten Geheimpolizei und Militärs in La Paz Block für Block durch-kämmt, Waffenlager für Waffenlager ausgehoben, Frauen vergewaltigt, gefoltert, ihre Männer mit MP-Salven niedergestreckt. Alle waren tot - auch der allgegenwärtige Commandante Carlos, der Imilla ständig versichert hatte, dass seine Heimat dort sei, wo es Waffen gibt.

Nur durch Zufall und Geistesgegenwart hatte Imilla sich in eine katholische Kirche retten können. Nachts war sie dann heimlich in die italienische Botschaft gebracht und operiert worden. Kaum auf den Beinen, hatten Helfer sie außer Landes geschleust - mit falschen Papieren natürlich.

Zunächst blieben Imilla und Boris in London, gingen dann aber nach Paris. Für Schwärmer Boris, so schien es, sollte die gescheiterte Liebe aus dem lateinamerika-nischen Untergrund doch noch Wirklichkeit werden. Imilla gestand ihm: "Ich habe nur noch dich, Boris." Und ein Kind wollte sie auch von ihm haben.

VORLIEBE FÜR FEINE STOFFE

Boris, vom großzügigen Leben wieder fasziniert, entdeckte auch bei Imilla eine Vorliebe für die feinen Stoffe von Paris, für Mousselin, Batist, Crêpe de Chine. In der Küche - und für einen Großbürgersohn wie Boris ist dies wichtig - bewies sich die Genossin ebenfalls. Sie wusste zu unterscheiden, ob Entenpastete aus Amiens oder Gänseleberpastete aus den Cevennen, Hasenpastete aus der Bresse in Butter oder in Zwiebeln gebraten waren. - Glücksmomente in Rebellen-Jahren.

Boris genoss es, Imilla ganz ohne revolutionäre Reflexionen einfach sexy zu finden, Er ahnte nicht, dass die vielseitige Gefährtin längst wieder im Einsatz war.

Bereits in London hatte sie von Raúl Castro, dem kubanischen Verteidigungs-minister, eine chiffrierte Information bekommen. Sie enthielt die Mitteilung, dass der Chef der politischen Polizei Boliviens, ein gewisser Anaya, an das Generalkonsulat nach Hamburg versetzt worden sei. Über ihn hatte Boris schon auf Kuba gesagt: "Wenn man Sadisten gegenübersteht, muss man sie wohl oder übel ausschalten." Und Imilla hatte geantwortet: "Es wäre an der Zeit, ihn zu erwischen."

COLT UND PISTOLE IM HANDGEPÄCK
Wenige Monate später sollte sie ihre Worte wahr machen. Sie überredete Boris, mit ihr nach Hamburg zu fahren. Während sie mit einem Leihwagen, Marke Opel, über Belgien und Holland reiste, Colt und Pistole im Handgepäck, startete er mit dem Jet in Paris-Orly,

Hamburg war für sie eine "männliche und exakte Stadt, die beinahe soviel Uhren wie Bäume hat". Man machte eine Hafenrundfahrt, flanierte über die Landungsbrücken, ging ins Övelgönner Fährhaus Aalsuppe essen, wollte sich gar in der Staatsoper Alban Bergs "Wozzeck" ansehen - ein französisches Pärchen in den Flitterwochen, ein-quartiert im Nobelhotel "Atlantik".

ALS PASTORENFRAU VERKLEIDET

Zwischendurch zog Imilla sich in einer St. Pauli-Absteige um, verkleidete sich als Pastorenfrau oder rechtschaffene Dame eines Wohltätigkeitsvereins mal mit, mal ohne Perücke, stellte ihr Auto am Hauptbahnhof ab, fuhr mit der U-Bahn bis zum Klosterstern, eruierte Kreuzungen und Straßenzüge bis hin zur vornehmen Heilwigstraße 125, dem Sitz des bolivianischen Konsulats, stoppte mit ihrer Uhr die Sekunden, prägte sich den dreistöckigen Backsteinbau ein.

Alles lief nach Plan: Mit dem Leihwagen begab sich das konspirative Paar auf die Autobahn E 4 Richtung Hannover. Die Abzweigung Undeloh führte zu einem kleinen Kiefernwald im Wilseder Naturschutzgebiet. Auf der Hinfahrt nach Hamburg hatte Imilla hier die Waffen vergraben. Immer wieder schärften sich die beiden ein: "Alles berücksichtigen, nie vergessen, schon einem unbedeutenden Detail kann man ausgeliefert sein." Sie verschossen eine Kiste Munition im Übungsstil wie einst in Havana. Nur mit dem Unterschied, dass in der Nordheide ein Tannenbaum ihre Zielscheibe war.

"VICTORIA O MUERTE"

Am nächsten Tag stand Imilla im Sekretariat des Generalkonsuls Anaya. Sie gab sich als australische Ethnologin aus, die vom "Herr Konsul" eine Empfehlung für ein Institut in La Paz benötigte. Eine halbe Stunde musste Imilla warten. Dann, kurz nach zwölf, stand sie vor dem Diplomatenschreibtisch. Sie lächelte: "Guten Tag, Herr Oberst!"

