Samstag, 21. Juli 2007

Elisabeth Badinters Rendezvous mit der Zukunft - Frauen und Männer erfinden sich neu






















Die französische Philosophie-Professorin Elisabeth Badinter wurde 1944 geboren. Sie ist Autorin namhafter Werke, die die Geschichte, Philosophie und Soziologie der Frauen reflek- tieren. Sie ist damit ideengeschichtlich die bedeutendste Nachfolgerin der Schriftstellerin Simone de Beauvoir, die im Jahre 1986 starb. Simone de Beauvoir war Begründerin des französischen Feminismus nach 1968. Mit 22 Jahren heiratete Elisabeth Badinter den Politiker und späteren Justizminister Robert Badinter.
Ihre drei Kinder bekam sie innerhalb von dreieinhalb Jahren während ihrer Abschluss- examen an der Universität. Als sich zu Beginn der siebziger Jahre der Feminismus in Frank- reich zusehends heftiger artikulierte, entdeckt Elisabeth Badinter die Kompliziertheit des häuslichen Lebens als Mutter. Als Vertreterin des Differenzdenkens geht Elisabeth Badinter von einem grundlegenden Unterschied der Geschlechter aus. Daher müssen Frauen- rechte besonders betont werden, weil die uni- versalistische Theorie Frauen schon immer benachteiligt hat, indem sie den Mann mit dem Menschen gleichsetzt.
In ihrem neusten Buch "Der Konflikt - Die Frau und die Mutter" (2010) rekapituliert Elisabeth Badinter: In weniger als zehn Jahren (zwischen dem Ende der siebziger und dem Beginn der achtziger Jahre) vollführte die feministische Theorie eine Wende um 180 Grad. ... Frauen sollten wieder zurück zu Heim und Herd. - Nicht etwa, um wieder die Männer zu bedienen, sondern ausschließlich zum allgegenwärtigen Wohle des Kindes. Freiheiten, die sich Frauen einst erstritten, werden durch das neuerliche Diktat einer all umsorgenden Mütterlichkeit bedroht. Sie argwöhnt, dass Frauen durch die Hintertür des Kindes abermals ihre Selbstständigkeit verlören.
"Vive la française -
Die stille Revolution in Frankreich"
Rasch und Röhring Verlag, Hamburg
2. März 1995
von Reimar Oltmanns

In einem der stattlichen Bürgerpaläste am Pariser Jardin du Luxembourg ist, sozusagen, die Zukunft zu Hause, die Zukunft der Frauen. In einem weiträumigen Appar- tement, umgeben von Gemälden aus dem 18. Jahr- hundert, auserwählter Kunst und seltenen, wert- vollen alten Büchern, lebt, denkt - schreibt Elisabeth Badinter, 51jährige Philosophieprofessorin an der École Polytechnique. Wer sie zum ersten Mal besucht, könnte meinen, dort, zwischen den lindgrünen Wänden und grauen Spannteppichen mit den tannengrünen Sitz- polstern wirke Abgelebtes, Überholtes, Vergangenes - geduldet und abgeschottet - fort. Andererseits fühlt er sich dort auch versucht, die hastige, sich überstürzende Gegenwart, die herbeigeredeten, schließlich geglaubten Trends oder Tricks der Bewusstseinsindustrie samt ihrer Marktforschung als Hirngespinste abzutun. Ein Ort wie außerhalb der Zeit, an dem man verschnaufen, sich be- sinnen und wieder erinnern kann: ans Wesentliche. An den Kern der Ordnung.

ROUSSEAU, VOLTAIRE - GEIST DER UNSTERBLICHKEIT

Auf dem Balkon der Wohnung bleibt der Blick am gegenüberliegenden Panthéon haften, in dem Rosseau, Voltaire, der Geist der Unsterblichkeit liegen. "Hier", sagt Elisabeth Badinter, "sind meine Wurzeln. Alles liegt im 18. Jahrhundert. Ich könnte kein aktuelles Buch schreiben ohne diese stets Rückbesinnung auf die Auf- klärung."

Elisabeth Badinter trägt keinen Schmuck. Sie schminkt sich nicht, verschmäht noch das zarteste Rouge. Soviel gewollte Unscheinbarkeit kann im Paris der aufge-setzten Äußerlichkeiten kein Zufall sein. Auch nicht Nachlässigkeit. Madame ohne falsche Bescheiden- heit: "Ich wollte nie die Tochter des reichen Vaters oder das Anhängsel eines einflussreichen Politikers sein." Ihr Vater, Marcel Bleustein-Blanchet, war einst Frankreichs Tycoon in der Werbung. Ihr Mann, Robert Badinter, schaffte als Justizminister (1981-1995) unter François Mitterrand (*1916+1996, Präsident von Frankeich 1981-1995) zu Beginn seiner Amtszeit die Todesstrafe ab. Drei Kinder hat die Wissenschaftlerin großgezogen. Ihre drei Kinder Judith, Simon und Benjamin bekam sie inner- halb von dreieinhalb Jahren während ihrer Abschluss- examen an der Universität.

DOMINANZ UND VEHEMENZ

Elisabeth Badinter ist eine wegweisende Persönlichkeit. Ihre Dominanz und Vehemenz, das, was sie antizipiert und vorhersieht, ihr Denken und Vordenken - das ist die Zukunft der Frauen. Und ihre Wohnung, ihre Vor- lesungen oder Seminare sind Lern-, auch Bewusstseins- refugien für Studentinnen und jene jungen Herren, in denen die Philosophin den "versöhnten Mann" erkennt. Weil er in der Lage ist, die altüberkommene Männlich- keit in Frage zu stellen, etwas von der gefürchteten Weiblichkeit anzunehmen und dadurch letztlich eine neue Männlichkeit zu finden.

"Er hat die beiden verstümmelten Männer", sagt die Professorin prononciert, "den harten Mann (Macho) und die Antwort auf ihn, den weichen Mann (Softie), hinter sich gelassen."

FRAUEN UND MÄNNER ERFINDEN SICH NEU

Viele Bücher hat Elisabeth Badinter geschrieben, be- deutende Werke. Es sind Bücher, die schon jetzt unser Denken beeinflussen, das der nachfolgenden Genera- ionen wohl noch nachhaltiger. Die Hochschullehrerin sieht ihre Lebensaufgabe darin, das - ziemlich erbärm- liche - Geheimnis der Männlichkeit zu lüften. Das Ende angemaßter männlicher Vorherrschaft mit wissen- schaftlich fundierter Akribie zu untermauern.

"Wir erfinden uns gerade neu", urteilt sie, "das ist das Aufregendste in dieser Epoche."

MUTTERLIEBE

In ihrem Buch "Mutterliebe", erschienen 1980, wies Elisabeth Badinter nach, dass die immer wieder, auch pathetisch beschworene "Mutterrolle" als unumstöß-liches gesellschaftliches Fundament in Wirklichkeit erst mit dem Aufstieg des Bürgertums begann. Historisch belegte die Autorin, dass der Mythos der aufopferungs-vollen Mutterschaft, dieses naturgegebenen Monopols, den Frauen angedichtet worden ist.

Erst am Ende des 18. Jahrhunderts mühte sich Ärzte, Moralisten und Administratoren in Frankreich, den Frauen-Mythos als Mutterinstinkt aufzuwerten - der Frau die Funktion einer "Gebärmaschine" zuzuweisen. Im Hintergrund standen wirtschaftliche Interessen, das Volk der Franzosen in einer großen Anzahl zu erhalten. Die Philosophie der Aufklärung ersetzte die Theorie des natürlichen und göttlichen Ursprungs väterlicher Gewalt durch die Idee der Beschränkung dieser Macht.
Zentraler Ausgangspunkt war vielmehr die Gleichheit von Mann und Frau in der Erziehung. Das 19. Jahr- hundert war geprägt von Appellen, eine gute Mutter zu sein. Heftigst wurden Frauen gesellschaftlich gebrand- markt, die ihrer Mutterrolle nicht im gewünschten Um- fang nachkamen. Erst in dieser Epoche entstand die Vorstellung, dass Fürsorge und Zärtlichkeit der Mutter für die Entwicklung und das Wohlbefinden des Babys unersetztlich sind.

MYTHOS, LEGENDEN

Demzufolge kritisierte Elisabeth Badinter und mit ihr schon die feministischen Bewegungen der sechziger Jahre das von Sigmund Freud entworfene Frauenbild als Hauptverantwortliche für das Glück des Kindes. Durch scheinbare Selbstauf-opferung, so Freud, findet die Mutter ihre Erfüllung in ihren Kindern. Sie sei verantwortlich für das psychische Wohlbefinden ihrer Kinder. Mit den sechziger Jahren begann Elisabeth Badinter mit den feministischen Bewegungen in Frankreich, diesen Mythos von der natürlichen Mutter- schaft grundlegend zu zerstören. Im Klartext: Mutter- liebe ist nichts Selbst- verständliches mehr, mütterliche Fürsorge ist Arbeit, für die Entgelt zu verlangen ist. Badinter: "Mutterliebe ist ein wandelbares Gefühl, kein Instinkt. Die Väter nehmen mehr Anteil an ihren Kindern, sie werden mütterlicher, während die Frauen männlicher werden."