Imilla fackelte nicht lange. Drei Revolverschüsse feuerte sie auf den Konsul ab. Zu den Füssen des blutüberströmten Opfers legte sie einen Zettel: "Victoria o Muerte" - Sieg oder Tod.

Als Sekunden später die Frau des Generalkonsuls ins Büro stürzte, kommt es zu einem Handgemenge. Imilla versetzt Senora Anaya zwei Karateschläge und lässt in der Eile Perücke und Revolver am Tatort zurück.

Noch bevor die Hamburger Polizei am Tatort eintraf, saß das Flitterpaar Boris und Imilla schon wieder in seinem Mietwagen und erreichten gerade Ohlsdorf, den größten Friedhof Europas. Gemächlich umfuhren sie den Flughafen Fuhlsbüttel, steuerten um das Stadtzentrum herum und über die Kieler Autobahn Richtung Hannover.

ES GIBT KEIN NÄCHSTES MAL

Am nächsten Morgen erreichten sie Salzburg. Imilla wollte eine Freundin besuchen, Boris ein paar Besorgungen machen. Als er zum Wagen zurückkehrte, fand er auf dem Vordersitz eine kleine Notiz, geschrieben mit violettem Filzstift: "Danke für alles. Warte nicht auf mich. Es gibt kein nächstes Mal. Victoria o muerte - Ruth (meinen richtigen Namen behalte ich für mich)."

Hundertdreizehn Tage danach wird Imilla in Bolivien von Polizisten erschossen.

So endet der Roman von Régis Debray. Wer Imilla und der von ihr ermordete Generalkonsul in Wirklichkeit waren, bleibt verborgen.

ROMAN UND WIRKLICHKEIT

Fest steht jedoch: Zu der Zeit, da der Roman spielt, war der einstige bolivianische Geheimdienstchef Roberto Quintanilla Generalkonsul in Hamburg. In seiner Heimat galt er als meistgefürchteter Guerilla-Jäger, der 1967 Che Guevara und zwei Jahre später dessen Stellvertreter Inti Peredo zur Strecke gebracht hatte. Die Regierung in La Paz hatte ihn aus dem Schussfeld gezogen, nachdem alle Guerillabasen im Lande ausgehoben und ihre Besatzungen ermordet worden waren. Hamburg, so dachte man, sei für den als besonders blutrünstig bekannten Geheimdienstchef ein ruhiger Platz. Das traf auch zu - bis zum 29. März 1971, als ihn eine junge Frau in seinem Büro erschoss.

IMILLA WAR MONIKA ERTL

Im Laufe unseres Interviews in der kleinen Pariser Mansarde bejahte Règis Debray, dass er die Attentäterin - in seinem Buch Imilla - persönlich kannte. Ihren wahren Namen will er aber, obwohl er ein Verhältnis mir ihr hatte, erst nach ihrer Er-mordung erfahren haben, als Fotos von ihr in der europäischen und der ameri-kanischen Presse veröffentlicht wurden: Sie hieß Monika Ertl, war 1937 in München geboren worden und mit ihrem Vater, dem bekannten Kameramann Hans Ertl, 1951 nach Bolivien ausgewandert. Nach gescheiterter Ehe mit einem Industriellen namens Hans Harjes hatte sich Monika Ertl der bolivianischen Guerillabewegung angeschlossen.

Régis Debray holt zwei ausgewaschene Senfgläser aus dem Regal und schenkt Cognac ein. Die Tat, die sein Roman beschreibt, verteidigt er noch heute als "politische Tat aus Liebe zum Menschen", wie er vor mehr als einem Jahrzehnt für Che Guevara formulierte. Unterstellt man, dass sich Debray in Boris selbst porträtiert hat, dann bezichtigt er sich mit seinem Buch indirekt der Beihilfe zum Mord - Mindeststrafe drei Jahre Freiheitsentzug. Dazu sagt er lakonisch: "Wer kann beweisen, dass ich Boris war?"

IN DIE LUFT GESPRENGT - FELTRINELLI

Schließlich wäre Debray der einzige Überlebende dieses Dramas. Denn neben Monika Ertl gab es in Europa nur noch einen Mitverschwörer, einen Mann, der in Guerillakreisen Tonio hieß und für die Polizei mit dem Mailänder Linksverleger Giangiacomo Feltrinelli identisch ist. Er hat am 18. Juli 1968 in Mailand einen amerikanischen Colt"Cobra 38 Special" gekauft, wie ihn das FBI benutzt. Durch eine Kugel aus der Waffe (Registriernummer 212.607) wurde der bolivianische General-konsul Quintanilla, den Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft zufolge, erschossen. Feltrinelli sprengte sich 1972 in die Luft.

Nach dem Tod des Verlegers gab es für Régis Debray keine Ursache mehr, irgendwelche an dem Hamburger Mord Beteiligten zu schützen; der Weg war für ihn frei, seine Untergrund-Geschichte tantiemenbewusst zu vermarkten. Das Buch "Ein Leben für ein Leben" ist erst der Anfang. Den großen Durchbruch erhofft sich Régis Debray von der Verfilmung. Costa Gavras ("Z") soll Regie führen, und auch die ideale Darstellerin der Imilla haben sie schon im Auge: Romy Schneider.


































































































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