ICH BIN DU

Sechs Jahre später präsentierte die Philosophin der Öffentlichkeit ihr Werk "Ich bin du". Darin fragt sie: Der Busch ist weit weg, wenn er nicht schon abgeholzt wurde, und wo haben Männer eigentlich noch die Chance , ihre Männlichkeit unter Beweis zu stellen? Wohl nirgendwo in der westlichen Hemisphäre. Andro- gyn sind die Zeiten, die Geschlechter sind sich sehr viel ähnlicher geworden. Es sind Individuen, die Ge- schlechtermerkmale von Mann und Frau in sich ver- binden wissen und diese Zweigeschlechtigkeit je nach Erfordernis ausleben. Sie konstatiert: "Mit diesem neuen Modell der Ähnlichkeit wird die traditionelle Be- stimmung der Gattung in Frage gestellt.
Unsere Identität, sogar unsere Natur sind Ver- änderungen unterworfen. Wir befinden uns in einer Phase der Mutation." Sie folgert: Ärzte laborieren an Mütter-Maschinen. Die Entwicklung eines Kindes liegt nicht mehr im Bauch der Frauen, sondern in der Hand von Wissenschaftlern. "Kinder können heute außerhalb des weiblichen Körpers gezeugt werden. Ich reagiere auf die Vorstellung, dass man einem Mann einen Embryo ein- pflanzt mit Panik - aber es wird kommen und zwar sehr bald." Männliche Paviane haben den Beweis längst erbracht, für die Wissenschaft erbringen müssen. Wenn aber Männer und Frauen zusehends ähnlicher werden, folgert Elisabeth Badinter, was geschieht dann mit der männlichen Identität in der Postmoderne?

XY - IDENTITÄT DES MANNES

"XY - Die Identität des Mannes" heißt folgerichtig ihre nächste Publikation von 1992. Damit will sie den Beweis für die Umkehrung einer dominanten Kultur mit ihrem "schwachen Geschlecht" antreten. Es gelingt. Sie schreibt: "Als Modell ist das Patriarchiat tot, es ist intellektuell, moralisch und sozial am Ende ... Seit Entstehung des Patriarchiats hat sich der Mann als privilegiertes Menschenwesen definiert, stärker, mutiger, intelligenter, verantwortungsbewusster, schöpferischer oder rationaler als Frauen. " Nur verfüge die Medizin mittlerweile über hinreichende Er- fahrungen, Ergebnisse und Statistiken, die bewiesen, dass Männer in Wirklichkeit das schwache Geschlecht darstellen. Die Sterblichkeit bei männlichen Säuglingen ist weitaus höher, Männer leiden unter mehr Krank- heiten - physisch wie psychisch - und sie sterben auch früher als Frauen.

MÄNNLICHKEIT - EIN VERLUSTGESCHÄFT

Für Elisabeth Badinter zählt das Fehlen einer Identität zu den schmerzlich gelebten Erscheinungen dieser Zeit. Viele Männer wissen seit dem feministischen Umbruch nicht mehr so recht, wie sie eine Beziehung zu Frauen und welche sie aufbauen sollen. Angst vor Andro-gynität, vor der Ähnlichkeit der Geschlechter. Ängste vor Rollenverlusten - Verluste des Mannes, seiner über- kommenen, unzeitgemäßen Männlichkeit. Angeknackst ist die männliche Herrschaft, die Frauen seit jeher symbolisch und tatsächlich zum Objekt machte. Von ihnen wurde und wird noch immer - ein kulturelles Gesellschaftsspiel - sexuelle Verfügbarkeit diskret wie selbstverständlich eingefordert. "Aus männlicher Sicht", rekapitulierte Pierre Bourdieu (*1930 +2002), einst Soziologie-Professor am Collège de France, "wirken diejenigen Frauen, die das stillschweigende Verhältnis der Verfügbarkeit unter-brechen und sich ihres eigenen Körperbildes in gewisser Weise wieder bemächti- gen, 'unweiblich' oder wie Lesben." - Kulturver- werfungen - Identitätsbrüche.

Erst leise und zaghaft, unbestimmt vielerorts und vage, dann immer deutlicher rückte ein Schauplatz der Ge- schlechter zwangsläufig in den Mittelpunkt - das Bett. Es ist nun einmal der Austragungsort der Verführung, Verfügung und Verweigerung, der sexuellen Leiden-schaften mit ihren leichtgängigen Lippenbekenntnissen der Lust und des Lustverlustes. Dort, auf den weichen Federn der Matratze, findet die eigentliche Kultur-revolution dieser Tage statt - zuweilen ein wenig verschämt oder auch verdutzt; in ihrer qualitativen zumindest nicht auszumachen - noch nicht.

LIEBE UND LEIDENSCHAFT - BALD PASSÉ ?

Für Elisabeth Badinter wird das traditionelle Rollen-muster aus Liebe und Leiden- schaft bald passé sein. Vorbei deshalb, weil der Motor dieser scheinbar unge- stillten Sehnsüchte abhanden gekommen ist. Die Gesell- schaft kennt keine Tabus mehr, aber diese Verbote waren es gerade, die den Reiz der Übertretung aus- machten. Ende der Sexualität? Madame Badinter lacht kopfschüttelnd amüsiert und sagt: "Die Sexualität ist eine Sache für sich. Im Alltag ist die Beziehung zwischen Mann und Frau heute viel stärker als früher von Ge- fühlen wie Ähnlichkeit, Zärtlichkeit und Freundschaft geprägt. Die Mann-Frau-Beziehung ist heute generell komplex. Wir suchen die Transparenz der Beziehung, das vollkommene Einverständnis, wir sorgen für- einander. Daneben existiert die erotische Beziehung, die auf Spannung und Polarität aufbaut. Ich denke, dass man in der Partnerschaft in erster Linie Komplizen-schaft und Zärtlichkeit sucht und dann erst Gegen-sätzlichkeit und Leidenschaft. Man möchte jemanden haben, mit dem man Gefühle oder Ideale teilt. In dem Moment, in dem man die Schlafzimmertür hinter sich schließt, ändern sich das natürlich...".

KEINE OPFER-ROLLEN

Gewiss haben es die Frauen weltweit in den vergangenen drei Jahrzehnten weitreichend verstanden, traditio-nelles Geschlechterverhalten aufzubrechen. So stellen heute Frauen insgesamt 40 Prozent aller Jura und Medizinstudierenden auf dem Erdball. Vor dreißig Jahren brachten sie es mal gerade eben vier Prozent. - Bewusstseinswandel.

Vielerorts ängstigen sich heute die Frauen aus gutem Grund, dass sie zuallererst Opfer der Neustrukturierung der Arbeitswelt werden. Elisabeth Badinter hingegen schaut überraschend zuversichtlich in die Zukunft. "Die Gefahr", bemerkt sie, "wird total überschätzt. Sicher, in Krisen leben immer wieder archaische Reaktionen auf. Aber die Frauen sind heute in so vielen Bereichem in so qualifizierten Positionen und schlicht nicht mehr weg- zudenken, dass man diese jetzige Krise nicht mit den voraus-gegangenen vergleichen kann." Ein Frauen-bollwerk in Frankreichs Arbeitswelt, in der Armee, in den Atomkraftwerken, an den Universitäten und anderswo.

Sehr unterschiedlich hingegen sind Art und Weise, Methoden und Mittel, mit denen Frauen ihre Ziele voranbrachten - zum Teil ja auch erreichten. In Frankreich jedenfalls begegnen sich die Geschlechter freundlicher, aufmerksamer als anderenorts, hat ein Krieg zwischen Männer und Frauen, wie etwa in den USA oder auch in Deutschland, nicht stattgefunden.

OHNE GESCHLECHTERKRIEG MEHR ERREICHT

Für Elisabeth Badinter driftet der amerikanische Feminismus in die falsche Richtung, die männliche Sexualität insgesamt radikal abzustrafen, grundsätzlich in Frage zu stellen. Feindberührungen. Letztlich stilisiert diese US-kulturalistische Variante des Femi- nismus den Penis als todbringende Waffe. Verge- waltigung wird zum Paradigma der Heterosexualität erhoben. Und sie bemerkt: Diese Art des feministischen Denkens in der weiblichen Sexualität verlangt "eine Art von Gleichheit, die sich nach meinem Kulturverständnis nicht geben sollte". Sie kritisiert zudem diese Art der Frauen-Wahrnehmung, sich zusehends nur als Leid- tragende zu sehen, die des besonderen gesellschaft- lichen Schutzes bedürfe. Madame Badinter warnt ein- dringlich davor, den zentralen Unterschied zwischen Männer und Weiblichkeit auf das Biologische zu redu- zieren, weil die Frauen ihre in den letzten 30 Jahren mühsam er- kämpften Rechte unversehens wieder verlieren könnten. Besonders wehrt sich Elisabeth Badinter gegen die "Unsitte", alle Frauen pauschal wie grobschlächtig über einen Kamm zu scheren. Sie meint, dass die Unter-schiede zwischen Frauen in ver- schiedenen Lebenssituationen und sozialen Schichten deut- lich gravierender sind, als etwa zwischen Männer und Frauen mit einem ähnlichen Lebensstil. Durch solch einen wichtigen "feministischen Irrtum", so befürchtet Badinter, wird sich das Verhältnis zwischen Frauen und Männern weiter verschlechtern. - Graben- kämpfe über Kontinente hinweg.
Wenn ein Amerikaner jedenfalls einer Lady auf Busen und Beine schaue, erzählt Madame Badinter zum Frauen-Verständnis , werfe man ihm vor, ein Schwein zu sein. Wenn ein Franzose das tue, finde eine Frau das charmant, selbst dann, wenn sie sich als Feministin begreife. "Und" - fragt die Philosophieprofessorin - "ist nicht ein Mann, der mir den Hof macht, viel ungefähr-licher als einer, der es nicht tut?" Mit einer Feststellung fährt sie fort: "Bei uns haben Männer und Frauen weniger Angst voreinander. Die Statistiken zeigen übrigens, dass es auf der anderen Seite des Atlantiks sehr viel mehr Vergewaltigungen gibt. Ist nicht der harte amerikanische Feminismus mit ein Grund dafür?"

FRANKREICH - DEUTSCHLAND - USA

Elisabeth Badinter zieht Bilanz zwischen den Ländern - ein zwischenzeitliches Frauen-Remüsee. Sie verdeut- licht: "Mir scheint, dass in Frankreich größere Erfolge erzielt werden - durch die Tradition der Beziehung zwischen Mann und Frau. Die Feministinnen in Deutschland befanden sich oder sind immer noch im Krieg mit den Männern. In Frankreich wäre das nicht vorstellbar. Die meisten Frauen wollen einen Lebens-gefährten, Kinder, ein erfülltes Privatleben, Sport treiben und kulturell aktiv sein, womöglich einen Geliebten haben - und arbeiten. Die französischen Frauen haben sich immer eine Art Komplizenschaft mit den Männern, die sie kritisieren, bewahrt. Das was sehr günstig für die Veränderung des männlichen Verhaltens. In den USA und in Deutschland herrscht hingegen ein weitaus aggressiverer Ton. Die Deutschen führen Krieg mit ihren Männern. Doch es braucht viel Feingefühl, Ausdauer, um den Mann, mit dem man lebt, zu ver- ändern. Man braucht das Gesetz wie die Kompli- zenschaft. Die amerikanischen Feministinnen halten uns für zu nachsichtig. Aber ich finde, die Situation der franzö-sischen Frau ist wesentlich besser als die der Ameri-kanerinnen und der Deutschen. Denn wir haben mehr Rechte, mehr Gleichheit, auch in der Mentalität." - Die stille Revolution der Französinnen.
Ausblick
Nur selten steht Elisabeth Badinter wie jetzt in den frühen Abendstunden auf ihrem Balkon, dort, wo sich ihre Gedanken beruhigen, ihre Blicke das Panthéon umspielen, durchdringen können. Von fern leuchtet Sacré Coeur über Paris.
"Das nächste Jahrhundert", sagt sie auf einmal, "wird definitiv die Verwirklichung des Androgynen bringen. Das bedeutet die Möglichkeit, beide Seiten seiner Persönlichkeit ausleben zu können. Wir Frauen haben hier in Frankreich schon mehr erreicht, als wir vor drei Jahrzehnten zu hoffen wagten. Nur müssen wir auf der Hut sein. Diese Bewegung nach rechts als Sinnbild des neuen Glücks scheint mir absurd. Feministinnen, die ihr Leben den Kindern widmen, sind keine Feministinnen mehr", sagt sie, schließt die Balkontür und fügt noch hinzu: "Das Erkennen der Einsamkeit ist eine Kraft und kein Ziel."